Alle ADHS-Symptome sind zugleich funktionale Symptome von “bloßem” schwerem akutem Stress, während bei anderen Störungsbildern einzelne dieser Stresssymptome dysfunktional geworden sind (z.B. funktional: erhöhtes Vorsichtsbedürfnis bei Stress / dysfunktional: Angststörung; funktional: erhöhtes Absicherungsbedürfnis bei Stress / dysfunktional: Zwangsstörung; funktional: Dysphorie nur bei Inaktivität / dysfunktional: Depression). Während alle ADHS-Symptome auch Stresssymptome sind, sind nicht alle Stresssymptome zugleich ADHS-Symptome. Mehr hierzu unter ⇒ ADHS-Symptome sind Stresssymptome.
Die Vorteile funktionaler Stresssymptome bezeichnen wir als “Stressnutzen”. ⇒ Stressnutzen – der überlebensfördernde Zweck von Stresssymptomen
Dennoch sind ADHS und schwerer chronischer Stress unterschiedliche Dinge. ADHS ist etwas grundsätzlich anderes als eine bloße Reaktion auf existierende Stressoren.
Während bei “bloß” schwerem akutem Stress die dadurch verursachten Symptome nach Wegfall der Stressoren (der Stressauslöser) wieder verschwinden, bestehen bei ADHS die Symptome auch ohne adäquaten Stressor fort.
Zwar kann ADHS unserer Auffassung nach durch eine (genetisch oder durch Gen-Umwelt-Interaktionen ausgelöste) chronische Überreagibilität bzw. ein mangelhaftes Abschalten der Stressregulationssysteme verursacht sein. Dies betrifft jedoch nur eine Teilgruppe der Betroffenen.
Für ADHS insgesamt gilt, dass ADHS und schwerer chronischer Stress ihre Symptome neurophysiologisch auf dieselbe Art und Weise vermitteln (Dopamin- und Noradrenalindefizit) und deshalb gleichartige Symptome zeigen. Die Ursachen für den Dopamin- und Noradrenalinmangel unterscheiden sich jedoch.
Aufgrund der Gleichartigkeit der Symptome sind ADHS und chronischem Stress nicht immer leicht zu unterscheiden. Die Symptomverwechselbarkeit ist der Grund, warum für eine ADHS-Diagnose ein Auftreten der Symptome über einen längeren Zeitraum und in mehreren Lebensbereichen erforderlich ist. Ob die von ICD hierfür geforderten 6 Monate bereits ausreichen, bezweifeln wir allerdings. Jemand, der seit einiger Zeit in einer schweren Lebenskrise steckt, also seit ein oder zwei Jahren schweren selbstwert- oder existenzbedrohenden (= cortisolergen) Stress hat, wird typischerweise während dieser ganzen langen Zeit Stresssymptome in einer Schwere und Häufigkeit haben, dass dies mit ADHS verwechselt werden kann. Andererseits dürften auch diesen Betroffenen Stimulanzien helfen, den verringerten Dopaminspiegel auszugleichen. Wir halten es für durchaus plausibel, dass Stimulanzien in einigen Jahren als Akutmedikation für schwere Stresszustände eingesetzt werden - als eine Art Schmerzmittel für die Seele.
Um ADHS von Symptomen von schwerem chronischem Stress zu unterscheiden, hilft die Betrachtung der jeweiligen Lebensgeschichte. Von der Ähnlichkeit der Symptome von ADHS und schwerem chronischem Stress und von der neurophysiologischen Vermittlung dieser Symptome zu unterscheiden ist, dass ADHS durch frühkindliche Stressbelastung verursacht werden kann, wenn diese eine genetische ADHS-Disposition aktiviert/manifestiert. Hat der/die Betroffene bereits in der Kindheit / Schulzeit dauerhaft die (damals noch kindes-)typischen Symptome von massivem cortisolergem Stress gehabt, ohne dass die gesamte Zeit entsprechende Stressoren gegeben waren, ist mit einiger Wahrscheinlichkeit von ADHS auszugehen. Sind die Symptome jedoch in den ersten 12 Lebensjahren nicht erkennbar gewesen, und sind sie erstmals in den letzten 6 bis 12 Monaten aufgetreten, seit ein bestimmter Stressor besteht, ist eine “lediglich” akute Stressüberlastung wahrscheinlicher.
Insbesondere bei Frauen ist ein Late-onset-ADHS, das erstmals im Erwachsenenalter belastend in Erscheinung tritt, möglich. Mehr hierzu unter Geschlechtsunterschiede bei ADHS.
Ebenso ist es denkbar, dass ein latentes ADHS besteht, das der Betroffene normalerweise “mit Bordmitteln” bewältigt. Tritt nun jedoch noch ein chronischer Stressor hinzu, können auch weniger einschneidende Stresserfahrungen zusammen mit dem leichten (subklinischen) ADHS zu einer insgesamt behandlungsbedürftigen Gesamtbelastung führen, indem sich ihre Einflüsse auf den Dopamin- und Noradrenalinhaushalt summieren. Dies deckt sich mit Langzeitstudien, die bei zunächst eindeutig mit ADHS (oder instabiler PS) diagnostizierten Erwachsenen einige Jahre keine Diagnose mehr geben konnten. Dies erklärt zugleich den Sinn von jährlichen Auslassversuchen bei der Medikation.
Bei Kindern sehr viel schwerer zu unterscheiden, ob sie an ADHS oder an einer chronischen schweren Stressbelastung leiden (die aus dem schulischen Umfeld oder aus dem Elternhaus kommen kann), weil man nicht auf eine komplette Schulzeit und weitere Jahre zurückblicken kann. ⇒ ADHS-Diagnosemethoden.
Weitere häufig auftretende Symptome stammen nicht aus ADHS selbst, sondern aus Störungen, die häufig zusammen mit ADHS auftreten, sogenannte typische Komorbiditäten.
Näheres hierzu auf der Seite ⇒ ADHS – Komorbidität und den Unterseiten zu einzelnen Komorbiditäten.
Um zu bestimmen, ob ein Symptom aus ADHS oder einer anderen Störung resultiert, bedarf es einer Differentialdiagnostik.
Näheres hierzu auf der Seite ⇒ Differentialdiagnostik bei ADHS und den Unterseiten zu einzelnen Differentialdiagnosen.