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“ADHS behandeln ist einfach. ADHS gut zu behandeln, ist sehr schwierig.”
Die Wahl des individuell am besten wirksamen Medikaments bei ADHS und dessen optimale Eindosierung ist eine Herausforderung. Es gibt zwar etliche Anhaltspunkte für eine Orientierung. Oft genug stellen jedoch die individuellen Besonderheiten jedes einzelnen Betroffenen alle Erfahrungswerte auf die Probe. Da ADHS ein Syndrom ist und es daher “das eine ADHS” nicht gibt, kann die ADHS-Symptomatik aus einer großen Anzahl verschiedener Ursachen entstehe. Folglich gibt es keine einheitliche Behandlung. Erforderlichenfalls muss für einen Betroffenen eine Vielzahl verschiedener Optionen ausprobiert werden.
ADHS-Medikamente können in zwei Kategorien eingeteilt werden: Stimulanzien und Nichtstimulanzien. Stimulanzien wie Methylphenidat (MPH) und Amphetaminmedikamente (AMP) haben den Vorteil, dass sie eine hohe Effektstärke bei geringen Nebenwirkungen haben. Es gibt keine andere Medikamentenklasse in der Psychiatrie mit derart hoher Effektstärke.123 Sie wirken ab dem ersten Tag der Einnahme und können jederzeit ohne Absetzerscheinungen abgesetzt werden. Allerdings können Stimulanzien bei einigen besonders empfindlichen Betroffenen oder bei Überdosierung das emotionale Empfinden beeinträchtigen und sind BtM. Nichtstimulanzien wie Atomoxetin und Guanfacin haben dagegen eine längere Wirkdauer, haben Vorteile in Bezug auf emotionale Dysregulation und keine dämpfende Wirkung auf das emotionale Empfinden.Dafür ist ihre Effektstärke geringer und die Nebenwirkungen sind deutlich höher. Zudem sind sie aufgrund der langen Dauer bis zum Eintreten der Wirkung und der langen Halbwertszeit schwieriger einzudosieren als Stimulanzien.
Weiter müssen spezifische Problemfällen und Komorbiditäten bei der Medikamentenwahl berücksichtigt werden. Zum Beispiel können bei Patienten, die nicht auf verschiedene MPH-Präparate ansprechen, AMP, Atomoxetin oder Guanfacin eingesetzt werden. Falls Stimulanzien trotz Vermeidung einer zu hohen Dosierung eine Beeinträchtigung des emotionalen Empfindens verursachen, können sie durch Atomoxetin oder Guanfacin ersetzt werden oder niedriger dosiert und mit diesen kombiniert werden. Eine Kombinationsmedikation aus Stimulanzien und Atomoxetin kann den Antrieb verbessern und gleichzeitig die emotionale Dysregulation reduzieren. Bestimmte Medikamente haben bei Ticstörungen, Angststörungen, Substanzmissbrauch und andere Komorbiditäten besondere Vorteile.
Die Wirkungsweisen der verschiedenen Medikamente unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Bindungsaffinität an Transporter und ihrer Auswirkungen auf Dopamin und Noradrenalin in verschiedenen Gehirnregionen. Es ist wichtig, die richtige Medikation individuell anzupassen, um die bestmögliche Wirkung bei geringfügigen Nebenwirkungen zu erzielen.
In den USA erhielten medikamentierte Kinder mit ADHS am häufigsten nur Stimulanzien (60 %-67 %), gefolgt von einer Kombination von Stimulanzien und Nicht-Stimulanzien (13 %-15 %), einer Kombination von Stimulanzien und Antidepressiva (6 %-9 %) und schließlich nur Nicht-Stimulanzien (5 %-9 %).4
Bei der Eindosierung ist eine häufig erhöhte Empfindlichkeit von ADHS-Betroffenen auf schon geringe Dosisunterschiede oder auf unterschiedliche Wirkung verschiedener Präparate desselben Wirkstoffs zu berücksichtigen. Dies geht so weit, dass bereits der Austausch eines Generikums gegen ein vermeintlich bioäquivalentes Präparat eines anderen Herstellers erhebliche Unterschiede bis hin zum Verlust der Wirksamkeit bewirken kann. Dies betrifft retardierte wie unretardierte Stimulanzien und ebenso Nichtstimulanzien. Es ist nicht die Regel, aber, wie wir aus dem ADHS-Forum von ADxS.org wissen, weitaus häufiger, als bislang angenommen. Mehr hierzu unter Eindosierung von Medikamenten bei ADHS.
Stimulanzien für ADHS haben eine Sonderstellung in der gesamten psychiatrischen Medikation: keine andere Medikamentenklasse hat eine derart hohe Effektstärke bei zugleich derart niedrigen Nebenwirkungen.1
Es empfiehlt sich, einmal die Beipackzettel von Aspirin oder Antidepressiva und Methylphenidat zu vergleichen
Stimulanzien werden seit vielen Jahrzehnten als ADHS-Medikamente eingesetzt, so lang wie kaum eine andere Medikamentenklasse
Stimulanzien wirken ab dem ersten Tag der Einnahme
Stimulanzien können jederzeit abgesetzt werden, ohne Gefahr von Absetzerscheinungen (im Gegensatz zu Antidepressiva, die z.T. Abhängigkeit und massive Ausdosierungsnebenwirkungen verursachen können)
Nachteile (gemeinsame Nachteile von Stimulanzien
Beeinträchtigung des emotionalen Empfindens bei ca. 20 % der Betroffenen aufgrund der dämpfenden Wirkung von Stimulanzien auf das limbische System
Ursachen: Überempfindlichkeit oder Überdosierung
in diesem Fall Kombinationsmedikation aus Atomoxetin und MPH oder AMP in Betracht ziehen (bei jeweils niedrigerer Dosierung im Vergleich zur Monotherapie)
BtM-Pflichtig, weil theoretische Missbrauchsmöglichkeit
keinerlei Missbrauchsrisiko bei ordnungsgemäßer Einnahme (oral in Medikamentendosis)
an jedem Bahnhof und auf jedem Discoklo gibt es besser “drehende” Sachen für weniger Geld und weniger Aufwand
dennoch möglicher Reiz zur Drogeneinnahme bei Betroffenen mit akuter oder früherer Amphetaminsucht; dann eher Atomoxetin und Guanfacin testen
Stimulanzien verringern die Wahrscheinlichkeit einer Suchtentwicklung,56 erhöhen sie jedenfalls nicht.78
Eine möglichst frühzeitige Behandlung von ADHS mit Stimulanzien verringerte das Risiko einer Suchtentwicklung im Erwachsenenalter. Jedes Jahr, um das Stimulanzienbehandlung später begann, erhöhte sich das Risiko einer Suchtentwicklung im Erwachsenenalter um das 1,46-fache.9
Methylphenidat (MPH)
Vorteile:
besonders gute Antriebssteigerung
unretardiert kurze Wirkdauer (2,5 - 3 Stunden)
Nachteile:
Nonresponderquote ca. 30 %
MPH-Nonresponding nicht deckungsgleich mit AMP-Nonresponding
Amphetaminmedikamente (AMP)
Vorteile
Stimmungsausgleichender als MPH
etwas bessere Effektstärke und etwas niedrigere Nebenwirkungen als MPH, insbesondere bei Erwachsenen
Nachteile:
Nonresponderquote ca. 20 %
AMP-Nonresponding nicht deckungsgleich mit MPH-Nonresponding
Legende:
Quellen, soweit nicht anders angegeben1011 — ungeeignet (—) eingeschränkt geeignet, unter enger Überwachung
o eingeschränkt geeignet
+ besonders geeignet
kein Eintrag: keine Eignungsbeschränkung bekannt
** Unserer Ansicht nach oder noch einzuarbeitende Quellenangaben
Allgemeine körperliche Gegenanzeigen
Allgemeine körperliche Gegenanzeigen
LDX/D-AMP
ATX
MPH
Guanfacin
Bupropion
Kommentare
Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile
—
—
—
—
—
Glaukom
—
— (Engwinkelglaukom)
—
Hyperthyreose oder Thyreotoxikose
—
—
Phäochromozytom
—
—
Magen nicht sauer genug / zu basisch, pH-Wert über 5,5
—
Tumor im zentralen Nervensystem
—
schwere Leberzirrhose
—
Histaminunverträglichkeit
—
—
—
—
—
Viloxazin scheint das einzige ADHS-Medikament, das Histamin nicht erhöht
Herz-Kreislaufprobleme
Herz-/Kreislaufprobleme:
LDX/D-AMP
ATX
MPH
Guanfacin
Bupropion
Kommentare
Symptomatische Herz-Kreislauf-Erkrankung
—
—
Fortgeschrittene Arteriosklerose
—
Mittelschwere bis schwere Hypertonie
—
—**
+**
Schwerwiegende kardiovaskuläre oder zerebrovaskuläre Erkrankungen, bei denen ein klinisch bedeutsamer Blutdruck- oder Herzfrequenzanstiegs den Zustand verschlechtern könnte, z.B.: schwere Hypertonie, Herzinsuffizienz, arterielle Verschlusskrankheit, Angina pectoris, hämodynamisch relevanter angeborener Herzfehler, Kardiomyopathien, Myokardinfarkt, möglicherweise lebensbedrohliche Arrhythmien, Erkrankungen die durch eine veränderte Funktion von Ionenkanälen verursacht werden
(—)**
—
(—)**
+**
Zerebrovaskuläre Erkrankungen (z.B. zerebrale Aneurysmen, Gefäßabnormalitäten, Vaskulitis oder Schlaganfall)
—
Mittlere bis schwere Hypotonie
geeignet
geeignet
geeignet
o
Effektstärke auf kardiovaskuläre Faktoren (Vergleich pre/post):12
Diastolischer Blutdruck
MPH: statistisch nicht signifikant
AMP: 0,16
verringerter Effekt bei längerer Einnahme
ATX: 0,22
Systolischer Blutdruck
MPH: 0,25
vermutlich höhere Effektstärke durch unretardiertes MPH als durch retardiertes MPH
AMP: 0,09
ATX: 0,16
Herzfrequenz
MPH: statistisch nicht signifikant
AMP: 0,37
ATX: 0,43
12,6 % der Probanden berichteten weitere andere kardiovaskuläre Auswirkungen. 2 % beendeten die Medikation aufgrund kardiovaskulärer Wirkungen.
