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Organische Primärstörungen

Organische Primärstörungen

Autor: Ulrich Brennecke
Review: Dipl.-Psych. Waldemar Zdero

Sortierung nach Prävalenz (Auftretenshäufigkeit) absteigend. Die Prävalenz benennt die Häufigkeit der Störung selbst, nicht die Häufigkeit oder Wahrscheinlichkeit von ADHS bei dieser. So ist die Prävalenz von Mangelerscheinungen recht hoch, der Einfluss ihrer Behebung auf ADHS-Symptome jedoch nicht durchschlagend.

2.3.1. Folgen von Schlafstörungen (Schlafstörungen: Kinder 47,1 %; Erwachsene: 0,6 bis 7,8 %)

Die Jahresprävalenz von Schlafstörungen in Deutschland lag 2008 bei 0,6 % (15 bis 19 Jahre) bis 6,6 % (ab 60 Jahre) bei Männern und 0,8 % (15 bis 19 Jahre) bis 7,8 % (ab 60 Jahre) bei Frauen.1
Schlafprobleme bei ADHS sind extrem häufig:

  • 70 – 80 % der ADHS-betroffenen Kinder leiden an Schlafproblemen
  • 20 – 30 % der ADHS-Betroffenen Erwachsenen leiden an Schlafproblemen

Eine chinesische Studie an 23.791 Schulkindern fand, dass 68,7 % der Kinder mit ADHS eine schlechte Schlafqualität hatten, gegenüber 47,1 % der Kinder ohne ADHS.2

Siehe auch: ADHS – Komorbidität, dort zu Schlafproblemen

Bei Schlafproblemen und ADHS ist es schwierig, Ursache und Wirkung auseinanderzuhalten. ADHS verursacht sehr häufig Schlafstörungen und Schlafstörungen verursachen häufig ADHS-ähnliche Symptome.

Bei einer ADHS-Diagnose sollten komorbid bestehende Schlafstörungen stets mit besonderem Vorrang behandelt werden. Zudem muss bei Medikamenten gegen Schlafprobleme deren mögliche negative Auswirkung auf ADHS-Symptome beachtet werden, genauso wie Medikamente gegen ADHS daraufhin geprüft werden müssen, dass diese Schlafprobleme nicht verstärken. Mehr zur Behandlung von Schlafproblemen bei ADHS: Behandlung von Schlafproblemen bei ADHS

  • Vigilanzstörungen bei Beeinträchtigungen der Schlaf-Wach-Regulation34
  • Folgen eines Schlafapnoe-Syndroms5
    Das Obstruktive Schlafapnoe-Syndrom (OSAS) ist die häufigste schlafbezogene Atemstörung. Die Prävalenz liegt bei Männern bei ca. 4 % und bei Frauen bei ca. 2 %.
    Eine Obstruktive Schlafapnoe (OSA) ist sogar noch häufiger und erreicht insbesondere bei der Betrachtung von Subgruppen auffällig hohe Zahlen. So ergibt sich bei Patienten mit Diabetes mellitus oder arterieller Hypertonie eine Prävalenz von ca. 36 %, bei adipösen Patienten eine Prävalenz von 50 % und bei Patienten mit therapierefraktärer arterieller Hypertonie eine Prävalenz von 83 %. Dabei gehen Schätzungen davon aus, dass 80 % der männlichen und 90 % der weiblichen Patienten mit einem Schlafapnoe Syndrom nicht diagnostiziert sind und damit auch nicht behandelt werden.”6
    Atemaussetzer im Schlaf von Kindern können kognitive Belastungen auslösen, die Symptome verursachen, die ADHS gleichen.7
  • chronischer Schlafmangel3
  • Störungen der Traumschlafphasen bewirken binnen weniger Tage:
    • erhöhte Reizbarkeit8
    • gesteigerte Impulsivität8
    • verringerte Konzentration9
    • verringerte Aufmerksamkeit9
    • Störungen des Arbeitsgedächtnisses10

Gemeinsame Symptome von Schlafproblemen und ADHS:11

  • motorische Hyperaktivität, körperliche Unruhe
  • Konzentrationsprobleme
  • Aufmerksamkeitsprobleme

ADHS-Symptome, die für Schlafprobleme untypisch sind:

  • Innere Unruhe (bei atypischer Depression typisch, weniger bei melancholischer Depression)
  • Impulsivität
  • hoher Redefluss (Logorrhö, Polyphrasie)
  • Gedankenjagen, Gedankenkreisen
  • schnelle Stimmungsschwankungen
  • Dysphorie bei Inaktivität

Symptome von Schlafproblemen, die für ADHS untypisch sind:

  • Schläfrigkeit
  • (Tages-)Müdigkeit

2.3.2. Postkommotionelles Syndrom (Folgen einer Gehirnerschütterung) (11 bis 80 %)

Weiterer Name: Post-Concussion-Syndrom

Prävalenz: vermutlich bei 1 / 10 Patienten mit mildem Schädelhirntrauma12
Eine Gehirnerschütterung ist die leichteste Form eines Schädel-Hirn-Traumas. In den USA wird für Gehirnerschütterung eine Inzidenz von 1,15 % angenommen (3,8 Mio / 331 Mio). Damit läge die Inzidenz des Postkommotionellen Syndroms bei ca. 0,115 % / Jahr.
Die Prävalenz liegt zwischen 11 und 80 %.13

Bei unverletzten jugendlichen Sportlern scheint ADHS das Postkommotionelle Syndrom nachzuahmen. ADHS-Betroffene berichten mehr Symptome eines Postkommotionellen Syndroms als Nichtbetroffene.14 Eine weitere Studie berichtet von verlängerten Zeiten bis zur Erholung von einer Gehirnerschütterung bei ADHS.15
Eine Studie fand keine Häufung von ADHS bei 12-/13-jährigen Sportlern mit einer Gehirnerschütterung.16

2.3.3. Mangelerscheinungen (5 bis 30 %)

2.3.3.1. Vitamin D3 (30 %)

Prävalenz D3-Mangel:1718
* 30,2 % mangelhaft versorgt
* 38,4 % ausreichend versorgt
* 31,4 % verbesserungswürdig oder überversorgt

  • Ein Vitamin D3-Mangel scheint zugleich bei ADHS sehr häufig zu sein.19 Eine D3-Gabe insbesondere im Herbst / Winter ist empfehlenswert.
  • D3 benötigt zur Aufnahme Fett, d.h. eine Einnahme erfordert, dass die Präparate Fett beinhalten oder eine gleichzeitige Nahrungsaufnahme. Ein Glas Milch sollte hierzu bereits genügen.
2.3.3.2. Vitamin B12 (5 bis 30 %)

Prävalenz B12-Mangel:2018

  • junge Erwachsene 5 bis 10 %
  • ältere Erwachsene 10 bis 30 %
  • Bei höherem Alter sind Konzentrations- und Aufmerksamkeitsprobleme aufgrund von B12-Mangel geradezu phänotypisch.
  • B12 kann mittels Spritzen sicherer zugeführt werden.
  • Zwischenzeitlich gibt es auch B12 in Tablettenform.
  • Lebensmittel mit potenziell hohem B12-Anteil (Spinella-Algen) sind dagegen nicht zuverlässig genug dosierbar.
2.3.3.3. Zink (11 %)

Zinkmangel kann Symptome eines bestehenden ADHS verstärken.21

  • Prävalenz Zinkmangel:
    • Bevölkerungsweit
      • Europa: 11 %18
    • gesunde Kinder von 1 bis 3 Jahren:
      • Westeuropa: 31,3 %22
    • bei Kindern unter fünf Jahren (Disease Control Priorities in Developing Countries 2006).
      • Ostasien/Pazifik: 7 %
      • Osteuropa und Zentralasien: 10 %
      • Lateinamerika und Karibik: 33 %
      • Mittelost- und Nordafrika: 46 %
      • Subsahara-Afrika: 50 %
      • Südasien: 79 %
  • Zinkmangel zeigt sich u.a. durch einen Mangel an T- und B-Lymphozyten
  • Zinkmangel geht oft mit Vitamin-A-Mangel einher
  • Zink ist am Ada Repair-Protein beteiligt. Dieses repariert (demethyliert) methylierte Phosphatlinker in der DNA durch Übertragung der Methylgruppe auf den Cysteinat-S23
2.3.3.4. Eisen (10 %)

Die Prävalenz von Eisenmangel ist schwer bestimmbar, da es nur wenige zuverlässige epidemiologische Daten zu diesem Thema gibt, und die zudem mit verschiedenen verwandten pathologischen Entitäten wie Anämie, Eisenmangelanämie und isoliertem Eisenmangel ohne Anämie zusammenhängen.

