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Diagnostische Herausforderungen bei ADHS

Diagnostische Herausforderungen bei ADHS

Bei der ADHS-Diagnostik gibt es verschiedene Herausforderungen, die beachtet werden müssen.
Neben der Differenzierung zwischen ADHS und anderen Störungsbildern sowie der Beachtung der vielfältigen Komorbiditäten, die insbesondere bei Erwachsenen aus einem bis dahin nicht behandelten ADHS verstärkt auftreten können (siehe dazu die Beiträge den Abschnitt Komorbidität bei ADHS, ergeben sich Besonderheiten unter anderem bei der die Diagnostik von Frauen, bei Hochbegabung oder bei Intelligenzminderung.

1. ADHS-Diagnostik bei Mädchen und Frauen

1.1. Jungen häufiger diagnostiziert

Jungen werden sehr viel häufiger mit ADHS diagnostiziert als Mädchen. Das Verhältnis wird zwischen 2:1 und 10:1 angegeben,1
Im Erwachsenenalter ist die Diagnosequote dagegen ausgeglichen.2 Da sich jedoch nur die Neudiagnostik im Erwachsenenalter angleicht, der Diagnostiküberhang von Männern in Kindheit und Jugend also fortbestehen, bleiben insgesamt mehr 2,3 Mal mehr Männer als Frauen mit ADHS diagnostiziert.

Offen ist, ob das starke Aufholen von Frauen bei der ADHS-Diagnostik gegenüber Männern im Erwachsenenalter zur dann ausgeglichenen Diagnosehäufigkeit2 alleine auf unerkanntem ADHS in der Kindheit und Jugend basiert, oder ob es auch Fälle von Late Onset ADHS gibt. Mehr dazu unter Late Onset ADHS: erstmaliges Auftreten im Erwachsenenalter

1.2. Externalisierende Symptomatik leichter erkennbar und unangenehmer

Jungen zeigen, unabhängig von ADHS, deutlich stärker externalisierende Störungsbilder (ODD, Conduct disorder), während Mädchen mehr Störungsbilder mit internalisierender Symptomatik zeigen (Depression, Angst). Auch innerhalb des ADHS-Spektrums zeigen Jungen häufiger Präsentationsformen (früher: Subtypen) mit externalisierender Symptomatik, also ADHS-H oder ADHS-C, während Mädchen häufiger ADHS-I zeigen als Jungen.3
Externalisierende Symptome (Hyperaktivität, Impulsivität, Aggressivität) sind für andere Personen belastender als internalisierende Symptome und werden als schwerwiegender wahrgenommen.4 Allerdings wurde von Eltern Hyperaktivität bei mit ADHS diagnostizierten Mädchen als geringer eingeschätzt als sie tatsächlich war und bei mit ADHS diagnostizierten Jungen höher eingeschätzt als sie tatsächlich war.1 Dies könnte so interpretiert werden, dass Hyperaktivität bei Jungen als unangenehmer empfunden wird als bei Mädchen.
Daher wird das Umfeld von Jungen mit ADHS häufiger eine Diagnostik des Kindes anstreben als das Umfeld von Mädchen mit ADHS, bzw. es bedarf bei Mädchen einer stärkeren Symptomatik, damit Eltern eine Diagnose anstreben.5

Motorische Hyperaktivität ist ein Symptom, das auch für Menschen erkennbar ist, die eine Person nicht genau kennen. Hyperaktivität ist auch aus der Entfernung beobachtbar. Um Unaufmerksamkeit festzustellen, bedarf es einer größeren Nähe. Damit ist der Kreis der Personen, die externalisierende Symptome wahrnehmen können, größer als der Kreis, der internalisierende Symptome wahrnehmen kann.

1.3. Symptomatik bei Frauen wird eher unterschätzt

Verwandte von Frauen mit ADHS haben ein höheres ADHS-Risiko als Verwandte von Männern mit ADHS.5

1.4. Tests für ADHS in Kindheit bewerten internalisierende Symptomatik schwächer

Im Erwachsenenalter muss ein Vorliegen einer ADHS-Symptomatik im Kindes-/Jugendalter festgestellt werden.
Dazu kann unter anderem der WURS (gratis, 6 - 10 Jahre) oder der WURS-K (kostenpflichtig, Teil des HASE, 8 - 10 Jahre) verwendet werden.
Der WURS-K zeigt mit 86 % eine um 10 % schlechtere diagnostische Genauigkeit für ADHS in der Kindheit als der WURS.6

