Dieser Beitrag stellt die uns bekannten nichtmedikamentösen Behandlungs- und Therapieansätze zusammen.
Die (+) und (–) in den Überschriften geben unsere Einschätzung zum Nutzen bei ADHS wieder.
Eine medikamentöse Behandlung ist nach unserer Erfahrung bei starken und mittleren / moderaten ADHS-Formen die wichtigste und sinnvollste Therapieform.
Unter den tausenden Betroffenen, die wir über das Forum kennengelernt haben, waren Stimmen, die meinten, mit Psychotherapie eine ausreichende Symptomverbesserung erlangt zu haben, nicht nur klar in der Minderheit, sondern noch viel deutlicher: kaum vertreten.
(Geeignete) ADHS-Medikamente tragen nach unserer Einschätzung ein Wirksamkeitslabel von (+++++).
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ADHS sollte gerade zu Beginn der Therapie unbedingt - mindestens vorübergehend - medikamentös behandelt werden.
Betroffene, die nie gefühlt haben, wie es ist, ohne diese belastenden Symptome zu leben, können das Ziel einer nichtmedikamentösen Therapie nicht aus eigener Wahrnehmung nachempfinden. Vergleichbar argumentieren Edel/Vollmoeller. Zudem ist Dopamin ein neurotropher Faktor, was bedeutet, dass es für Lernvorgänge im Gehirn erforderlich ist. Der bei ADHS typische Dopaminmangel verhindert somit Lernerfolge und sollte vor einer psychotherapeutischen Behandlung behoben werden.
- Eine umfangreiche Metastudie von 190 Untersuchungen mit 26.114 Teilnehmern mit ADHS fand, dass Stimulanzien der Verhaltenstherapie, dem kognitiven Training und Nicht-Stimulanzien überlegen zu sein schienen. Stimulanzien in Kombination mit Verhaltenstherapie schien am wirksamsten zu sein.
- Medikamente zeigen eine sehr viel größere Effektstärke auf ADHS-Symptome als nichtpharmakologische Behandlungen.
- Darstellung der medikamentösen Behandlung unter ⇒ Medikamente bei ADHS – Übersicht.
Nicht pharmakologische Behandlungen stellen wichtige unterstützende Maßnahmen dar, die in Verbindung mit Medikation zu relevanten zusätzlichen Verbesserungen führen können.
Dabei sind besonders Psychoedukation, Selbsthilfegruppen, Sport, Psychotherapie, Achtsamkeitstechniken und Neurofeedback hervorzuheben.
1. Nichtmedikamentöse Therapieansätze bei ADHS¶
1.1. Wirksame Therapieansätze bei ADHS (siehe Einzelartikel)¶
Zu den wirksamen Therapieformen siehe die verlinkten Einzelartikel.
1.2. Therapieansätze bei ADHS, deren Wirkung nicht gesichert ist¶
1.2.1. Ergotherapie¶
Die Wirksamkeit von Ergotherapie bei ADHS sei begrenzt auf schulvorbereitende Behandlung der Feinmotorik.
Eine Studie berichtet von positiven Effekten einer pferdegestützten Ergotherapie bei Schulkindern mit ADHS.
1.2.2. Hämenzephalographietraining¶
Wirkung noch nicht anerkannt, erste Untersuchungen.
1.2.3. Selbstinstruktionen¶
Wirkung streitig.
1.2.4. (Klassische) Musik hören zur Stimmungsverbesserung¶
Eine Untersuchung fand, dass 10 Minuten Mozart zu hören (Mozart piano sonata for four hands, KV 440) die Stimmung bei ADHS-Betroffenen wie Nichtbetroffenen verbesserte, im Gegensatz zu Probanden, die 10 Minuten Stille absolvierten. Dies belegt keine ADHS-spezifische Behandlungsmethode.
Musik scheint bei ADHS jedoch hilfreich zu sein.