  • Weltweit: 50 %24
    • bei Frauen: 37 % (42 % bzw. 25 % bei Kindern)
      • nicht schwangere Frauen: 33 %
      • schwangere Frauen: 40 %
      • In etwa 50 % der Fälle ist dies auf schweren Eisenmangel zurückzuführen.
    • große Unterschiede je nach Alter, Geschlecht und Weltregion
  • Europa: 5-10 %25
    • Frauen im gebärfähigen Alter: ca. 20 %
    • Weitere Risikogruppen: Säuglinge und Kleinkinder
    • Jugendliche von 13. bis 15.: 4-8 %; vor allem Speichereisenmangel ohne Eisenmangelanämie

Symptome eines Eisenmangels sind:24

  • Müdigkeit
  • Muskelschwäche
  • verminderte körperliche Leistungsfähigkeit
  • Veränderungen der Stimmung und des emotionalen Verhaltens

Der Eisenstatus wird heute anhand des Serumferritins ermittelt. Niedrige Serumferritin-Konzentrationen sind ein Marker für geringe Eisenspeicher. Normale oder erhöhte Serumferritinspiegel schließen dagegen bei Infektionen oder Entzündungen einen Eisenmangel nicht aus.2627

Eisenmangel wirkt sich auf den Dopaminstoffwechsel aus:24

  • Bei Säuglingen und jungen Erwachsenen mit Veränderungen im mesolimbischen Signalweg könnte dies besonders schädlich sein [30]. Eisen ist an den dopaminergen Signalwegen und der dopaminergen Neurotransmission beteiligt.
  • Eisenmangel in der Substantia nigra könnte eine verringerte Tyrosinhydroxylase-Aktivität und damit eine beeinträchtigte Dopamin-Synthese bewirken.
  • Der SERT beeinflusst die dopaminerge Signalgebung
    • durch seine Modulation der intrazerebralen Eisenhomöostase. Die SERT-abhängige Abnahme der intrazerebralen Eisenkonzentration beeinflusst die dopaminerge und noradrenerge Neurotransmission, weil Eisen für die Umwandlung von Phenylalanin zu L-Tyrosin und L-Tyrosin zu L-Dopa erforderlich ist und somit die Dopaminsynthese mit reguliert.
    • durch die (reversible) Abnahme der Dichte dopaminerger D2-Rezeptoren und präsynaptischer DAT, die die präsynaptische Wiederaufnahme sicherstellen.
  • Striatum:
    • Dopaminspiegel erhöht
    • Tyrosinhydroxylase erhöht
    • D1-Rezeptoren erhöht
    • Transferrinrezeptoren erhöht
    • D2-Rezeptoren verringert
    • Adenosin-1-Rezeptor verringert
2.3.3.5. Weitere mögliche Mangelerscheinungen
  • Vitamin B6
  • Magnesium
  • Jod

2.3.4. Migräne (Frauen: 18 %, Männer 6 %)

Prävalenz Frauen 18 %, Männer 6 %
Das Symptom-Gesamtbild unterscheidet sich von ADHS in aller Regel deutlich und besteht kaum dauerhaft.

2.3.5. Substanzmissbrauch (illegale Drogen: 10 %, Nikotin: 16,6 bis 25,5 %)

Bei ADHS-betroffenen Erwachsenen liegt die Prävalenz von Substanzmissbrauch bei 33,5 % .28 Das Risiko für Substanzmissbrauch unter Erwachsenen mit ADHS in den USA ist 1,7 bis 7,9-fach erhöht.29

Die Prävalenz für Substanzmissbrauch unter deutschen Erwachsenen betrug 2019 (12-Monats-Prävalenz und Lebenszeitprävalenz):30
Cannabis: 7,1 % / 28,3 %
Kokain / Crack: 1,1 % / 4,1 %
Ecstasy: 1,1 % / 3,9 %
Amphetamine: 1,2 % / 3,8 %
Methamphetamin / Crystal Meth: 0,2 % / 0,8 %
Rauchen (mind. 20 Zigaretten/Tag), Erwachsene:31

  • Männer: 25,5 %
  • Frauen 16,6 %

Alkohol:32

  • Risikokonsum binnen 12 Monaten
    • Männer 15,6 %
    • Frauen 12,8 %

Unter wegen Alkoholabhängigkeit stationär behandelten Patienten fand eine Studie eine ADHS-Prävalenz von 20,5 %.33

Liegt neben ADHS zugleich aggressives und oppositionell-aufsässiges Verhalten und niedriges Selbstwertgefühl vor, ist die Wahrscheinlichkeit eines Substanzmissbrauchs signifikant erhöht, während bei jugendlichen ADHS-Betroffenen ohne diese zusätzlichen Symptome kein häufigerer Substanzmissbrauch festgestellt werden konnte.3435

Ein Substanzmissbrauch dürfte nach unserer Einschätzung sehr viel häufiger eine Folge von ADHS als Ursache für ein ADHS-Symptom-Vollbild sein. In selteneren Fällen besteht er komorbid. Eine Behandlung mit Stimulanzien beseitigt bei ADHS sehr häufig die Suchtneigung. Moderne Darreichungsformen von Stimulanzien-Medikamenten sind für den Missbrauch als Droge kaum geeignet (z.B. Elvanse: an Lysin gebundene Prodrug von Amphetamin, das erst im Darm ganz langsam zum Wirkstoff umgewandelt wird).

Im Continuous Performance Test zeigten ADHS-Betroffene im Vergleich zu den Substanzmissbrauch-Betroffenen mehr Reaktionen auf das richtige Timing.36

2.3.6. Sucht / Abhängigkeit (Alkohol: 5 %, Spiel: 0,31 %)

Prävalenz: Liegt bei 24,9 % der ADHS-betroffenen Erwachsenen vor.37

Alkohol:32

  • Abhängigkeit
    • Männer 4,8 %
    • Frauen 2 %
  • Missbrauch
    • Männer 4,6 %
    • Frauen 1,5 %

In Berlin erfüllten 5,0 %der 15- bis 64-jährigen Befragten die Kriterien für eine Alkoholabhängigkeit nach DSM-IV (Männer: 6,4 %, Frauen: 3,5 %).38

In Deutschland liegt die Prävalenz für Spielsucht bei 0,31 %, die Prävalenz für problematisches Spielverhalten bei 0,56 %.39
Eine Studie an n = 97 Spielsüchtigen fand eine ADHS-Quote von 26,0 % und eine ASS-Quote von 29,8 %.40

Bei einer Komorbidität von ADHS und Sucht besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass ADHS die kausale Ursache der Sucht ist und nicht Sucht die Ursache von ADHS. Dies zeigte sich zumindest bei Rauchen, Cannabis und wohl auch Alkohol.41

Bei erhöhten Gen-Risiko-Scores für ADHS (polygenic risc scores, PRS) fand eine Studie zugleich eine um 20 % erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Sucht. Es ergaben sich keine Unterschiede hinsichtlich der Intensität der Sucht (Gebrauch, Missbrauch, Abhängigkeit) oder der Art der Suchtstoffe (Alkohol, Cannabis, andere illegale Drogen). Umgekehrt erklärte der ADHS-PRS nur 0,2 % der Suchtwahrscheinlichkeit im Vergleich zu anderen Risikofaktoren.42

Eine Untersuchung zeigte bei schwer Süchtigen eine ADHS-Prävalenz von 16,7 % im Vergleich zu 2,5 % in der Kontrollgruppe.43
Noch signifikanter war, dass 53 % der schwer Süchtigen ein sozialgestörtes Verhalten in der Kindheit bzw. Adoleszenz (bis 15 Jahre), gemessen am SKID-II, aufwiesen (Kontrollprobanden mit 2,5 %).44 Eine frühere Störung des Sozialverhaltens (OR = 35.1) im Vergleich zu einem kindlichen hyperkinetischen Verhalten (OR = 5.7) stellt mit Abstand den größeren Risikofaktor für eine schwere Sucht dar.45
Dies deutet für uns darauf hin, dass Sucht vorwiegend bei ADHS-HI und weniger bei ADHS-I eine Rolle spielt.
Bei der Präferenz der Suchtmittel deutet sich ein häufigerer Konsum von Cannabisprodukten unter Menschen mit (früherem) hyperkinetischen Verhalten an. Für Opiate, Kokain, Amphetamine, Sedativa und Halluzinogene scheint es keinen signifikanten Unterschied zu geben.46
Ein gemeinsames Auftreten von hyperkinetischem und sozial gestörtem Verhalten ist zwar mit einem frühen Erstkonsum von illegalen Drogen assoziiert, statistisch konnte jedoch lediglich ein früherer und vermehrter Konsum von Nikotin nachgewiesen werden.46
Erwachsene mit ADHS und Sucht hatten ein niedrigeres Alter bei Substanzkonsumbeginn und konsumierten als Suchtmittel:47

