Schlafprobleme sollten bei ADHS mit besonderer Priorität behandelt werden, da Schlafprobleme und ADHS einen Teufelskreis bilden: Schlafprobleme verstärken ADHS-Symptome, während ADHS-Symptome wiederum Schlafprobleme verursachen können.
- Schlaf baut das Stresshormon Cortisol ab. 1 Stunde längerer Schlaf verringerte in einer Studie die Cortisolaufwachreaktion um 21 %.
- Schlafentzug verstärkte die Stressreaktion der HPA-Achse. Bei Schlafmangel scheint die Cortisolreaktion auf den TSST erhöht.
- Häufigeres Aufwachen in der vorangegangenen Nacht verschlechterte die mathematischen Fähigkeiten und (etwas) das Arbeitsgedächtnis, und zwar unabhängig von ADHS.
- Schlafmangel korreliert mit einer verminderten psychischen Gesundheit bei Kindern in Bezug auf
- Emotionsregulation
- Kognition
- Aufmerksamkeit
- Eine Studie, in der die Teilnehmer 2 Wochen lang nur 6 Stunden schlafen durften, fand einen Rückgang der anhaltenden Aufmerksamkeit und des Arbeitsgedächtnisses, der dem von zwei Nächten mit vollständigem Schlafentzug entsprach. Im Gegensatz zu den Teilnehmern, denen der Schlaf 2 Nächte vollständig entzogen wurde, waren sich die Teilnehmer mit 2 Wochen à 6 Stunden Schlaf ihrer kognitiven Defizite nicht bewusst. Eine weitere Studie berichtete gleiche Ergebnisse nach 5-7 Tagen Schlafeinschränkung.
Die kognitiven Defizite, insbesondere die Unaufmerksamkeit, benötigten mehr Tage mit normalem Schlaf, um sich vollständig zu erholen, als die Dauer der anfänglichen Schlafeinschränkung, also über 2 Wochen.
Etliche weitere Studien decken sich mit diesen Ergebnissen.
- Schlafentzug verursacht bei ADHS-Betroffenen wie Nichtbetroffenen erhöhte Auslassungsfehler, Kommissionsfehler, Reaktionszeit und Reaktionszeitvariabilität. Bei ADHS entstanden jedoch zusätzliche Auslassungs- und Kommissionsfehler und eine größere Variabilität der Reaktionszeiten. Zudem beeinträchtigte Schlafentzug bei ADHS insbesondere die Erkennung von emotionalen Gesichtsausdrücken.
- Ein- und Durchschlafprobleme sind keine verstärkende Ursache von Exekutivproblemen, wohl aber Tagesmüdigkeit.
Dennoch sind Schlafprobleme nicht die (alleinige) Ursache von ADHS. Schlafprobleme verstärken allerdings bestehende ADHS-Symptome. So wirkt ein Schlaftraining positiv auf ADHS-Symptome.
Weitere Informationen zu Schlafproblemen finden sich hier:
1. Maßnahmen zur Schlafverbesserung (Schlafhygiene)¶
ADHS-Betroffene haben eine schlechtere Schlafhygiene als Nichtbetroffene und eine schlechtere Schlafhygiene führt zu erhöhten Schlafproblemen bei ADHS. Dennoch ist schlechte Schlafhygiene weder die Ursache oder von ADHS noch wäre deren Behebung als Monotherapie gegen ADHS geeignet.
Eine Metastudie von 15 Studien fand bei 14 Studien, dass Schlafhygiene bei Kindern mit ADHS hilfreich sein kann.
1.1. Schlafdruck erhöhen¶
- Aufstehen, wenn man länger als 40 Minuten wach im Bett liegt
Bei ADHS sollte der ansonsten üblicherweise genannte Zeitraum von 20 Minuten verlängert werden, da ADHS-Betroffene typischerweise längere Einschlafphasen benötigen als Nichtbetroffene
- Mittagsschlaf / Powernaps maximal 30 Minuten und vor 14 Uhr
- Schlecht geschlafen? Müdigkeit aushalten, um abends früher und besser schlafen zu können.
1.2. Gleichmäßigen Schlafrhythmus antrainieren¶
- Regelmäßige Aufsteh- und Zubettgehzeiten einhalten
- trotzdem nur bei Müdigkeit schlafen gehen, morgens regelmäßig zur selben Zeit aufstehen
- Schlafprobleme also möglichst nicht mit verlängertem Schlaf in dieser Nacht bekämpfen, sondern Rhythmus beibehalten
- Müdigkeit durchstehen und am nächsten Abend mit gewonnener Bettschwere gut schlafen
- Regelmäßiger Sport, bis längstens drei Stunden vor Schlafenszeit
1.3. Schlafphasenverlagerung (Chronotherapie)¶
ADHS-HI-Betroffene weisen überdurchschnittlich häufig ein individuell abweichendes Tag-Nacht-Profil auf, das weit nach hinten verlagert ist, sodass sie später müde und später wieder wach werden. Der Schlafrhythmus ist um bis zu mehrere Stunden nach hinten verschoben. Dies wird u.a. auf einen veränderten Melatoninhaushalt zurückgeführt, wobei Melatonin, das körpereigene “Schlafsignal”, entweder nicht ausreichend oder zum falschen Zeitpunkt (zu spät in der Nacht) ausgeschüttet wird.
1.3.1. Tagesrhythmus in die hellen Stunden verlegen¶
- früher Tagesstart
- früher Sport im Sonnenlicht
- dabei keine Sonnenbrille tragen
*
- Ein Betroffener berichtet von erheblicher Verbesserung seiner Ein- und Durchschlafprobleme durch 20 bis 30 Minuten einfache Bewegung im Freien nach Sonnenaufgang. Dieser Betroffene war jedoch ein Frühaufsteher-Typ (Lerche).
- Tageswerk gegen 17 bis 18 Uhr beenden((Wolf, Calabrese (2020): Stressmedizin & Stresspsychologie; Seite 206)
- danach Tag ausklingen lassen
- abends Stress vermeiden
- kein Abendsport
1.3.2. Lichttherapie¶
Eine Behandlung mit hellem bläulichem Licht frühmorgens, insbesondere während der dunkleren Jahreszeiten (neben der ohnehin empfohlenen Vermeidung von bläulichem Licht ab 19 Uhr) kann einen frühen Tagesrhythmus unterstützen helfen.
Zur Behandlung haben sich bewährt:
- Lampen mit 7.000 bis 10.000 Lux
- in einer Entfernung von 20 bis 35 cm.
- Erforderlich sind Schutzschirm und UV-Filter
- Beleuchtung von schräg oben, sodass es nicht blendet
Eine Lichttherapie, der es gelingt, den Schlaf vorzuverlagern, ist geeignet, ADHS-Symptome zu verbessern.
1.3.3. Melatoninbehandlung¶
Gezielte Behandlung am Abend mit Melatonin. Siehe hierzu oben unter ⇒ Verzögerter abendlicher Melatoninanstieg sowie unten unter ⇒ Melatonerge Antidepressiva sowie unter ⇒ Melatonin bei ADHS im Abschnitt ⇒ Geeignete Medikamente bei ADHS.
Alternativ zur Behandlung ist auch denkbar, den verschobenen Schlafrhythmus in den Lebensalltag zu integrieren, indem man regelmäßig später schlafen geht und später aufsteht. Wie immer ist ein durchgängig gleichbleibender Rhythmus erforderlich, der einen ausreichend langen Schlaf sicherstellt. Dies dürfte indes nur für wenige Menschen sozialkompatibel möglich sein und zudem das Grundproblem nicht lösen, dass der verschobene circadiane Rhythmus einen negativen Einfluss auf die Regulationsfähigkeit der HPA-Achse haben kann.
1.3.4. Neurofeedback – SMR-Training¶
SMR-Neurofeedback-Training (Frequenzbandtraining 12 – 15 Hz) soll dabei helfen, die circadiane Schlafphasenverlagerung zu verringern.
SMR-Training
- verbesserte die Häufigkeit der Schlafspindeln
- verringerte die Einschlafverzögerung
- erhöhte die Gesamtschlafdauer
1.3.5. Lichthygiene – Melatoninunterdrückung vermeiden¶
- Kein helles Licht vor dem Schlafengehen oder beim Aufstehen in der Nacht machen. Gedimmtes gelbliches/rötliches Licht vermeidet die Melatoninsuppression, fördert also die Melatoninausschüttung.