Bei der Mehrheit der Patienten klangen die kardiovaskulären Auswirkungen spontan oder durch geänderte Medikamentendosis ab oder waren klinisch nicht relevant.
Es gab keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den medikamentösen Behandlungen in Bezug auf die Schwere der kardiovaskulären Wirkungen.
Anmderkung: Die Metastudie beachtete leider nicht, ob Probanden zeitgleich Koffein zu sich nahmen. Wir vermuten, dass eine Beschränkung auf Probanden, die koffeinfrei medikamentiert wurden, eine drastisch niedrigere Nebenwirkungsrate aufzeigen dürften. Es ist bedauerlich, dass dieser elementare Faktor immer noch nicht mit der erforderliche Konsequenz berücksichtigt wird.
Suchtprobleme
Suchtprobleme:
LDX/D-AMP
ATX
MPH
Guanfacin
Bupropion
Kommentare
Alkoholsucht, akut
o**
o**
o**
o**
o**
Amphetaminsucht, akut
—**
—**
Amphetaminsucht, lange her
(—)**
(—)**
THC-Sucht
o**
o**
einem geplanten Entzug, der mit erhöhter Krampfneigung einhergehen kann
Einnahme von Monoaminooxidase-Hemmern binnen der letzten 14 Tage
—
—
—
—
Einnahme sedierender Arzneimittel
—
Einnahme blutdrucksenkender Arzneimittel
(—)**
(—)**
(—)**
+ (ggf. Dosisanpassung)
Einnahme anderer Bupropion-haltiger Arzneimittel
—
H2-Rezeptorenblocker- oder Antazida
—
Mutterschaft
Mutterschaft
LDX/D-AMP
ATX
MPH
Guanfacin
Bupropion
Kommentare
Frauen im gebärfähigen Alter, die keine Verhütungsmittel verwenden
—
Schwangerschaft
— (insbesondere erstes Trimester)
—
(—)
—
—
Stillzeit
—
—
(—)
—
—
Fahrtüchtigkeit
Fahrtüchtigkeit
LDX/D-AMP
ATX
MPH
Guanfacin
Bupropion
Kommentare
Fahrtüchtigkeit / führen gefährlicher Maschinen
o Patienten vor möglicher Beeinträchtigung durch Müdigkeit und Sehstörungen warnen, bis feststeht, dass beim Betroffenen diese Nebenwirkungen nicht auftreten oder bei Dauereinnahme weggehen
o Patienten vor möglicher Beeinträchtigung durch Müdigkeit, Somnolenz und Schwindelgefühl warnen, bis feststeht, dass beim Betroffenen diese Nebenwirkungen nicht auftreten oder bei Dauereinnahme weggehen
o Patienten vor möglicher Beeinträchtigung durch Müdigkeit, Schwindel, Sehproblemen warnen, bis feststeht, dass beim Betroffenen diese Nebenwirkungen nicht auftreten oder bei Dauereinnahme weggehen
o Moderat bis stark variierender Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit oder die Fähigkeit Maschinen zu bedienen, durch Schwindel und Müdigkeit (vornehmlich bei Einnahmebeginn) sowie Ohnmachtsanfälle
o Fahrtüchtigkeit gegeben, sofern keine schwerwiegenden Nebenwirkungen wie Schwindel auftreten
Einnahme anderer Medikamente
Einnahme anderer Medikamente mit Wirkung auf:
LDX/D-AMP
ATX
MPH
Guanfacin
Bupropion
Kommentare
CYP3A4/5
—
OCT-1
—
MATE1
—
Arzneimittel, die QT-Intervall verlängern können
—
—
CES1
—
CYP2D6
—
—
—
Legende:
Quellen, soweit nicht anders angegeben1011 — ungeeignet (—) eingeschränkt geeignet, unter enger Überwachung
o eingeschränkt geeignet
+ besonders geeignet
kein Eintrag: keine Eignungsbeschränkung bekannt
** Unserer Ansicht nach oder noch einzuarbeitende Quellenangaben.
Alle Angaben ohne Gewähr. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt.
2. Medikamentenwahl ohne spezifische Problemfälle¶
Von den Betroffenen, denen eine Medikamentierung helfen würde, erhalten lediglich rund 20 bis 25 % Medikamente. Von Nichtbetroffenen erhalten weniger als 1 % Medikamente, die sie nicht benötigen.16
Vor einer Behandlung mit Stimulanzien empfiehlt sich
eine kardiovaskuläre Untersuchung.17 zur Suche nach kardiovaskulären Anomalien wie:18
erhöhtem Blutdruck
Herzgeräusche
Synkopen bei körperlicher Anstrengung
EKG ist fakultativ
Kontraindikationen bei Stimulanzien (die meisten davon ungewöhnlich in der Kindheit):18
Die nachfolgenden Nennungen richten sich alleine nach unserer Auffassung aus wissenschaftlicher Sicht. Zulassungseinschränkungen sind nicht berücksichtigt.
2.1.1. Mittel der Wahl bei Kindern und Jugendlichen¶
Bei Erwachsenen ist die aus wissenschaftlicher Sicht hilfreichste* Priorisierung der Medikamente:
* Kassenzulassungen können hiervon abweichen
Dritte Wahl ist Atomoxetin. Bei komorbidem SCT oder starkem ADHS-I kann es erste Wahl sein.
Bei Kindern mit ADHS wechselten 8,4 % von einer MPH-Erstmedikation zu Atomoxetin, 31,3 % von einer ATX-Erstmedikation zu MPH22
Etwa 40 %23 bis 50 % der MPH-Nonresponder sprechen auf Atomoxetin an, und etwa 75 % der MPH-Responder sprechen auch auf Atomoxetin an. Atomoxetin kann während der Umstellungsphase zusammen mit MPH verabreicht werden, ohne dass übermäßige Bedenken hinsichtlich unerwünschter Ereignisse, wie z. B. kardiovaskulärer Wirkungen, bestehen (obwohl eine Überwachung von Blutdruck und Herzfrequenz erforderlich ist).24
Vierte Wahl ist unserer Auffassung nach Guanfacin (insbesondere bei generischem oder durch MPH oder AMP verursachtem Bluthochdruck oder bei komorbiden Tics), das statistisch betrachtet eine deutlich bessere Effektstärke bei geringeren Nebenwirkungen hat als Atomoxetin
Weitere mögliche Medikamente siehe Beiträge hierzu
Bei Erwachsenen ist die aus wissenschaftlicher Sicht hilfreichste* Priorisierung der Medikamente:2021
* Kassenzulassungen können hiervon abweichen
Erste Wahl sind Amphetaminmedikamente
Seit März 2024 ist Elvanse bei Erwachsenen laut Fachinformation Takeda auch als Erstbehandlungsmittel indiziert, bei Kindern dagegen weiterhin erst, wenn MPH unzureichend wirkte.25
Zweite Wahl ist Methylphenidat
Dritte Wahl ist Atomoxetin. Bei SCT oder starkem ADHS-I kann es erste Wahl sein.
Vierte Wahl ist unserer Auffassung nach Guanfacin, da die positiven Wirkungsberichte von Guanfacin vornehmlich Kinder betreffen
Guanfacin ist bei Erwachsenen off-label
im hohen Alter Vorsicht wegen erhöhter Sturzgefahr bei schneller Blutdrucksenkung
Weitere mögliche Medikamente siehe Beiträge hierzu
Bei der Wahl des Wirkstoffs sollte weiter berücksichtigt werden:
Komorbiditäten
Metabolisierungsenzym-Genvarianten, die den Abbau beschleunigen oder verlangsamen
weitere eingenommene Medikamente
Magensäure
mögliche prämenstruelle Verschlechterung der ADHS-Symptome
betroffene Frauen sollten vorrangig Stimulanzien verwenden, da diese in den betreffenden Tagen auch kurzfristig höher dosiert werden können. Siehe hierzu unten unter Nebenwirkungen bei der Eindosierung.
2.3. Trial and Error: Finden des passenden Wirkstoffs braucht Geduld¶
Psychiatrische Störungen und andere Erkrankungen des ZNS stellen besondere Herausforderungen dar, um ein passendes Medikament zu finden. ADHS hat dabei innerhalb der psychiatrischen Störungen noch eine Sonderstellung2, da die Responderquoten mit 70 % (MPH) bis 80 % (AMP) weitaus höher sind als bei anderen Störungsbildern. Ebenso ist die Effektstärke von ADHS-Medikamenten im Vergleich zu anderen Störungsbildern enorm hoch.
Dennoch ist nicht vorhersagbar, welcher Wirkstoff bei einem bestimmten ADHS-Betroffenen wirkt. Selbst innerhalb einer Wirkstoffklasse (MPH) kann beim einen Betroffenen das eine Präparat untragbare Nebenwirkungen haben, während das andere hervorragend funktioniert - während der nächste Betroffene auf die beiden Präparate genau umgekehrt reagiert. Die unterschiedlichen Reaktionen beruhen vermutlich auf den verschiedenen Anflutungs- und Abbauprofilen des Wirkstoffs, die sich bei den einzelnen Präparaten erheblich unterscheiden können.
Deshalb ist auch bei ADHS eine geduldige und kleinstufige Medikamentenanpassung der entscheidende Faktor für die Verbesserung von Symptomatik und Lebensqualität. Wir möchten alle Betroffenen ermutigen, bei nicht zufriedenstellenden Ergebnissen “dran” zu bleiben, und zusammen mit Ihrem Arzt immer neue Präparate und Wirkstoffe auszuprobieren.