  • häufiger: Alkohol, Cannabis, Methamphetamin, Tramadol
  • seltener: Methylphenidat, Methadon, Ecstasy, Morphin, Hypnotika

Dauerhafter Missbrauch von dopaminergen Drogen (Kokain, Amphetamine) führt zu langanhaltender Herunterregulierung des Dopaminniveaus. Entzugserscheinungen entsprechen dann der ADHS-Symptomatik. 48 Vor diesem Hintergrund fragt sich, ob ADHS-Medikamente (Stimulanzien), die bekanntlich keine Rauschwirkung haben, nicht beim Entzug dopaminerger Drogen hilfreich sein könnten.
ADHS-Betroffene mit komorbider Kokainsucht zeigten bei Behandlung mit Stimulanzien eine erhebliche Verringerung des Suchtverhaltens.49

Gemeinsame Symptome von Sucht / Substanzmissbrauch und ADHS:11

  • Impulsivität
  • (innere) Unruhe, motorische Hyperaktivität
  • Konzentrationsprobleme
  • hoher Redefluss (Logorrhö, Polyphrasie)

ADHS-Symptome, die für Sucht / Substanzmissbrauch untypisch sind:

  • Gedankenjagen, Gedankenkreisen
  • Aufmerksamkeitsprobleme
  • Dysphorie bei Inaktivität
  • Stimmungsschwankungen

Symptome von Sucht / Substanzmissbrauch, die für ADHS untypisch sind:

  • Substanzmissbrauch:
    • übermäßiger Konsum eines Stoffes, auch wenn schwerwiegende Folgen vorliegen
  • Sucht / Abhängigkeit:
    • übermäßiger Konsum bis zur Abhängigkeit von der Droge
    • sehr schwer zu stoppen

2.3.7. Schilddrüsenprobleme (kumuliert 7 bis 14 % bei Frauen, 2,75 bis 3,5 % bei Männern)

Eine Hyperthyreose kann neben anderen kognitiven Defiziten auch Unaufmerksamkeit und Hyperarousal bewirken. Je nach dem Grad einer Hypothyreose können die kognitiven Auswirkungen von leichten Beeinträchtigungen des Gedächtnisses und der Aufmerksamkeit bis hin zur völligen Demenz reichen.5051

Das THRA-Gen kodiert den Schilddrüsenrezeptor alpha, TRα1, TRHB die Schilddrüsen-Rezeptor-Isoformen TRβ1 und TRβ2.
Das Hypophysenhormon TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) regt die Schilddrüse zur Produktion von Thyroxin (T4; Prohormon) und anschließend von Trijodthyronin (T3) an. Die Schilddrüsenhormone (T3 und T4) im Blut wiederum regulieren die hypophysäre Freisetzung von TSH innerhalb der Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse, die durch die Rezeptor-Isoform TRβ2 vermittelt wird.

Siehe hierzu auch Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte e.V., Stand 2014.5

2.3.7.1. Schilddrüsen-Überfunktion / Hyperthyreose (Frauen 1 - 2 %, Männer 0,25 - 0,5 %)

Prävalenz: 1-2 % bei Frauen, bei Männern 0,25 – 0,5 %52533

ADHS-ähnliche Symptome können sein:54

  • Nervosität
  • Aggression
  • Reizbarkeit
  • vermehrtes Angstempfinden bis hin zur Ängstlichkeit
  • (extreme) Schreckhaftigkeit
  • Schwierigkeit zu entspannen
  • Schlafstörungen
  • Hyperaktivität55

Weitere, nicht ADHS-typische Symptome können sein:54

  • Schwitzen
  • Herzrasen
  • Vorhofflimmern
  • (starkes) Zittern
  • Durchfall
  • starker Gewichtsverlust
  • Müdigkeit
  • Schwäche
  • zusätzlich auftretende Psychose
  • hoher Blutdruck55
  • fettige Haut55
  • Hyperventilation55
  • Heisshunger55
  • TSH niedrig, fT3 hoch, fT4 hoch
2.3.7.2. Schilddrüsen-Unterfunktion / Hypothyreose (ab 60 Jahre ca. 2 %)

Ab 60 Jahren sind ca. 2 % der Bevölkerung von Schilddrüsen-Unterfunktion betroffen.3

ADHS-ähnliche Symptome können aus Schilddrüsenunterfunktion resultieren56
Hypothyreose wird mit zunehmendem Alter häufiger (meist Folge von Hashimoto-Autoimmunthyreoiditis).

Schilddrüsenunterfunktion entwickelt sich häufig langsam, weshalb Symptome schwer erkennbar sind.

Gesunde 4-jährige Kinder mit Schilddrüsen-stimulierendem Hormonspiegel im oberen Normbereich weisen ein höheres ADHS-Risiko auf als Kinder mit niedrigem freiem Thyroxinspiegel. Schilddrüsenerkrankungen sind bei Frauen häufiger als bei Männern. Da bei ADHS weiter eine mögliche Assoziation mit einer Schilddrüsenhormon-Rezeptorunempfindlichkeit besteht (siehe unten), sollte eine Rolle der Schilddrüsenhormone bei der Entstehung und der Erscheinung von ADHS bei Frauen und Mädchen genauer untersucht werden.57

Symptome einer Schilddrüsen-Unterfunktion können sein:55

  • Verstopfung
  • Gewichtszunahme
  • unreine Haut
  • Frieren
  • Antriebsarmut
  • Weinerlichkeit
  • erhöhtes Schlafbedürfnis
  • niedriger Blutdruck
  • erschwerte Atmung
  • Appetitlosigkeit
  • TSH hoch, fT3 niedrig, fT4 niedrig

Eine Schilddrüsenüberfunktion schließt eine Behandlung mit Methylphenidat nicht aus, erfordert jedoch eine besondere Vorsicht, insbesondere einer strengen Kontrolle von Schilddrüsenwerten, Puls und Blutdruck.

2.3.7.3. Hashimoto-Thyreoiditis (Frauen 4,5 - 9,5 %, Männer 0,5 - 1 %)

Hashimoto (Struma lymphomatosa Hashimoto) ist eine Autoimmunstörung, die eine Schilddrüsenunterfunktion bewirkt56
Die Prävalenz von Hashimoto in Deutschland beträgt ca. 5 bis 10 %. Mit zunehmendem Lebensalter steigen Prävalenz und Inzidenz. Frauen in der 3.-5. Lebensdekade sind in etwa 10 bis 20-Mal häufiger betroffen als Männer.58

ADHS-ähnliche Symptome können sein:54

  • depressive Verstimmungen
    • Apathie
    • schnelle Erschöpfung
    • Konzentrationsstörungen.

Weitere, nicht ADHS-typische Symptome können sein:54

  • Müdigkeit
    • im Extremfall: Wahnvorstellungen / Suizidgedanken
    • Gewichtszunahme
    • verlangsamter Herzschlag
    • verlangsamte Reflexe
    • verminderte Libido.

Es wird berichtet, dass eine Nebenniereninsuffizienz (eine abgeschwächte Cortisolproduktion durch die Nebenniere) häufig zu einer Schilddrüsenschwäche führe. Eine Behandlung der Schilddrüse mit Thyroxin verstärke dann die Cortisolanforderung an die Nebenniere. Wenn die Nebenniere jedoch bereits so geschwächt sei, dass die erhöhte Cortisolproduktion sie völlig überfordert, könne ein Zusammenbruch der Nebenniere die Folge sein, was die Cortisolproduktion noch weiter verringere, weshalb vor einer Thyroxinbehandlung die Nebenniere berücksichtigt und behandelt werden solle.59

Bei ADHS-HI liegt häufig eine abgeschwächte Cortisolstressantwort vor. *⇒ Cortisol und andere Stresshormone bei ADHS *Dies könnte ein Zeichen einer leichten Nebennierenschwäche sein. Diese dürfte indes häufig durch eine Hypophysenschwäche aufgrund einer CRH-Rezeptor-Downregulation entstehen. Zur Abgrenzung von einer Nebenniereninsuffizienz siehe Hypocortisolismus (Nebennierenrindeninsuffizienz) in diesem Beitrag.
Ein Zusammenbruch der Nebenniere durch eine Therapie mit Thyroxin wird bei ADHS jedoch nicht als typisch berichtet.