- Warmes Licht hat eine Farbtemperatur von 2700 Kelvin, besser noch niedriger.
Die meisten LED-Leuchtmittel behalten beim Dimmen ihre Farbtemperatur bei; Halogen- und Glühbirnen verlieren beim Dimmen an Farbtemperatur, geben also gedimmt ein noch wärmeres Licht mit weniger Blauanteilen.
- Bläuliches und helles Licht hat unmittelbare Wirkung auf den Melatoninhaushalt und signalisiert dem Körper: Es ist morgen, wach auf, werde aktiv.
3000 Kelvin werden bei Lampen bereits als Tageslichtfarbe wahrgenommen. Optimales Tagesarbeitslicht hat 5000 Kelvin.
Leuchtstoffröhren machen kaltes, bläuliches, helles Licht: morgens gut, abends ungünstig.
- Abends kein bläuliches und kein helles Licht verwenden
- helles bläuliches Licht unterdrückt Melatonin
- Melatonin ist schlaffördernd
- Computer und Smartphones 1 bis 2 Stunden vor Schlafzeit meiden
- Bildschirmfarbschema (nur für abends!) rötlich dunkel einstellen.
Apple hat 2016 aus diesem Grund eigene Farbschemas für seine Smartphones eingeführt, die abends ein rötlicheres Licht geben, Windows 10 ermöglicht dies seit Oktober 2017.
Dies lässt sich an jedem Computer und Fernseher einrichten.
- Es gibt sogenannte Computerbrillen, die die bläulichen Lichtanteile herausfiltern. Diese helfen bei abendlicher Bildschirmarbeit, beim Fernsehen oder Lesen die Unterdrückung der Melatoninbildung durch Blaulichtanteile zu vermeiden.
- Arbeitslicht tagsüber hell, weiß, bläulich
- Blau angereichertes weißes Licht tagsüber am Arbeitsplatz verbessert Wachsamkeit, Leistung und Schlafqualität, indem es Melatonin unterdrückt.
- Relevant scheint der Wechsel bläulich hellen Lichts tagsüber zu rötlich dunklerem Licht abends.
- In einer Untersuchung wurde bei Menschen, denen Linsen implantiert wurden, die bläuliches Licht herausfiltern, die also ständig das gleiche Niveau an Blaulichtanteilen empfingen, keine Verbesserung, aber auch keine Verschlechterung der Schlafes festgestellt.
- Täglich mindestens 30 Minuten helles Tageslicht im Freien
- Nach dem Grundprinzip, dass der Wechsel von hellem blauem Licht morgens/mittags und weniger hellem rötlichem Licht abends die schlaffördernde Melatoninproduktion anregt, kann – insbesondere in den dunkleren Wintermonaten – ein täglicher Spaziergang um die Mittagszeit bei hellem Licht hilfreich sein. Die Lichthelligkeit im Freien ist selbst bei bedecktem Wetter um Dimensionen größer als in hell ausgeleuchteten Innenräumen.
- Zudem hilft helles Tageslicht (am besten direkte Sonne um die Mittagszeit) bei der Vitamin-D-3-Produktion. Vitamin D3 wird erst ab einem Schwellwert von 18 mj/cm² Lichteinwirkung gebildet. Bereits die transparentesten Glasarten reduzieren die Lichtenergie unter diesen Wert, sodass in Innenräumen selbst an sonnigsten Tagen der Schwellwert der Lichtenergie, ab dem die D-3-Vitaminproduktion einsetzt, nicht erreicht wird. In Deutschland wird eine ausreichende D-3-Produktion im Juni im Außenbereich in der Mittagszeit binnen ca. 15 Minuten erreicht, im September binnen ca. 30 Minuten. Im Dezember wird diese selbst bei klarem Himmel nicht einmal erreicht, wenn man den ganzen Tag im Freien verbrächte – eben weil die Sonnenstrahlung den erforderlichen Schwellenwert nicht überschreitet. Während eine maximale Melatoninsupression tagsüber (korrelierend mit subjektiver Munterkeit) bereits bei einem Lichtpegel von 1000 Lux ihr Maximum und bei 100 Lux noch 50 % des Maximums erreicht, wird das Optimum der circadianen Rhythmusbeeinflussung durch bläuliches Licht tagsüber erst bei 9100 Lux erreicht, wobei der 50 %-Wert ebenfalls schon ab 100 Lux erreicht wird. Die Melatonin-Supression bzw. circadiane Wirksamkeit ist in Innenräumen im Gegensatz zur D3-Bildung nicht unterbunden, jedoch halbiert. Diese sollte sich daher durch helles bläuliches Arbeitslicht ausgleichen lassen.
10.000 Lux entspricht in etwa einer 300-Watt-Halogenlampe, die auf eine 45 cm entfernte Tischplatte strahlt. Das liegt schon recht weit über dem, was an normaler Beleuchtung an Arbeitsplätzen üblich ist.
- Lichtstärke in Lux im Durchschnitt:
- Parkplatz – 20-25 Lux
- Wohnbereich – 50 bis 200 Lux
- Öffentliche Räume – 200 Lux
- Schreibtisch – 500 Lux (Soll)
- Sonnenlicht im Sommer – bis zu 50.000 Lux
- Farbtemperatur in Kelvin:
- Tageslicht: ab 3000 Kelvin und mehr. Optimale Tageslichtlampen haben bis 5000 Kelvin (je höher, desto bläulicher/kälter)
- Abendlicht: bis 2700 Kelvin und weniger (je weniger, desto gelblicher/wärmer).
1.4. Regelmäßige Schlafzeiten¶
- Regelmäßige und feste Zeiten zum Schlafen gehen,
1.5. Bettnutzung¶
- Bett ausschließlich zum Schlafen benutzen
- im Bett niemals essen, lesen, fernsehen, arbeiten
- wer keine Schlafprobleme hat, kann das durchaus machen. Wer Schlafprobleme hat, sollte das unbedingt vermeiden.
- im passenden Alter ist Sex ein gutes Schlafmittel – mit oder ohne Partner
1.6. Ruhige Tätigkeit ab 1,5 Stunden vor Schlaf; Einschlafrituale¶
- Die letzten 1,5 Stunden vor dem Schlafengehen sollten mit entspannender Tätigkeit verbracht werden: Was entspannend ist, ist für jeden Menschen individuell zu bestimmen.
- Eigenes Einschlafritual suchen
die Gewohnheit eines Rituals hilft nach ca. 6 Wochen, das ritualisierte Handeln zu bahnen
Beispiele geeigneter Schlafrituale:
- Spaziergang vor dem Schlafengehen
- Belletristik lesen (keine Sach-/Fachbücher, die eine persönliche Leidenschaft betreffen)
- Hörbuch hören (keine Sach-/Fachbücher, die eine persönliche Leidenschaft betreffen)
- Warmen Kräutertee trinken
- Warme Milch (ggf. mit Honig) vor dem Schlafengehen
- binaurale Theta-Musik hören (siehe unten unter ⇒ Binaurale Theta-Wellen-Musik
1.7. Schlafumgebung¶
- Wecker / Uhr
- Wecker außer Sichtweite
- Wecker nachts nicht anschauen
- Handy
- Handy ist nicht im Raum
- Handy dient nicht als Wecker
Beim auf-die-Uhr-schauen würden sonst alle zwischenzeitlichen Nachrichten angezeigt, ebenso morgens direkt beim wecken. Es gibt kaum etwas Schädlicheres für Erholung und Abschalten.
- Abendessen
- Abendmahlzeit rechtzeitig einnehmen
- Abendessen leicht halten
- Wahl des Schlafzimmers
- stiller und abgelegener Raum
- nicht zu Straße oder anderen Unruhequellen hin gelegen
- falls in dieser Wohnung nicht möglich: umziehen!
Ein ruhiger Schlafraum ist bei ADHS absolut unumgänglich!
