Wir meinen, dass für eine Psychotherapie bei ADHS der Therapeuten unbedingt nicht nur mit den diagnostischen Symptomen von ADHS sondern auch mit den übrigen Symptomen vertraut sein muss, da alle Symptome behandlungsrelevant sind.
Ein Therapeut ist eine entscheidende Instanz, die bewertet, ob die Probleme des Patienten durch seine Störung (deren Existenz der Betroffene nicht zu verantworten hat) verursacht werden, oder durch ein von ihm zu verantwortendes eigenes, persönliches und von der Störung getrennt zu betrachtendes Verhalten, für das der Betroffene verantwortlich ist.
Kennt ein Therapeut nicht sämtliche möglichen originären ADHS-Symptome (sondern z.B nur die diagnostischen Symptome von DSM 5), birgt dies die erhebliche Gefahr, dass Ursachen und Wirkungen verwechselt werden oder dass dem Patienten manche Verhaltensweisen als persönliche Defizite zugeschrieben werden, anstatt sie als ADHS-Symptome zu erfassen.
Wird einem ADHS-Betroffenen die Verantwortung für Dinge zugewiesen, die im Bereich des nicht-Könnens liegen, kann dies den ADHS-Betroffenen noch tiefer in das Gefühl eines Ungenügendseins hineintreiben. ADHS-Betroffene haben ohnehin schon erhebliche Selbstwertprobleme.
Wir kennen leider etliche ADHS-Betroffene, die nach mehrmonatigen Klinikaufenthalten in vermeintlich spezialisierten ADHS-Kliniken frustrierter und verletzter waren als zuvor.
Ein Therapeut ist – wenn er es gut macht und die Passung stimmt – eine Art Ersatz-Bezugsperson. Diese Rolle kann bis zur Aufgabe einer Nachbeelterung gehen: die sichere Burg, die dem Patienten das Gefühl gibt, mit allen Fähigkeiten und Unfähigkeiten gleichermaßen angenommen zu werden. Nicht verhätschelnd, doch stets wohlwollend fördernd. Der weise Vater, die warme Mutter. Dumbledore, nicht Snape. Erst auf dieser Basis können dysfunktionale Muster angesprochen werden, ohne dass der Betroffene sich als falsch oder ungenügend wahrnimmt.
Ein Therapeut hat aufgrund seiner – aus der Sicht des Patienten objektiven – Kenntnis der psychologischen Zusammenhänge eine Stellung, die einem Richter vergleichbar ist. Stellt der Therapeut Handlungsweisen und Reaktionen des Patienten als “von diesem zu verantworten” oder “nicht in Ordnung” in Frage, ist dies eine sehr intensive Intervention einer – aus der Sicht des Patienten – hierzu berufenen Autorität.
Wenn der Therapeut in seiner dadurch dominierenden Stellung aus Mangel der Kenntnis sämtlicher originärer ADHS-Symptome dem Betroffenen eine volle Verantwortung für Verhaltensweisen zuweist, hinsichtlich der Betroffene eher Opfer des ADHS ist, weil er ihnen als Symptom ausgeliefert ist und auf die der Betroffene eben gerade aufgrund des ADHS symptomatisch einen geringeren Einfluss hat als Nichtbetroffene, wird dies das Leid des Patienten massiv erhöhen.
Beispiel:
Ein Betroffener berichtete uns von einem (ehemaligen) Therapeuten, der ihm in Bezug auf seine (fallbedingt schweren, aber ADHS-phänotypischen) Motivationsprobleme vorhielt, dass er doch nicht immer nur das tun könne, wozu er Lust habe, sondern auch das tun müsse, was keinen Spass mache.
Wir beobachten, dass zu wenige Psychologen, Psychiater und Neurologen die Zusammenhänge zwischen Aktivitätslevel/Arousal und Stimmung, insbesondere das Phänomen der Dysphorie bei Inaktivität bei ADHS, adäquat einschätzen können und dass daraus in erheblichem Umfang Fehldiagnosen in Richtung Depression gestellt werden.
Eine positive und fördernde emotionale Stimmung zwischen Patient und Therapeut ist Grundvoraussetzung für eine fruchtbare Therapie.
Eine Untersuchung berichtet, dass bereits in der ersten Stunde messbar sei, ob die Therapie nach 3 Jahren erfolgreich sein wird – und zwar unabhängig von der Therapieform.
Patienten und Therapeuten wurden in der ersten Therapiestunde gefilmt.
Wenn eine positive, annehmende Stimmung zwischen Therapeut und Patient herrschte, war die Therapie nach 3 Jahren regelmäßig erfolgreich. Wenn in der ersten Stunde dagegen eine eher kühle, distanzierte Stimmung herrschte, war die Therapie nach 3 Jahren regelmäßig nicht erfolgreich.
Gleichwohl (und zusätzlich) sind manche Therapieformen bei ADHS besser geeignet als andere.