Lediglich theoretisch ist die Arzneimittelkonzentration proportional zur verabreichten Arzneimitteldosis. In der allgemeinen pharmakologischen Praxis zeigen sich hohe interindividuelle Unterschiede um den Faktor 8 bis 30.
Für die Findung der individuell passenden Dosis eines Medikaments sind Daten aus Zulassungsstudien wenig hilfreich. In diesen wird nur der Dosis-Effekt-Zusammenhang untersucht, nicht aber die Medikamentenkonzentration. In Fachinformationen, Beipackzetteln und Lehrbüchern angegebene Dosierungen für ein Medikament beziehen sich auf den Durchschnitt der gesamten Population der Betroffenen. Diese Angabe ist als Anhaltspunkt durchaus hilfreich, darf jedoch für den individuellen Betroffenen nicht als Maß der Dinge betrachtet werden, die sich in vielfältiger Weise unterscheiden:
- Geschlecht
- Größe
- Gewicht
- Alter
- Compliance
- Leber und Nierenerkrankungen
- Komorbiditäten
- Wechselwirkungen
- pharmakokinetische ((andere) Arzneimittel)
- xenobiotische (Ernährung)
- Drogen (Nikoton, Alkohol, Koffein, Rauschdrogen)
- Genetik
- Metabilisierungsgenvarianten
Pharmakologie umfasst die Bereiche der Pharmakodynamik (was macht ein Wirkstoff mit dem Körper) und der Pharmakokinetik (was macht der Körper mit dem Wirkstoff).
Die wichtigsten Prozesse der Pharmakokinetik sind:
- Aufnahme (Resorption)
- Bioverfügbarkeit
- Verteilung (Distribution)
- Abbau (Metabolismus)
- Ausscheidung (Exkretion)
Daneben ist weiter die Freisetzung (Liberation) des Arzneimittelwirkstoffs relevant.
In Bezug auf ADHS-Medikamente und ihre Anwendung und Wirkung gibt es nur wenige allgemeingültige Daten. Während die Herstellerangaben zur Wirkdauer von Methylphenidat einigermaßen realistisch und Abweichungen eher individueller Natur sind, wird die angegebene Wirkdauer von Elvanse nur von einer kleinen Gruppe von Betroffenen erreicht.
Bei ADHS müssen Medikamente jedoch ohnehin stets in besonderem Maße individuell ausgetestet und angepasst werden.
Dieser Beitrag widmet sich den Faktoren, die die Response und der Medikamentenwirkdauer einer Einzeldosis bei ADHS-Medikamenten individuell beeinflussen.
Blutspiegelwerte sind zwar ein wichtiger Faktor zur Messung einer Wirkstoffdosierung, kann jedoch Faktoren wie u.a. die Blut-Hirn-Schranken-Gängigkeit oder die Rezeptoraktivität nicht messen, sodass auch dieser Wert kein objektives Kriterium für eine Medikamentenwirkung darstellen kann.
1. Wirkdauer von Wirkstoffen und Präparaten bei ADHS¶
1.1. Herstellerangaben der Wirkdauer¶
Die Angaben für in den USA erhältliche Medikamente stammen von Rodden. Dia Angaben in der Tabelle geben Mittelwerte wieder, sofern nicht anders vermerkt.
Die tatsächliche Wirkdauer ist individuell verschieden und hängt stark vom Stoffwechsel des jeweils Betroffenen ab. Ca. 5 % der Betroffenen sind Superschnellverstoffwechsler. Bei diesen kann aufgrund erhöhter CES1-Aktivität die Wirkung von unretardiertem MPH auch nur 1 Stunde oder die eines Halbtagesretardpräparates anstatt 5 bis 6 Stunden auch nur 1,5 oder 2 Stunden andauern. Ebenso, wenn auch offenbar seltener, gibt es Betroffene, bei denen ein Präparat wesentlich länger wirkt.
Zum Metabolismus von Methylphenidat und Amphetaminmedikamenten siehe unten. Dort finden sich auch ausführlichere Angaben zur Pharmakokinetik, z.B. Geschwindigkeit der Wirkung und Verteilung der Wirkkurve.
Gerade bei Halbtagesretardpräparaten wird für eine Tagesabdeckung in aller Regel zur Mittagszeit eine zweite Medikamentendosis benötigt, die regelmäßig niedriger dosiert ist.
Eine nur halbtägige Behandlung ist nicht sinnvoll. ADHS ist keine Vormittagsstörung.