- möglichst keine Nutzung als Ess-/Fernseh-/Arbeitszimmer
- wenn Schlafen neben dem Partner erschwert ist, ggf. von Partner getrenntes Schlafzimmer nutzen, in das man sich nach dem Gute-Nacht-Kuscheln zurückziehen kann
Der Partner wird den Zuwachs an Lebensqualität am Tage gegen die getrennte Nachtruhe abwägen können
- Wahl des Bettes
- ggf. getrennte Matratzen / Rost zu Schlafgenossen
- Bett breit genug, um ungestört zu schlafen
1.8. Externe Störquellen beseitigen¶
Bei ADHS können durch den weit offenen Reizfilter schon kleinste Störungen, die andere Menschen überhaupt nicht belasten, zu massiven Schlafproblemen führen. Eigenen Maßstab beachten und nicht in die “Normal”-Falle tappen. ADHS beinhaltet erhöhte Sensibilität für manche Reize.
- Temperatur / Lüftung
- besondere Temperaturempfindlichkeit von ADHS-Betroffenen beachten
- ausreichend Sauerstoff ermöglichen
- Licht
- LED von Elektrogeräten abkleben
- Rollladen schließen
- lichtdichte Innenvorhänge
- Schlafbrille in Erwägung ziehen
- Geräusche
-
ADHS geht meist mit einem Hyperarousal einher
- mangelnde Filterung
- interner Reize
- Gedanken
- Hunger
- Schmerzen
- externer Reize
- Geräusche
- Licht
- Bewegungen
- Nacht führen insbesondere akustische Störungen zu spontanem Noradrenalinanstieg
- Im Schlaf ist Noradrenalin abgeschaltet
- Noradrenalinanstieg ist Wecksignal
- Ohrstöpsel helfen sehr
Wir kennen etliche ADHS-Betroffene, die nach der Gewöhnung an Ohrstöpsel erstmals unterbrechungsfrei durchschlafen konnten
- Eingewöhnungszeit einige Tage
- verschiedene Ohrstöpselarten ausprobieren
- Silikonohrstöpsel
- dämmen sehr gut
- vor erstmaliger Benutzung leicht an Haut einfetten, gehen sonst schwer aus Ohr heraus. Ab 2. Nutzung problemloser
- passen sich gut an Ohrform an
- Schaumstoffohrstöpsel
- 10 Sekunden im Ohr festhalten
- Watte-Wachs-Ohrstöpsel
- individuell angepasste Ohrstöpsel
- passgenaue Form schließt ggf. noch dichter als Silikonohrstöpsel
- spürt man nicht, wenn man darauf liegt
1.9. Umgang mit Gedankenkreisen¶
Viele ADHS-Betroffenen kennen das Phänomen, dass der Kopf nicht aufhört, Gedanken zu wälzen – und die schlafhindernde Wirkung dieses Symptoms. Es gibt einige Möglichkeiten, dem zu begegnen.
- Nach 40 Minuten wieder aufstehen. Bett und Schlafzimmer verlassen.
- Gedimmtes Licht anmachen, aber kein helles Licht: Kerze (brandsicher!!!) oder sehr abgedunkeltes und warmes (rötliches) Licht mit wenig Blauanteilen.
- Wenn ein bestimmtes Thema nicht aus dem Kopf geht: Alle Argumente pro/contra auf ein Blatt oder in eine Exceltabelle schreiben. Meist wird man erstaunt feststellen, dass ein kaum mehr als ein halbes Din-A-4-Blatt zusammenkommt.
Wichtig: alle Argumente / Motive / Aspekte, die einfallen, notieren.
Was einmal weggeschrieben ist und auf dem Papier / in der Datei steht, kann nicht mehr verloren gehen. Das erleichtert ungemein und bewahrt davor, einen Gedanken im Kopf “fest halten” zu müssen
- Ggf. Diktiergerät neben das Bett legen, um im Dunklen und ohne aufzustehen Gedanken wegspeichern zu können.
Papier und Stift neben dem Bett gehen auch, sind aber nicht ganz so gut, weil man dafür Licht machen muss.
Ggf. Kuli mit eingebautem Lämpchen besorgen.
- Andere Gedanken aufnehmen – Buch / Zeitung lesen (KEINE aktivierende Tätigkeiten wie Fernsehen, Internet, Handy o.ä.).
- Erst wieder ins Bett gehen, wenn man sich wirklich müde fühlt
- Ggf. leicht sedierende und/oder anxiolytische Medikamente nehmen
z.B.:
- Trimipramin
5 – 20 mg/Tropfen 1 Stunde vor dem Schlafengehen
Trimipramin ist ein altes trizyklisches Antidepressivum und als schlaffördernd bekannt. Anders als viele andere Antidepressiva und Schlafmittel beeinträchtigt es den REM-Schlaf nicht.
⇒ Trimipramin bei ADHS
- Trazodon
⇒ Trazodon bei ADHS
- Manchen Betroffenen hilft eine geringe Dosis an Stimulanzien (1/3 bis 1/2 einer Tageseinzeldosis unretardiert), innere Ruhe zu finden und das Gedankenkreisen zu beenden.
1.10. Ernährung / Diät bei Schlafproblemen¶
1.10.1. Nahrungsmittel-Stimulanzien vermeiden¶
Nahrungsmittel-Stimulanzien meint Stimulanzien, die in Nahrungs- oder Genussmitteln enthalten sein können.
- kein Koffein (Teein) / Guarana / Mate / dunkle Schokolade nach 14 Uhr
Koffein bindet antagonistisch an Adenosin-A1-Rezeptoren, die im Gehirn das Schlafbedürfnis regulieren. Adenosin-A1-Rezeptoren hemmen das Enyzm Adenylatzyklase, was für die Umwandlung von ATP in cAMP benötigt wird. Diese Hemmung wird durch Koffein verhindert, der cAMP-Spiegel bleibt hoch. Dies erhöht die Wachheit.
- Koffein:
- Kaffee
- Instantkaffee: 39 mg / 100 ml
- Filterkaffee: 55 mg / 100 ml
- entkoffeinierter Kaffee: 2 mg / 100 ml
- Espresso: 133 mg / 100 ml
- Cola
- Cola mit Zucker 10 mg / 100 ml
- Cola light: 12 mg / 100 ml
- Energydrinks
- Red Bull, Effect: 32 mg / 100 ml
- Kakao / Schokolade
Schokoladenkonsum am Nachmittag oder Abend wird selten als Ursache für Schlafprobleme erkannt, kann aber genau das auslösen.
- Koffein: je höher der Kakaoanteil, desto mehr Koffein
- von 10 mg / 100 g (35 % Kakaomasse)
- bis 142 mg / 100 g (99 % Kakaomasse)
- Theobromin: je höher der Kakaoanteil, desto mehr Theobrom.
Theobromin ist wie Koffein ein Methylxanthin. Die ZNS-stimulierende Wirkung ist zwar schwächer als bei Koffein, in Kakao sind jedoch deutlich höhere Mengen enthalten.
- von 120 mg / 100 g (35 % Kakaomasse)
- bis 1200 mg / 100 g (99 % Kakaomasse)
- Tee:
- Schwarztee: 20 mg / 100 ml
- Grüntee: 19 mg / 100 ml
- Matetee: 35 mg / 100 ml
- kein Alkohol nach 17 Uhr
- kein Alkohol als (Ein-)Schlafmittel
- Selbst wenn mit Alkohol Schlaf möglich ist, zeigen sich am folgenden Tag deutlich erhöhte Stresswerte des vegetativen Nervensystems (messbar durch verringerte Herzratenvariabilität).
1.10.2. Nahrungsmittelallergien/Nahrungsmittelunverträglichkeiten eliminieren¶
Eine Diät, die Zucker beschränkte, sowie Koffein, Schokolade, Nahrungsmittelzusätze, künstliche Farbstoffe, Glutamat und bei den jeweiligen Kindern für diese individuell potentiell allergieauslösende Nahrungsmittel (wie z.B. Milch) ausschloss, bewirkte bei 45 % der teilnehmenden Kinder eine deutliche Verhaltensverbesserung, einschließlich einer Verbesserung der bei ADHS phänotypischen Schlafprobleme (u.a. Einschlafverzögerung).