2.3.7.4. Schilddrüsenhormonresistenz (RTH) / Schilddrüsenhormon-Aktionsdefekt (THAD)

Die β-Schilddrüsenrezeptoren (TRβ) in der Hypophyse steuern die Herunterregulierung des schilddrüsenstimulierenden Hormons (TSH), was zu einer verminderten Produktion der Schilddrüsenhormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) führt.

Schilddrüsenhormonresistenz (RTH) / Schilddrüsenhormon-Aktionsdefekt (THAD) ist ein insgesamt seltenes, vererbbares Syndrom, aber das häufigste Syndrom mit verminderter Empfindlichkeit gegenüber Schilddrüsenhormonen.60
Mutationen im β-Gen des Schilddrüsenrezeptors (Thrb, früher nur RTH genannt) können die Fähigkeit der Rezeptoren, T3 zu binden, beeinträchtigen.61
Es besteht eine Dysbalance zwischen

  • der Resistenz von Geweben, die vorwiegend die Schilddrüsenhormonrezeptor-β-Isoformen 1 und 2 exprimieren und
  • einer Überstimulation von Geweben, die hauptsächlich die Schilddrüsenhormonrezeptor-α-Isoform exprimieren
    Bei funktionsfähigen Rezeptoren bilden die mutierten Rezeptoren Homo- und Heterodimere, denen die Fähigkeit fehlt, an genomischen Response-Elementen zu wirken. Das Ergebnis dieser dominant negativen Wirkung ist, dass TSH nicht herunterreguliert wird (Schilddrüsenhormonresistenz (RTH)).

THRB-Mutations-Schilddrüsenhormonresistenz hat folgende typische Symptome:

  • normale6263 oder erhöhte Werte von Triiodthyronin/freiem Thyroxin und nicht unterdrücktem schilddrüsenstimulierendem Hormon6063
  • Sinustachykardie6064 in Ruhe63
  • Kleinwuchs63
  • Osteoporose63
  • Hörverlust
  • Kropf6462 oder Struma (Schilddrüenvergößerung)60
  • ADHS6062
    • bei 70 % der Kinder mit Schilddrüsenhormonresistenz65
    • gesamtes Spektrum der ADHS-Symptome
    • Foggy Brain62
    • deutet darauf hin, dass dem TRβ-Rezeptor nachgeschaltete Mechanismen für die Manifestation der Verhaltensphänotypen bei beiden Störungen verantwortlich sein könnten

THRA-Mutations-Schilddrüsenhormonresistenz hat folgende typische Symptome:60

  • geistige Retardierung unterschiedlichen Grades
  • Kleinwuchs mit verminderter subischialer Beinlänge
  • chronische Verstopfung
  • Bradykardie

2.3.8. Restless-Legs-Syndrom (Kinder 2 %, Erwachsene 5 bis 10 %)

Prävalenz:66

  • Kinder 2 %
  • Erwachsene 5 - 10 %

Restless Legs korreliert mit ADHS-Symptomen.34
Ein intensiver Zuckerkonsum kann – insbesondere bei Personen, die Zucker nicht gut vertragen – ein Zucken in den Gliedmaßen (vor allem in den Beinen) verursachen, das ähnlich wie eine milde Form von Restless legs wirken und beim Einschlafen hinderlich sein kann.

Bei Restless legs wird eine geringere Häufigkeit von D4.7R vermutet, während diese Genvariante bei ADHS häufiger ist.67

Bei Restless legs ist häufig eine Behandlung mit L-Dopa kurzfristig hilfreich, kann langfristig jedoch nachteilig sein.
Weiter wird eine Behandlung mit D4-Agonisten erörtert.67

L-DOPA kann schützend oder toxisch wirken

Bei der Autooxidation von L-DOPA entstehen toxische und reaktive ROS und DAQs. In einem Computermodell zeigte L-DOPA einen Verlust dopaminerger neuronaler Endigungen in der Substantia nigra, der die gleichzeitige Verabreichung von Glutathion gemildert wurde. L-DOPA scheint Abhängigkeit von der Sauerstoffspannung neurotoxische wie neuroprotektive Wirkung entfalten zu können. Bei physiologischen Sauerstoffwerten hemmt L-DOPA die mitochondrialen Funktionen, unterdrückt die oxidative Phosphorylierung und leert den NADH-Pool verarmt, ohne dass es zu einer Autooxidation von L-DOPA und zu oxidativen Zellschäden kommt.68

2.3.9. Pränatale Schädigung durch Alkohol, FAS (0,8 bis 8,2 %)

Weitere Namen: Fetales Alkoholsyndrom, Embryofetales Alkoholsyndrom, Alkoholeffekte, FAE, FAS, FASD, Alkoholembryopathie

Prävalenz: 0,8 bis 8,2 % aller Geburten, wobei rund 10 % aller Fälle die vollständige Symptomatik entwickeln.69 Langzeitstudien an Kindern mit FAS (Fetales Alkohol Syndrom) fanden bei 47,2 %70, 67,6 %71 oder 70 %72 auch ADHS.

Rund 15 bis 30 % aller Mütter trinken während der Schwangerschaft weiter Alkohol.69 Die Gefährdung der Ungeborenen dabei ist erheblich.
Dieses Problem wird zugleich als eine mögliche Ursache von ADHS betrachtet.73 Das Risiko von ADHS unter FAE/FAS-Betroffenen war 10-fach erhöht.74

Differentialdiagnostik FAS und ADHS

Symptome von FAS allein (nach Wikipedia; schwarz und mager), auch bei ADHS (fett):

