Autor: Ulrich Brennecke
Review: Dipl.-Psych. Waldemar Zdero
Bestimmte körperliche Krankheiten, Gifte oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten scheinen während des gesamten Lebens das Risiko von ADHS (oder anderen psychischen Störungen) erhöhen zu können.
Die %-Werte geben die mögliche ADHS-Risikoerhöhung durch die jeweilige Ursache an. Sie beziehen sich auf einzelne bekannte, aber eher selektive Belastungsgrößen. Als Indiz für eine Größenordnung der möglichen Risikoerhöhung sind sie jedoch gleichwohl hilfreich.
4.1. Toxine¶
4.1.1. Phthalate (+ 200 % bis + 900 %)¶
Höhere Phthalatmetaboliten im Urin von Kindern korrelierte mit erhöhter Wahrscheinlichkeit von ADHS um das 3- bis 9-fache.
4.1.2. Fluoridiertes Trinkwasser (+ 510 % wenn 1 mg/L zu hoch)¶
In Kanada fand eine Studie, dass ein Anstieg des Fluoridgehalts im Trinkwasser um 1 mg/Liter über akzeptable Grenzwerte das ADHS-Risiko bei 6- bis 17-Jährigen um das 6,1-fache erhöhte. Bei 14-jährigen, die in Gegenden lebten, in denen das Trinkwasser mit Fluor versetzt wurde, fand sich ein 2,8-faches Risiko einer ADHS-Diagnose gegenüber 14-jährigen in Gegenden ohne fluoriertes Trinkwasser. Ältere Kinder reagierten mit einem höheren Risiko. Die Fluor-Urinwerte korrelierten dagegen nicht mit ADHS (1.877 Probanden).
Eine Studie in Mexiko fand einen Zusammenhang zwischen einer erhöhten pränatalen Fluoridbelastung und Unaufmerksamkeit und ADHS, nicht aber Hyperaktivität sowie kognitiver Probleme. Ähnliche Ergebnisse fand eine weitere Studie. Ein Review fasst die Ergebnisse zusammen.
In Deutschland hat 90 % des Trinkwassers einen Fluoridgehalt von 0,3 mg/Liter. Trinkwasser wird in Deutschland nicht fluoridiert.
Eine Studie fand einen inversen Zusammenhang zwischen Fluoridgehalt des Urins der Mutter während der Schwangerschaft mit kognitiven Problemen des Nachwuches im Alter von 11 Jahren. Je höher der Schwangerschafts-Urin-Fluoridgehalt war, desto geringer waren die kognitiven Probleme. Dies deckte sich nicht mit den Ergebnissen anderer Studien, die ein erhöhtes ADHS-Risiko bei erhöhtem Urin-Fluoridgehalt der Kinder selbst feststellten.
Natriumflourid im Trinkwasser (20 ppm bis 100 ppm) führte dosisabhängig zu einer Verringerung von Dopamin, Noradrenalin und Acetylcholin im Gehirn von Ratten, während die Spiegel von Adrenalin, Histamin, Serotonin und Glutamat anstiegen.
4.1.3. Blei (+133 %)¶
Erhöhte Bleiwerte im Blut führen zu einem erhöhten ADHS-Risiko. Bei einem Bleiwert von ≥ 5 μg/dl im Blut wurde ein um 1,33 höheres ADHS-Risiko festgestellt (OR 2,33).
Blei beeinflusste in vielen Studien den Dopaminhaushalt.
- Verringerte Dopaminsignalisierung
- bewirkte kognitive Defizite bei verzögerter räumlicher Abwechslung, die durch L-Dopa behoben werden konnten und ohne L-Dopa erst 8 Jahre nach der 2-jährigen Bleibelastung endeten
- im Nucleus accumbens
- Erhöhte Dopaminsignalisierung
- in mesolimbischen Pfaden (Nucleus accumbens)
- Blei erhöht die dopaminerge Aktivität und wurde mit Aufmerksamkeitsdefiziten, Alzheimer und erhöhter Drogenempfindlichkeit in Verbindung gebracht.