Mehr hierzu unter ⇒ Ernährung und Diät bei ADHS im Abschnitt ⇒ Nichtmedikamentöse Behandlung und Therapie von ADHS im Kapitel ⇒ Behandlung und Therapie.
1.10.3. Abends wenig / keine Kohlenhydrate essen/trinken¶
Eine abendliche Aufnahme von Kohlenhydraten führt zu einer vermehrten Insulinausschüttung. Insulin bremst die Ruhe- und Regenerationshormone und die Fettverbrennung. Der Schlaf ist weniger erholsam.
1.11. Schlafstörende Wirkung von Medikamenten¶
Schlafstörungen können insbesondere verursacht werden durch
-
SSRI
SSRI können Schlafprobleme bei ADHS verstärken
- Hypnotika
- Beta-Blocker
- Alpha-Agonisten
- Alpha-Blocker
- Theophyllin
- Glucocorticoide (Cortisol)
- Schilddrüsenhormone
- Antipsychotika
- Antidepressiva
- Eine große Untersuchung von Antidepressiva fand sehr unterschiedliche Auswirkungen auf das Risiko von Schlafproblemen:
Erklärung:
-
Antidepressivum-Wirkstoff
-
Risikoerhöhung von Schlafstörungen (Odds Ratio) durch das jeweilige Medikament
-
beachte: manche der hier genannten Medikamente wirken schlaffördernd, wenn sie niedrigdosiert genommen werden
-
Wirkmechanimus des Wirkstoffs
- Amoxapin
- Atomoxetin
- 6,6
- NRI (Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer)
-
ADHS-Medikament
- unsere Erfahrung: insbesonderw abendliche Einnahme kann Schlaf beeinträchtigen
- Maprotilin
- Mianserin
- Phenelzin
- 5,0
-
Monoaminoxidasehemmer
- Clomipramin
- Fluvoxamin
- Olanzapin/Fluoxetin
- 3,8
- Atypisches Antipychiotikum / SSRI
- Esketamin
- 3,8
- Nichtkompetetiver NMDA-Glutamatrezetorantagonist
- Imipramin
- Mirtazapin
- 3,6
- Tetrazyklisches AD
- unsere Erfahrung: niedrig dosiert ggf. schlaffördernd; großes Hangover-Risiko
- Doxepin
- Escitalopram
- Desvenlafaxin
- Nortriptylin
- Paroxetin
- Venlafaxin
- Citalopram
- Vilazodon
- 3,0
- Serotonin Modulator und Stimulator
- Duloxetin
- Selegilin
- 2,8
-
Monoamineoxidasehemmer
- Trazodon
- 2,8
- Serotoninantagonist und SRI
- unsere Erfahrung: niedrig dosiert schlaffördernd (bis 100 mg); so auch Krause, Krause (2014)
- Amitriptylin
- 2,8
- Trizyklisches AD
- niedrigdosiert schlaffördernd
- Tranylcypromin
- 2,7
-
Monoaminoxidasehemmer
- Fluoxetin
- Sertralin
- Bupropion
- 2,2
-
Noradrenalin-/Dopamin-Wiederaufnahmehemmer
-
ADHS-Medikament der 5. Wahl
- Milnacipran
- Vortioxetin
- 1,3
- Serotonin Modulator und Stimulator
- Levomilnacipran
1.12. Schlafstörende Grunderkrankungen mit Arzt prüfen¶
Beispiele:
- Depressionen
- bei melancholischer Depression (gutes einschlafen, Aufwachen nach Mitternacht, verkürzter Nachtschlaf) eine kombinierte Einnahme von GABA, Glycin, Taurin und ggf. L-Theanin 2 Stunden vor der Einschlafzeit erwägen. Dies kann die Durchschlafqualität erhöhen. Es handelt sich um inhibierende Neurotransmitter oder diese unterstützende Stoffe, die sämtlich als Nahrungsergänzungsmittel frei erhältlich sind. Trotzdem sollte eine Einnahme nicht ohne Rücksprache mit dem Arzt erfolgen und die Mittel sollten nacheinander und nicht alle gleichzeitig eindosiert werden. Oral eingenommenes GABA überwindet die Blut-Hirn-Schranke nicht und wirkt daher nur im Körper. Medikamente, die GABA im Gehirn erhöhen, machen dagegen schnell abhängig.
- Angststörungen
-
chronische Schmerzen
- rheumatische Erkrankungen
- koronare Herzkrankheiten
- Asthma
- COPD
- Schlaf-Apnoe-Syndrom
Atemaussetzer können Symptome verursachen, die ADHS gleichen.
Atemstörungen im Schlaf bei ADHS-HI könnten auf einer Fehlregulierung des mesencephalen Serotoninsystems beruhen.
- Restless-Legs-Syndrom
1.13. ADHS-Behandlung tagsüber verbessert Schlaf¶
Eine kombinierte Behandlung aus Medikation und Verhaltenstherapie erwies sich in Bezug auf die Verbesserung von Schlafproblemen als wirksamer als eine Behandlung jeweils mit Medikamenten oder Therapie allein. Eine Verschlechterung des Schlafs ergab sich durch keine Behandlungsart, auch nicht durch die übliche Behandlung mit Methylphenidat.
2. Nichtmedikamentöse Behandlung von Schlafproblemen bei ADHS¶
2.1. Binaurale Theta-Wellen-Musik¶
Vor dem Schlafengehen 1 (bis 2) Stunden binaurale Theta-Wellen Musik über Kopfhörer anhören. (Achtung: nicht Alpha, da dies die Konzentration erhöht und – unmittelbar vor dem Zubettgehen gehört – die Schlafproblematik verstärken würde!) Je nach gewählter Theta-Musik (es gibt auch reine Geräusche) kann man nebenher lesen (Belletristik), fernsehen oder surfen (Bildschirm dunkler und rötlicher einstellen).
Näheres hierzu unter ⇒ Binaurale Musik als Therapie bei ADHS und bei Schlafproblemen.
2.2. Brain-Tapping¶
Ähnlich wie binaurale Theta-Musik nutzt Brain-Tapping die Synchronisation des Gehirns auf vorgegebene Rhythmen. Beim Brain-Tapping wird ein leichtes abwechselndes Trommeln/ Tippen auf den Oberschenkeln über ca. 4 Minuten verwendet, das mit der Zeit langsamer wird. Dies wird mit langsamem Atmen verbunden.
2.3. Schlaftraining¶
Eine Untersuchung berichtete von einer Halbierung der Schlafprobleme durch ein Schlaftraining bei ADHS-betroffenen Kindern zwischen 5 und 8 Jahren.
Schlaftraining informiert mündlich und schriftlich über normalen Schlaf, Schlafzyklen, Schlafstörungen, Schlafhygiene und übliche Strategien zur Behandlung von Verhaltensstörungen. Es umfasst unter anderem die Bedeutung von Schlafhygienemethoden wie konsequente Schlafroutinen und medienfreies Schlafen und referiert auf die von der American Sleep Association empfohlenen Standardstrategien für Schlafinterventionen.
2.4. Ausdauersport¶
Personen, die mindestens 150 min pro Woche moderat bis intensiv Sport betrieben, litten seltener unter Einschlafproblemen und Tagesmüdigkeit als weniger aktive Vergleichspersonen. Eine Studie am Erwachsenen mit ADHS, die Stimulanzien einnahmen, bestätigte dies insbesondere bei Männern, weniger bei Frauen. Eine Verbesserung ergab sich ab 105 min Sport pro Woche und wurde signifikant ab 341 min Sport pro Woche. Ab 1.250 min Sport pro Woche flachte die Zunahme der Verbesserung ab.
Bei älteren Menschen korrelierte die Anzahl der täglichen Schritte mit der Schlafqualität und einer verringerten Einschlafzeit.
Sport ist schlafförderlich, sollte jedoch nicht am späteren Abend und ab dem Nachmittag nicht mehr mit höherer Intensität betrieben werden.
2.5. Gewichtsdecke¶
Eine Gewichtsdecke ist eine Schlafdecke mit einem Gewicht von 7 bis 12 % des Körpergewichts. Kinder müssen stets in der Lage sein, die Decke selbstständig zu entfernen.
Der erhöhte Körperdruck ist für die meisten Betroffenen angenehm und kann dabei helfen, Angst, Depression und Schlafstörungen zu beseitigen.