  • Körperlicher Bereich
    • Wachstumsstörungen, Minderwuchs, Untergewicht
    • Vergleichsweise kleiner Kopfumfang (Mikrozephalie), Minderentwicklung des Gehirns (Mikrozephalie)
    • Im Profil flach wirkendes Mittelgesicht mit flacher Oberkieferregion, fliehendem Kinn (Mikrognathie) und einer kurzen, flachen Nase (Stupsnase) mit anfangs nach vorn zeigenden Nasenlöchern (Steckdosennase)
    • Schmales (Ober-)Lippenrot (fehlender Cupido-Bogen) und wenig modulierte, flache oder fehlende Mittelrinne (Philtrum) zwischen Nase und Oberlippe
    • Kleine Zähne, vergrößerter Zahnabstand
    • Besonders geformte und tief ansetzende Ohren
    • Vergleichsweise kleine Augen mit schmalen, teils herabhängenden Augenlidern (Ptosis)
    • Sichelförmige Hautfalte an den inneren Randwinkeln der Augen (Epikanthus medialis)
    • Anti-mongoloide (nach unten außen, lateral-kaudal abfallende) Lidachsen
    • Hämangiom (Blutschwämmchen)
    • Steißbeingrübchen
    • Muskelschwäche (Muskelhypotonie), Unterentwicklung der Muskulatur
    • Bindegewebsschwäche, mangelndes Unterhautfettgewebe
    • Besondere Handfurchen, flaches Handlinienrelief
    • Gaumenspalten können durch Alkoholkonsum in der Schwangerschaft hervorgerufen werden
  • Organischer Bereich, körperliche Fehlbildungen
    • Sprechstörungen
      *(ADHS selbst zeigt keine oder nur schwache Sprechstörungen, aber häufige Komorbidität Teilleistungsstörungen; Sprechstörungen sind bei ADHS selten und eher untypisch)
    • Hörstörungen
    • Schlafstörungen70
    • Ess- und Schluckstörungen, oft fehlendes oder übermäßiges Hungergefühl
      *(bei ADHS Appetitlosigkeit eher Folge von Medikation; Übergewicht aber durchaus häufigere Komorbidität von ADHS)
    • Augenfehlbildungen, gehäuft Spaltbildungen, Myopie, Hyperopie, Astigmatismus, Strabismus
    • Herzfehler, oft Scheidewanddefekte
    • Gaumenspalte
    • Alkoholkardiomyopathie (alkoholbedingte Herzmuskelschädigung)
    • Fehlbildungen im Urogenitalbereich:
      • Nierenfehlbildungen
      • Entwicklungsstörung der Harnröhre (Hypospadie)
      • Hodenhochstand (Kryptorchismus)
      • Vergrößerung der Klitoris (Klitorishypertrophie)
    • Leistenbruch
    • Verrenkung der Hüfte (Hüftluxation)
    • Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose)
    • Anomalien der Rippen und Wirbel (z.B. Blockwirbel)
    • Trichterbrust, Kielbrust
    • Unterentwicklung der Finger-Endglieder mit Nagelhypoplasie
    • Verkürzung und Beugung des Kleinfingers, teils bleibende Verkrümmung
    • Verwachsung von Elle und Speiche
  • Neurologisch-kognitiver Bereich
    • Allgemeine Entwicklungsretardierung bis zur Unselbstständigkeit
    • Konzentrationsschwäche, Lernschwäche, kognitive Behinderung
    • Schwierigkeit im Verstehen von abstrakten Dingen und logischen Zusammenhängen
    • Probleme mit der Erfassung von Begriffen wie bald, vorher, nachher, demnächst, übermorgen.
    • Probleme im mathematischen Bereich, z.B. Schätzen von Zahlen, Verständnis der Uhrzeit und Umgang mit Geldwerten*
      *(Bei ADHS allenfalls Dyskalkulie als komorbide Teilleistungsstörung)
    • Krampfanfälle, Epilepsie
    • Emotionale Instabilität, Schwankungen von Ausgeglichenheit, Stimmungen und Gefühlsäußerungen
    • Häufig lang anhaltende Temperamentsausbrüche
    • Hyperaktivität
    • Hyperexzitabilität (Übererregbarkeit des zentralen Nervensystems)*
      *(Bei ADHS: Hochsensibilität)
    • Über- oder Untersensibilität bezogen auf oft selbst leichte Schmerz-, Temperatur-, Berührungsreize usw.*
      *(ADHS: Hochsensibilität)
    • Unter- oder Überreaktionen auf taktile Reize*
      *(ADHS: Hochsensibilität)
    • Vertrauensseligkeit (z. B. mit fremden Personen mitgehen)
    • Erhöhte Risikobereitschaft, Waghalsigkeit, dadurch erhöhte Unfallneigung
    • Aggressivität* und Destruktivität
      *(ADHS selbst nicht, aber häufige Komorbidität)
    • Überdurchschnittlich lange Reaktionszeiten (ADHS nicht, eher überdurchschnittlich wechselnde Reaktionszeiten)
    • Unaufmerksamkeit, leichte Ablenkbarkeit bis hin zur Reizüberflutung durch diverse Umgebungsreize (Lichter, Farben, Geräusche, Bewegungen, Menschen usw.)
  • Verhaltensauffälligkeiten
    • Motorische Koordinationsschwierigkeiten durch Entwicklungsverzögerungen der Fein- und Grobmotorik und mangelhafte Auge-Hand-Koordination („Tollpatschigkeit“)
    • Problembewältigungsschwierigkeiten
      • FAS: immer wieder gleiche Herangehensweisen ohne Variablen
      • ADHS: eher Desorganisation durch häufiges Vergessen von Details, aber auch beeinträchtigtes Lernen
      • FAS: kein Lernen aus Erfahrung
      • ADHS: brauchen lange, um aus Erfahrung zu lernen
    • Selbststimulierendes, teils selbstverletzendes Verhalten
    • Ungeduld und Spontaneität einerseits, Entscheidungsschwierigkeiten andererseits
    • Dissoziales und oppositionelles Verhalten* *(Nicht bei ADHS selbst, hier aber häufiger komorbides Oppositionelles Defizitverhalten. Dissoziales Verhalten bei ADHS auch als Komorbidität wenig typisch)
    • Nichterkennen von Konsequenzen
    • Schwierigkeiten, sich in soziale Bezüge angemessen einzugliedern und sich darin wohlzufühlen*
      *(Bei ADHS-HI wegen innerer Anspannung und Bewegungsdrang, bei ADHS-HI und ADHS-I wegen Reizüberflutung, die zu Erschöpfungs- und Überlastungssysmptomen führt; häufig auch Sozialphobie, bei ADHS-I wegen Rückzugs- und Wegträumtendenzen)
    • Ignoranz gegenüber verbalen Anweisungen, unkooperatives und oppositionelles Verhalten bei verbal ausgesprochenen Grenzsetzungen (Nichtakzeptanz von „Nein“)
      *(Bei ADHS eher Überhören, Vergessen oder in Begeisterung darüber hinweggehen. Kein systematisches Ignorieren wie bei FAE).
    • Unempfänglichkeit oder Unverständnis gegenüber nonverbalen Signalen durch Gestik, Mimik und Körpersprache anderer Menschen
    • Sinngemäßes Verständnis von Anweisungen, aber Unvermögen zur angemessenen Ausführung*
      *(Bei ADHS trotzdem anders, eher organisatorische Unfähigkeit aus Verplantheit, Schusseligkeit, Vergesslichkeit als umfassendes Unvermögen)
    • Oft ängstlich-besorgte und chronisch frustrierte Einstellung
    • Niedrige Frustrationstoleranz
    • Schnelle Ermüdbarkeit

Ein Onlinescreening für FASD gibt eine Erfassung von 92 % der Fälle an.75
https://fasdetect.dhc-lab.hpi.de

2.3.10. Anfallsleiden (Epilepsie: 0,5 bis 1 %)

Die Prävalenz von Epilepsie liegt bei 0,5 bis 1 %.76

Quelle5

  • Pyknolepsie3
  • Anfallsleiden mit Absencen oder komplexen partiellen Anfällen34
  • Epilepsiebedingte Anfallsformen (Absencen)77

2.3.11. Hydrocephalus (Wasserkopf) (0,4 - 0,8 %; ab 65 Jahre 3 %)

Prävalenz: 0,4 - 0,8 %, > 65 Jahre: ca. 3 %78

Kinder mit Hydrocephalus haben ein knapp dreifaches Risiko für ADHS.79
Im Alter tritt Hydrocephalus häufig komorbid mit Alzheimer und vaskulärer Demenz auf.

2.3.12. Histaminintoleranz, Histaminunverträglichkeit (1 %, davon 80 % Erwachsene)

Dier Prävalenz einer Histaminintoleranz wird mit 1 % angegeben. Dabei sollen 80 % der Betroffenen Erwachsene sein.80
Körperliche Hauptsymptome einer Histaminintoleranz sind:818283

  • Psychische Symptome
    • Depressionen
    • depressive Verstimmungen
    • Winterdepressionen
    • Stimmungsschwankungen
    • Erschöpfungszustände
    • erhöhte Sensibilität (akustisch, visuell, taktil, Temperatur, emotional etc.)
    • Schlafstörungen, Wachheit
    • Anspannung, Unruhegefühl, Erregungszustände, Arousal, Nervosität, Über­drehtheit
  • Nervensystem
    • Kopfschmerzen, Cluster-Kopfschmerz
    • Migräne
    • Schwindel (Vertigo), Seekrankheit, Reiseübel­keit
  • Muskelverspannungen
  • Hormonsystem
    • Menstruationsbeschwerden: Regelschmer­zen, Menstru­ations­schmer­zen, Dys­menor­rhoe
    • verstärkte PMS-Symptome
  • Verdauungstrakt, Magen-Darm-Trakt
    • Durchfälle (Durchfall, weicher Stuhl, Diarrhö), Verdauungs­beschwer­den
    • Bauchkrämpfe, Magenschmerzen
    • Blähbauch, Meteorismus, Blähungen, Darm­winde, Flatu­lenz
    • wiederkehrende Blasenentzündung
    • Übelkeit, Nausea
    • Erbrechen, Vomitus
  • Herz-Kreislaufsystem
    • Herzrasen (Synonyme: schneller Puls­schlag, Tachy­kardie), bis hin zu Panik­attacken
    • Niedriger Blutdruck, plötzlich abfallen­der Blut­druck (Hypotonie, Blut­druck­abfall)]
    • Zusätzliche Herzschläge (Extra­schläge, Extra­systolen)
    • Herzrhythmusstörungen, Herzstol­pern, Arrhyth­mien, Herzpro­bleme
    • Herzklopfen, Palpitationen
  • Haut, Schleimhäute, Atemwege
    • Verstopfte oder laufende Nase (Synonyme: verlegte Nase, rinnende laufende Nase, Nasen­laufen, Rhinorrhoe, nicht­allergi­sche Rhinitis, Fließ­schnupfen, nasale Obstruk­tion)
    • Niesen, Niesreiz
    • Verengung der Atemwege (Synonyme: Broncho­konstrik­tion, Bronchien­veren­gung, Bron­chial­veren­gung und Bronchial­obstruktion): z.B. Atemnot (Atem­losigkeit, Dyspnoe), Asthma, Broncho­spasmus
    • Erröten, rotes Gesicht, Flush
    • Juckreiz, Pruritus, Kratzen
    • Erythem, Hautrötungen
    • Nesselausschläge, Nesselsucht, Urtikaria, Urticaria, urticarielle Exantheme
    • Ödeme, Wasseransamm­lungen, Schwel­lungen der Augen­lider
    • Konjunktivitis, Entzündung der Binde­haut des Auges, Augen­entzün­dung

2.3.13. Prolaktinome (0,02 - 0,05 %)

Prävalenz: 30 bis 50 / 100000 (0,02 bis 0,05 %)