“In kontrollierten Studien wird das Medikament ausgewählt, bevor die Probanden rekrutiert werden, und die Dosierung wird durch ein Protokoll festgelegt. In der klinischen Praxis wird die Dosierung durch das individuelle Ansprechen der Probanden bestimmt. Tatsächlich gibt es keinen identifizierten Parameter, der das Molekül, die Dosis, den Zeitpunkt der Einnahme und die Häufigkeit der Einnahme vorhersagt, bei der eine einzelne Person einen optimalen Nutzen aus der Medikation ziehen wird. … In der klinischen Praxis werden die Medikamente der Stimulanzienklasse auf mindestens fünf Arten an die Bedürfnisse und Reaktionen des einzelnen Patienten angepasst: Wirkstoff, Verabreichungssystem, Dosis, Dauer und Häufigkeit.”27
3. Medikamentenwahl nach spezifischen Problemfällen¶
Das ADHS-Symptom der mangelnden Inhibition der exekutiven Funktionen wird dopaminerg durch die Basalganglien (Striatum, Putamen) verursacht.29 Eine mangelnde Inhibition der Emotionsregulierung wird noradrenerg durch den Hippocampus verursacht.29
Daher dürfte ersteres einer dopaminergen Behandlung besser zugänglich sein, während Emotionsregulierung und Affektkontrolle besser noradrenerg zu behandeln sein dürften.
Impulsivität wird zudem serotonerg vermittelt.
Ist starke Impulsivität ein herausragendes Symptom des Betroffenen, wäre es fahrlässig, Stimulanzien unbesehen so hoch zu dosieren, dass dieses adäquat beseitigt wird, da damit hinsichtlich der übrigen Symptome überdosiert würde. Bei hervorstechend hoher Impulsivität kann für diese eine Behandlung mit niedrig dosierten SSRI hilfreich sein.
Serotoninwiederaufnahmehemmer
deutlich geringer dosiert als bei Verwendung als Antidepressiva
In einer kleinen placebokontrollierten Studie verbesserte Selegilin lediglich Unaufmerksamkeit, nicht jedoch Hyperaktivität/Impulsivität.30
Amphetamin-Medikamente wirken wohl aktivierender als Methylphenidat. Daher sind Amphetamin-Medikamente bei ADHS-I sinnvoller als Methylphenidat.
Es wird auch berichtet, dass ADHS-I-Betroffene bei MPH häufiger Nonresponder seien.
Während MPH eher inhibierend wirkt, und sich damit zur Behandlung von ADHS-HI (mit Hyperaktivität (Kinder) / innerer Anspannung (Erwachsene).) besonders eignet, wirkt D-Amphetamin stärker aktivierend / antriebssteigernd und soll sich daher besser zur Behandlung von ADHS-I eignen (ohne Hyperaktivität (Kinder) / innere Unruhe (Erwachsene).)31 Diesseits sind jedoch etliche ADHS-HI-Betroffene bekannt, denen Amphetaminmedikamente deutlich besser helfen als MPH.
Bei Betroffenen vom ADHS-I-Subtyp, von denen ein signifikanter Teil MPH-Nonresponder sein soll32 ist D-Amphetamin daher möglicherweise eine effiziente Alternative zu MPH.
Emotionale Dysregulation bei ADHS kann mit Stimulanzien oder Atomoxetin behandelt werden.33
Unserer Erfahrung nach sind Atomoxetin und Guanfacin bei der Behandlung emotionaler Dysregulation gegenüber Stimulanzien im Vorteil. Atomoxetin und Guanfacin wirken über den ganzen Tag. Gerade das sozial sehr beeinträchtigende Symptom der Rejection Sensitivity, die vor allem ´soziale Beziehungen und Partnerschaften sehr belasten kann, was vor allem außerhalb der Wirkzeit von Stimulanzien zum Tragen kommt, kann durch ganztägig wirkende Nichtstimulanzien deutlich verbessert werden.
Dafür haben diese Medikamente die Nachteile einer schwierigeren Eindosierung (Pegelmedikamente), die Wochen dauern kann sowie eine deutlich niedrigere Effektstärke auf die übrigen ADHS-Symptome bei zugleich höheren Nebenwirkungen. Insbesondere die durch Stimulanzien erreichbare Steuerung des Antriebs und der Motivation ist durch Nichtstimulanzien nicht erzielbar. Daher empfiehlt sich hier eine Kombination von (jeweils niedriger dosierten) Nichtstimulanzien und Stimulanzien. Bei Betroffenen, die zu einer fein abgestuften Dosierung in der Lage sind, wird dies häufig der optimale Weg sein.
Viele ADHS-Betroffene berichteten, dass Stimulanzien erheblichen und unmittelbaren Einfluss auf ihre Rejection Sensitivity habe. Dabei berichteten 90 % von einem positiven und RS verringernden, 10 % von einem eher erhöhenden Einfluss durch MPH.
Ein ADHS-Betroffener berichtete, dass seine langjährig bestehende intensive Rejection Sensitivity seit der Behandlung mit MPH signifikant zurückgegangen ist. Er berichtete weiter, dass er mehrfach Rückfälle von Rejection Sensitivity feststellen konnte, wenn geeignete Auslöser vorhanden waren und er zugleich die MPH-Medikation auch nur für wenige Stunden vergessen hatte. Die Intensität der RS, die ein abendlicher Streit mit der Freundin (außerhalb der tagsüber bestehenden MPH-Medikation) auslöst, wurde innerhalb von 10 Minuten nach der Einnahme von MPH drastisch verringert.
Methylphenidat verringert bei ADHS-Betroffenen das Gefühl von Misstrauen signifikant.34
Bei einer Rejection Sensitivity sei eine Kombination der Alpha-2-Adrenorezeptor-Agonisten Guanfacin und Clonidin laut einem einzelnen Erfahrungsbericht eines amerikanischen Arztes (Dodson) besonders wirksam. Dieser berichtet, dass bei einer Dosierung von zwischen 0,5 und 7 mg Guanfacin und zwischen 0,1 mg bis 0,5 mg Clonidin jeder dritte Betroffene seine Rejection Sensitivity Symptome verliert. Er berichtet weiter, dass der Einfluss auf die Lebensqualität durch diese Behandlung im Ergebnis größer sei als die Behandlung durch Stimulanzien.35
Dodson berichtet weiter von einer Studie der Harvard-Universität, dass eine Anhebung der Dosierung für Guanfacin bis auf 4 mg und für Clonidin bis auf 7-8 mg ein um 40 % höheres Ansprechen bewirke, wobei diese Dosierung jedoch über den empfohlenen Limits liege. Hierbei ergeben sich zudem erhöhte Nebenwirkungen.
Guanfacin ist als ADHS-Medikament im Vergleich zu Atomoxetin wirksamer.
Alpha-2-Adrenorezeptoren (Adrenozeptoren) werden von den Neurotransmittern Adrenalin und Noradrenalin aktiviert. Sie sind damit für die Wirkungen verantwortlich, die durch Adrenalin und Noradrenalin vermittelt werden.36 Agonisten verstärken die Wirkung der Rezeptoren. Guanfacin und Clonidin wirken damit im Ergebnis noradrenerg und verringern die adrenerge Wirkung.
Dodson35 beschreibt weiter Erfolge mit MAO-A Wiederaufnahmehemmern, insbesondere mit Parnate (tranylcypromine), was die bisher übliche Behandlung bei Rejection Sensitivity gewesen sei. MAO-A Wiederaufnahmehemmer seien auch in Bezug auf ADHS Symptome erfolgreich eingesetzt worden.
Imipramin und Phenelzin sollen je nach Art der weiteren Symptomlage jeweils besser geeignet sein (als Valproat), Rejection Sensitivity zu bekämpfen.37.
Imipramin ist bei ADHS ein denkbares Ergänzungsmedikament zu Stimulanzien. Es sollte jedoch die gegenseitige Wirkungsverstärkung von Imipramin und Methylphenidat beachtet werden.
Valproat (250 mg bis 500 mg) verbesserte bei 50 % von Borderline-Betroffenen moderat die Symptome der Reizbarkeit, Wut, Angst, Rejection Sensitivity und Impulsivität. Die Ergebnisse variierten von Betroffenem zu Betroffenem sehr.38
Während MPH eher inhibierend wirkt, und sich damit zur Behandlung von ADHS-HI (mit Hyperaktivität (Kinder) / innerer Anspannung (Erwachsene).) besonders eignet, wirkt D-Amphetamin stärker aktivierend / antriebssteigernd und soll sich daher besser zur Behandlung von ADHS-I eignen (ohne Hyperaktivität (Kinder) / innere Unruhe (Erwachsene).)31
Uns sind jedoch etliche ADHS-HI-Betroffene bekannt, denen Amphetaminmedikamente deutlich besser helfen als MPH.
Bupropion kann bei einer Antriebsschwäche unterstützend wirken. Umgekehrt kann Bupropion bei ADHS-HI und ADHS-C zur Dekompensation führen.
3.3. Vermeidung spezifischer Nebenwirkungen von ADHS-Medikamenten¶
Manche Ärzte haben Vorbehalte gegen eine Stimulanzienbehandlung bei Kindern mit ADHS und komorbider Angststörung, da „Angstzustände und Nervosität“ von großen Arzneimittel-Informationsdatenbanken wie Micromedex, Lexicomp und UptoDate als häufige Nebenwirkung genannt werden.39.
Die meisten ADHS-Betroffenen profitieren jedoch von einer Stimulanzienbehandlung auch in Bezug auf komorbide Angstsymptome.39
Eine Meta-Analyse von k = 23 Studien an n = 2.959 Kindern mit ADHS fand eine signifikante Verringerung der Angstsymptome bei Stimulanzieneinnahme im Vergleich zu Placebo.40
Unretardierte Methylphenidat-Derivate verringerten Angstzustände stärker als Placebo. Retardiertes MPH und Amphetamin-Derivate beeinflussten das Risiko nicht.
Bei einer Minderheit von ADHS-Betroffenen können Stimulanzien Angstzustände verschlimmern, wobei dies häufiger bei Amphetaminmedikamenten als bei Methylphenidat auftritt. Hohe Dosierungen, insbesondere oberhalb der empfohlenen Tageshöchstdosen, erhöhen das Risiko. 40 Angststörungen können durch Stimulanzien verstärkt werden, da Angst und Stimmungen durch die dopaminerge Aktivität des ventromedialen präfrontalen Kortex in Verbindung mit dem limbischen System reguliert wird.41
Wir kennen aus dem Forum Berichte von Depressions- oder Angst-Symptomen als Nebenwirkung bei der Eindosierung von Amphetaminmedikamenten. Derartige Berichte sind zwar eher selten, jedoch sollten sie ernst genommen werden. In diesen Fällen ist im ersten Schritt ein Wechsel des Wirkstoffes anzudenken.