Eine unmittelbare Verbesserung von ADHS-Symptomen sollte nicht primär erwartet werden, auch wenn eine Studie darauf hindeutet, die zudem eine normalisierte Einschlafzeit berichtet. Durch den verbesserten Schlaf ist jedoch eine verringerte Tagesmüdigkeit und damit eine erhöhte Tagesaktivität zu erwarten. Diese dürften mit einer verbesserten ADHS-Symptomatik einhergehen,
Eine Studie an 120 Betroffenen von psychiatrischen Störungen, darunter 13 ADHS-Betroffenen, fand innerhalb von 4 Wochen deutliche Verbesserungen der Schlafstörungen bei fast allen Störungsprofilen, auch bei ADHS. Die anschließende offene Studie über weitere 11 Monate zeigte bei mehr als 75 % der Betroffenen eine Reduktion der zuvor schweren Schlafprobleme zu unterschwelligen Schlafproblemen. Angst- und Depressionssymptome verbesserten sich ebenfalls. Eine kleine Studie an 26 Kindern mit ADHS berichtet eine Verbesserung durch Gewichtsdecken. Eine Studie fand eine Verbesserung der Schlafdauer bei Kindern mit ADHS von 11 bis 14 Jahren und generell bei ADHS-I.
Eine Metauntersuchung von k = 8 Studien und eine Metastudie mit k = 9 und n = 553 Teilnehmern (SMD 0,47) kamen zu dem Ergebnis, dass Gewichtsdecken bei Angstsymptomen hilfreich sein können. In Bezug auf Schlafprobleme fanden sich k = 4 Studien, die positive Wirkungen auf Schlaflosigkeit, Gesamtschlafdauer und Latenzzeit beim Einschlafen berichteten.
Gewichtsdecken sollen in Bezug auf Angst schon bei einer 20-minütigen Kurzintervention hilfreich sein.
2.6. 4-7-8 - Technik nach Weil¶
Achtsame Atemübungen, die die Sauerstoffaufnahme erhöhen, können beim Einschlafen helfen.
z.B.: 4-7-8-Technik nach Weil.
2.7. Weitere schlaffördernde Techniken¶
- Progressive Muskelentspannung nach Jakobsen
- Yoga
- Achtsamkeitsübungen
- Autogenes Training
- Body Scan
3. Medikamente bei Schlafproblemen bei ADHS¶
3.1. Verbesserter Schlaf durch ADHS-Medikation¶
3.1.1. ADHS-Stimulanzien¶
Es ist zwischen der Wirkung einer ADHS-Medikation mit Stimulanzien (Methylphenidat, Amphetaminmedikamente) tagsüber und einer akuten Gabe von Stimulanzien auf den Schlaf zu unterscheiden.
Grundsätzlich bewirkt eine ADHS-Medikation mit Stimulanzien eine Verbesserung der Schlafqualität. Beeinträchtigungen können sich bei einer zu späten Gabe oder während der ersten Wochen der Eindosierung ergeben.
In Ausnahmefällen kann eine geringe Gabe von Stimulanzien das Einschlafen verbessern. Dies ist individuell auszutesten.
Obwohl Stimulanzien grundsätzlich eher aktivierend wirken, hilft manchen Betroffenen tatsächlich eine niedrige Dosis MPH oder Amphetamin vor dem Schlafengehen, indem es das Gedankenkreisen eindämmt. Die Wirkung kann individuell deutlich besser sein als Schlafmittel.
Bei den meisten regt es dagegen zu sehr an, sodass die Medikation über den Tag zum Abend hin reduziert und rechtzeitig beendet werden sollte.
Etliche erwachsene ADHS-Betroffene berichten, bei Amphetaminmedikation (tagsüber) nachts besser schlafen zu können als unter Methylphenidatmedikation.
Eine Studie fand einen Rückgang der Schlafprobleme bei medikamentös behandelten Erwachsenen mit ADHS um 39 % (40,5 % bei nicht medikamentierten ggüber 24,73 % der medikamentierten ADHS-Betroffenen). Bei einer ADHS-Medikationsdauer von einem Jahr und mehr sank die Quote der Betroffenen mit Schlafproblemen weiter auf 21,05 % ab, so dass sich bei 48 % der ADHS-Betroffenen mit Schlafproblemen eine Verbesserung durch die ADHS-Medikamente ergab.
Eine Studie an Jugendlichen mit ADHS fand keine signifikanten Unterschiede des Schlafes, weder zwischen Betroffenen mit und ohne Stimulanzieneinnahme, noch bei Betroffenen, die Stimulanzien einnahmen, zwischen Tagen mit und ohne Einnahme.
Eine Studie berichtet eine verkürzte Einschlaflatenz durch Stimulanzien (26 Minuten mit Stimulanzien ggüber 106 Minuten ohne). Bei Erwachsenen mit ADHS bewirkte eine pauschale (nicht individuell bedarfsangepasste) Medikation mit 30 mg Lisdexamfetamin eine Verkürzung der Einschlaflatenz, 50 mg ließen sie nahezu unverändert, 70 mg erhöhten sie. Schlafstörungen insgesamt verringerten sich auf 0,6 % der Stimulanzieneinnehmenden gegenüber 3,2 % der nicht medikamentierten, Tagesmüdigkeit auf 0,3 % gegenüber 3,2 %.
Eine Studie fand unter Erwachsenen mit ADHS-C bei Methylphenidat eine spätere Schlafenszeit, späteres Einschlafen und eine verkürzte Schlafdauer. Anzahl und Gesamtdauer der nächtlichen Erwachungen nahm ab, die durchschnittliche Dauer der nächtlichen Perioden ununterbrochenen Schlafs nahm zu, was auf einen konsolidierteren Schlaf hindeutet. Dabei handelte es sich um ADHS-Probanden, die vor Beginn des 3-wöchigen Medikamentenversuchs nie medikamentiert waren, sodass Eindosierungsnebenwirkungen einen Teil der Effekte erklären dürften. Zudem wurde die letzte der 4 oder 5 Tageseinzeldosen unretardierten MPHs erst um 20:00 gegeben. Die sehr späte letzte MPH-Gabe konterkariert unseres Erachtens den Zwecks der Studie, da dies die Grundregel, dass das Ende der Wirkung der letzten Dosis mindestens eine Stunde vor dem Schlafengehen sein sollte, bei einer typischen Wirkdauer einer Einzeldosis unretardierten MPHs von bis zu 4 Stunden nur gerade so einhält. Die Argumentation der Autoren, dass dies einer Vermeidung von Reboundeffekten zur Schlafenszeit dienen sollte, ist in unseren Augen nicht haltbar. Wenn, dürfte eher das Gegenteil der Fall sein. Die durchschnittliche Schlafenszeit der ADHS-Gruppe von 00:16 Uhr verzögerte sich unter MPH auf 0:34 Uhr. Die MPH-Titrierung erfolgte zudem nicht anhand der optimalen Wirkung, sondern bis zum Eintreten von Nebenwirkungen. In der Summe liest sich das ein wenig wie eine Anleitung zur Verursachung von Schlafproblemen bei der Eindosierung von MPH.
Eine kleine Studie an Erwachsenen mit ADHS, bei denen die letzte Dosis um 16 Uhr gegeben wurde, fand keine Veränderung der Einschlaflatenz, aber einen durch Stimulanzien verbesserten Schlaf.
Eine Studie an Kindern mit ADHS fand unter einer Gabe einer dritten Dosis unretardierten MPHs (10 oder 15 mg) am späteren Nachmittag (16 Uhr) eine deutliche Reduzieren der ADHS-Symptomatik ohne Beeinträchtigung des Schlafes.
3.2. Bei ADHS geeignete Schlafmittel / Schlaf-Medikamente¶
3.2.1. Melatonin¶
Melatonin wird im Körper aus Serotonin hergestellt und ist im Schlaf-Wach-Rhythmus involviert. Die Ausschüttung wird durch Licht gehemmt. Die höchste natürliche Ausschüttung ist kurz nach Mitternacht.
Melatonin ist in Deutschland bis 1 mg / Dosis frei erhältlich; sofern mehr als 1 mg pro Dosis empfohlen wird, ist Melatonin verschreibungspflichtig.