Ein Zusammenhang von ADHS und Blei soll durch die DRD2-Genvariante rs1800497r gefördert werden. Ebenso wird ein Zusammenhang zu bestimmten MAO-A-Genvarianten genannt, die einen niedrigeren Serotoninabbau bewirkt. Eine Studie an Ratten deutet auf Wechselwirkungen von Bleibelastung und frühem Stress auf das dopaminerge System hin. Eine Langzeitstudie fand bei Menschen mit früherer Bleibelastung kein unmittelbar erhöhtes ADHS-Risiko, jedoch erhöhte externalisierende Verhaltensweisen und erhöhte Suchtrisiken.
In einer Studie veränderte Blei das neostriatale Serotonin- und Noradrenalin-Niveau, erhöhte die Angst und verringert die Aktivität im offenen Feld.
Eine Bleidisposition während der Schwangerschaft kann das ADHS-Risiko erhöhen. Siehe dort.
Selbst ein Bleigehalt im Trinkwasser unterhalb der Grenzwerte soll problematisch sein.
Eine erhöhte Bleiaufnahme kann aus alten Wasserrohren erfolgen. Grundsätzlich sind Bleiwasserrohre in Gebieten mit kalkhaltigem Wasser wenig gefährlich, da Kalk eine zuverlässig schützende Schicht in den Rohren bildet. Wird jedoch eine Wasserenthärtungsanlage eingebaut, kann diese schützende Kalkschicht verloren gehen. Sind dann noch alte Bleirohre vorhanden, kann es zu einer erhöhten Bleiaufnahme kommen.
Blei ist in Mitteleuropa kaum noch als Toxin relevant. In weniger entwickelten Ländern kann Blei dagegen ein ernst zu nehmendes Problem darstellen.
Bei Kindern, die Blei ausgesetzt waren, kann eine Succimer-Chelation dauerhafte kognitive Vorteilen bewirken, wenn die Chelatbildung die Bleikonzentration im Gehirn ausreichend reduziert. Zugleich führt eine Succimer-Behandlung ohne Bleiexposition zu einer dauerhaften kognitiven Dysfunktion.
4.1.4. Anorganisches Arsen (+ 102 %)¶
Bei denjenigen Kindern, die sich unter den 20 % mit dem höchsten Arsenwert im Urin befanden, wurde ein verdoppeltes ADHS-Risiko festgestellt (OR 2,02).
4.1.5. Benzol, Toluol, Ethylbenzol, Xylol/Xylen (BTEX) (+ 54 %)¶
Eine höhere Belastung der Luft mit diesen Stoffen korrelierte mit einem um das 1,54-fache erhöhten ADHS-Risiko im Kindergartenalter.
4.1.6. Rauchen der Eltern (+ 30 %)¶
Nachgeburtliches Rauchen der Eltern korreliert mit einem 1,3-fachen Risiko (um 30 % erhöht) für ADHS beim Nachwuchs.
Dies könnte mit genetischen Faktoren zusammenhängen, da ADHS-Betroffene signifikant häufiger rauchen. Die Komorbidität Rauchen zu ADHS beträgt 40 %. Dagegen rauchen von der Gesamtbevölkerung rund 25 % weniger, nämlich 26,9 % der Frauen und 32,6 % der Männer.
4.1.7. Polychlorierte Biphenyle (PCB) / Polychlorierte Biphenylether (+ 26 % bis + 92 %)¶
Polychlorierte Biphenyle und polychlorierte Biphenylether stehen im Verdacht, ADHS auszulösen.
