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Differentialdiagnostik bei ADHS

Differentialdiagnostik bei ADHS

Autor: Ulrich Brennecke
Review 08/2024: Dipl.-Psych. Waldemar Zdero

Eine sorgfältige Diagnose von ADHS bedarf stets einer sorgfältigen Differentialdiagnose, um andere Störungen mit ähnlichen Symptomen auszuschließen.

Die Prävalenz psychischer Störungen insgesamt ist mit 33,3 % innerhalb eines Jahres in Deutschland recht hoch (EU: 38,8 %).

Wichtige Faktoren, die in der Differentialdiagnose bei ADHS beachtet werden sollten, sind beispielsweise akute Stressreaktionen, unerkannte Hochbegabung oder Minderbegabung, organische Primärstörungen wie Schlafstörungen oder postkommotionelle Syndrome oder Medikamentennebenwirkungen.
Psychische und psychiatrische Störungen, deren Symptome ADHS ähneln können, sind unter anderem Angststörungen, affektive Störungen, Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) und die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPD).
Die Prozentangaben in Klammern hinter den Überschriften geben die Bevölkerungsprävalenz an, sind also unabhängig von ADHS.

1. Differentialdiagnostik

1.1. Differentialdiagnose

Differentialdiagnose bedeutet, sicherzustellen, dass die Symptome nicht (auch) durch andere Ursachen oder Störungen verursacht werden und folglich eine andere Behandlung erfordern.

Bei der Differentialdiagnostik ist zugleich zu beachten, welche Störungen typische Komorbiditäten von ADHS sind. Beispielsweise können Depressionen (bestimmte) Symptome von ADHS ebenfalls verursachen. Depressionen treten häufig komorbid zu ADHS auf.
Ist eine Störung eine typische Komorbidität von ADHS, und ist die Belastung durch die komorbide Störung nicht extrem beeinträchtigend, wird ein erfahrener Therapeut den Behandlungsfokus zunächst auf das ADHS selbst legen, da durch eine erfolgreiche Behandlung des ADHS die komorbid auftretenden Störungen häufig ebenfalls zurückgehen oder ganz remittieren (verschwinden) können. Zudem ist jede dritte behandlungsresistente Depression in Wirklichkeit die bloße Folge einer unerkannten ADHS (Überlastungsdepression).
Depressionen beispielsweise können mit verschiedenen Medikamenten behandelt werden. Manche Antidepressiva sind zugleich (in geringerer Dosierung) bei ADHS wirksam. Ebenso werden Stimulanzien wie Methylphenidat oder Amphetaminmedikamente auch gegen Depressionen eingesetzt. Andere (SSRI) können insbesondere eine ADHS-I-Symptomatik verstärken. Vor einer massiven Behandlung von ADHS-komorbiden Depressionen mit herkömmlichen Antidepressiva sollte daher die Wirkung von bei ADHS wirksamen Antidepressiva in einer ADHS-typischen Dosierung in Betracht gezogen werden.
Bei einer Depressionsdiagnostik ist wiederum die typische ADHS-Symptomatik der Dysphorie bei Inaktivität zu beachten, die keine Depression darstellt, sondern ein originäres ADHS-Symptom ist.
Depression und Dysphorie bei ADHS

1.2. ADHS (ASS, OCD) – homogene Störungsbilder oder rein dimensionale Gruppierung?

Eine Untersuchung versuchte, 238 Betroffenen, die unterschiedliche Symptome von ADHS, ASS und OCD zeigten oder gesunde Kontrollen waren, anhand der Cortexdicke in 76 Cortexregionen homogenen Störungsbildgruppen zuzuordnen. Dies erfolgte mittels eines maschinellen Lernens (schwache KI). Es konnten keine homogenen Gruppen gebildet werden.1
Dies deutet darauf hin, dass die individuellen Unterschiede zwischen den Betroffenen eines Störungsbilds größer sind als die Gemeinsamkeiten.