In Österreich sind Kapseln bis 5 mg Melatonin erhältlich.
In den USA sind melatoninhaltige Medikamente als Nahrungsergänzungsmittel frei erhältlich.
Eine Einnahme sollte 1 bis 2 Stunden vor dem Schlafengehen erfolgen.
Handelsname: Circadin (EU), retardiertes Melatonin 2 mg.
In Bezug auf ältere Menschen (ab 55 Jahren) wurde Wirksamkeit von retardiertem (in der Wirkstofffreisetzung verlängertem) Melatonin recht gut belegt:
- nachhaltige Verkürzung der Einschlafzeit
- Verbesserung der Schlafqualität
- Verbesserung der morgendlichen Aufmerksamkeit und Tagesleistung
- gleichzeitige Verbesserung von Schlafqualität und morgendlicher Wachheit bei Patienten mit Insomnie
Die hilfreiche Wirkung von Melatonin bei Jetlag wurde in einem Cochrane Review bestätigt.
Unretardiertes Melatonin scheint bei Einschlafstörungen geeigneter zu sein, während retardiertes Melatonin offenbar eher bei Durchschlafstörungen erfolgreich ist.
Mehr zu Melatonin unter ⇒ Melatonin bei ADHS.
3.2.2. Agomelatin¶
Agomelatin (Handelsname: Valdoxan) ist ein melatonerges Antidepressivum
- Agomelatin hat eine dem Melatonin verwandte chemische Struktur
- Affinität zu den Melatonin-Rezeptoren vom Typ MT1 und MT2
-
antagonistische Eigenschaften am Serotonin-Rezeptor 5-HT2c (anders als Melatonin)
- Schlafmittel, das zudem als mögliches ADHS-Medikament genannt wird
- Agomelatin wurde in einer randomisierten Doppelblindstudie mit n = 54 Kindern gegen Methylphenidat getestet. Beide Medikamente schnitten in der Eltern- und Lehrerbeurteilung der Kinder vergleichbar ab. Naturgemäß hatten die mit Agomelatin behandelten Kinder weniger Schlafstörungen.
- Agomelatin kann Leberprobleme verursachen. Daher müssen die Leberwerte engmaschig kontrolliert werden.
- Wirkung scheint sehr individuell zu sein.
- Diskussion von über 50 Anwendern (meist Depressions-Betroffene) über Wirkung und Nebenwirkungen von Agomelatin (positiv wie negativ) bei psychiatrietogo.de.
- Unsere nicht repräsentative Erfahrung mit Agomelatin ist eher negativ. Der uns berichtete Schlaf ist flach und “kalt”. Man fühlt sich nicht erholt.
Siehe auch ⇒ Agomelatin bei ADHS
3.2.3. Trimipramin¶
Trimipramin ist ein trizyklisches Antidepressivum. In niedriger Dosierung ist es schlaffördernd. Kritisch: Ridinger.
- 10 bis 30 mg (statt 100 bis 300 mg wie als Antidepressivum) 1/2 bis 1 Stunde vor Schlafengehen. Bei erster Verwendung mit noch geringerer Dosierung testen.
- angstlösend
- tiefer, erholsamer Schlaf
- REM-Phasen bleiben erhalten (bei Trimipramin, anders bei anderen TZAD wie Amitriptylin oder Doxepin)
- wesentlich geringere Suchtgefahr als Benzodiazepine
- Die uns berichtete Erfahrung mit Trimipramin ist sehr positiv. Der Schlaf ist sehr erholsam und das Träumen ist nicht verringert. Zuweilen trat – insbesondere am Anfang – ein Hangover auf.
3.2.4. Trazodon¶
Trazodon ist ein dualserotonerges Antidepressivum und wird als Schlafmittel bei ADHS empfohlen.
- Phenylpiperazin
-
Halbwertszeit 5 bis 9 Stunden
- hemmt α1-Rezeptoren stark
- hemmt α2- und H1-Rezeptoren schwach
- niedrig dosiert (bis 50 mg)
- 5HT2A-Rezeptor-Antagonist
- = Blockade der 5HT2A-Rezeptoren
- → führt durch Glutamatreduzierung zu Dopaminerhöhung im Striatum
- → verstärkt serotonerge Neurotransmission über die 5-HT1A-Rezeptoren
- im Übrigen nicht serotonerg
- höher dosiert
- stärker serotonerg
- antihistaminerg
- schlaffördernd bei ADHS, wenn niedrigdosiert (25 bis 100 mg)
- keine Beeinträchtigung der Sexualfunktionen
- keine Erhöhung des Körpergewichts
- abschwächende Wirkung auf Tremor
- nicht kontraindiziert bei Glaukom und Prostatabeschwerden
- keine extrapyramidale Wirkung (keine motorische Unruhe)
- keine Potenzierung der adrenergen Übertragung
- keine anticholinerge Aktivität, hat daher nicht die typischen Nebenwirkungen trizyklischer Antidepressiva
- nicht mit MAO-Hemmern oder (insbesondere wenn hochdosiert) mit serotonergen Medikamenten kombinieren
- Schlafförderung durch Trazodon könnte auch auf serotonerger Wirkung beruhen.
- In Horden von Rhesusaffen schlafen diejenigen Tiere am spätesten ein, die den niedrigsten 5-HIAA-Spiegel in der Gehirnflüssigkeit haben, einem Serotoninabbaustoff.(Grawe (2004): Neuropsychotherapie, Seite 200))
3.2.5. Mirtazapin¶
Mirtazapin ist ein tetrazyklisches Antidepressivum.
Eine kleine Studie berichtet von positiven Erfahrungen als Schlafmittel bei ADHS bei niedriger Dosierung von 3,75 bis 7,5 mg je Schlafstunde. Eine weitere sehr kleine Studie kam zu vergleichbaren Ergebnissen bei einer Dosis von 30 mg.
Kritisch: Ridinger.
3.2.6. Pregabalin¶
Pregabalin ist ein Mood-Stabilizer und soll bei ADHS helfen können, das Einschlafen, das Durchschlafen und den Tiefschlaf zu verbessern. Es bestehe das Risiko eines Hang-overs.
3.2.7. Gabapentin¶
Gabapentin ist ein Mood-Stabilizer und soll bei ADHS helfen können, das Einschlafen, das Durchschlafen und den Tiefschlaf zu verbessern. Es bestehe das Risiko eines Hang-overs.
3.2.8. L-Theanin¶
L-Theanin (5-N-Ethyl-L-Glutamin) ist ein Glutamatantagonist. Ihm wird eine mögliche Verringerung der physischen und psychischen Stressreaktion zugeschrieben.
Laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung hat L-Theanin im Tierversuch verschiedene pharmakologische Wirkungen:
- Blutdruck senkend
- beeinflusst die Konzentration verschiedener Botenstoffe im Gehirn
- wirkt Koffeineffekten entgegen
- deshalb möglicherweise beruhigende und entspannende (sedierende) Wirkung
- Unbekannt ist,
- ob weitere Effekte bestehen
- ob Reaktionsvermögen oder Aufmerksamkeit beeinträchtigt werden
- ob sich mögliche negative Effekte durch den zusätzlichen Genuss von Alkohol oder Medikamenten verstärken.
- toxikologische Daten zu L-Theanin sind bislang unvollständig
- Daher bislang offen, ob und wenn ja in welchen Mengen L-Theanin bei täglicher Aufnahme und isoliertem Einsatz gesundheitlich unbedenklich ist.
In Bezug auf ADHS fand eine randomisierte und placebokontrollierte Studie bei Jungen eine schlaffördernde Wirkung bei 400 mg / Tag, eine weitere Studie bei 200 mg vor dem Schlafengehen.
Weitere Untersuchungen gibt es offenbar nicht. Eine Metauntersuchung befand, dass die Ergebnisse für Eszopiclon noch besser waren als für L-Theanin, jedoch wurde das Schlafmittel Eszopiclon lediglich in den USA zugelassen, da ihm in der EU der Neuheitsstatus verweigert wurde. Weiter soll L-Theanin die Schlafqualität verbessern, wenig dagegen die Einschlafzeit und die Schlafdauer.