Stimulanzien können daher bei Kindern mit ADHS und komorbider Angststörung verwendet werden. Selbst bei Auftreten von Angstzustände ist ein Absetzen der Stimulanzien nur selten erforderlich.39
Eine Analyse der durch Elvanse adressierten Proteine zeigte Hinweise, dass Elvanse auch bei der Behandlung von Angstzuständen positiv mitwirken könnte.42
Atomoxetin kann helfen, komorbide Angstsymptome bei Kindern und Jugendlichen zu verringern.43444546
Es wurde von positiven Effekten von Atomoxetin auf komorbide Angststörungen berichtet.47 Atomoxetin soll dabei in Bezug auf Angst eine Effektstärke von 0,5 aufweisen.23
Die Verbesserung der Angstsymptomatik durch Atomoxetin war etwas größer als die durch MPH.48
Eine Studie untersuchte die Kombinationsbehandlung von Atomoxetin mit SNRI und SSRI bei Erwachsenen mit ADHS und komorbider generalisierter Angststörung. Bei allen Probanden versagten SNRI oder SRI allein in Bezug auf die Verbesserung der Angstsymptome. Eine Kombinationsbehandlung von SNRI oder SSRI mit Atomoxetin zeigte deutliche Verbesserungen der Angstsymptomatik gegenüber der vorhergehenden Monotherapie mit SNRI/SSRI.49
Vorteilhafte Erfahrungen bei ADHS und leichter bis mittlerer komorbider Angststörung wurden berichtet von:
Stimulanzien plus Venlafaxin 18,75 bis 150 mg / Tag50
Ein Einzelfallbericht notierte bei einer 15-jährigen ADHS-Betroffenen, die auf Atomoxetin nicht ansprach, auf MPH mit Dysphorie reagierte und augmentierendes Clonidin nicht vertrug, langfristig eine gute Wirkung einer Kombinationsmedikation von Vortioxetin (10 mg / Tag) und MPH auf die stimulanzbedingte Angst und die ADHS-Symptomatik. Diese wurde mit hoher Verträglichkeit erreicht.51
Da Stimulanzien antriebssteigernd wirken, kann dies eine bestehende suizidale Tendenz freisetzen, die bisher aufgrund einer bestehenden Depression nicht ausgeführt wurde. Stimulanzien sollten daher bei (auch verdeckter) schwerer Depression nur unter besonderer Vorsicht eingesetzt werden.
Dysthymie / Dysphorie im Sinne einer dauerhaft (seit Jahren) bestehenden leichten Depression (Verstimmung, insbesondere bei Inaktivität) ist nur selten eine komorbide Depression, sondern regelmäßig eine ureigene ADHS-Symptomatik. Bei Dysthymie / Dysphorie ist nach diesseitiger Auffassung eine ADHS-orientierte Medikation gerade mit aktivierenden Mitteln angezeigt (Bupropion, Amphetaminmedikamente).
Bei einer komorbiden leichten bis mittleren Depression sowie, unserer Auffassung nach auch bei einer schweren Depression bei ausgeschlossenem Risiko suizidaler Tendenzen, sollte zuerst das ADHS behandelt werden. In Anbetracht der schnellen Wirksamkeit von Stimulanzien kann dann beobachtet werden, ob durch die Beseitigung der ADHS-Problematik der die Depression treibende Stressor entfällt. Dies ist recht häufig der Fall.
Eine komorbide Depression ist häufig eine Folge des unbehandelten ADHS. Bei rund einem Drittel aller behandlungsresistenten Depressionen findet sich ein zuvor nicht diagnostiziertes ADHS.
ADHS-Medikamente wirken sehr viel schneller (15 Minuten bis 1 Stunde) als Antidepressiva (zu 2 Wochen und mehr), auch wenn die richtige Feineinstellung auf ADHS-Stimulanzien oft Monate benötigen kann
MPH hat keinen Steady state, Lisdexamfetamin einen Steady state von 3 Tagen
Stimulanzien haben deutlich weniger Nebenwirkungen als Antidepressiva
Stimulanzien müssen nicht ausdosiert werden, sondern können sofort abgesetzt werden. In der Folge können Präparate und Wirkstoffe sofort gewechselt werden
Stimulanzien haben nur in sehr seltenen Ausnahmefällen Absetznebenwirkungen, während AD sehr viel häufiger Absetznebenwirkungen haben, die in manchen Fällen sehr stark werden können (insbesondere bei Venlafaxin, bis hin zur Klinikreife)
Stimulanzien weisen eine sehr viel größere Effektstärke auf (MPH 0,9 bis 1,1, Lisdexamfetamin bis 1,5, jeweils in Bezug auf ADHS) als Antidepressiva (im Schnitt 0,3, dabei Venlafaxin mit dem besten Wert von 0,49 auf Depression).
3.4.2.1. Stimulanzien-Monotherapie als erster Schritt bei komorbider Depression und ADHS¶
Bei ADHS-Betroffenen mit komorbider Depression fand sich während der Zeit einer ADHS-Medikation ein um 20 % niedrigeres Depressions-Risiko als in der unmedikamentierten Zeit. Das 3-Jahres-Langzeitrisiko einer Depression verringerte sich um 43 %.52
Amphetaminmedikamente eignen sich – anders als MPH – zur Mitbehandlung komorbider Dysphorien oder Depressionen.5354. In Foren berichten etliche Betroffene von einer signifikanten antidepressiven Wirkung von Amphetaminmedikamenten, die sie von MPH nicht kennen.55. Auch nach unserer Erfahrung zeigt Lisdexamfetamin (Elvanse) im Rahmen einer ADHS-Behandlung größere Verbesserung depressiver Symptome als Methylphenidat.
Eine Analyse der durch Elvanse adressierten Proteine zeigte Hinweise, dass Elvanse auch bei der Behandlung von Depression positiv mitwirken könnte.42
Mittlere oder schwere Depressionen können durch Stimulanzien verstärkt werden, da Angst und Stimmungen durch die dopaminerge Aktivität des ventromedialen präfrontalen Kortex in Verbindung mit dem limbischen System reguliert wird.41
Wir kennen aus dem Forum Berichte von Depressions- oder Angst-Symptomen als Nebenwirkung bei der Eindosierung von Amphetaminmedikamenten. Derartige Berichte sind zwar eher selten, jedoch sollten sie ernst genommen werden. In diesen Fällen ist im ersten Schritt ein Wechsel des Wirkstoffes anzudenken.
Ob Atomoxetin bei Depression wirksam ist, ist umstritten. Während die Mehrheit der Stimmen dies verneint185657 fand eine Studie eine Verbesserung der Depressionssymptome durch Atomoxetin, die der von Paroxetin und Venlaflaxin entsprach.58
3.4.2.3. Kombinationsmedikation bei komorbider Depression und ADHS¶
Eine doppelblinde placebokontrollierte Studie untersuchte die Kombinationsbehandlung mit Atomoxetin und Fluoxetin (einem SSRI) im Vergleich zur Monotherapie mit Atomoxetin bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS und komorbiden Symptomen von Depression oder Angst. Die Studie fand keine relevanten Verbesserungen der ADHS-Symptomatik bei der Kombinationsbehandlung. Es fanden sich kleine Verbesserungen im Bereich der Symptomatik komorbider Depression durch Kombinationstherapie im Vergleich zur Monotherapie mit Atomoxetin, wobei letztere neben den ADHS Symptomen bereits die Depressions- und Angstsymptome verbesserte. Die Kombinationsbehandlung zeigte keine erhöhten Nebenwirkungen. Der Blutdruck bei der Kombinationstherapie war etwas stärker erhöht als bei der Monotherapie.46
Eine Studie fand Hinweise auf eine Wirkung von Atomoxetin zusammen mit Sertralin beim HTTLPR- (SERT) Genotyp s/s im Vergleich zu einer Sertralin-Monotherapie.59
3.4.2.3.3. SSRI und MPH bei komorbider Depression zu ADHS¶
Eine Studie problematisiert, dass SSRI (wie z.B. Fluoxetin) eine mäßige suchtbedingte Genregulation von MPH im Striatum von Ratten verstärken, und damit eine Abhängigkeit von Methylphenidat verstärken könnten. Bei Vilazodon sei dies schwächer ausgeprägt.60
3.4.2.3.4. Escitalopram und MPH bei komorbider Depression zu ADHS¶
Eine Studie fand kein erhöhtes Risiko einer augmentierten Gabe von Escitalopram zu MPH bei ADHS, mit Ausnahme bei zusätzlicher komorbider TIC-Störungen.61
3.4.2.3.5. Fluoxetin und MPH bei komorbider Depression und ADHS¶
Positive Erfahrungen wurden berichtet von Stimulanzien plus Fluoxetin 10 bis 20 mg / Tag bei komorbider leichter bis mittelschwerer Depression50
Eine Studie an ADHS-Betroffenen mit komorbider Depression, die durch MPH allein keine ausreichende Verbesserung der ADHS-Symptome zeigten, fand durch augmentierend gegebenes Fluoxetin bei fast allen Probanden deutliche Verbesserungen der ADHS-Symptomatik. Bei 40 % der Probanden genügte dazu bereits eine zusätzliche Gabe von unter 20 mg Fluoxetin. Erhöhte Nebenwirkungen zeigten sich nicht.62 Eine weitere Studie fand für Fluoxetin keine erhöhten Nebenwirkungen bei einer MPH-Medikation bei ADHS und eine deutlich geringeres Risiko im Vergleich zu Escitalopram bei komorbiden TIC-Störungen.61
Eine kombinierte Gabe von MPH und Fluoxetin verringerte bei Ratten Angstzustände und depressionsähnlichen Verhaltensweisen deutlich stärker als eines der beiden Medikamente allein.63
Fluoxetin soll das einzige SSRI mit einer antriebssteigernden Wirkung sein. Als Monotherapie scheint es zur Behandlung von ADHS nicht geeignet. ⇒ Fluoxetin bei ADHS
Eine gemeinsame Gabe von MPH und Fluoxetin an jugendliche Ratten bewirkte eine erhöhte Sensitivität auf Belohnungsreize (was bei ADHS positiv sein dürfte) und eine erhöhte Ängstlichkeit und Stressempfindlichkeit (was bei ADHS nachteilig wäre) bei erwachsenen Tieren.64 Es wurden jedoch gesunde Tiere und keine ADHS-Modelltiere getestet.