1.3. Komorbidität: der Unterschied zur Differentialdiagnose

Während Differentialdiagnostik bedeutet, zu überprüfen, ob die Symptome, die (hier:) auf ADHS hindeuten, nicht in Wirklichkeit von einem anderen Problem herrühren könnten, dass also kein ADHS besteht, bedeutet Komorbidität, dass jemand, der an einer Störung (hier: ADHS) leidet, zugleich (zusätzlich) von einer weiteren Störung oder Erkrankung betroffen ist.

Komorbidität zu ADHS heißt also, dass (hier:) ADHS eindeutig festgestellt ist und zusätzlich zu ADHS weitere Probleme bestehen.
Viele Störungen haben sehr typische Komorbiditäten – so auch ADHS, sodass es im Rahmen einer sauberen Anamnese stets erforderlich ist, diese einmal abzuprüfen. ADHS – Komorbidität

Die meisten für ADHS typischen Komorbiditäten können mit ADHS gemeinsame Genvarianten oder die gemeinsame Ursache einer frühkindlichen Stressbelastung haben, die auf eine für die jeweilige (Ko-)Morbidität spezifische Gendisposition trifft.
Wie ADHS entsteht: Gene + Umwelt

1.4. Prävalenz: Häufigkeit psychischer Störungen

33,3 % aller Deutschen und 38,8 % aller EU-Bürger leiden (innerhalb von 12 Monaten) an einer psychischen Störung. Männer und Frauen sind ungefähr gleich häufig betroffen, jedoch mit unterschiedlichen Störungsbildern. Am häufigsten ist die Altersgruppe von 18 bis 34 Jahren betroffen.2
Von diesen 33,3 % leiden wiederum 1/3 (also insgesamt 11,1 % aller Deutschen) an mehr als nur einer Störung. In diesen Fällen besteht eine offene Komorbidität von mehreren Störungen aus verschiedenen Diagnosegruppen. Die Komorbidität hinsichtlich verschiedener Einzeldiagnosen aus derselben Gruppe ist nochmals deutlich höher.
Komorbiditäten nehmen mit dem Alter zu.2

Zum Vergleich der bei den unten genannten Prävalenzwerten (Häufigkeit des Auftretens):
ADHS hat eine Prävalenz bei

  • Kinder und Jugendliche zusammen 5,29 %
    laut internationaler Meta-Langzeit-Analyse von 102 internationalen Studien mit n = 171.000 Probanden3
    • Vorschulkinder: ca. 3 %4
    • Jugendliche: ca. 8 %
      • Jungen ca. 6 %4
      • Mädchen ca. 2 %4
        (Wir vermuten, dass Mädchen aufgrund des bei diesen häufigeren ADHS-I-Subtyps häufiger nicht erkannt werden.)
  • Erwachsene:
    • ca. 1 – 4 %4
    • ca. 3 – 5 %5

Damit entspräche die Lebenszeitprävalenz von ADHS in etwa der von Diabetes.6

Friedmann berichtet, dass die Lebenszeitprävalenz von ADHS in den USA von 7,8 % in 2003 auf 11 % in 2011 gestiegen sei.5
Dies ergibt sich nicht aus einem Anstieg von ADHS, sondern dass ADHS heute besser erkannt und sicherer diagnostiziert wird.

Weiterführend zur Prävalenzverteilung von ADHS:Häufigkeit von ADHS (Prävalenz)

2. Differentialdiagnose bei ADHS

Die folgenden Phänomene sollten bei einer Prüfung, woher ADHS-typische Symptome stammen, abgeprüft werden.
Die entsprechenden Abschnitte wurden in eigene Beiträge ausgelagert, die nachfolgend verlinkt sind.

2.1. “Gesunde” Stressreaktion auf belastende Situation

2.2. Altersentsprechend hohes Aktivitätsniveau

2.3. Organische Primärstörungen

2.4. Medikamenten-Nebenwirkungen

2.5. Psychische und psychiatrische Störungen