Dagegen gibt es mehrere Studien, die eine positive Wirkung von L-Theanin bei Depression zeigen. was unter anderem auf eine Veränderung der Monoaminspiegel in Striatum, Cortex, limbischem System, Pallidum und Thalamus zurückgeführt wurde.
Bei Ratten wurde eine anxiolytische Wirkung und eine Verstärkung der Hippocampusaktivität festgestellt.
3.2.9. Kombinierte Einnahme von GABA, Glycin, Taurin, L-Theanin¶
Eine kombinierte Einnahme von GABA (750 mg), Glycin (500 mg), Taurin (500 mg) und ggf. L-Theanin 2 Stunden vor der Einschlafzeit kann die Müdigkeit erhöhen (was insbesondere dem nach hinten verschobenen Schlafrhythmus bei manchen ADHS-Betroffenen entgegenwirken kann) und die Schlafqualität verbessern.
GABA und Glycin sind inhibierende Neurotransmitter, Taurin erhöht GABA.
Alle Stoffe sind als Nahrungsergänzungsmittel frei erhältlich. Trotzdem sollte eine Einnahme nicht ohne Rücksprache mit dem Arzt erfolgen und die Mittel sollten nacheinander und nicht alle gleichzeitig eindosiert werden. Oral eingenommenes GABA überwindet die Blut-Hirn-Schranke nicht und wirkt daher nur im Körper. Medikamente, die GABA im Gehirn erhöhen, machen dagegen schnell abhängig. Diese Gefahr besteht bei oral eingenommenem GABA nicht.
3.2.10. Kombinierte Einnahme von Aminosäuren, die Tyrosin verringern¶
Tyrosin kann Dopamin und Noradrenalin erhöhen. Mehr hierzu unter Tyrosin bei ADHS
Um zur Ruhe zu kommen, ist jedoch ein niedrigerer Noradrenalinspiegel hilfreich.
Eine kombinierte Einnahme von Aminosäuren, die mit Tyrosin und Phenylalanin um dieselben Transporter durch die Blut-Hirn-Schranke konkurrieren, wie
- Tryptophan
- L-Methionin
- Histidin
- Threonin
- L-Glycin
- L-Lysin
- L-Arginin
- L-Leucin
- L-Isoleucin
- L-Valin
können dazu beitragen, Dopamin und Noradrenalin zu verringern.
Eine Einnahme einer Kombination der genannten Aminosäuren (ohne Tyrosin und Phenylalanin) könnte daher möglicherweise ADHS-Betroffenen helfen, zur Ruhe zu kommen.
Um Nachteile tagsüber zu vermeiden, sollte dies mit einer morgendlichen Einnahme von Tyrosin und Phenylalanin kombiniert werden.
Auch wenn diese Stoffe rezeptfrei erhältlich sind, sollte deren Einnahme unbedingt mit einem Arzt abgesprochen werden, um nachteilige Wirkungen, z.B. auf individuelle Konstellationen zu vermeiden. Eine langfristige Einnahme sollte vermieden werden, da es noch weitere Aminosäuren oder andere Stoffe geben könnte, die ober dieselben Transporter ins Gehirn gelangen. Eine dauerhafte Besetzung der Transporter mit Tyrosin-/Phenylalanin-Konkurrenten nachts und Tyrosin/Phenylalanin tagsüber beinhaltet das Risiko, dass sich hinsichtlich dieser weiteren Stoffe Mangelerscheinungen bilden können,
3.2.11. Eisen¶
Ein Review fand deutliche Hinweise auf eine Korrelation von Eisenmangel und Restless-Legs-Schlafproblemen sowie mögliche Hinweise auf Korrelationen mit Schlafprobleme bei ADHS.
3.2.12. Baldrian¶
Baldrian könne bei ADHS-bedingten Schlafproblemen hilfreich sein.
3.2.13. Koffein, Nikotin (paradoxe Wirkung)¶
In aller Regel sind Koffein oder Nikotin eher schlafhindernd, da es sich um Stimulanzien handelt. Doch sind bei ADHS-Betroffenen ebenso wie bei Stimulanzien-Medikamenten paradoxe Reaktionen möglich, sodass Koffein oder Nikotin schlaffördernd wirken können. Dies ist individuell auszutesten.
Ein Betroffener berichtete, dass ihn Nikotin so müde macht, dass er seit Jahrzehnten eine einzelne Zigarette als Schlafmittel unmittelbar vor dem Zubettgehen verwendet. Tagsüber sei ihm Rauchen aufgrund derselben müdigkeitsauslösenden Wirkung unangenehm.
3.2.13. Dopaminerge Wirkstoffe und Schlaf und Wachheit¶
D1-Rezeptor-Agonisten:
- SKF38393 konnte in Tierstudien übermäßige Tagesmüdigkeit verbessern und den REM-Schlaf wieder herstellen.
- SKF-82958 Infusion bewirkte für 2 Stunden:
- dosisabhängig erhöhte Wachzeit
- unterdrückter REM-Schlaf und Slow-Wave-Schlaf
- leicht erhöhte Lokomotion
- leicht erhöhte Zeit von Körperpflege und Fressen
D2-Rezeptor-Agonisten wirken unterschiedlich auf Schlaf und Wachheit:
- Bromocriptin, so dosiert, dass es nur den Autorezeptor adressierte, erhöhte bei Ratten den Slow Wave Schlaf und verringerte die Wachheit. Bei gesunden Menschen verkürzte es die Schlaflatenz nicht.
- Quinpirol
- niedrig dosiert: verringerte bei Ratten die Wachheit und förderte den Schlaf
- hoch dosiert: erhöhte Wachheit und verringerte Schlaf
- erhöhte leicht das Trinken und die Fortbewegung
- erhöhte signifikant das Kauen auf ungenießbarem Material, ein mit Erregung/Stress verbundenes Verhalten.
- RO 41-9067 erhöhte bei Tieren die Wachheit dosisabhängig
- Cabergolin verringerte die Zahl der periodischen Beinbewegungen bei RLS im Schlaf
- Pramipexol (D3- und D2-Agonist)
- niedrig dosiert (30 Mikrogramm/kg) erhöhte es den Slow Wave Schlaf, den REM-Schlaf und verringerte die Wachheit
- hoch dosiert (500 Mikrogramm/kg) erhöhte die Wachheit
- Ropinirol verkürzte die Schlaflatenz und erhöhte die Gesamtschlafdauer bei Parkinson, bei RLS und bei Gesunden.
- Piribedil wirkt stark wachheitsfördernd. Bei Parkinson löste es zuweilen Schlafattacken aus
D4-Agonisten:
- Ro 10-5824
- verlängerte die Wachzeit und verkürzte den non-Rem-Schlaf
- verzögerte den Beginn des non-Rem-Schlafs
- verstärkte die Theta- und Gamma-Power im EEG.
- A-412997
- verlängerte die Wachzeit und verkürzte den non-Rem-Schlaf
- verzögerte den Beginn des non-Rem-Schlafs
- beeinflusste Beginn und die Dauer des Rem.Schlafs
- verstärkte die Theta- und Gamma-Power im EEG.
D4-Antagonisten:
- L-741,741, ein hochselektiver D4-Antagonist wurde an Wistar-Ratten erforscht
- 1,5 mg/kg
- erhöhte nur den leichten Slow Wave Schlaf
- 3 mg/kg
- erhöhte die Episoden von ruhigem Wachzustand
- verringerte und verkürzte die Episoden von aktivem Wachzustand
- 6 mg/kg
- verringerte die Episoden und erhöhte die Latenz des tiefen Slow Wave Schlafs
- verringerte Episoden und Dauer von leichtem Slow Wave Schlaf
- verringerte die Gesamtschlafzeit
- erhöhte den aktiven Wachzustand
- erhöhte die Latenzzeit von REM-Schlaf
3.3. Medikamente mit Einfluss auf circadianen Rhythmus¶
3.3.1. Bromocriptin-QR¶
Bromocriptin-QR könnte möglicherweise dazu beitragen, den circadianen Rhythmus zu normalisieren. Dies wurde in Bezug auf die Behandlung von Adipositas erörtert, bei der der circadiane Rhythmus ebenfalls gestört ist.