PCB sind in vielen Ländern verboten, in Deutschland seit 1989. PCB wurden insbesondere als Schmier- und Kühlmittel in elektrischen Geräten sowie als Baumaterialien verwendet. Aufgrund ihrer chemischen Stabilität sind weltweit weiterhin viele Gebiete mit PCB kontaminiert. Kontaminierten Lebensmittel, insbesondere Meeresfrüchte aus kontaminierten Flüssen und Seen sind heute die häufigste Belastungsquelle.
Bereits eine geringe PCB-Belastung während der Entwicklung beeinträchtigt neurobiologische, kognitive und Verhaltensfunktionen.
Eine Studie fand ein um 26 % bis 92 % erhöhtes ADHS-Risiko. Einzelne Studien ergaben widersprüchliche oder schwache Beeinträchtigungen, die überwiegende Anzahl zeigt jedoch Hinweise auf eine Relevanz bei ADHS.
Polychlorierte Biphenyle beeinflussen das Dopaminsystem. PCB hemmen die Dopamin-Synthese sowie die Speicherung von Dopamin in den Vesikeln und dessen Ausschüttung und verursachen dadurch ein zu niedriges Dopaminniveau in Basalganglien und PFC, sowie verringerte DAT im Striatum, was insgesamt recht genau dem Bild von ADHS entspricht.
Eine pränatale PCB-Exposition beeinträchtigt:
- Hyperaktivität (bei Ratten bereits in subtoxischen Dosen)
- IQ, Gedächtnis, Aufmerksamkeit
- Gedächtnis, Aufmerksamkeit
-
Impulsivität (via Corpus callosum) bei Ratten bereits in subtoxischen Dosen
- Männliche und weibliche Nachkommen wurden als Erwachsene auf eine asymptotische Leistung in einer differenzierten Verstärkungsaufgabe (differential reinforcement of low rates, DRL) trainiert. Die PCB-exponierten Gruppen hatten ein geringeres Verhältnis von verstärkten zu nicht verstärkten Reaktionen als die Kontrollgruppen.
- keine Auswirkung auf anhaltende Aufmerksamkeit
4.1.8. Polyvenylchlorid (PVC)¶
Ein Review beschreibt einen Verdacht einer Korrelation von PVC-Belastung und ADHS.
4.1.9. Pestizide¶
In Bezug auf Pestizide (insbesondere Organochlorverbindungen, Pyrethroide, Organophosphate) gibt es Hinweise auf eine Relevanz bei ADHS.
Zu Pestiziden in der Schwangerschaft und ADHS siehe dort.
4.1.9.1. Organochlorverbindungen¶
In Bezug auf Organochlorverbindungen gibt es Hinweise auf eine Relevanz bei ADHS.
Eine Untersuchung von griechischen Schulkindern mit ADHS fand keine erhöhten Blutserumwerte von
- Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) Metaboliten
- Hexachlorcyclohexan (HCH) Isomeren
- Cyclodienen
- Methoxychlor
4.1.9.2. Organophosphate¶
Organophosphatische Pestizide haben nach einer großen Anzahl Studien eine Korrelation von pränataler und nachgeburtlicher Exposition und ADHS oder eine theoretisch mögliche Erhöhung des ADHS-Risikos. Eine Quelle deutet ein erhöhtes ADHS-Risiko durch Organophosphate insbesondere beim Zusammentreffen mit einer bestimmten MAO-A-Genvariante an, die einen niedrigeren Serotoninabbau bewirkt.
Zwei größere Studien fanden dagegen keinen Einfluss.
In Bezug auf Hyperaktivität fanden 2 Studien einen Zusammenhang zwischen Organophosphaten und Hyperaktivität, 4 Studien fanden keinen Zusammenhang.
Eine Studie fand keine Korrelation von Chlorpyrifos mit Hyperaktivität bei Ratten während eine andere diese bei Weibchen fand.
Eine Studie an Ratten konnte durch Organophosphate ADHS-ähnliche Verhaltensweisen an Wystar- und SHR-Ratten induzieren und fand starke Indizien, dass diese durch Verringerung der Fettsäureamid-Hydrolase (FAAH) und der Monoacylglycerin-Lipase (MAGL) über den Cannabinoidrezeptor vermittelt werden.
