In die Schlaf-/Wachregulierung im Gehirn sind etliche Stoffe involviert.
Schlafprobleme bei 5-13-Jährigen mit ADHS korrelierten schwach, aber statistisch signifikant mit psychischen Problemen der Mutter.
Weitere Informationen zu Schlafproblemen finden sich hier:
1. Neurotransmitter und Schlaf-/Wachregulation¶
- Serotonin
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Noradrenalin
- Histamin
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Acetylcholin
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GABA
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Glutamat
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Dopamin
- selektive Dopaminwiederaufnahmehemmer können bei normalen und schlafgestörten narkoleptischen Tieren die Wachheit besser fördern als selektive Noradrenalinwiederaufnahmehemmer
- Schwere Schlafstörungen treten häufig bei Betroffenen von Parkinson oder Chorea Huntington auf, welche eine dopaminerge Dysfunktion aufweisen
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Dopamin-Stoffwechsel- und Dopamin-Rezeptor-Anomalien sind auch bei exzessiver Tagesschläfrigkeit (z.B. Narkolepsie) involviert
- Schlafstörungen sind assoziiert mit ADHS
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DAT-Genvarianten scheinen beim Menschen für eine Anfälligkeit für Schlaf-Wach-Störungen zu prädisponieren
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Dopamin und Melatonin sind an der Regulierung von Müdigkeit und Schlaf beteiligt.
Das dopaminerge System wird vom circadianen System beeinflusst.
Dopamin wird rhythmisch in den Amakrinzellen der Netzhaut (Retina) produziert. Die Netzhaut wird durch Dopamin wie von Melatonin gesteuert. Die Netzhaut leitet Lichtinformationen an den suprachiasmatischen Kern, der die biologische Hauptuhr darstellt. Der suprachiasmatischen Kern sendet Timing-Informationen zur rhythmischen Regulation von dopaminergen Gehirnregionen und des durch diese gesteuerten Verhaltens (Fortbewegung, Motivation). Das in der Substantia nigra und dem ventralen Tegmentum produzierte Dopamin wird möglicherweise durch den suprachiasmatischen Kern über verschiedene Nervenbahnen (unter anderem mittels des Orexin-Systems oder des medialen präoptischen Kerns des Hypothalamus) rhythmisch reguliert. Orexinmangel ist ein möglicher Grund von Narkolepsie. ⇒ Orexin / Hypokretin Die Lichtaufnahme der Netzhaut beeinflusst den circadianen Rhythmus. Veränderungen an Licht und Lichtrhythmus können den circadianen Rhythmus beeinträchtigen.
Dopamin und Melatonin hemmen sich gegenseitig.
Dopamin wird vornehmlich frühmorgens und Tags freigesetzt. Melatonin wird durch Tageslicht gehemmt und hauptsächlich Abends und Nachts freigesetzt.
Ein Dopaminmangel (wie er für ADHS typisch ist) könnte daher eine zu geringe Melatoninhemmung bewirken. Dies könnte möglicherweise die bei von manchen ADHS-Betroffenen berichtete starke Tagesmüdigkeit mit erklären.
Es wird erörtert, ob Störungen der Netzhaut die bei ADHS häufigen Verschiebungen des Chronorhythmus verursachen könnten und ob diese eine wesentliche Ursache von ADHS sein könnten.
1.1. Noradrenalin und zirkadianer Rhythmus¶
Noradrenalin soll maßgeblicher Synchronisator des zirkadianen Rhythmus sein. Noradrenalin reguliert die nächtliche Melatoninausschüttung sowie die zirkadiane Genexpression.
Zugleich scheint lang anhaltender Schlafentzug den Locus coeruleus nachhaltig zu schädigen, was dauerhafte Schäden am noradrenergen System bewirken würde.
1.2. Stresssysteme und zirkadianer Rhythmus¶
Chronischer Stress (der unserer Auffassung nach seine Symptome durch sehr ähnliche Neurotransmitterverschiebungen vermittelt wie ADHS) führt häufig zu einer Störung des circadianen Systems. Mehr hierzu unter ⇒ Veränderungen des circadianen Systems durch chronischen Stress im Beitrag ⇒ Stressschäden durch frühen / langanhaltenden Stress im Abschnitt ⇒ ADHS als chronifizierte Stressregulationsstörung im Kapitel ⇒ Stress.
1.3. Dopamin und zirkadianer Rhythmus¶
Durch eine (nicht-medikamentöse) Gabe von Stimulanzien kann bei Nagetieren ein zirkadianer Rhythmus hervorgerufen werden, der so genannte methamphetaminempfindliche zirkadiane Oszillator (MASCO). Dieser hängt offenbar (auch) mit dem domapinerg gesteuerten Dopamin-Ultradianen Oszillator, DUO, zusammen. Es wäre denkbar, dass die zirkadianen Schlafprobleme bei ADHS durch dopaminerge Zusammenhänge mit dem MASCO verbunden sind.