Der WURS-K soll systematisch zu Diagnostikproblemen führen, da insbesondere Frauen und Mädchen, sowie Männer mit der überwiegend unaufmerksamen Präsentationsform ADHS-I trotz ansonsten deutlicher ADHS-Symptomatik die Punktwerte minimal unterschreiten.6
Der WR-SB Selbstbeurteilungs-Fragebogen soll ebenfalls die überwiegend unaufmerksame ADHS-I Präsentationsform nicht erkennen.6
Auch eine nur geringe Unterschreitung des erforderlichen Scores führt in der automatisierten Auswertung über das Hogrefe Testsystem zur Feststellung, dass die ADHS-Kriterien nicht erfüllt seien.
Dasselbe gilt für das weitverbreitete Wender-Reimherr-Interview.6

1.5. Frauen kompensieren ADHS besser mittels sozialer Traits

Frauen sind im Schnitt stärker sozial ausgerichtete Wesen als Männer. Mädchen ist die persönliche Interaktion mit anderen Menschen wichtiger als Jungen. Mädchen und Frauen fällt es im Schnitt leichter, die Sichtweise des Gegenübers einzunehmen und Erwartungen anderer zu antizipieren. 7 Mädchen und Frauen haben durchschnittlich eine stärkere Ausprägung pro-sozialer Skills.8
Dies korreliert mit der “tend and befriend” Stressreaktion, die bei Frauen deutlich häufiger vorkommt als bei Männern. Frauen suchen bei großem Stress mehr die Nähe der Gruppe und versichern sich der Zugehörigkeit als Frauen. Mehr hierzu unter Tend and befriend im Abschnitt Selbstwertprobleme im Beitrag Wahrnehmungssymptome im Kapitel Symptome von ADHS.
Dies bewirkt, dass Frauen in Bezug auf den sozialen Umgang mit anderen Menschen größere Ressourcen aufwenden, um den anderen nicht zu belasten. Dies führt zum Coping der eigenen ADHS-Symptome.

1.6. Hormone schützen Mädchen

Mädchen sind durch ihre geschlechtsspezifische Hormonausstattung im Kindesalter besser vor psychischen Störungen geschützt als Jungen.
Mehr hierzu unter Geschlechtsunterschiede bei ADHS im Kapitel neurologische Aspekte.

2. ADHS-Diagnostik bei Hochbegabung

Eine detailliertere Darstellung findet sich im Beitrag Hochbegabung und ADHS.

Dass eine hohe Intelligenz ein ADHS ausschließe, ist ein leider immer noch anzutreffender Irrtum. Die Häufigkeit von ADHS ist bei Hochbegabung mindestens genauso hoch wie bei Normalbegabten.
Mehr hierzu unter ADHS bei Hochbegabung häufiger? im Beitrag Hochbegabung und ADHS.

Richtig ist dagegen, dass eine höhere Intelligenz mit einer erhöhten Fähigkeit zur Problembewältigung einhergeht. Hochbegabte haben oft erhöhte Fähigkeiten, psychische Beeinträchtigungen durch besondere Verhaltensweisen zu umgehen - das sogenannte Coping (Kompensationsstrategien).8 Daher kann ADHS bei hoher Begabung schwerer zu erkennen sein.
Die Sichtweise, dass Menschen, die ihr ADHS mit hohem Copingaufwand bekämpfen, keine Behandlung ihres ADHS benötigen würden, ist unethisch. Jemandem zuzumuten, mit behandelbaren Symptomen einer psychischen Störung leben zu sollen und ihm eine Behandlung zu versagen, wenn er darunter leidet, verstößt gegen die Hilfspflichten von Ärzten und Psychologen. Ethisch richtig ist es, Hochbegabten zu ermöglichen, ihre Hochbegabung für sinnvollere Dinge zu nutzen als zur Neutralisierung eines Defizits, das sehr viel leichter zu behandeln ist als jede andere psychische Problematik.
Zudem sollte berücksichtigt werden, dass eine Behandlung eines vorhandenen ADHS ein IQ-Potenzial von 5 bis 15 Punkten freisetzen kann.

Hochbegabte mit ADHS können eine Leistung erbringen wie Nichtbetroffene Normalbegabte.9 Damit sind Alarmzeichen nicht sichtbar, die andernfalls die rechtzeitige Einleitung einer Diagnostik fördern könnten.8

Eine Herausforderung bei der Differenzialdiagnostik von Hochbegabung und ADHS sind die zahlreichen sehr verwechselbaren Charaktereigenschaften von Hochbegabung und ADHS. Wie bei allen anderen Problemfällen der Differentialdiagnostik ist dies jedoch gut lösbar, wenn man die verwechselbaren Eigenschaften von Hochbegabung und ADHS kennt.
Eine ausführliche Darstellung der Übereinstimmungen und Unterschiede der bei ADHS und Hochbegabung typischen Charaktertraits findet sich unter Ähnliche Charaktereigenschaften (Traits) von Hochbegabten und ADHS-Betroffenen im Beitrag Hochbegabung und ADHS.
Neben ähnlichen Charaktertraits ist auch eine Häufung von erhöhter Sensibilität zu beobachten.