Bei ägyptischen Jugendlichen, die teilweise Pestizide anwendeten, wurden Blutwerte gemessen und die Eltern auf ADHS-Symptome der Jugendlichen befragt: Eine Korrelation zu ADHS fand sich in Bezug auf das Organophosphat Chlorpyrifos nicht.
Höhere Vitamin-D-Spiegel scheinen die negative Wirkung von Chlorpyrifos auf das ADHS-Risiko zu verringern.
4.1.9.3. Pyrethroide (+ 142 %)¶
Verschiedene Studien geben Hinweise auf eine Korrelation zwischen einer Pyrethroid-Exposition in der Kindheit und neurologische Entwicklungsstörungen wie ADHS mit einem 2,42-fachen ADHS-Risiko Auch weitere Studien fanden einen Zusammenhang mit ADHS, ASS oder Entwicklungsverzögerung.
Bei ägyptischen Jugendlichen, die teilweise Pestizide anwendeten, wurden Blutwerte gemessen und die Eltern auf ADHS-Symptome der Jugendlichen befragt: Eine Korrelation zu ADHS fand sich in Bezug auf das Pyrethroid λCH durch den Messwert Cis-DCCA (alle Betroffenen berichteten klinische ADHS-Symptome).
4.1.9.4. Carbamate (-)¶
Ein Review fand keine Zusammenhänge zwischen Carbamaten und ADHS.
4.1.9.5. Neonicotinoide (- ?)¶
Ein Review fand keine Zusammenhänge zwischen Neonicotinoiden und ADHS, wobei es nur wenige Studien zu diesem Thema gab.
4.1.10. Quecksilber / Amalgam (Mercury)¶
Es gibt schwache Hinweise (= nicht belegt) auf eine Relevanz bei ADHS.
Eine große Studie mit n = 2073 Teilnehmern konnte keinen Zusammenhang zwischen Amalgam und ADHS feststellen.
Quecksilber steht zugleich im Verdacht auf eine mögliche Mitursache bei Parkinson. Dies wäre ein deutlicher Hinweis auf eine schädigende Wirkung auf das Dopaminsystem.
4.1.11. Mangan¶
Es gibt schwache Hinweise auf eine Relevanz bei ADHS, wobei bei ADHS-Betroffenen erhöhte Manganspiegel nur im Haar, nicht aber in Blutspiegel gefunden wurden.
Ein Tiermodell mit entwicklungsbedingter Manganexposition zeigte, dass Mangan dauerhafte Aufmerksamkeits- und sensomotorische Defizite verursachen kann, die einem ADHS-I ähneln. Orales Methylphenidat konnte die durch frühe Mangan-Exposition entstehenden Defizite vollständig ausgleichen.
Eine Verdoppelung des Mangangehalts in Zähnen aus pränataler wie postnataler Zeit erhöhte das Risiko von Aufmerksamkeitsproblemen und ADHS-Symptomen in der Schulzeit um 5 %. Mangan aus der Zeit des Kindesalters zeigte keinen Einfluss.
Eine Studie berichtet bei Ratten Vorteile einer Cholinsupplementation in der Schwangerschaft zur Vermeidung von Mangan-induzierten Entwicklungsstörungen der Nachkommen.
4.1.12. Bisphenol A¶
Bisphenol A steht im Verdacht, das ADHS-Risiko zu erhöhen. Es wird ein Zusammenhang mit bestimmten MAO-A-Genvarianten, die einen niedrigeren Serotoninabbau bewirken und eine Beeinflussung des Thyroidhaushalts erörtert.
Eine Metastudie fand einen deutlichen Zusammenhang zwischen Bisphenol-Belastung und ADS(H)S.
4.1.13. Perfluoralkylverbindungen¶
Bei ADHS wurden erhöhte Werte von Perfluoralkylverbindungen beobachtet.