2. Zytokine und Schlafprobleme¶
Schlafprobleme korrelieren mit erhöhten Werten proinflammatorischer Zytokine. Zytokine regulieren den Schlaf. Von Immunzellen freigesetzte Zytokine, insbesondere Interleukin-1β und Tumor-Nekrose-Faktor-α, beeinflussen die neuronale Aktivität, das Verhalten (einschließlich Schlaf), die Hormonfreisetzung und die autonome Funktion, indem sie neuroendokrine, autonome, limbische und kortikale Bereiche des ZNS adressieren. Eine Untersuchung fand erhöhte Entzündungsmarker nur bei Frauen (nicht bei Männern) mit Schlafproblemen.
Schlafentzug und gestörter Schlaf führen zu erhöhten Spiegeln von IL-6, Tumor-Nekrose-Faktor (TNF) (nur bei Männern) und C-reaktivem Protein (CRP) im Vergleich zu ungestörten Schlafphasen.
Schlafprobleme erhöhen IL-6 und Soluble intercellular adhesion molecule (slCAM) offenbar noch stärker als eine schwere Depression.
Schlafmangel korreliert mit erhöhtem IL-6 Spiegel, obwohl die stimulierende Wirkung von Katecholaminen auf die IL-6-Sekretion reduziert ist; diese Veränderung resultiert möglicherweise aus der gleichzeitig verringerten Cortisol-induzierten Hemmung, die durch mangelndes Cortisol entfällt. Die Stresshormone Noradrenalin und CRH erhöhen ebenfalls IL-6.
3. Weitere Stoffe der Schlaf-Wachregulation¶
- Melatonin
Ausführlich hierzu unter ⇒ Melatonin bei ADHS im Abschnitt ⇒ Medikamente bei ADHS – Übersicht / ⇒ Geeignete Medikamente bei ADHS im Kapitel ⇒ Behandlung und Therapie.
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GHRH wirkt schlaffördernd
- Der D1-Rezeptor im bovinen Hypothalamus vermittelte in vitro eine Verringerung der GHRH-Ausschüttung des Hypothalamus um 50 %
- Orexin (Hypokretin)
- Adenosin
- Nukleosid
- blockiert die Ausschüttung aktivierender Neurotransmitter, z.B.:
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Noradrenalin
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Dopamin
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Acetylcholin
- Proinflammatorische Zytokine
- Prostaglandin D2
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CRH wirkt schlafhemmend und beeinträchtigt den Tiefschlaf. Schlafprobleme könnten insofern unmittelbare Folge einer überaktivierten HPA-Achse sein.
4. Circadianer Rhythmus und Einfluss von Genen¶
4.1. Circadianer Rhythmus¶
Die zirkadiane Uhr, ein internes Zeitmesssystem, reguliert verschiedene physiologische Prozesse durch die Erzeugung von etwa 24-stündigen zirkadianen Rhythmen in der Genexpression, die sich in Rhythmen im Stoffwechsel und im Verhalten niederschlagen. Sie ist ein wichtiger Regulator für eine Vielzahl physiologischer Funktionen wie Stoffwechsel, Schlaf, Körpertemperatur, Blutdruck, endokrine, immunologische, kardiovaskuläre und Nierenfunktionen.
Viele Körperfunktionen des Menschen sind an den circadianen Rhythmus gebunden:
02:00 Tiefster Schlaf
04:30 Niedrigste Körpertemperatur
Aufwachen: Höchster Cortisolspiegel
07:30 Melatoninausschüttung endet
08:00 Höchster Testosteronspiegel (Männer)
08:30 Darmbewegungen wahrscheinlich
10:30 Maximum der Wachsamkeit
14:30 Maximum der Koordinationsfähigkeit
15:30 Schnellste Reaktionszeit
17.30 Kardiovaskuläre Effizienz und Muskelkraft
18:30 Höchster Blutdruck
19:00 Höchste Körpertemperatur
21:00 Beginn der Melatoninausschüttung
22:30 Unterdrückung der Darmbewegungen
Wenn all diese Elemente, wie bei ADHS-Betroffenen mit einem nach hinten verschobenen circadianen Rhythmus, um 1,5 Stunden später eintreten, ist nachvollziehbar, dass dies erhebliche Auswirkungen und Veränderungen im Vergleich zu normal-circadianen Menschen führt (sozialer Jetlag).