3.4.2.3.6. Selegilin und Lisdexamfetamin bei komorbider Depression¶
Eine Studie berichtet von einer erfolgreichen Komedikation von Selegilin und Lisdexamfetamin (Elvanse) bei ADHS und komorbider Depression.65 Eine weitere Studie zur Komedikation von Stimulanzien und MAO-Hemmern bei Depression fand keine dabei entstehenden Probleme.66
Somit kann auch eine Kombinationsmedikation von Selegilin mit Stimulanzien bei ADHS in Betracht gezogen werden.
3.4.2.3.7. Duloxetin und Stimulanzien bei komorbider Depression¶
Positive Erfahrungen wurden berichtet von Stimulanzien plus Duloxetin 30 mg / Tag bei leichter bis mittelschwerer Depression50
3.4.2.3.8. Venlaflaxin und Stimulanzien bei komorbider Depression¶
Positive Erfahrungen wurden berichtet von Stimulanzien plus Venlafaxin 18,75 bis 150mg / Tag bei leichter bis mittelschwerer Depression50
Wir kennen viele Berichte von massiven Absetzerscheinungen bei Venlaflaxin. Das Absetzen gelang zuweilen gar nicht oder dauerte ein halbes Jahr, bei zugleich massiven Nebenwirkungen. Vor diesem Hintergrund sollte Venlaflaxin als eines der letzten letztes Antidepressivum in Betracht gezogen werden.
3.4.2.3.9. MAO-Hemmer und Stimulanzien bei komorbider Depression¶
Eine Studie zur Komedikation von Stimulanzien und MAO-Hemmern bei Depression fand keine dabei entstehenden Probleme,66 entgegen der häufig angenommenen Problematik von Blutdruckkrisen.
3.4.2.3.10. Komorbide Depressionen mit speziellen Ausprägungen¶
3.4.2.3.10.1. Komorbide Depression mit Konzentrations- und Antriebsstörungen¶
Bei komorbider Depression mit Konzentrations- und Antriebsstörungen soll erfahrungsgemäß hilfreich sein:
MPH zusammen mit einem Stimmungsstabilisator erhöht das Risiko eines manischen Wechsels oder psychotischer Symptome nicht. Sind Stimulanzien unwirksam oder werden diese schlecht vertragen, scheint Atomoxetin eine Option zu sein.44
Stimulanzien können bei Kindern und Jugendlichen komorbider mit bipolarer Störung sicher eingesetzt werden, wenn die manischen/hypomanischen Symptome wirksam mit einem Stimmungsstabilisator behandelt werden.39
Eine Metaanalyse von k = 5 Studien mit n = 1.653 Datensätzen fand für Stimulanzien Bipolar im Vergleich zu Placebo keinen Anstieg der Werte auf der Young Mania Rating Scale bei Patienten, die sich in einem euthymen oder depressiven Zustand befanden (SMD -0,17). Die Studienergebnisse waren in hohem Maße heterogen und eine qualitative Synthese der Studien zeigte ein begrenztes Risiko für medikamenteninduzierte manische Symptome.68
Bei Bipolarer Störung und starken Affektschwankungen soll hilfreich sein:
Bei komorbider bipolarer Störung mit gereizter Depression wurden gute Erfahrungen berichtet von
- Aripiprazol 5 bis 15 mg Tag50
- Lamotrigin (wichtig: langsam aufzudosieren)50
Eine Analyse der durch Elvanse adressierten Proteine zeigte Hinweise, dass Elvanse auch bei der Behandlung von bipolarer Störung positiv mitwirken könnte.42
Eine vergleichende Wirksamkeitsstudie an N = 22.601 Betroffenen von Emotional-Instabiler Persönlichkeitsstörung mit komorbidem ADHS zeigte, dass ADHS-Medikamente die einzige Medikamentengruppe waren, die das Suizidalitätsrisiko signifikant verringerten.69
Valproat (250 mg bis 500 mg) verbesserte bei 50 % von Borderline-Betroffenen moderat die Symptome der Reizbarkeit, Wut, Angst, Rejection Sensitivity und Impulsivität. Die Ergebnisse variierten von Betroffenem zu Betroffenem sehr.38
3.4.6. Disruptive Mood Dysregulation Disorder (DMDD) komorbid zu ADHS¶
DMDD ist durch eine dauerhafte starke Reizbarkeit und hohe Impulsivität gekennzeichnet. ADHS tritt häufig komorbid auf.
Eine Studie fand eine positive Wirkung einer Kombinationstherapie von Aripiprazol und Methylphenidat Kindern mit komorbider DMDD und ADHS. Erhöhte Nebenwirkungen fanden sich nicht.70
Mehrere atypische Antipsychotika, insbesondere Risperidon, verbesserten Aggressionen wirksam. Einige Studien zeigten (entgegen der Warnung der FDA, wonach Stimulanzien Aggressionen verschlimmern könnten), dass Stimulanzien ebenso wie Antipsychotika Aggressionen, speziell bei hyperaktiven Kindern, wirksam verbesserten.71
Stimulanzien, die das ADHS verbessern, verbessern häufig auch Aggression und störendes Verhalten aus komorbider oppositioneller Trotzstörung, Verhaltensstörung, Störung der Stimmungsregulation oder ASS.39 In einer Studie mit schneller Titration von MPH an n = 155 Jungen von 6 bis 12 Jahren mit ADHS und komorbider CD zeigten 2/3 der Probanden eine Remission der Aggressionssymptome (R-MOAS-Score <18) nach durchschnittlich 75 Tagen Stimulanzienbehandlung.
Eine Kombinationsbehandlung mit (niedrig dosierten) Antipsychotika und Psychostimulanzien kann insbesondere bei komorbider Aggressivität hilfreich sein, wenn eine Monotherapie mit Stimulanzien und eine Kombination von Stimulanzien mit verhaltenstherapeutischen Interventionen zur Behandlung von Aggressionen nicht ausreichend waren.72 Verschiedene Expertengremien kamen zu dem Ergebnis, dass wenn komorbid zum ADHS bestehende Aggression (nicht: aus Stimulanzien folgende Aggression) durch die Verschreibung von Stimulanzien nicht ausreichend verbessert werden, die gleichzeitige Einnahme von atypischen Antipsychotika angezeigt ist, bei vorsichtiger Eindosierung.7374
Zur Komedikation von Antipsychotika und Psychostimulanzien siehe auch oben unter Gewichtsverlust.
Bipolare Störungen, intermittierende explosive Störungen und früh einsetzende Psychosen ohne komorbides ADHS zeigen auf Stimulanzien häufiger eine behandlungsbedingten Manie, Psychose oder ihr explosives Verhaltens kann aggressiver werden. Stimulanzien sind daher nur bei bestehendem ADHS hilfreich, um Aggressionen zu verringern.39
3.4.8. Oppositionelles Trotzverhalten komorbid zu ADHS¶
Eine Metaanalyse von k = 28 Studien fand, dass Stimulanzien auf aggressive Verhaltensweisen bei ADHS ähnlich gute Verbesserungen zeigten wie auf die ADHS-Kernsymptome selbst. Bei aggressiven Verhaltensweisen ohne komorbides ADHS war die Wirkung von Stimulanzien etwas schlechter.75 Dabei war MPH7677 ebenso hilfreich wie AMP23.
Bei komorbidem oppositionellem Trotzverhalten soll Atomoxetin hilfreich sein.4478 Eine Studie fand jedoch nur eine Effektstärke von 0,39 auf Oppositionelles Trotzverhalten, wobei höhere Dosen hilfreicher waren als bei ADHS ohne Komorbidität79, zwei Studien fanden keine Wirksamkeit.8023
Bei komorbidem ODD und ADHS erwies sich eine Kombinationsbehandlung mit Risperidon und MPH als hilfreich81, ebenso bei komorbider Verhaltensstörung (CD).82
Effektstärke verschiedener Medikamente auf ODD im Vergleich zu Placebo:83
0,85 Stimulanzien (k = 6, n = 545)
0,43 Guanfacin (k = 2, n = 678)
0,33 Atomoxetin (k = 15, n = 1.907)
0,27 Clonidin (k = 3, n = 283)
3.4.9. Verhaltensstörung / Conduct disorder (CD) komorbid zu ADHS¶
Bei komorbider Conduct disorder soll Atomoxetin hilfreich sein.4484
Verhaltensstörung (Conduct disorder) wird daneben häufig behandelt mit:84
Antipsychotika
Antidepressiva wie Imipramin, Desipramin, SSRI
Lithium
Eine Studie fand bei Kindern und Jugendlichen, die in den Jahren 2005 bis 2013 eine Medikation mit Methylphenidat begannen, 67.595 Kinder, die eine Kombinationstherapie von MPH und Antipsychotika erhielten. Darunter war eine Kombination mit
Risperidon (72 %)
Pipamperon (15 %)
Tiaprid (8 %)
Ein Viertel der Nutzer einer Kombinationstherapie von MPH und Antipsychotika bekam diese nur einmalig verschrieben.