Prolaktinome sind Prolaktin absondernde (gutartige) Tumore
ADHS- Neurotransmitter – Botenstoffe

2.3.14. Phenylketonurie (PKU) (0,0125 %)

Weitere Namen; Følling-Krankheit, Föllingsche Krankheit, Phenylbrenztraubensäure-Oligophrenie, Oligophrenia phenylpyruvica, Hyperphenylalaninämie
Prävalenz; 1 / 8.000 (0,0125 %)

Phenylketonurie-Betroffene zeigen häufig Symptome von ADHS, wobei die Subtypen mit Hyperaktivität zu überwiegen scheinen.8485868788

Phenylketonurie (PKU) ist eine rezessive Störung des Phenylalanin-Stoffwechsels aufgrund von Mutationen des Phenylalanin-Hydroxylase-Gens). PKU führt zu einem signifikanten Überschuss an Phenylalanin (Hyperphenylalaninämie). Da Phenylalanin und Tyrosin durch dieselben Transporter durch die Blut-Hirn-Schranke gelangen, und diese Transporter eine höhere Affinität für Phenylalanin haben, gelangt bei einem Phenylalaninüberschuss im Blut zu wenig Tyrosin ins Gehirn. Tyrosin ist ein Vorstoff für Dopamin, aus dem weiter Noradrenalin und Adrenalin entsteht. Daher führt ein Phenylalaninüberschuss im Blut zu einem Dopamin-, Noradrenalin-, und Adrenalinmangel im Gehirn.89Daneben bewirkt ein Phenylalaninüberschuss Veränderungen des zerebralen Myelins und der Proteinsynthese sowie reduzierte Spiegel von Serotonin im Gehirn bewirkt.90 ADHS und Phenylketonurie haben mithin die Gemeinsamkeit eines Dopaminmangels.869192

Eine Behandlung mit Sapropterin verbesserte in einer pharmafinanzierten Studie bei Phenylketunorie die ADHS-Symptomatik.93 Eine Studie schlägt die bei PKU hilfreiche Behandlung mit BH4 auch für ADHS vor.92

2.3.15. Folgen schwerer Gehirninfektionen (kumuliert 0,05 % bis 0,16 %)

Quellen77944

2.3.15.1. Enzephalitis (kumuliert 0,03 %)

Prävalenz:95
Autoimmunenzephalitis 13,7/100.000 (0,0137 %)
infektiöse Enzephalitiden 11,6/100.000 (0,0116 %)
virale Enzephalitis 8,3/100.000 (0,0083 %)

Gehirninfektion mit entzündlicher Veränderung durch eingedrungene Mikroorganismen.
Enzephalitis zerstört die Zellen in der Substantia nigra, die Dopamin herstellen.
Die Betroffenen der Enzephalitisepedemie 1914 bis 1917 zeigten im weiteren Verlauf typische Symptome von ADHS. Kinder entwickelten hyperaktive Motorik, Erwachsene Parkinsonsymptome.
Die Symptome sind Folgen des Dopaminmangels, wie er für ADHS kennzeichnend ist. Diese Symptome konnten in Tierexperimenten als Folge einer gestörten Dopaminproduktion reproduziert werden.96

Siehe hierzu auch Virusinfektionen als Ursache von ADHS im Beitrag Altersunabhängige körperliche Belastungen als ADHS-Umwelt-Ursache im Kapitel Entstehung.

2.3.15.2. Perinatale Hypoxämie (0,001 bis 0,009 %)

Prävalenz: 1 bis 9 / 100.000 (0,001 bis 0,009 %)((Hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (HIE), Orpha.net))

Sauerstoffmangel während der Geburt ist eine der Hauptursachen des frühkindlichen Hirnschadens (FKHS).
Führte in Tierexperimenten zum Absterben Dopamin produzierender Zellen in der Substantia nigra und dadurch zu einem Dopaminspiegelrückgang um bis zu 70 %.97
Hypoxämie geht mit Adenosinüberschuss einher. Adenosin hemmt Dopamin.

2.3.15.3. Bakterielle Infektionen (kumuliert 0,01 % bei Frauen, 0,12 % bei Männern)
  • Meningitis: Hirnhautentzündung
    • Prävalenz: 0,5 / 100.000 (0,0005 %)98
  • Hirnabszesse: 0,3–1,3 /100.000 pro Jahr (0,0003 % bis 0,0013 %)
    • lokale Infektion des Hirngewebes. Beginnt als fokale Enzephalitis (Hirnphlegmone, „Zerebritis“). Entwickelt sich im weiteren Verlauf langsam zu einer Eiteransammlung mit Bindegewebskapsel
  • Syphilis (Prävalenz 11,5 / 100.000 (0,115 %) bei Männern, 0,9/100.000 (0,009 %) bei Frauen)

2.3.16. Neurofibromatose Typ 1 (0,029 %)

Weitere Namen: Von-Recklinghausen-Krankheit, Morbus Recklinghausen, Neurofibromatose Recklinghausen, periphere Neurofibromatose
Prävalenz von etwa 1:3500 (0,029 %) eine der häufigsten erblichen neurologischen Erkrankungen. Neurofibromatose Typ 1 zeigt Fehlbildungen der Haut und des zentralen Nervensystems. Neurofibromatosen sind Nerventumore.

Unter 128 Neurofibromatose Typ 1 - Betroffenen (53,1 % Mädchen) fand sich bei 28,9 % (37/128) ein ADHS, darunter 20 ADHS-C, 15 ADHS-I und 2 ADHS-HI. Bei Neurofibromatose Typ 1 treten ADHS und ASS häufiger auf.99
Weitere Komorbiditäten der Neurofibromatose Typ 1 waren Makrozephalie (Kopfumfang über 2 SDs über dem Altersdurchschnitt, 37,5 %), Kopfschmerzen (18,6 %), kognitive Beeinträchtigungen (7,8 %), motorische Defizite (6,2 %) und Epilepsie (4,68 %). Im MRT fanden sich T2-gewichtete Hyperintensitäten in den Basalganglien und/oder im Kleinhirn (70,5 %), Gliome des Sehnervs (25,8 %), plexiforme Neurofibrome (9,3 %), Chiari-Malformation Typ 1 (6,7 %), Arachnoidalzysten (5 %), Gliome des zentralen Nervensystems (3,1 %).100

Diagnosekriterien - mindestens 2 der folgenden Symptome:101

  • Sechs oder mehr Café-au-lait Flecken (CAL) > 5 mm Durchmesser präpubertär und > 15 mm postpubertär.
  • Freckling in Achselhöhle oder Leistenregion.
  • Zwei oder mehr Neurofibrome jedes Typs oder ein plexiformes Neurofibrom (PNF)
  • Gliom der Sehbahn
  • Zwei oder mehr Irisknötchen, die durch Spaltlampenuntersuchung identifiziert werden, oder zwei oder mehr choroidale Anomalien (CAs), die als unregelmäßige helle Knoten durch optische Kohärenz Tomographie (OCT) bzw. Nahinfrarot-Bildgebung (NIR Imaging) nachgewiesen werden.
  • Spezifische knöcherne Läsionen wie Keilbeindysplasie, anterolaterales Bowing der Tibia oder Pseudarthrose der langen Röhrenknochen.
  • Eine heterozygote pathogene (=krankheitsverursachende) NF1-Variante mit einer Allelfrequenz von 50 % in normalem Gewebe wie den Leukozyten.

Bei 5 bis 11 % der Personen mit NF-1 beruht diese auf einem Mikrodeletionssyndrom der Neurofibromatose Typ 1.
Bei 57 Betroffenen mit NF-1-Mikrodeletionssyndrom fanden sich:102

  • 28 Betroffene mit Typ-1, 4 Typ-2, 2 Typ-3, 9 atypische Deletionen und 14 Betroffene unbestimmter Deletionen
  • bei 33 von 41 (80,5 %) Lernschwierigkeiten
  • bei 39 von 49 (79,6 %) Entwicklungsverzögerungen
  • bei 35 von 49 (71,4 %) expressive und/oder rezeptive Sprachverzögerungen
  • bei 38 von 56 (67,9 %) beschreibbare Gesichtsmerkmale
  • bei 23 von 42 (54,8 %) ADHS
  • bei 25 von 57 (43,8 %) plexiforme Neurofibrome
  • bei 3 von 57 (5,2 %) bösartige periphere Nervenscheidentumore
  • IQ verringert (zwischen 50 und 96; 22 untersuchte Betroffene, davon 21 Erwachsene). Von den Erwachsenen hatten:
    • 14 von 21 (66,7 %) einen Highschool-Abschluss
    • 4 von 21 (19,0 %) etwas College-Erfahrung.