1.2.5. App-gestützes Aufmerksamkeits- und Organisationstraining¶
Eine Untersuchung berichtet von einem Handy-App-gestützten Training von Aufmerksamkeit und Organisation, dass bei Erwachsenen mit ADHS bei einem Drittel zu relevanten Verbesserungen geführt habe.
Eine Metaanalyse von 2019 fand keine weiteren Untersuchungen über eine Behandlung von ADHS mittels spezifischer Apps
1.2.6. Organisationsfähigkeitentraining¶
Bei SCT bewirkte ein Training der Organisationsfähigkeiten keine Verbesserung von SCT-Symptomen aus der Sicht der Betroffenen selbst. Lediglich aus der Sicht der Eltern ergaben sich Verbesserungen mit einer Effektstärke von ca. 0,5.
Elternbewertungen sind hochgradig anfällig, in Richtung gewünschter Ergebnisse gelenkt zu sein. Dieser Bias ist umso stärker, je größer der investierte Aufwand ist.
1.2.7. Hausaufgabenunterstützung¶
Bei SCT bewirkte eine Hausaufgabenunterstützung keine Verbesserung von SCT-Symptomen aus der Sicht der Betroffenen selbst. Lediglich aus der Sicht der Eltern ergaben sich Verbesserungen mit einer Effektstärke von ca. 0,5.
Elternbewertungen sind hochgradig anfällig, in Richtung gewünschter Ergebnisse gelenkt zu sein. Dieser Bias ist um so stärker, je grösser der investierte Aufwand ist.
1.2.8. Sozialverhaltenstrainings¶
Eine Metaanalyse fand keine gesicherte Wirkung von nichtmedikamentösen Trainingsmethoden (Coaching u.a.) in Bezug auf die Verbesserung des Sozialverhaltens gegenüber Peers.
Eine Metastudie fand schwache Hinweise auf Vorteile von Peer based interventions bei ADHS, die vor allem darauf abzielen, den sozialen Rückhalt unter Gleichaltrigen zu stärken.
Eine weitere Metaanalyse von 15 Studien fand Hinweise auf moderarte Wirksamkeit von Social Skills Trainings bei Kindern mit ADHS.
1.2.9. Transkutane Vagusnervstimulation¶
Die transkutane aurikuläre Vagusnervstimulation (taVNS) ist ein neu entwickeltes, nicht invasives Verfahren. Eine Stimulation des kutanen rezeptiven Felds des aurikulären Astes des Vagusnervs im Außenohr soll eine Aktivierung der vagalen Verbindungen zum zentralen und peripheren Nervensystem bewirken.
Ein Bericht nennt Transkutane Vagusnervstimulation als eine mögliche Behandlungsform von ADHS.
1.2.10. Akupunktur (?)¶
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Positive Ergebnisse
- Eine Metastudie berichtet von einer hohen Wirksamkeit von Akupunktur auf Hyperaktivität.
- Eine Metaanalyse von k = 14 Studien mit n = 1.185 Patienten fand, dass Akupunktur als Ergänzung zu konventioneller Medikation die Verbesserung von Verhaltensstörungen, Lernproblemen, Hyperaktivität-Impulsivität und Hyperaktivitätssymptomen bei ADHS-Patienten unterstützte und als Alleinbehandlung Lernprobleme, Hyperaktivität-Impulsivität und Hyperaktivitätssymptome bei ADHS-Patienten verbesserte. Das Risiko des Bias in den eingeschlossenen Studien war im Allgemeinen bedenklich, sodass die Belege für die Wirksamkeit von Akupunktur bei ADHS derzeit zu begrenzt sind, um die Anwendung empfehlen zu können.
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Keine Verbesserungen
- Eine andere Metaanalyse von 5 Studien fand keine belastbaren Hinweise auf eine Verbesserung von ADHS durch Akupunktur.
Eine weitere Metastudie beabsichtigt, die Wirkung von Akupunktur zur Behandlung von ADHS zu untersuchen.
Die Wirksamkeit von Akupunktur ist umstritten. Es existieren bislang keine schlüssigen medizinischen Erklärungsmodelle.