Die Anwendung der Kombinationen von MPH mit Risperidon und Tiaprid war häufig geeignet (> 72 %), die Anwendung der Kombination MPH-Pipamperon dagegen nur selten geeignet (< 15 %).85
Medikation bei Autismus-Spektrums-Störung und komorbidem ADHS:
Es wird häufig von einer erhöhten Empfindlichkeit auf Medikamente allgemein, auch in Bezug auf ADHS-Medikamente, bzw. einem verringerten Dosisbedarf berichtet. Teils sind die benötigten Dosen extrem gering.39
Stimulanzien
Kinder mit ASS und komorbidem ADHS berichteten (in % der Patienten):86
Unruhe:
47,4 % verbessert (insbesondere bei später diagnostizierten Kindern)
28,1 % verschlechtert (insbesondere durch retardiertes MPH)
Konzentration
56,1 % verbessert
15,8 verschlechtert
Schlaf
8,8 % verbessert
17,5 % verschlechtert
Sprache
86 % unverändert
12,25 % verschlechtert
1,75 % verbessert
andere Verhaltensänderungen
50,9 % unverändert
45,6 % negative Veränderungen
3,5 % positive Veränderungen
MPH:
schlechtere Wirkung auf Hyperaktivität bei intellektueller Beeinträchtigung87
schlechtere Wirkung und schlechteres Nebenwirkungsniveau als bei ADHS ohne ASS88
MPH unter sorgfältiger Überwachung niedrig eindosieren (z.B. 0,3 mg/kg/Tag) mit niedrigen Zieldosen (z. B. 0,5 mg/kg/Tag)89
Empfindlichere Nebenwirkungsreaktionen auf Stimulanzien möglich, insbesondere Appetitlosigkeit und Schlaflosigkeit89
Elvanse
Mittel zweiter Wahl, falls MPH nicht wirkt oder unangemessene Nebenwirkungen zeigt. Auch hier niedrig eindosieren und mit niedrigerer Zieldosis rechnen89
Atomoxetin:
schlechtere Wirkung auf ADHS-Symptome bei gleichem Verträglichkeitsniveau8788
Guanfacin:
gleiche Wirkung auf Hyperaktivität bei intellektueller Beeinträchtigung, bei schlechterer Verträglichkeit87
gleiche Wirkung auf Hyperaktivität bei ASD wie bei TD88
Amitriptylin:
in einer Dosierung von etwa 1 mg/kg/Tag bei vorsichtiger Anwendung Wirksamkeit bei88
Schlaf, Angst, Impulsivität und ADHS, repetitivem Verhalten und Enuresis
Aripiprazol (off label) 2,5 mg (Startdosis) bis 10 mg67
Reine ASS-Medikation:
In den USA sind nur Risperidon und Aripiprazol von der FDA zur ASS-Behandlung zugelassen88
Risperidon
Hyperaktivität/Impulsivität bei Autismus oder mentaler Retardierung kann durch Stimulanzien wie durch Risperidon verbessert werden. Risperidon ist nicht allgemein für die Behandlung von ADHS zugelassen, könnte jedoch bei komorbidem Autismus in Betracht gezogen werden. Aufgrund des Potenzials für verstärkte Nebenwirkungen ist eine vorsichtige Dosierung für diese Symptomkombinationen erforderlich.18
Citalopram und Fluoxetin (SSRI):
schlechte Verträglichkeit und mangelnde Wirksamkeit bei repetitiven Verhaltensweisen88
Bei komorbider starker Reizoffenheit soll erfahrungsgemäß hilfreich sein:
Aripiprazol (off-label) Startdosis 2,5 mg, bis 10 mg67
Eine Studie berichtet von einer Verringerung von sensory over-responsivity (SOR durch hochdosiertes Vitamin B6 (100 mg / Tag)).90
100 mg / Tag ist die maximale noch unbedenkliche Dosis. Vor dem Hintergrund schwerwiegender Nebenwirkungen ist vor einer Einnahme ohne ärztliche Begleitung zu warnen.
Zugleich ist zu bedenken, dass eine B6-Vergiftung zu Neuropathien führen kann, die mit Einschränkungen der sensorischen Empfindsamkeit einhergehen kann.91
Tourette hat eine geschätzte Prävalenz von 0,52 % und tritt bei Jungen viermal häufiger auf als bei Mädchen. Jeder zweite Jugendliche mit Tourette leidet unter ADHS.92
Bei bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS und Tic-Störungen oder Tourette können Stimulanzien eine wirksame Behandlung darstellen. In der Regel werden Tics oder Tourette dadurch nicht verschlimmert, auch wenn es Einzelfälle gibt, bei denen dies anders ist.9339
Da Dextroamphetamin in hohen Dosen Tics bei manchen Kindern (zunächst) verschlimmern kann, sollte Methylphenidat bevorzugt werden.39 Wie immer empfiehlt sich eine langsame und kleinstufige Eindosierung, auch wenn diese mehr Geduld benötigt.
Laut einer Cochrane-Review sind MPH wie Dextroamphetamin für ADHS-betroffene Kinder und Jugendliche mit Tics wirksam. MPH verbesserte auch die Tics. Dosissteigerungen wurden jedoch aus Sorge vor einem erhöhten Tic-Risiko eingeschränkt.93 Krause berichten, dass sich bei einer Monotherapie mit Stimulanzien komorbide Tics zunächst verschlechtern können. Dies gebe sich jedoch meist binnen ca. 4 Wochen. Zudem könne eine langsame Aufdosierung und eine niedrige Dosierung hilfreich sein.14 Bei starkem ADHS und einer Historie einer Tic-Verschlechterung durch Stimulanzien ist es möglich, dass das Stimulans die Tics bei der erneuten Verabreichung nicht verschlimmert.94
Früher wurden für Jugendlichen mit Tourette oder chronischen Tic-Störungen von Stimulanzien abgeraten,95da in Fallberichten aus den 1970er Jahren bei Kindern, die wegen ADHS mit einem Stimulans behandelt wurden, Tics berichtet worden waren (insbesondere von motorischen Tics, z.B. Augenblinzeln, Knirschen mit der Nase, Lecken mit den Lippen).95
Eine Metaanalyse von k = 22 Studien mit n = 2.385 Kinder mit ADHS fand jedoch bei Jugendlichen ohne vorbestehende Tic-Störungen keine Verursachung von Tics durch Stimulanzien im Vergleich zu Placebo.94
Für folgende weitere Medikamente wurden positive Wirkungen auf Tics/Tourette beschrieben:
Eine Studie fand eine gute Verbesserung der ADHS-Symptomatik durch Selegilin bei Kindern mit ADHS und komorbider Ticstörung über einen Testzeitraum von mehr als 6 Monaten. Nur 2 der 29 Probanden berichteten eine Verschlimmerung der Tics. Die Nebenwirkungen waren gering.98
Eine andere Studie an 24 Kindern mit ADHS und komorbidem Tourette fand nur geringe Verbesserungen der ADHS-Symptomatik bei zugleich hoher Abbruchquote der Teilnehmer.99
Clonidin
wirkte bei Kindern mit ADHS und komorbiden Ticstörungen besser als Methylphenidat mit Halperidol.100
Eine Analyse der durch Elvanse adressierten Proteine zeigte Hinweise, dass Elvanse auch bei der Behandlung von Tic-Störungen positiv mitwirken könnte.42
Barkley berichtet in einem Vortrag von Vorteilen einer Kombination von Stimulanzien und Guanfacin (welches bei komorbiden Tics hilfreich sei), um der durch Stimulanzien verursachte Dämpfung des limbischen Systems und der damit einhergehenden verringerten Emotionswahrnehmung zu begegnen.101
Für Ticstörungen ohne ADHS scheinen Antipsychotika eine höhere Effektstärke aufzuweisen.97
Atomoxetin zeigte positive Effekte auf zwanghafte Verhaltensweisen.102
Ein Bericht über 2 Kinder mit Zwang und AD(H)D (9 und 10 Jahre) deutete eine positive Wirkung einer Kombination aus Verhaltenstherapie, Sertralin und Guanfacin an.103
Positive Erfahrungen bei komorbider Zwangsstörung wurden berichtet mit Sertralin 50 bis 100 mg / Tag.50
3.4.14. Schizophrenie und Psychose komorbid zu ADHS¶
Eine Einnahme von Stimulanzien oder Atomoxetin verringerte das Risiko einer psychose-bedingten Krankenhauseinweisung in den 12 Monaten nach Einführung dieser Medikamente um 2/3 (HR = 0,36), wenn diese in Kombination mit Antipsychotika eingenommen wurden.104
Eine schwedische Kohortenstudie fand bei Jugendlichen ohne Psychose in der Vorgeschichte (Altersschnitt 17 Jahre) in den 12 Wochen nach MPH-Behandlungs-Beginn eine sehr geringe Zunahme des Psychoserisikos um 4 % im Vergleich zu den 12 Wochen vor Behandlungsbeginn.105
Ein Risikofaktor für eine durch Stimulanzien ausgelöste Psychose sind dagegen:39
Schizophrenie
bipolare Störungen
andere psychiatrische Erkrankungen mit psychotischen Merkmalen in der Kindheit
Durch Stimulantien ausgelöste psychotische Symptome verschwinden nach Absetzen des Stimulans bei 92 % der Patienten ohne Erforderlichkeit einer antipsychotischen Behandlung.106
Bei komorbiden psychotischen Symptomen soll erfahrungsgemäß hilfreich sein:
Quetiapin, Amisulprid, auch unterhalb der üblichen Dosierung67
3.4.15. Substanzmissbrauch / Sucht komorbid zu ADHS¶
Dass Stimulanzien bei ADHS das Suchtrisiko nicht erhöhen,107 sondern während der Einnahme deutlich verringern, ist laut dem aktualisierten europäischen Konsensus zur Diagnose und Behandlung von ADHS bei Erwachsenen von 201856. Suchmittelkonsum war während der Medikation mit Stimulanzien um rund 35 % niedriger als in der unmedikamentierten Zeit.108 Eine Metaanalyse über k = 6 Studien mit n = 1014 Probanden ergab für die mit Stimulanzien (hier: MPH) medikamentierten Teilnehmer ein signifikant verringertes Risiko einer späteren Sucht.109 Das Risiko einer späteren Sucht, sei es durch Alkohol oder andere Substanzen, ist danach um das 1,9-fache geringer.110.
Methylphenidat wird inzwischen als Behandlungsoption bei Suchstörungen betrachtet.111 Ein Case-Report berichtet beispielhaft die Wirkung von Lisdexamfetamin bei einem ehemals Süchtigen.112
Ein früherer Substanzmissbrauch ist daher normalerweise keine Kontraindikation für Stimulanzien.113
Bei akutem komorbidem Amphetamin-Substanzmissbrauch ist Atomoxetin aufgrund der geringeren Missbrauchsgefahr vorteilhaft.44
Lisdexamfetamin (Elvanse) bewirkt auch bei verordnungswidriger intranasler (schnupfen)114 oder intravenöser (spritzen)115 Einnahme gleichartige D-Amp-Spiegel wie bei oraler Einnahme. Die Wirkung war ungefähr gleich, bei leicht erhöhten Nebenwirkungen. Es ergab sich keine Rauschwirkung. Dies zeigt, dass das Missbrauchsrisiko von Lisdexamfetamin sehr niedrig ist.