3.3.2. Remdesivir verändert zirkadiane Genexpression¶
Remdesivir verändert die zirkadiane Genexpression in primären humanen dermalen Fibroblastenkulturen. Bei Probanden ohne neuropsychiatrische Diagnose, die keine Eveningness im Chronorhythmus aufwiesen, bewirkte Remdesivir eine leichte Phasenverschiebung bei Clock, Per1 und Per2 sowie eine signifikant veränderte Expression von Bmal1 und Per3. Der Unterschied zwischen Chronotyp und zirkadianer Genexpression von Bmal1, Cry1 und Per3 war signifikant. Remdesivir beeinflusste die zirkadiane Funktion und verschob den Chronotyp in Richtung Eveningness, wie es auch von ADHS bekannt ist.
3.4. Bei ADHS NICHT geeignete Schlafmittel / Schlaf-Medikamente¶
3.4.1. Benzodiazepine bei ADHS meiden¶
- Hohe Suchtgefahr von Benzodiazepinen (binnen 14 Tagen)
Vor dem Hintergrund der Suchtaffinität bei ADHS aufgrund der starken Belohnungsverzögerungsaversion bei ADHS nicht zu empfehlen
- Benzodiazepine verringern die Aktivität des Locus coeruleus und reduzieren damit die Produktion und den Transport von Noradrenalin in andere Gehirnteile. Daher sollten sie bei ADHS eher kontraindiziert sein.
- Starke Schlafwirkung
- Angstlösend
- Häufig verwendete Wirkstoffe
- Flurazepam
- Nitrazepam
- Temazepam
- Triazolam
3.4.2. Neuroleptika / Antipsychotika bei reinem ADHS nicht angezeigt¶
Neuroleptika sind bei (reinem) ADHS nicht zu empfehlen.
Neuroleptika sind, wie Antidepressiva, keine typischen Schlafmittel, sondern dienen zur Behandlung von psychischen Störungen. Sie können allerdings aufgrund beruhigend-dämpfenden Wirkung auch bei Schlafstörungen helfen, vornehmlich wenn diese durch Psychosen verursacht werden. Bei ADHS-HI scheinen Neuroleptika nur bei spezifischen Komorbiditäten (z.B. aus dem Autismusspektrum) möglicherweise sinnvoll.
3.4.2.1. Pipamperon¶
Pipamperon ist ein niedrigpotentes Neuroleptikum.
Pipamperon blockiert (antagonisiert):
- primär Serotoninrezeptoren
- gering D2-Rezeptoren
- gering D4-Rezeptoren
- gering Alpha1-Adrenozeptoren
Da bei ADHS häufig bereits eine verringerte Empfindlichkeit des D4-Rezeptors vorliegt, die aufgrund des Wegfalls der inhibierenden D4-Rezeptor-Wirkung für die Überreaktivität des Striatums mitverantwortlich gemacht wird (Stichwort: DRD4-7R), scheint uns zweifelhaft, ob eine zusätzliche Beeinträchtigung des D4-Rezeptors wirklich sinnvoll ist.
3.4.3. SSRI (Selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer)¶
Antidepressiva sind grundsätzlich geeignet, depressionsinduzierte Schlafprobleme zu beheben.
SSRI können jedoch Schlafprobleme bei ADHS verstärken.
SSRI reduzieren den REM-Schlaf um 30 %.
REM-Schlaf:
- ist essentiell, um Neurotransmittergleichgewicht im Gehirn wiederherzustellen (Abbau Adenosin, Aufbau Glykogen in Astrozyten; besonders bei non-REM)
- bewirkt Strukturentlastung (Raphe-Kerne etc.)
- REM-Schlaf ist in den ersten Lebensjahren besonders wichtig:
- Training sensomotorischer Fähigkeiten
- Training sonst nicht genutzter Verhaltensweisen
- Neugeborene schlafen 16 bis 18 Stunden, davon 50 % = 8 – 9 Stunden REM
- 10-jährige Kinder haben noch 2 – 2,5 Stunden REM-Schlaf
3.4.4. Antihistaminika der ersten Generation¶
- kritisch: Ridinger
- neben Linderung von Allergiebeschwerden auch sedierend
- Wirkstoffe u.a.:
- Doxylamin
- Diphenhydramin
- Meclozin
- Promethazin
3.4.5. Nicht-Benzodiazepin-Agonisten¶
- andere Struktur als Benzodiazepine
- wirken an den gleichen Rezeptoren wie Benzodiazepine
- Wirkstoffe u.a.:
- Zaleplon
- Zolpidem
- Zopiclon
-
GABA-Rezeptor-Agonist im Gehirn = Suchtgefahr!
Sedativum neuer Generation – Z-Drug
Handelsnamen: Imovane (D, CH), Optidorm (D), Somnal (A), Somnosan (D), Ximovan (D), Zopiclodura (D), Zopitin (CZ), diverse Generika, Lunesta (USA)
- geringere Abhängigkeitsgefahr als Benzodiazepine (anders zumindest Zopiclon, das aufgrund psychischer und physischer Suchtgefahr maximal 2 Wochen eingenommen werden darf)
Es bleibt jedoch eine Abhängigkeitsgefahr bestehen, weshalb wir Nicht-Benzodiazepin-Agonisten als Schlafmittel bei ADHS-Betroffenen nicht befürworten.
- kritisch: Ridinger
3.4.6. Barbiturate¶
- nur noch einzusetzen, wenn andere Schlafmittel nicht wirken
- starke Nebenwirkungen, Überdosierung kann tödlich sein
3.5. Weitere Schlafmittel¶
Zu den folgenden Schlafmitteln haben wir (noch) keine spezifischen Hinweise, ob diese bei ADHS besonders angezeigt oder kontraindiziert sind. Die Liste ist bei weitem unvollständig.
3.5.1. Orexin-Antagonisten¶
Orexin A und Orexin B sind Neuropeptide, die an die Orexin-1 und Orexin-2-Rezeptoren binden und dadurch Wachheit fördern.
Orexin-Antagonisten wie z.B. Daridorexant hemmen Orexinrezeptoren.
Daridorexant (Handelsname: Quviviq®) bindet mit ungefähr gleicher Affinität an Orexin-1 und Orexin-2-Rezeptoren und wirkt dadurch schlaffördernd, ohne das Verhältnis der Schlafphasen zu verändern. Daridorexant ist seit 2022 in Deutschland und der Schweiz erhältlich.
Ob Orexin-Antagonisten bei ADHS besonders hilfreich sind, oder ob dies subtypenspezifisch sein könnte, wäre zu untersuchen. Eine Studie berichtet verringerte basale Orexin A-Spiegel bei ADHS-I (ADS). Mehr hierzu im Beitrag Orexin
4. Schlafprobleme durch ADHS-Medikamente¶
ADHS-Medikamente können als Nebenwirkungen Schlafprobleme verursachen. Häufig, aber nicht immer, sind diese eine bloße Folge der Eindosierung und geben sich innerhalb weniger Wochen. Es sollte darauf geachtet werden, die Einnahme von ADHS-Medikamenten so rechtzeitig zu beenden, dass die Wirkzeit eine Stunde vor dem Schlafengehen beendet ist.
Schlafprobleme durch ADHS-Medikamente werden am häufigsten berichtet von:
- Gemischte Amphetaminsalze (40-45 %) (in D nicht zugelassen)
- Dasotralin (35-45 %) (neues Medikament in der Erforschung)
- Lisdexamfetamin (10-19 %) (Elvanse)
- Atomoxetin (10 – 17 %)
- Retardiertes Methylphenidat (11 %)
Etliche Betroffene berichten, dass ihnen eine geringe Dosis von Stimulanzien (unretardiertes MPH, ca. 1/3 einer tagsüber genommenen Einzeldosis) beim Einschlafen hilft, indem es sie entspannt und das Gedankenkarussell beendet. Ein Betroffener berichtete, dass er nur bei voller Stimulanzien-Dosierung schlafen kann.
Eine Studie berichtet von einer signifikanten Verbesserung des Schlafes bei Kindern mit ADHS zwischen 6 und 12 Jahren durch Serdexmethylphenidat bzw. Dexmethylphenidat.