- Zwei deutsche doppelverblindete Untersuchungen, die zur Schlussfolgerung kommen, dass für Akupunktur bislang lediglich ein Placeboeffekt nachzuweisen sei, zeigen in den Zahlen jedoch, dass Akupunktur im Vergleich zu Scheinakupunktur um 20 % bessere Ergebnisse erzielte.
- Andere Studien berichtet von einer über Placebo hinausgehenden Wirkung.
1.2.11. Homöopathie¶
Eine Metastudie berichtet von Vorteilen einer zusätzlichen individuellen Homöopathiebehandlung bei ADHS. Eine RCT berichtet ebenfalls Symptomverbesserungen durch Homöopathie, allerdings lediglich in Elternberichten.
1.2.12. Fidgets¶
Eine Studie beobachtete bei Schülern mit ADHS, die während des Unterrichts Fidgets benutzten, deutliche Verbesserung bei der Daueraufmerksamkeit.
1.2.13. Random Noise¶
Bei der Random Noise Behandlung wird jede Form von Energie (z. B. Licht, mechanische, elektrische oder akustische Energie) mit unvorhersehbarer Intensität verwendet, um das Gehirn und die sensorischen Rezeptoren zu stimulieren, Ziel ist die Verbesserung sensorischer, motorischer und kognitiver Funktionen. Bei Random Noise Behandlung wurden ursprünglich mechanische Geräusche für auditorische und kutane Stimuli verwendet. Heute werden immer häufiger elektrische Energien eingesetzt, die auf das Gehirn oder die Haut einwirken. Jüngste Erkenntnisse zeigen, dass die transkranielle Zufallsrauschstimulation die kortikospinale Erregbarkeit erhöhen, die kognitive/motorische Leistung verbessern und positive Nachwirkungen auf Verhaltens- und psychologischer Ebene haben kann.
1.2.14. Spinale Manipulation / Spinale Mobilisation¶
Eine Metaanalyse fand keine Hinweise auf eine Wirksamkeit von Spinaler Manipulation / Mobilisation bei ADHS.
1.2.15. Ultraschallstimulation mit niedriger Intensität¶
Ultraschallstimulation mit niedriger Intensität konnte die abnorme Hirnfunktion bei SHR verbessern. Studien zur klinischen ADHS-Behandlung Nutzung bei Menschen liegen uns nicht vor.
1.2.16. Quiet Eye Training¶
Quelle
1.2.17. Tiergestützte Therapie¶
Quelle
1.3. Therapieansätze, die gesichert unwirksam sind¶
1.3.1. Phosphatdiät (Hafer)¶
Mehr hierzu unter ⇒ Ernährung und Diät bei ADHS
1.3.2. Bestimmte Nahrungsmittel / Lebensmittelzusatzstoffe als alleinige kausale Ursache von ADHS¶
Es gibt keine belastbaren Hinweise darauf, dass bestimmte Nahrungsmittel oder Zusatzstoffe für ADHS verantwortlich sind.
Nahrungsmittelunverträglichkeiten allgemein (jeweils individuell unverträgliche Stoffe) können jedoch bei den jeweiligen Betroffenen zu entsprechenden Symptomen führen oder den Stresslevel so erhöhen, dass latente psychische Störungen (z.B. auch ADHS) in Erscheinung treten oder bestehende Störungen verstärkt werden können.
Mehr hierzu unter ⇒ Ernährung und Diät bei ADHS
2. Multimodaler Therapieansatz¶
Als multimodale Therapie wird eine Kombination einschlägiger Behandlungsmöglichkeiten bezeichnet. Bei ADHS wird sinnvoller Weise eine Kombination von Medikamenten, Psychotherapie und ggf. weiteren Behandlungsmöglichkeiten angewendet. Multimodale Behandlung verbessert die ADHS-Symptomatik. Dies überrascht indes nicht. Relevant wäre allein ein Vergleich zu rein psychotherapeutischer und medikamentöser Behandlung.