NF1-Kinder mit ADHS und Kinder mit primärer ADHS zeigen ähnliche Defizite an Aufmerksamkeit und Exekutivfunktionen.
NF-1 zeigte eine langsameren Reaktionszeit und stärkere Lernschwierigkeiten.103

2.3.17. Velokardiofaziales Syndrom (22q11DS) (0,01 bis 0,05 %)

Weitere Namen: CATCH 22, Cayler kardiofaziales Syndrom, Di George-Syndrom, DiGeorge-Sequenz, Mikrodeletion 22q11.2, Monosomie 22q11, Sedlackova-Syndrom, Sphrintzen-Syndrom, Syndrom der konotrunkalen Anomalie mit Gesichtsdysmorphie, Takao-Syndrom

22q11.2-Deletions-Syndrom (DS)104

Die Prävalenz des Velokardiofaziales Syndroms liegt bei 1 - 5 / 10.000 (0,01 bis 0,05 %)105

2.3.18. Cortisolstörungen (kumuliert 0,0042 bis 0,0048 %)

2.3.18.1. Hypocortisolismus (Nebennierenrindeninsuffizienz) (0,004 %)

Quellen:106107

Morbus Addison: Prävalenz: 4/100.000 (0,004 %).
Schwächere Formen sind deutlich häufiger.

Da bei ADHS (bei ADHS-HI wie bei ADHS-I) der basale Cortisolspiegel leicht verringert ist, könnte man ADHS als sehr schwache Nebenniereninsuffizienz (Nebennierenschwäche) bezeichnen.

2.3.18.2. Hypercortisolismus (Cushing-Syndrom) (0,0002 bis 0,0008 %)

Prävalenz: 8/1.000.000 bei Männern (0,0008 %), 2/1.000.000 bei Frauen (0,0002 %)108

  • ACTH-abhängige Form (80 % der Fälle)
    • Mikro- oder Makroadenom des Hypophysen-Vorderlappens produziert ACTH (= Morbus Cushing)
    • (meist maligne) Tumore außerhalb der Hypophyse (häufig Bronchialkarzinome) als Ursache für ektope ACTH-Herstellung
  • ACTH-unabhängige Form (20 % der Fälle)
    Überproduktion von Glucocorticoiden (Cortisol) und Mineralocorticoiden durch Nebennierenrinde
    • Nebennierenrinden-Adenom (reine Cortisol-Überproduktion)
    • Nebennieren-Karzinom (vermehrte Cortisol- und Androgen-Produktion)
    • noduläre Hyperplasie der Nebennierenrinde

2.3.19. Moyamoya (0,0001 % bis 0,0009 %)

Moyamoya tritt besonders häufig in Japan auf.
Prävalenz
Weltweit: 1 / 1.000.000 bis 9 / 1.000.000 (0,0001 % bis 0,0009 %)109
Japan: 1 / 30.000 bis 1 / 9.500 (0,0033 % bis 0,0105 %)
Inzidenz Japan: 1 / 280.000 bis 1 / 89.000

Moyamoya ist eine Verengung oder ein Verschluss von Hirn-Arterien, die zu einer relativen Blutarmut (Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke) im Gehirn führen. Es bilden sich viele kleine kompensatorische Gefäße als Umgehungskreisläufe aus.
Moyamoya kann mit zu ADHS verwechselbaren Symptomen einhergehen.110

2.3.20. Hamartom des Hypothalamus (0,0005 %)

Prävalenz: 1 / 200.000 (0,0005 %)111

Ein Hamartom ist eine tumorartige, gutartige Gewebeveränderung aufgrund von fehlerhaft differenziertem bzw. versprengtem Keimgewebe. Ein hypothalamisches Hamartom kann eine Vielzahl von Hormonen produzieren und neben ADHS-Symptomen, Conduct disorder, Oppositionellem Defizitverhalten, antisozialem Verhalten, Wutanfälle, intellektueller Regression, kognitiven Störungen auch verfrühte Pubertät, Adipositas und Epilepsie auslösen. 60 % der von einem hypothalamischem Hamartom Betroffenen entwickeln externalisierende Störungen (insbesondere bei Jungen und bei Epilepsie), 30 % internalisierende Störungen.112113 MPH kann ein durch ein hypothalamisches Hamartom ausgelöstes ADHS deutlich verbessern, ebenso wie eine Behandlung mit einem Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH)-Analogon.114 Bei schweren Fällen könnte eine stereotaktische Laseroperation hilfreich sein.115

2.3.21. Allergien (mit motorischer Unruhe)

Quelle3

2.3.22. Seh-, Hörstörungen

Quellen53

2.3.23. Läsionen der linken Hirnhemisphäre / des rechten PFC

  • Aufmerksamkeitsselektion beeinträchtigt116
    • z.B. in Situationen, die schnelle Entscheidungen zwischen relevanten und irrelevanten Reizen fordern
    • Häufig erhöhte Fehlerzahl bei Wahl-Reaktions-Aufgaben oder verlängerte Reaktionszeiten

Läsionen des OFC sind seit dem Fall von Phineas Gage (Harlow 1848) bekannt und gehen mit spezifischen Symptomen einher:117

  • oft dramatische Veränderungen der Persönlichkeit
  • impulsiv
    • häufig rücksichtsloses, risikoreiches Verhalten
    • häufig Konflikten mit dem Gesetz
    • enthemmt in Bezug auf instinktive Verhaltensweisen
    • Probleme bei Triebkontrolle
  • reizbar
  • streitsüchtig
  • Neigung zu grobem Humor
  • Missachtung sozialer und moralischer Grundsätze
  • schwere Aufmerksamkeitsstörung
    • starke Ablenkbarkeit durch äußere oder innere Reize

Der OFC hat normalerweise hemmende Funktionen. Diese erfolgen via Efferenzen zu:117

  • Hypothalamus
  • Basalganglien
  • weiteren neokortikalen Bereichen, u.a. im PFC

Patienten mit Läsionen des rechten frontalen Kortex zeigen häufig ADHS-ähnliches Verhalten.118

2.3.24. Organische Hirnschäden

Quelle3

2.3.25. Status epilepticus im Schlaf (ESES)

Weitere Namen: Bioelektrischer Status epilepticus im Schlaf, CSWS, CSWS-Syndrom, ESES-Syndrom, Epileptische Enzephalopathie mit kontinuierlichen Spike-Wave-Entladungen im Slow-Wave-Schlaf
Prävalenz: unbekannt. Orphane Störung (selten).119

Epilepsie mit kontinuierlichen Spike-Wave-Entladungen im Schlaf (continuous spike-wave during sleep, CSWS) ist eine seltene epileptische Enzephalopathie bei Kindern. Charakteristisch sind Krampfanfälle, elektroenzephalographische Muster eines Status epilepticus im Schlaf (ESES) und kognitive Entwicklungsregression.120

ESES geht mit ADHS-ähnlichen Symptomen einher. In einer Studie zeigte eine Behandlung mit ACTH eine verringerte die ADHS-Symptomatik im Mittel um 67 %.121 Eine weitere Studie derselben Autoren fand ähnliche Verbesserungen durch ACTH bei ADHS und bei Stottern.122

2.3.26. Traumatische oder raumfordernde zerebrale Störungen / sonstige psychoorganischen Syndrome mit zerebraler Schädigung und/oder psychisch-geistiger Retardierung

Quelle5

2.3.27. Bachmann-Bupp-Syndrom (BABS)

Das Bachmann-Bupp-Syndrom (BABS) ist gekennzeichnet durch:123

  • ausgeprägte Alopezie
  • globale Entwicklungsverzögerung im mittleren bis schweren Bereich
  • Hypotonie
  • unspezifische dysmorphe Merkmale
  • Verhaltensauffälligkeiten
    • ASS
    • ADHS
  • Fütterungsprobleme
  • Haar
    • in der Regel bei Geburt vorhanden
    • kann spärlich sein
    • kann unerwartete Farbe haben
    • fällt in den ersten Lebenswochen in großen Büscheln aus
  • Krampfanfälle zu Beginn der späteren Kindheit (selten)
  • Schallleitungsschwerhörigkeit (selten)

Abnormale Metaboliten des Polyamin-Stoffwechsels (einschließlich erhöhter N-Acetylputrescin-Werte) deutet auf BABS hin.
Diagnose durch molekulargenetische Tests auf heterozygote pathogene de-novo-Variante des ODC1-Gens.