Eine Studie verglich das Missbrauchspotenzial von oralen Einzeldosen von Lisdexamfetamin (LDX) 50, 100 (entspricht 40 mg d-Amp) und 150 mg, 40 mg d-Amphetamin und 200 mg Diethylpropion bei 36 Personen mit früherem Stimulanzienmissbrauch. Bei der Messung der Missbrauchsanfälligkeit mittels der Drug Rating Questionnaire-Subject Liking Scale zeigte Lisdexamfetamin bei 50 mg und 100 mg keine signifikante Erhöhung im Vergleich zu Placebo (2,1), bei 150 mg jedoch eine signifikante Erhöhung (6,1). D-Amphetamin und Diethylpropion zeigten mit 4,0 bzw. 4,5 signifikant erhöhte Werte zeigten. Die Probanden bevorzugten 40 mg D-Amp gegenüber 100 mg LDX, während 150 mg LDX und 40 mg D-Amp gleichauf lagen.116
Bei akutem THC oder Alkohol-Substanzmissbrauch ohne akute Amphetamin-Sucht halten wir das Risiko, dass ein Betroffener versucht, verschriebene Stimulanzien als Droge zu missbrauchen, für sehr gering.
Bei einem Entzug von dopaminergen Drogen (auch Alkohol) kann eine Stimulanziengabe helfen, die Entzugssymptome abzulindern und dem Rückfall vorzubeugen.
Eine Analyse der durch Elvanse adressierten Proteine zeigte Hinweise, dass Elvanse auch bei der Behandlung von Binge Eating positiv mitwirken könnte.42
In den USA ist Elvanse zur Behandlung von Binge Eating bei Erwachsenen zugelassen. Bei 50 bis 70 mg täglich über 11 Wochen verringerte es den Schweregrad und die Häufigkeit der Essanfälle.39
Lisdexamfetamin wurde bei Kindern und Jugendlichen mit BED zwar nicht systematisch untersucht, eine retrospektive Übersichtsarbeit (N = 25; 12-19 Jahre) deutet jedoch auf einen gewissen Nutzen bei selbstberichteten Essanfallssymptomen hin.30 In den Leitlinien für die Behandlung von Essstörungen finden sich derzeit keine spezifischen Empfehlungen für den Einsatz von Lisdexamfetamin bei Kindern und Jugendlichen mit BED, da es an belastbaren Daten fehlt. Ausgehend von der klinischen Praxis kann Lisdexamfetamin bei Jugendlichen mit mittelschwerer bis schwerer BED und gleichzeitiger ADHS ohne klinisch signifikante kardiale Vorgeschichte in Verbindung mit einer anderen unterstützenden ED-Behandlung (z. B. kognitive Verhaltenstherapie) in Betracht gezogen werden.3,31
Eine Metastudie berichtete, dass fast alle Studien eine positive Wirkung von Stimulanzien auf das Essverhalten bei Bulimie berichteten.117 Gleichwohl bestehen jedoch Sicherheitsbedenken aufgrund fehlender Daten zum Einsatz bei Kindern und Jugendlichen mit Bulimie.39
Bei Kindern und Jugendlichen mit Bulimie wurde in Bezug auf Stimulanzien berichtet:
kardiovaskuläre Komplikationen im Zusammenhang mit Dehydrierung und Elektrolyt-Ungleichgewichten als Folge von Purging
selbst herbeigeführtes Erbrechen und Missbrauch von Abführmitteln
orthostasebedingte Tachykardie und erhöhter Blutdruck bei der Einnahme von Stimulanzien
Eine Behandlung mit Stimulanzien gegen ADHS-Symptome bei komorbider Bulimie ist denkbar, wenn:39
Bei Kindern und Jugendlichen mit Anorexie nervosa sollten Stimulanzien vermieden werden. Es bestehen verschiedene Risiken:118
zusätzliche Appetitunterdrückung
zusätzlicher Gewichtsverlust
Verschlimmerung des restriktiven Essverhaltens
Erhöhung kardiovaskulärer Risiken einschließlich Kardiomyopathie (z. B. Hypertrophie) bei stark unterernährten Kindern
Bei abgeklungener Anorexie kann eine Behandlung von ADHS-Symptomen mit Stimulanzien unter erhöhter Beobachtung von Appetit, Gewicht und Essverhalten erwogen werden.39
Chronische Schmerzen sind eine bei ADHS überhäufige Komorbidität
Stimulanzien wie auch Atomoxetin119 können bei ADHS-Betroffenen auch die chronischen Schmerzen verringern.
Duloxetin lindert komorbide Enuresis (Bettnässen) und stimulanzieninduzierte Dysphorie bei ADHS. Ein Einzelfallbericht notierte eine Linderung einer komorbiden Enuresis (Einnässen), einer durch Stimulanzien verursachten Dysphorie und eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten bei einem Jugendlichen mit ADHS.120
Atomoxetin veranderthalbfachte die Anzahl der trockenen Nächte.121
ADHS-Betroffene leiden häufig an Schlafproblemen. Stimulanzien können Schlafprobleme verbessern (viele Betroffene berichten, dass sie seit der Einnahme von Stimulanzien einen deutlich verbesserten Schlaf haben). Bei manchen Betroffenen (wir schätzen ca. 5 bis 10 %) können geringe Dosen (14/ bis 1/3 einer Tageseinzeldosis) unretardiertes MPH auch das Einschlafen verbessern.
Stimulanzien können aber auch Schlafprobleme verursachen. Meist handelt es sich um Eindosierungsnebenwirkungen, die innerhalb der ersten Wochen wieder verschwinden. Manchmal handelt es sich um eine Folge einer zu späten Einnahme oder einer zu langen Wirkdauer der Medikamente aufgrund eines verlangsamten Abbaus. Zu letzterem siehe unter Wirkung und Wirkdauer von ADHS-Medikamenten
Eine schwedische Kohortenstudie fand, dass zwei Drittel der Jungen und die Hälfte der Mädchen, die Melatonin erhielten, auch ADHS-Medikamente erhielten122, was auf eine hohe Wirksamkeit von Melatonin bei ADHS-bezogenen Schlafproblemen hindeutet.
Mehr zu Melatonin als Medikament zur Behandlung von Schlafproblemen bei ADHS unter Melatonin bei ADHS
Eine Betroffene berichtete uns gute Erfahrungen mit einer Einnahme von Guanfacin ca. 5 Stunden vor dem Schlafengehen. Müdigkeit ist eine häufige Nebenwirkung von Guanfacin, Guanfacin ist ein Pegelmedikament und wirkt fast den ganzen Tag, sodass auch am nächsten Tag noch eine positive Wirkung auf die ADHS-Symptome vorliegen sollte.
Amitryptilin in einer Dosierung von etwa 1 mg/kg/Tag bei vorsichtiger Anwendung zeigte Verbesserung von Schlaf, Angst, Impulsivität und ADHS, repetitivem Verhalten und Enuresis.88
Wie bei allen serotonergen Antidepressiva sind Absetznebenwirkungen zu beachten und ein Ausschleichen zu empfehlen.
Eine Case-Study berichtet eine positive Wirkung von Buspiron auf einen durch Atomoxetin verursachten Bruxismus.123 ADHS-Medikamente können einen Bruxismus verstärken.
In einer Untersuchung verbesserte Atomoxetin bei CDS / SCT 7 von 9 Symptomen des Kiddie-Sluggish Cognitive Tempo Interview (K-SCT) signifikant. Die Symptomverbesserung bei SCT war völlig unabhängig von den ADHS-Symptomen.124
SCT-Betroffene sind zudem besonders häufig MPH-Nonresponder. Die Subtypen ADHS-HI und ADHS-I unterscheiden sich dagegen in der MPH-Respondingrate nicht.125
Als eines der wenigen nicht Histamin erhöhenden ADHS-Medikamente wird genannt:
Viloxazin
Viloxazin scheint an den Histaminrezeptoren H1 und H2 eine schwache kompetitive Hemmung auszuüben (< 25 %).126
Die meisten gängigen ADHS-Medikamente scheinen dagegen Histamin zu erhöhen. Dabei erhöhen einerseits die Wirkstoffe selbst Histamin. Zusätzlich können Beistoffe histaminerhöhend wirken:
Winkler berichtet, dass in Bezug auf die Beistoffe unter den ATX-Präparaten Agakalin bei Histaminintoleranz weniger nachteilig sein soll als Strattera129
die Histamin-Erhöhung scheint nicht durch eine Diaminoxidase-Hemmung zu erfolgen
MPH induzierte Diaminoxidase, was den Histaminabbau erhöht130
Winkler berichtet, dass in Bezug auf die Beistoffe unter den MPH-Präparaten Medikinet unretardiert und Kinecteen bei Histaminintoleranz weniger nachteilig sein sollen als Ritalin unretardiert, Medikinet retard, Medikinet adult, Ritalin LA, Ritalin adult und Concerta.129
die Histamin-Erhöhung scheint nicht durch eine Diaminoxidase-Hemmung zu erfolgen
Lisdexamfetamin bewirkte in Caco-2-Zellen eine starke Hochregulierung der DAO-mRNA-Spiegel, was den Histaminabbau erhöht130
Winkler berichtet, dass in Bezug auf die Beistoffe unter den AMP-Präparaten Attentin bei Histaminintoleranz weniger nachteilig sein soll als Elvanse129
Eine ADHS-Betroffene mit Histaminintoleranz berichtete, dass sie AMP und retardiertes MPH gar nicht vertrug, unretardiertes MPH in geringen Dosen jedoch tolerieren konnte.
Eine andere ADHS-Betroffene berichtete, dass sie ihre durch ADHS-Medikamente verursachte Histaminintoleranzreaktionen mit einer morgendlichen Einnahme von Cetirizin gut in den Griff bekommen habe.