Bei Erwachsenen mit ADHS war eine kombinierte Behandlung mit Medikamenten und Kognitiver Verhaltenstherapie nur nach den ersten 3 Monaten gegenüber einer alleinigen medikamentösen Behandlung überlegen. Nach 6 und nach 9 Monaten fand sich kein Unterschied.
3. Behandlungskonzepte, Behandlungsmanuale, Leitlinien¶
Quelle: Schmidt, Petermann
- Gruppentherapiemanual «Psychotherapie der ADHS im Erwachsenenalter» (Hesslinger et al., 2004)
Adaption des Dialektisch-Behavioralen-Borderline-Therapiekonzepts auf ADHS
- “Behandlungsmanual zur ADHS im Erwachsenenalter” (Lauth, Minsel, 2009)
Für Einzelpersonen und Gruppen
- “Psychoedukations- und Coachingmanual ADHS im Erwachsenenalter” (D’Amelio et al., 2009),
Praktische Anleitung zur Behandlung von ADHS und Angehörigengruppen
- “Training bei ADS im Erwachsenenalter (TADSE)” (Baer & Kirsch, 2010)
- “Therapieprogramm Kognitive Verhaltenstherapie der ADHS des Erwachsenenalters” (Safren et al.,2009)
Kognitive Techniken zur Einzeltherapie
- Interdisziplinäre evidenz- und konsensbasierte (S3) Leitlinie “ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen”
4. Subtypenspezifische Behandlung¶
Bislang sind wenige Behandlungskonzepte bekannt, die zwischen den verschiedenen Subtypen von ADHS – ADHS-HI und ADHS-C (mit Hyperaktivität) einerseits und ADHS-I (ohne Hyperaktivität andererseits – unterscheiden.
Nach unserer Ansicht leiden ADHS-HI und ADHS-C daran, dass das Stresssystem der HPA-Achse dauerhaft überaktiviert ist und aufgrund zu geringer Cortisolantwort auf akuten Stress oder mangelhafter Adressierbarkeit der Glucocorticoidrezeptoren nicht wieder heruntergefahren wird, während der ADHS-I-Subtyp an einer überintensiven Neurotransmitter- und Stresshormonantwort auf akuten Stress leidet, was zwar durch die hohe Cortisolantwort zu einem regelmäßigen wieder-herunterfahren der HPA-Achse führt, jedoch durch die parallel überhöhte Noradrenalinausschüttung den PFC zugleich herunterfährt und dadurch Denkblockaden und Entscheidungsunfähigkeit auslöst.
Bei ADHS-HI ist Achtsamkeit nach unserer Auffassung besonders wichtig, um überhaupt erst eine Therapiefähigkeit zu erreichen. Der bei ADHS-HI (mit Hyperaktivität) dauerhaft erhöhte Stresslevel ist so stark erhöht, dass Achtsamkeit (MBCT, MBSR, Meditation, Yoga …) geradezu aversiv ist, was mit einer Erholungsunfähigkeit korreliert.
5. Multi-Generationen-Behandlung bei ADHS¶
Die Behandlung der Kinder allein übersieht, dass die Einwirkung ADHS-betroffener Elternteile einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Kinder hat.
Eine Behandlung und Unterstützung ADHS-betroffener Mütter zeigte positive Folgen für die Kinder, wobei eine höhere Intensität der Behandlung ADHS-betroffener Mütter (hier: mit DBT) nur zeitlich begrenzt einen Vorteil für die Kinder gegenüber weniger intensiver Behandlung zeigte.
Kinder von Müttern mit hohem Neurotizismus und niedriger Gewissenhaftigkeit sollen stärker von Verhaltenstherapien profitieren als andere Kinder. Kinder von Müttern mit mittlerem Neurotizismus und mittlerer Gewissenhaftigkeit oder niedrigem Neurotizismus und hoher Gewissenhaftigkeit sollen dagegen mehr von einer multimodalen Behandlung aus Therapie und Medikamente oder von Medikamenten allein profitierten als von einer Verhaltenstherapie allein.