4.1.14. Triclosan¶
Eine lang anhaltende Belastung mit dem Umweltschadstoff Triclosan induzierte bei Ratten ADHS-Symptome. Triclosan scheint eine Verringerung des Dopaminspiegels im PFC zu verursachen.
Eine 60-tägige kontinuierliche Triclosan-Exposition von Ratten bewirkte ADHS-ähnliches Verhalten beim Nachwuchs. Es aktivierte die Mikroglia im PFC, was zur Freisetzung von Entzündungsfaktoren führte. In-vitro erhöhte Triclosan in HMC3-Zellen die Konzentrationen von Entzündungszytokinen, einschließlich IL-1β, IL-6 und TNF-α. Zudem regulierte Triclosan PKM2 über hnRNPA1 hoch was den STAT3-Signalweg beeinflusst und damit die Mikroglia kontinuierlich aktiviert, was die Ausschüttung von Entzündungszytokinen fördert.
4.1.15. Synergieeffekte von Neurotoxinen¶
Zu beachten sind die Synergieeffekte von Neurotoxinen:
- Formaldehyd verstärkt die Toxizität von Quecksilber.
- Amalgam verstärkt die Toxizität von PCB und Formaldehyd.
- Quecksilber und PCB potenzieren ihre Wirkung gegenseitig.
4.2. Atemaussetzer im Schlaf¶
Atemaussetzer im Schlaf von Kindern können kognitive Belastungen auslösen, die Symptome verursachen, die ADHS gleichen.
Offen ist, ob Atemaussetzer im Schlaf eine solche Stressbelastung darstellen können, dass sie durch epigenetische Veränderungen zu ADHS beitragen können, oder ob sie lediglich Symptome verursachen, die denen von ADHS gleichen. In letzterem Fall müssten bei Menschen, die vorher kein ADHS hatten, und die durch Atemaussetzer im Schlaf ADHS-(ähnliche)-Symptome entwickelt haben, diese nach Beseitigung der Atemaussetzer im Schlaf wieder vollkommen verschwinden. Hierzu sind uns bislang keine Untersuchungen bekannt.
4.3. Nahrungsunverträglichkeiten, Allergien¶
Es ist gesichert, dass ADHS nicht durch einzelne, spezifische Nahrungsmittel, Phosphate oder Zusatzstoffe verursacht wird.
Individuelle Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder Allergien sind jedoch ebenso Stressoren wie Krankheiten, Gifte oder psychische Belastungen und können daher die Stresssituation von Betroffenen so verschlechtern, dass Symptome entstehen. Dies ist keine ADHS-spezifische Feststellung. Beispielweise konnten in einer Gruppe von Kindern mit Schizophrenie-Problemen durch eine diätische Behandlung einer bestehenden Glutenunverträglichkeit bei den hiervon betroffenen Kindern die Schizophreniesymptome beseitigt werden. Gleiches wurde bei Betroffenen mit nicht-affektiver Psychose festgestellt.
Lebensmittelzusatzstoffe (hier: Sonnengelb, Carmoisin, Tartrazin, Ponceau 4R; Chinolingelb, Allurarot, Natriumbenzoat) können eine Histaminfreisetzung aus zirkulierenden Basophilen verursachen. Diese ist nicht allergisch, d.h. nicht von Immunglobulin E abhängig. Die erhöhte Histaminfreisetzung kann - bei Trägern bestimmter Genvarianten der Gene, die Histamin abbauende Enzyme codieren - ADHS-Symptome erhöhen.
Um selten vorkommende Nahrungsmittelunverträglichkeiten (die, anders als Allergien, nicht durch Blutuntersuchungen festgestellt werden können) festzustellen, kann eine Eliminationsdiät hilfreich sein. Eine derartige Diät ist jedoch sehr schwierig durchzuführen und einzuhalten und wird insbesondere bei jüngeren Kindern kaum einzuhalten. Insbesondere sind etwaige Vorteile gegen die teils gravierenden sozialen Folgen abzuwägen.