Beistoffe in Medikamenten können Gluten enthalten.
Winkler berichtet, dass in Bezug auf die Beistoffe Medikinet unretardiert, Medikinet retard, Medikinet adult, Ritalin LA, Ritalin adult, Concerta, Kinecteen, Elvanse, Attentin, Strattera und Agakalin unbedenklich seien, während Ritalin unretardiert bei einer Glutenintoleranz problematisch sei.129
Beistoffe in Medikamenten können Laktose enthalten.
Winkler berichtet, dass in Bezug auf die Beistoffe Medikinet retard, Medikinet adult, Ritalin LA, Ritalin adult, Elvanse, Attentin, Strattera und Agakalin unbedenklich seien, während Ritalin unretardiert, Medikinet unretardiert, Concerta und Kinecteen bei einer Laktoseintoleranz problematisch seien.129
Beistoffe in Medikamenten können Fructose enthalten.
Winkler berichtet, dass in Bezug auf die Beistoffe Ritalin unretardiert, Medikinet unretardiert, Elvanse, Strattera und Agakalin unbedenklich seien, während Medikinet retard, Medikinet adult, Ritalin LA, Ritalin adult, Concerta, Kinecteen und Attentin bei einer Fructoseintoleranz problematisch seien.129
Beistoffe in Medikamenten können Sorbit enthalten.
Winkler berichtet, dass in Bezug auf die Beistoffe Ritalin unretardiert, Medikinet unretardiert, Medikinet retard, Medikinet adult, Ritalin LA, Ritalin adult, Concerta, Kinecteen, Elvanse, Strattera und Agakalin unbedenklich seien, während Attentin bei einer Sorbitintoleranz problematisch sei.129
Downsyndrom geht mit einer deutlich erhöhten ADHS-Prävalenz einher.
Eine Studie an n = 21 Down-Betroffenen mit ADHS berichtete bei Guanfacin eine Responderquote von 48 %. 43 % berichteten Nebenwirkungen, meist Tagesmüdigkeit (33 %) und Verstopfung (10 %).134
Bei emotionaler Instabilität ist Atomoxetin besonders geeignet.113
Stimulanzien (z.B. Methylphenidat) verbessern erfahrungsgemäß nicht nur Aufmerksamkeit und verringern Hyperaktivität und Impulsivität, sondern verbessern auch die emotionale Selbstregulierung, was zumindest teilweise Folge der verringerten Impulsivität sein kann.135136137138
Eine Studie fand keine Verbesserung der emotionalen Regulationsfähigkeit durch Stimulanzien.139
Nach unserem Eindruck ist bei moderater emptionaler Dysregulation eine ausreichende Verbesserung durch Stimulanzien möglich. Genügt die Wirkung von Stimulanzien nicht, sind Atomoxetin (oder Guanfacin) hilffeich, die besser auf emotionale Dysregulation wirken, jedoch die typischen ADHS-Symptome weniger gut abdecken.
Im Zweifel ist eine Kombinationsmedikation von Atomoxetin (oder Guanfacin) mit Stimulanzien (jeweils entsprechend niedriger dosiert) hilfreich, da ATX als Ganztagesmedikament dann helfen kann, das Sozialleben auch außerhalb der Wirkzeiten der Stimulanzien (Familienleben am Abend) zu verbessern, während die Stimulanzien tagsüber Antrieb und Aufmerksamkeitssteuerung verbessern. Wir vermuten, dass sich diese Kombinationsmedikationen in der Zukunft als Standardbehandlungen etablieren werden, auch wenn dies nochmals mehr Geduld und Feingefühl bei der Eindosierung erfordert.
Eine Behandlung mit α-2-Agonisten (Clonidin, Guanfacin) kann bei Bluthochdruck angezeigt sein.
Clonidin-IR wirkt dabei noch stärker hypotensiv (Blutdruck senkend) und bradykard (Puls senkend) als Clonidin-XR und Guanfacin-XR.140
Guanfacin-XR verlängerte die QTc.140
MPH wirkt weniger blutdrucksteigernd als Atomoxetin:
Atomoxetin bewirkt im Schnitt einen Anstieg des Pulses um 6,4 Schläge, Concerta um 3 Schläge, Plazebo um 0,3 Schläge.141
Der systolische Blutdruck nimmt bei Atomoxetin im Schnitt um 3,7 zu, bei Concerta um 2,4, bei Plazebo um 1,3.141
Der diastolische Blutdruck nimmt bei Atomoxetin im Schnitt um 3,8 zu, bei Concerta um 3,1, bei Plazebo um 0,4.141
Methylphenidat scheint bei Epilepsie die beste Option zur Behandlung von ADHS zu sein und ein geringes Risiko einer Verschlechterung von Krampfanfälllen zu haben.142143 Neben MPH ist auch eine Gabe von AMP oder Atomoxetin mit geringem Risiko möglich.144
Die Krampfneigung sollte gut behandelt sein, bevor eine Stimulanziengabe erfolgt.39
Epilepsie-Medikamente selbst können die Symptome von ADHS verschlechtern oder verbessern.
Eine Verschlechterung der ADHS-Symptome wurde für folgende Epilepsie-Medikamente berichtet:39
Valproat (hohe Evidenz einer Verschlechterung der Aufmerksamkeit)145146
Phenobarbital
Phenytoin
Topiramat
Zonisamid
Perampanel
Ethosuximid
Eine Verbesserung der ADHS-Symptome wurde für folgende Epilepsie-Medikamente berichtet:39
Lacosamid
Carbamazepin
Lamotrigin
Ob ADHS-Symptome verbessert oder verschlechtert werden, ist offen für:39
Hochbegabte sollen auf Amphetaminmedikamente besser ansprechen als auf MPH.147
Hochbegabung ist keine Komorbidität.
4.2. EEG: Alpha- und Beta- und Theta-Werte erhöht¶
Atomoxetin ungeeignet
Eine Studie untersuchte die EEG-Struktur von Atomoxetin-Respondern und -Nonrespondern. Danach wirkt Atomoxetin bei denjenigen besser, die eine erhöhte Alpha- und Delta-Power in frontalen und temporalen Bereichen haben und bei denen gleichzeitig keine Abweichungen im Beta- und Theta-Band auftreten. Atomoxetin-Nonresponder weisen dagegen eine verringerte absolute Power in allen EEG-Frequenzen oder eine erhöhte Alpha und gleichzeitig erhöhte Beta-Power auf. Atomoxetin bewirkte langfristig eine Normalisierung der überhöhten Alpha- und Delta-Werte, während diese bei Nonrespondern unverändert blieben. Bei gleichzeitig erhöhten Alpha-, Beta- und Theta-Werten erschien Atomoxetin ungeeignet.148
Bei erhöhter Alpha- und Delta-Power frontal und temporal und unveränderter Power im Beta- und Theta-Band soll Atomoxetin nicht ungeeignet sein. Dies trifft keine Aussage, ob Amphetaminmedikamente, MPH und Guanfacin aufgrund der höheren Effektstärke nicht vorzuziehen sind.
Beim Vorliegen eines COMT Met-158-met Polymorphismus sollen Amphetaminmedikamente ungeeignet sein.
Bei Trägern des COMT Val-158-Met Gen-Polymorphismus erhöhte Amthetamin die Effizienz der präfrontalen Kortexfunktion bei Probanden mit vermutlich geringem Dopaminspiegel im PFC. Bei Trägern des COMT Met-158-Met-Polymorphismus hatte Amphetamin dagegen keinen Effekt auf die kortikale Effizienz bei niedriger bis moderater Arbeitsgedächtnislast und verursachte eine Verschlechterung bei hoher Arbeitsspeicherlast. Individuen mit dem Met-158-Met-Polymorphismus scheinen ein erhöhtes Risiko für eine nachteilige Reaktion auf Amphetamin zu haben.149
5. Unterschiedliche Wirkungsweisen von ADHS-Medikamenten¶
5.1. Bindungsaffinität von MPH, AMP, ATX an DAT / NET / SERT¶
Die Wirkstoffe Methylphenidat (MPH), d-Amphetamin (d-AMP), l-Amphetamin (l-AMP) und Atomoxetin (ATX) binden mit unterschiedlicher Affinität an Dopamintransporter (DAT), Noradrenalintransporter (NET) und Serotonintransporter (SERT). Die Bindung bewirkt eine Hemmung der Aktivität der jeweiligen Transporter.150
Bindungsaffinität: stärker bei kleinerer Zahl (KD = Ki)
DAT
NET
SERT
MPH
34 - 200
339
> 10.000
d-AMP (Elvanse, Attentin)
34 - 41
23,3 - 38,9
3.830 - 11.000
l-AMP
138
30,1
57.000
ATX
1451 - 1600
2,6 - 5
48 - 77
5.2. Wirkung von MPH, AMP, ATX auf Dopamin / Noradrenalin je Gehirnregion¶
Die Wirkstoffe Methylphenidat (MPH), d-Amphetamin (AMP) und Atomoxetin (ATX) verändern extrazelluläres Dopamin (DA) und Noradrenalin (NE) in verschiedenen Gehirnregionen unterschiedlich stark. Tabelle basierend auf Madras,150 modifiziert.
PFC
Striatum
Nucleus accumbens
Cortex okzipital
Hypothalamus lateral
Hippocampus dorsal
Cerebellum
MPH
DA + NE (+)
DA + NE +/- 0
DA + NE +/- 0
AMP
DA + NE +
DA + NE +/- 0
DA + NE +/- 0
ATX
DA + NE +
DA +/- 0 NE +/- 0
DA +/- 0 NE +/- 0
DA +/- 0 NE + (Ratte)
DA +/- 0 NE + (Ratte)
DA +/- 0 NE + (Ratte)
DA +/- 0 NE + (Ratte)
Hinweis: der NET bindet Dopamin im PFC etwas besser als Noradrenalin, der DAT bindet Dopamin sehr viel besser als Noradrenalin.
Gleichwohl erhöht Atomoxetin Dopamin nur im PFC und nicht überall, wo es an den NET bindet, sodass hier eine spezieller Wirkmechanismus vorzuliegen scheint.