Die zirkadiane Uhr besteht aus zwei Hauptkomponenten:
- der zentralen Uhr im suprachiasmatischen Nukleus (SCN)
- den peripheren Uhren, die in fast allen Geweben und Organsystemen auftreten
Zentrale wie periphere Uhren können durch Umweltreize als Zeitgeber zurückgesetzt werden. Der wichtigste Zeitgeber für die zentrale Uhr ist das Licht, das von der Netzhaut wahrgenommen wird und direkt an den SCN weitergeleitet wird. Die zentrale Uhr steuert die peripheren Uhren durch neuronale und hormonelle Signale, die Körpertemperatur und fütterungsbedingte Signale, so dass alle Uhren auf den externen Hell-Dunkel-Zyklus abgestimmt sind. Zirkadiane Rhythmen ermöglichen es einem Organismus, auf molekularer Ebene eine zeitliche Homöostase mit seiner Umwelt zu erreichen, indem sie die Genexpression so regulieren, dass einmal alle 24 Stunden eine Spitze der Proteinexpression entsteht, um zu steuern, wann ein bestimmter physiologischer Prozess im Verhältnis zum Sonnentag am aktivsten ist. Die Transkription und Translation zentraler Uhrenkomponenten (CLOCK, NPAS2, ARNTL/BMAL1, ARNTL2/BMAL2, PER1, PER2, PER3, CRY1 und CRY2) spielt eine entscheidende Rolle bei der Rhythmusbildung, während Verzögerungen durch posttranslationale Modifikationen (PTM) für die Bestimmung der Periode (tau) der Rhythmen wichtig sind (tau bezieht sich auf die Periode eines Rhythmus und ist die zeitliche Länge eines vollständigen Zyklus).
Diurnaler Rhythmus: mit dem Tag-Nacht-Zyklus synchronisiert
Ultradianer und infradianer Rhythmus haben eine kürzere bzw. längere Periode als 24 Stunden.
Störungen der zirkadianen Rhythmen tragen zur Pathologie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, metabolischen Syndromen und Alterung bei.
Kern des molekularen Mechanismus der zirkadianen Uhr ist eine Transkriptions-/Translations-Rückkopplungsschleife (TTFL).
- Positives Glied der Rückkopplungsschleife: Die Transkriptionsfaktoren CLOCK oder NPAS2 und ARNTL/BMAL1 oder ARNTL2/BMAL2. Sie wirken in Form eines Heterodimers und aktivieren die Transkription von Kernuhrgenen und uhrgesteuerten Genen (die an wichtigen Stoffwechselprozessen beteiligt sind), die E-Box-Elemente (5’-CACGTG-3’) in ihren Promotoren tragen.
- Negatives Glied der Rückkopplungsschleife sind die wichtigsten Uhrengene: PER1/2/3 und CRY1/2, die transkriptionelle Repressoren sind und mit dem CLOCK|NPAS2-ARNTL/BMAL1|ARNTL2/BMAL2-Heterodimer, interagieren, indem sie dessen Aktivität hemmen und dadurch ihre eigene Expression negativ regulieren. Das CLOCK|NPAS2-ARNTL/BMAL1|ARNTL2/BMAL2-Heterodimer aktiviert auch die Kernrezeptoren NR1D1/2 und RORA/B/G, die eine zweite Rückkopplungsschleife bilden und die ARNTL/BMAL1-Transkription aktivieren bzw. unterdrücken.
Die Anpassung des circadianen Rhythmus an Lichtänderungen scheint durch verschiedene Neurotransmitter und Wirkstoffe beeinflusst werden zu können:
- Verstärkte Anpassung an Lichtsignale (ggf. hilfreich bei ADHS oder nachts bei langfristiger Schichtarbeit) durch
- 5HT1A-Autorezeptor-Agonisten
- Phosphodiesterase-5-Hemmer (PDE5)
- Abgeschwächte Anpassung an Lichtsignale (ggf. hilfreich bei kurzzeitigen Tagesrhythmusänderungen (Piloten) oder tagsüber bei langfristiger Schichtarbeit) durch
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GABA-B-Agonisten
- auch sedierend und schlaffördernd
- Cannabinoidrezeptor-Agonisten
- THC verkürzt Schlaflatenz, verringert Albträume, verbessert Schlafqualität bei chronischen Schmerzen
- 5HT1B-Agonisten
- Triptane (z.B. Sumatriptan, Zolmitriptan)
- nicht schlaffördernd
4.2. Sonnenstunden/Jahr am Wohnort und ADHS-Prävalenz?¶
Eine Studie fand einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Sonnenintensität (Kilowattstunden/Quadratmeter/Tag) und der ADHS-Prävalenz. Diese erklärte 34 bis 57 % der ADHS-Prävalenz. Eine Metastudie von 82 Studien fand indes keinen Zusammenhang zwischen Sonnenstrahlung und ADHS-Prävalenz.{Hoffmann MS, Polanczyk GV, Kieling C, Dos Santos IP, Willcutt EG, Rohde LA, Salum GA (2014): Attention-deficit/hyperactivity disorder and solar irradiance: a cloudy perspective. Biol Psychiatry. 2014 Oct 15;76(8):e19-20. doi: 10.1016/j.biopsych.2013.07.044. PMID: 24267411.}}
Die Menge der Sonnenstrahlung beeinflusst einerseits die D3-Bildung und andererseits den circadianen Rhythmus.