In anderen Fällen kann eine derartige Diät bei bestehenden Unverträglichkeiten dazu beitragen, die die Symptome zu lindern.
Bei der Beurteilung der Wirksamkeit von Diäten (und anderen “erwünschten” Therapiewegen) kommt es häufig zu Einschätzungen der Eltern, die weit über dem liegen, was Tests oder Lehrerbewertungen bestätigen können.
Näheres unter ⇒ Ernährung und Diät bei ADHS.
4.4. Darm-Hirn-Achse, Darmbakterien, Darmflora¶
Siehe hierzu unter Darm-Hirn-Achse
4.5. Polyzystisches Ovarialsyndrom (PCOS)¶
Frauen mit Polyzystischem Ovarialsyndrom (PCOS) scheinen ein erhöhtes Risiko psychischer Störungen zu haben, vornehmlich Angststörungen und Depressionen, jedoch auch ADHS.
4.6. (Unbehandelte) Typ-1-Diabetes¶
Eine Studie unter Diabetes-Betroffenen mit und ohne Behandlung mittels einer Insulin-Pumpe fand bei Nichtbehandelten mit Typ-1-Diabetes ein um 2,45-fach erhöhtes ADHS-Risiko, wobei ADHS als Risikofaktor für die inkonsequente Diabetesbehandlung betrachtet wurde.
4.7. Phenylketonurie (PKU)¶
Phenylketonurie (Følling-Krankheit, Phenylbrenztraubensäure-Oligophrenie) ist eine genetisch verursachte Stoffwechselstörung, durch die die Aminosäure Phenylalanin aufgrund des fehlenden Enzyms Phenylalaninhydroxylase (PAH) nicht zu Tyrosin abgebaut werden kann. Tyrosin wiederum ist für die Synthese von Dopamin erforderlich, sodass Dopaminmangel eine Folge von PKU ist. PKU hat eine Prävalenz von 1 von 8000 Menschen.
Eine Studie fand bei Phenylketonurie trotz adäquater Behandlung eine ADHS-Quote von 38 %.
ADHS steht ebenfalls im Zusammenhang mit Dopaminmangel.
4.8. Anabole androgene Steroide (AAS)¶
Kraftsportler, die anabole androgene Steroide einnehmen, haben signifikant häufiger ADHS als Kraftsportler, die diese nicht einnehmen.
4.9. Infektionen¶
4.9.1. Infektionsanfälligkeit und Infektionslast¶
Eine höhere Infektionsbelastung kann einen kumulativen Zusammenhang mit psychiatrischen Störungen haben, der über das hinausgeht, was für einzelne Infektionen beschrieben worden ist. Die Anfälligkeit für Infektionen spiegelt sich in der Infektionslast (der Anzahl spezifischer Infektionstypen oder -stellen) wider. Eine erhöhte Infektionslast korreliert mit einem erhöhten Risiko für:
-
ADHS
-
ASS
- bipolare Störungen
- Depressionen
- Schizophrenie
- psychiatrische Diagnosen insgesamt.
Es wurde eine bescheidene, aber signifikante Erblichkeit für die Infektionslast (h2 = 0,0221) und ein hoher Grad an genetischer Korrelation zwischen ihr und der psychiatrischen Gesamtdiagnose (rg = 0,4298) gefunden. Ebenso fanden sich Belege für eine genetische Kausalität der Gesamtinfektion für die psychiatrische Gesamtdiagnose.
4.9.2. Virusinfektionen¶
4.9.2.1. Enteroviren allgemein¶
(Nicht-Polio-) Enteroviren verursachen gut die Hälfte aller Fälle aseptischer Meningitis und gehören damit zu den wichtigsten bekannten Ursachen. Neben Enzephaltitis lösen (nicht-Polio-) Enteroviren zudem häufig fiebrige Erkrankungen, Hand-Fuß-Mund-Krankheit, Herpangina, aseptische Meningitis und Enzephalitis aus, sowie zuweilen schwere und bedrohliche Infektionen wie Myokarditis oder neonatale Sepsis.