Die Ähnlichkeit der Charaktertraits könnte möglicherweise im parallel verlaufenden verzögerten ersten Maximum der Cortexdicke des Gehirns begründet liegen. Mehr hierzu unter Verzögerte Cortexreifung bei ADHS wie bei Hochbegabung im Beitrag Hochbegabung und ADHS.

Auch das Gefühl, nicht dazuzugehören, tritt bei Hochbegabung häufiger auf, ebenso wie bei ADHS. Hier könnten die Ursachen jedoch auseinanderfallen.
Schwach ausgeprägte soziale Fähigkeiten können in Kombination mit Hochbegabung schwerwiegende Folgen haben. Hochbegabte haben meist einen anderen Humor, andere Interessen und andere Denkweisen als Normalbegabte. Treten dann schwache soziale Fähigkeiten hinzu, werden Hochbegabte leicht zu Mobbingopfern. Mobbing kann schweren chronischen Stress auslösen, der ähnliche Symptome verursachen kann wie ADHS.

Auch bei Hochbegabten mit ADHS ist häufig das Arbeitsgedächtnis beeinträchtigt. In IQ-Tests, die diejenigen Testbereiche, die das Arbeitsgedächtnis beanspruchen, getrennt auswerten, zeigen in diesen Bereichen häufig einen gravierenden Einschnitt. Dieser Einschnitt kann ein guter Hinweis auf ein bestehendes ADHS sein.

Eine ADHS-Behandlung kann (nicht nur bei Hochbegabten) den verfügbaren IQ erhöhen. Wir gehen dabei von 5 bis 10 IQ-Punkten aus. Mehr hierzu unter ADHS belastet den IQ / ADHS-Behandlung kann IQ freisetzen im Beitrag Hochbegabung und ADHS.


  1. Mowlem F, Agnew-Blais J, Taylor E, Asherson P (2019): Do different factors influence whether girls versus boys meet ADHD diagnostic criteria? Sex differences among children with high ADHD symptoms. Psychiatry Res. 2019 Feb;272:765-773. doi: 10.1016/j.psychres.2018.12.128. PMID: 30832197; PMCID: PMC6401208.

  2. Bachmann CJ, Philipsen A, Hoffmann F (2017): ADHD in Germany: Trends in Diagnosis and Pharmacotherapy. Dtsch Arztebl Int. 2017 Mar 3;114(9):141-148. doi: 10.3238/arztebl.2017.0141. PMID: 28351466; PMCID: PMC5378979.

  3. Arnold LE (1996): Sex differences in ADHD: conference summary. J Abnorm Child Psychol. 1996 Oct;24(5):555-69. doi: 10.1007/BF01670100. PMID: 8956084. REVIEW

  4. Ohan JL, Johnston C (2005): Gender appropriateness of symptom criteria for attention-deficit/hyperactivity disorder, oppositional-defiant disorder, and conduct disorder. Child Psychiatry Hum Dev. 2005 Summer;35(4):359-81. doi: 10.1007/s10578-005-2694-y. PMID: 15886870.

  5. Martin J, Walters RK, Demontis D, Mattheisen M, Lee SH, Robinson E, Brikell I, Ghirardi L, Larsson H, Lichtenstein P, Eriksson N; 23andMe Research Team; Psychiatric Genomics Consortium: ADHD Subgroup; iPSYCH–Broad ADHD Workgroup; Werge T, Mortensen PB, Pedersen MG, Mors O, Nordentoft M, Hougaard DM, Bybjerg-Grauholm J, Wray NR, Franke B, Faraone SV, O’Donovan MC, Thapar A, Børglum AD, Neale BM (2018): A Genetic Investigation of Sex Bias in the Prevalence of Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder. Biol Psychiatry. 2018 Jun 15;83(12):1044-1053. doi: 10.1016/j.biopsych.2017.11.026. PMID: 29325848; PMCID: PMC5992329.

  6. Semmler: ADHS-Testverfahren im Test. Letzter Aufruf 25.09.24.

  7. Stollhoff K (2022): Eine übersehene ADHS belastet Mädchen ihr Leben lang. Pädiatrie 34, 12–13 (2022). https://doi.org/10.1007/s15014-022-4769-7

  8. Arnold V (2024): AD(H)S im Kindes- und Jugendalter, neue AKZENTE Nr. 128, 2/2024, 5-10

  9. Cadenas M, Hartman C, Faraone S, Antshel K, Borges Á, Hoogeveen L, Rommelse N (2020): Cognitive correlates of attention-deficit hyperactivity disorder in children and adolescents with high intellectual ability. J Neurodev Disord. 2020 Feb 10;12(1):6. doi: 10.1186/s11689-020-9307-8. PMID: 32039694; PMCID: PMC7008522.

Diese Seite wurde am 28.09.2024 zuletzt aktualisiert.