2.3.28. CAPRIN1 Haploinsuffizienz

Eine Haploinsuffizienz des CAPRIN1-Gens ist eine autosomal-dominante Störung, die mit Funktionsverlust-Varianten im Zellzyklus-assoziierten Protein 1 (CAPRIN1) verbunden ist.
Das CAPRIN1 Protein reguliert den Transport und die Translation neuronaler mRNAs, die für die synaptische Plastizität entscheidend sind, sowie mRNAs, die Proteine kodieren, die für die Zellproliferation und -migration in verschiedenen Zelltypen wichtig sind.
CAPRIN1-Varianten mit Funktionsverlust gingen mit folgenden Symptomen einher:124

  • Sprachbehinderung/Sprachverzögerung (100 %)
  • geistige Behinderung (83 %)
  • ADHS (82 %)
  • ASS (67 %)
  • Atemprobleme (50 %)
  • Anomalien der Gliedmaßen und des Skeletts (50 %)
  • Entwicklungsverzögerungen (42 %)
  • Fütterungsprobleme (33 %)
  • Krampfanfälle (33 %)
  • Augenprobleme (33 %)

2.3.29. KBG-Syndrom

KBG ist ein seltenes monegenetisch verursachtes Syndrom. Genetische Varianten in der Ankyrin Repeat Domain 11 (ANKRD11) und Deletionen in 16q24.3 können das KBG-Syndrom verursachen. In einer Gruppe von 25 KBG-Betroffenen waren 24 % mit ADHS diagnostiziert.((Guo L, Park J, Yi E, Marchi, Hsieh, Kibalnyk, Moreno-Sáez, Biskup, Puk, Beger, Li Q, Wang K, Voronova, Krawitz, Lyon (2022): KBG syndrome: videoconferencing and use of artificial intelligence driven facial phenotyping in 25 new patients. Eur J Hum Genet. 2022 Aug 15. doi: 10.1038/s41431-022-01171-1. Epub ahead of print. PMID: 35970914. n = 25
KBG geht einher mit:

  • Makrodontie
  • ausgeprägte kraniofaziale Merkmale
  • Kleinwuchs
  • Skelettanomalien
  • globale Entwicklungsverzögerung
  • Krampfanfälle
  • geistige Behinderung

2.3.30. Zystische Fibrose

Zystische Fibrose geht mit erhöhten ADHS-Symptomen einher.125 Die gemeldeten Prävalenzraten von ADHS bei pwCF reichten von 5,26 % bis 21,9 %.126

Zystische Fibrose korreliert mit Mutationen des CFTR-Gens127, das als ein Genkandidat für ADHS identifiziert wurde.128

2.3.31. ME/CFS, Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue Syndrom

Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue Syndrom ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung. Ein hoher Grad körperlicher Behinderung ist eine häufige Folge.129

Prävalenz:
17 Mio. Betroffene weltweit
250.000 Betroffene (davon 40.000 Kinder / Jugendliche) in Deutschland vor der COVID-19-Pandemie (0,31 %)
500.000 Betroffene nach der COVID-19 Pandemie (0,62 %)
25 % können das Haus nicht mehr verlassen
60 % sind arbeitsunfähig

ME/CFS ist ein eigenständiges, komplexes Krankheitsbild. Das Symptom Fatigue istd agegen ein häufiges Begleitsymptom chronisch-entzündlicher Erkrankungen.

Symptome von ME/CFS:

  • körperliche Symtome
    • schweren Fatigue (körperliche Schwäche)
      • erhebliche Einschränkung des Aktivitätsniveaus- neurokognitive Symptome
    • Muskelzuckungen
    • Muskelkrämpfe
    • massive Schlafstörungen
  • autonome Symptome
    • Orthostatischen Intoleranz.
      • Herzrasen
      • Schwindel
      • Benommenheit
      • Blutdruckschwankungen
    • Folge: z.B. nicht mehr für längere Zeit stehen oder sitzen können
  • immunologische Symptome
    • starkes Krankheitsgefühl
    • schmerzhafte und geschwollene Lymphknoten
    • Halsschmerzen
    • Atemwegsinfekte
    • erhöhte Infektanfälligkeit
  • Post-Exertionelle Malaise (PEM)
    • ausgeprägte und anhaltende Verstärkung aller Symptome nach geringer körperlicher oder geistiger Anstrengung
    • ausgeprägter Schwäche
    • Muskelschmerzen
    • grippale Symptomen
    • Verschlechterung des Allgemeinezustands
    • tritt typischerweise schon nach geringer Belastung auf
      • Zähneputzen
      • Duschen
      • Kochen
      • wenige Schritte Gehen
    • bei Schwerstbetroffene kann bereits das Umdrehen im Bett oder die Anwesenheit einer weiteren Person im Raum PEM auslösen
  • Schmerzsymptome
    • ausgeprägte Schmerzen
      • Muskelschmerzen
      • Gelenkschmerzen
      • Kopfschmerzen
  • neurokognitive Symptome
    • „Brain Fog“
      • Konzentrationsprobleme
      • Gedächtnisprobleme
      • Wortfindungsstörungen
    • Erhöhte Sensitivität
      • Überempfindlichkeit auf Sinnesreize
      • Schwerstbetroffene müssen oft in abgedunkelten Räumen liegen und können sich nur flüsternd verständigen

Auslöser:

  • Infektionskrankheiten
    • Epstein-Barr-Virus
    • Influenza
    • SARS
    • COVID-19
  • Gonorrhoe
  • Endometriose und PDMS
  • Nährstoffmängel (Vitamine, Spurenelemente)

Pfad:

  • ungeklärt
  • möglich:
    • Autoimmunerkrankung
    • schwere Störung des Energiestoffwechsels

Biomarker:

  • keiner bekannt

Diagnostik:

  • anhand etablierter klinischer Kriterienkataloge

Behandlung:

  • es gibt bisher keine zugelassene kurative Behandlung oder Heilung
  • Pacing
    • hilft bei ME/CFS wie auch bei ADHS oder ASS
    • Überlastung wird bei ME/CFS “härter bestraft”

Unterschiede ME/CFS zu ADHS / ASS / Depression:

  • ADHS: Probleme meist schon als Kinder, spätestens aber mit 16 bis 18; ME/CFS: Probleme meist noch nicht lebenslang
  • ME/CFS: schleichende, meist wellenförmige Verschlechterung über Jahre, bis irgendwann gar keine Energie mehr da ist
  • keine depressiven Zustände
    • keine starke Stimmungseintrübung
    • Depression: starke kognitive Einschränkung und Antriebsminderung; ME/CFS: kognitive Einschränkung durch zeitweisen oder dauerhaften “Brainfog”
    • Schwingungsfähigkeit ist bei ME/CFS erhalten
    • Betroffene nehmen sich nicht als depressiv wahr und wirken nicht depressiv
    • Depression; Antrieb fehlt und wird vermisst; ME/CFS: Antrieb vorhanden, Energie zur Umsetzung fehlt oder Umsetzung führt zur Überlastung (manchmal erst Stunden später)

Martin Winkler betrachtet Erschöpfung bei ADHS im Kontext eines regulationsdynamischen Modells. Er unterscheidet bei ADHS / Neurodivergenz:

  • Kognitive Erschöpfung
    • Folge: Mentale Ermüdung durch ständige Anforderung an Aufmerksamkeit und Konzentration, insbesondere in unpassender Umgebung
      • verringerte Leistungsfähigkeit
      • verminderte Aufmerksamkeitsspanne
      • erhöhte Ablenkbarkeit
  • Emotionale Erschöpfung
    • Emotionale Regulation erfordert erhöhte Anstrengung
      • Folge: Erschöpfung emotionaler Ressourcen
        • erhöhte Reizbarkeit
        • Stimmungsschwankungen
        • Gefühl der Überwältigung
  • Physische Erschöpfung
    • Ständige Anspannung und Anstrengung, sich zu konzentrieren / impulsives Verhalten zu kontrollieren,
      • Folge: körperlicher Erschöpfung
  • Erschöpfung durch Anpassungsanforderungen / Masking
    • Erhöhte kognitive / emotionale Ressourcen zur Anpassung an soziale Normen und Erwartungen
      • Folge: spezifische Anpassungsanforderungs-Erschöpfung

2.3.32. Kongenitale Myopathie und Neuropathie

Ein Betroffener berichtete, dass der bei ihm bestehende ADHS-Verdacht irrig war und stattdessen eine Kongenitale Myopathie und Neuropathie besteht.

2.3.33. Mild Cognitive Impairment (MCI)

Mild Cognitive Impairment ist eine leichte kognitive Beeinträchtigung, die über den normalen geistigen Abbau im Alter hinausgeht, jedoch noch keine Demenz darstellt.
Eine kleine Studie an n = 36 MCI-Betroffenen im Altersschnitt von 72 Jahren fand bei 25 % ein ADHS.130


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Diese Seite wurde am 03.11.2024 zuletzt aktualisiert.