Eine frühere Studie fand ein erhöhtes ADHS-Risiko durch leichte Enterovirusinfektionen (16 %) und schwere Enterovirusinfektionen (182 %).((Chou IC, Lin CC, Kao CH (2015): Enterovirus Encephalitis Increases the Risk of Attention Deficit Hyperactivity Disorder: A Taiwanese Population-based Case-control Study. Medicine (Baltimore). 2015 Apr;94(16):e707. doi: 10.1097/MD.0000000000000707. PMID: 25906098; PMCID: PMC4602682.))
4.9.2.2. Enterovirus A71 (EV-A71) (+ 200 %)¶
Eine Längsschnittstudie an 43 Jugendlichen, die im Alter zwischen 6 und 18 Jahren eine Infektion des Zentralen Nervensystems mit dem Enterovirus A71 (EV-A71) hatten, fand bei 34,9 % ein ADHS. Damit ist das ADHS-Risiko mehr als verdreifacht. Zudem fanden sich erhöhte autistische Symptome. Andere psychiatrische Diagnosen waren nicht erhöht. Eine andere Studie fand ADHS besonders häufig dann, wenn die A71-Infektion mit kardiopulmonalem Versagen einherging.
EV-A71 zeigt häufig Schwäche, Atrophie der Gliedmaßen, Krampfanfälle, Hand-Fuß-Mund-Krankheit, Enzephalitis und verringerte Intelligenz.
4.9.2.3. HIV¶
Eine Studie an Kindern und Jugendlichen mit HIV in gesundheitlich stabilem Zustand fand bei 20 % ADHS-Symptome.
4.9.2.4. Zoster-Enzephalitis¶
In einem Einzelfall wurde ADHS in Verbindung mit einer Zoster-Enzephalitis genannt.
4.9.2.5. Humane Endogene Retroviren (HERV)¶
Das Thema Humane Endogene Retroviren (HERV) und ADHS ist aufgrund der hohen Vererblichkeit dargestellt im Kapitel Entstehung im Beitrag Genetische und epigenetische Ursachen von ADHS - Einführung
4.9.3. Bakterielle Infektionen¶
Parodontose ist eine bakterielle Zahnfleischentzündung durch das Bakterium P. gingivalis, das Toxine absondert. Parodontose und wird als Risikofaktor für ADHS beschrieben.
4.9.4. Parasitäre Infektionen¶
Eine Studie an 100 Kindern mit ADHS und 100 gesunden Kinder fand eine Korrelation von ADHS mit:
- Toxoplasma
- Toxocara
- Cryptosporidium parvum
- Giardia lamblia
- Entamoeba histolytica
Kein Unterschied fand sich in Bezug auf Schistosoma (Kokzidienparasiten).
4.10. Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel (G6PD)¶
Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel (G6PD) erhöhte das ADHS-Risiko um 16 %.
G6PD-Mangel ist eine X-chromosomale genetische Störung und betrifft rund 4,9 % aller Menschen.
Das Enzym Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase (G6PD) erleichtert die Synthese von Nikotinamid-Adenin-Dinukleotid-Phosphat (NADPH) und Glutathion (GSH) erleichtert, die an der Oxidations-Reduktions-Gleichgewichts-Regulation beteiligt sind. G6PD-Mangel bewirkt verringerte GSH-Werte und damit erhöhten oxidativen Stress.
G6PD-Mangel ist meist nahrungsmittelbedingt (Favismus; hämolytische Reaktion auf Verzehr von Favabohnen (Saubohnen)) und zuweilen genetisch bedingt (gehäuft im Mittelmeerraum und im Nahen Osten, teils in Asien und Afrika).