4.3. Genvarianten, die den circadianen Rhythmus beeinflussen¶
Ein homozygoter Polymorphismus in der 3’-flankierenden Region des Clock-Gens CLK (T3111C) ist offenbar mit einem nach hinten verschobenen Schlaf-Wach-Rhythmus und einem verringerten Schlafbedürfnis assoziiert, unabhängig von Alter, Geschlecht oder ethnischer Herkunft..
Das längere Allel des Exon 18 im PER3-Gen ist mit einem “Morgentyp”, das kürzere Allel mit einem “Abendtyp” assoziiert. Homozygote Träger des kürzeren Allels leiden häufiger an Einschlafstörungen.
Der Aminosäureaustausch T44A im CSNK1D-Gen führt in bei Drosophila-Fliegen zu einer verlängerten zirkadiane Rhythmik, bei Mäusen dagegen zu einer verkürzten zirkadianen Rhytmik, wie sie ach bei Mesnchen auftritt,
Polymorphismen in CLK- oder PER-Genen werden auch beim Menschen mit unterschiedlichen Schlaf-Wach-Rhythmen assoziiert.
Die zirkadianen Uhren steuern
- Immunsysten
- Virusreplikation
- Pharmakokinetik
- Wirksamkeit von Therapeutika
5. EEG-Besonderheiten im Schlaf bei ADHS¶
Es gibt Berichte von spezifischen EEG-Besonderheiten bei ADHS.
5.1. Schlafspindeln¶
Während mehr Schlafspindeln (höhere Sigma-Power) im EEG bei Nichtbetroffenen in der Leichtschlafphase (Schlafphase 2) mit einem höheren IQ korrelierte, korrelierten weniger Schlafspindeln mit ADHS.
Eine andere Studie fand demgegenüber bei Kindern mit ADHS eine erhöhte Amplitude, Dauer, Dichte und Aktivität der langsamen Schlafspindeln.
5.2. Gamma-Konnektivität im leichten Schlaf bei ADHS verändert¶
Kinder mit ADHS zeigten einen veränderten Gamma-Phasenverzögerungsindex im leichten Schlaf.
5.3. Slow-Waves im EEG im non-REM-Tiefschlaf bei ADHS verringert¶
ADHS-HI-Betroffene Kinder und Jugendliche zeigten im non-REM-Tiefschlaf im gesamten Gehirn eine Verringerung der EEG-Power der niedrigfrequenten Wellen von 1 bis 4,5 Hz (SWA) um über 20 % im Vergleich zu gesunden Kontrollen. Die regelmäßige Einnahme von Stimulanzien eliminierte diese Abweichung. Unter der Annahme, dass SWA die synaptische Dichte widerspiegelt, deckt sich dies mit früheren Neuroimaging-Studien, die kleinere Volumina an grauer Substanz bei ADHS-HI-Betroffenen fanden, sowie deren Normalisierung unter regelmäßiger Stimulanzien-Einnahme.
6. Immunologische Folgen von Schlafproblemen¶
Einmalige wie chronische Schlaffragmentierung erhöhte bei Mäusen die mRNA- und Proteinspiegel von Zytokinen im Körpergewebe. Änderungen der Entzündungsreaktionen spiegelten die Aktivierung der Stressachsen mit erhöhtem Corticosteron und Noradrenalin wider. Eine Behandlung mit 6-OHDA verringerte die durch Schlaffragmentierung verursachten Entzündungen signifikant. Dies deutet auf eine Regulation von schlaffragmentierungsbedingten Entzündungen im Körpergewebe durch das vegetative Nervensystem (Sympathikus/Parasympathikus) hin.
Chronische Schlaffragmentierung zeigte schwerwiegendere Folgen als einmalige (akute) Schlaffragmentierung. Eine einwöchige Erholung von der Schlaffragmentierung linderte die peripheren Entzündungsreaktionen ausreichend, nicht jedoch die noradrenergen Reaktionen.