G6PD-Mangel kann (insbesondere bei Kindern) auslösen:
- schwere Hämolyse
- Hyperbilirubinämie
- Gelbsucht
- Hörstörungen
- Verhaltensstörungen
- lang anhaltende neurologische Schäden führen
- erhöhten Produktion reaktiver Sauerstoffspezies (ROS)
- dadurch Aktivierung von Astrozyten und Mikroglia, erhöhte proinflammatorische Chemokine und Zytokine, Neuroinflammation, beeinträchtigte Gehirnentwicklung
- Ungleichgewicht im antioxidativen System
- dadurch Beeinträchtigung der Astrozyten, Absterben von Neuronen und DNA-Schäden führt
- oxidativer Zelltod von Leukozyten, Myozyten und anderen immunologischen Akteuren.
4.11. Kawasaki-Syndrom¶
Eine Studie fand eine erhöhte ADHS-Prävalenz bei Kawasaki-Betroffenen, andere Studien fanden nur eine Tendenz oder keinen Zusammenhang.
4.12. Lipodystrophie (Mangel an Fettgewebe)¶
Eine Studie fand bei Lipodystrophie Hinweise auf eine stark erhöhte ADHS-Prävalenz.
4.13. Dystrophinopathie (Muskeldystrophie, Muskelschwäche)¶
Eine Studie fand bei Dystrophinopathie Hinweise auf eine stark erhöhte ADHS-Prävalenz von 18,4 % und von ASS von 12,73 %.
Es bestehen auch Verbindungen zwischen ADHS-Genkandidaten und Genen, die mit Dystrophien verbunden sind. Siehe dort.
4.14. Schilddrüsenüberfunktion / Schilddrüsenunterfunktion¶
Eine Hyperthyreose kann neben anderen kognitiven Defiziten auch Unaufmerksamkeit und Hyperarousal bewirken. Je nach dem Grad der Hypothyreose können die kognitiven Auswirkungen von leichten Beeinträchtigungen des Gedächtnisses und der Aufmerksamkeit bis hin zur völligen Demenz reichen.
Das THRA-Gen kodiert den Schilddrüsenrezeptor alpha, TRα1, TRHB die Schilddrüsen-Rezeptor-Isoformen TRβ1 und TRβ2.
Das Hypophysenhormon TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) regt die Schilddrüse zur Produktion von Thyroxin (T4; Prohormon) und anschließend von Trijodthyronin (T3) an. Die Schilddrüsenhormone (T3 und T4) im Blut wiederum regulieren die hypophysäre Freisetzung von TSH innerhalb der Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse, die durch die Rezeptor-Isoform TRβ2 vermittelt wird.
Bei einer (selten auftretenden genetisch bedingten) Resistenz gegenüber Schilddrüsenhormon β ist diese negative Rückkopplungsschleife, die den TH-Spiegel im Blut stabilisiert, gestört. Dies führt zu erhöhten TH- und nicht unterdrückten, d.h. normalen TSH-Spiegeln.
4.15. Geschlechtsdiversität¶
Eine multinationale Studie fand Hinweise darauf, dass Häufigkeit und Schweregrad von ADHS-Symptomen bei geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Personen besonders hoch war.
4.16. Faktoren ohne relevanten Beitrag¶
4.16.1. Bluthochdruck¶
Eine Studie fand keine statistische Signifikanz für eine genetische Verbindung zwischen Bluthochdruck und ADHS.
4.16.2. COVID-19-Gendisposition¶
Eine Gendisposition, die anfälliger für COVID-19 macht, zeigte keine Anzeichen für ein erhöhtes ADHS-Risiko. Umgekehrt sind jedoch ADHS und Tourette mit einem erhöhten COVID-19-Risiko und einem schwereren COVID-9-Verlauf verbunden.
4.16.3. Lipidstoffwechsel¶
ADHS korreliert nicht mit Veränderungen des Lipidstoffwechsels.