Methylphenidat-Präparate |
Wirkstoff |
typische Wirkdauer in Stunden (lt. Hersteller) |
retardiert |
Land |
Ritalin, Methylphenidat HEXAL, Methylpheni TAD unretardiert, Medikinet unretardiert, Methylphenidat Generika |
Methylphenidat |
2,5 - 3,5; 3 - 4; 3,06 Stunden (2,5 bis 3,875 / 1. Quartil bis 3. Quartil) |
unretardiert |
EU, USA |
Methylin Liquid |
Methylphenidat |
3 - 4 |
unretardiert |
USA |
Ritalin SR |
Methylphenidat |
5–8 Stunden Wirkzeit theoretisch, 3–5 Stunden Wirkzeit praktisch, 8 |
kontinuierliche Freisetzung |
EU |
Focalin |
Dexmethylphenidat |
4 - 6 |
unretardiert |
CH, USA |
Equasym Retard/XL |
Methylphenidat |
6 - 8 / 8 |
Zwei-Phasen-Retardierung |
EU |
Medikinet adult (Erwachsene), Medikinet retard (Kinder) (bioäquivalent) |
Methylphenidat |
6 - 8; 4,65 Stunden (4,0 bis 5,0 / 1. Quartil bis 3. Quartil) |
Zwei-Phasen-Retardierung |
EU |
Ritalin LA, Ritalin Adult (bioäquivalent) |
Methylphenidat |
6 - 8 / 8 ; 4,6 Stunden (3,38 bis 6,0 / 1. Quartil bis 3. Quartil) |
|
EU; USA nur Ritalin LA |
Methysym |
Methylphenidat |
bis zu 8 |
retardiert |
seit 01.06.2021 in D |
Metadate CD |
Methylphenidat |
8 - 10 |
retardiert |
USA |
Daytrana |
Methylphenidat |
10 (bei Tragezeit von 9 Stunden) |
Pflaster |
USA |
Concerta, Methylphenidathydrochlorid-neuraxpharm (bioäquivalent), Methylphenidat AL Retard (bioäquivalent) |
Methylphenidat |
8 - 12, 10 - 12, 12; 10,2 Stunden (7,5 bis 11,5 / 1. Quartil bis 3. Quartil) |
retardiert |
D, CH, USA |
Focalin XR |
Dexmethylphenidat |
8 - 12 |
retardiert |
CH, USA |
Methylphenidathydrochlorid Ratiopharm |
Methylphenidat |
12 |
retardiert |
EU |
Methylphenidathydrochlorid Hexal |
Methylphenidat |
12 |
retardiert |
EU |
Kinecteen |
Methylphenidat |
12 |
retardiert |
EU |
Aptensio XR |
Methylphenidat |
12 |
retardiert |
USA |
Cotempla XR-ODT |
Methylphenidat |
12 - 13 |
retardiert |
USA |
Quillichew ER |
Methylphenidat |
12 - 13 |
retardiert |
USA |
Quillivant XR |
Methylphenidat |
12 - 13 |
retardiert |
USA |
Jornay PM |
Methylphenidat |
12 - 14 |
retardiert |
USA |
Amphetamin-Präparate |
Wirkstoff |
Wirkdauer in Stunden (lt. Hersteller) |
retardiert |
Land |
Dexedrin |
Dextroamphetamin |
3 - 4 |
unretardiert |
USA |
ProCentra |
Dextroamphetamin |
3 - 6 |
unretardiert |
USA |
Zenzedi |
Dextroamphetamin |
3 - 6 |
unretardiert |
USA |
Desoxyn |
Methamphetamin |
4 - 6 |
unretardiert |
USA |
Adderall |
Amphetamin-Mischsalze |
4 - 6 |
unretardiert |
USA |
Evekeo |
Amphetamin-Sulfat |
4 - 6 |
unretardiert |
USA |
Attentin |
Dextroamphetamin |
5 - 6 |
unretardiert |
Deutschland, seit Ende 2011 |
Dexamin |
Dextroamphetamin |
5 - 6 |
unretardiert |
Schweiz, als Magistralrezeptur |
Dexedrine ER |
Dextroamphetamin |
5 - 10 |
retardiert |
USA |
Adderall XR |
Amphetamin-Mischsalze |
10 - 12 |
retardiert |
USA |
Adzenys ER |
Amphetamin |
10 - 12 |
retardiert |
USA |
Adzenys XR-ODT |
Amphetamin |
10 - 12 |
retardiert |
USA |
Elvanse (Kinder), Elvanse adult (Erwachsene) |
Lisdexamfetamin |
13 (Kinder); 14 (Erwachsene) (in der Praxis teils deutlich niedrigere Werte); 8,53 Stunden (6,0 bis 10,0 / 1. Quartil bis 3. Quartil) |
Prodrug |
EU, USA |
Dyanavel XR |
Amphetamin |
13 |
retardiert |
USA |
Mydayis |
Amphetamin-Mischsalze |
14 - 16 |
retardiert |
USA |
Nichtstimulanzien |
Wirkstoff |
Wirkdauer in Stunden (lt. Hersteller) |
retardiert |
Land |
Strattera, Agakalin |
Atomoxetin |
ganztägig / individuell 8 bis 21 Stunden |
unretardiert |
USA |
Intuniv |
Guanfacin |
ganztägig; Spitzenkonzentration nach ca. 5 Stunden; Eliminationshalbwertszeit ca. 18 Stunden |
retardiert |
USA |
Der Verlauf der Wirkkurven unterscheidet sich je nach Präparat erheblich. |
|
|
|
|
1.2. Erfahrungswerte der Wirkdauer¶
1.2.1. Erfahrungswerte der Wirkdauer einer Einzeldosis Elvanse¶
Drei Onlineumfragen unter Betroffenen im deutschsprachigen adhs-forum.adxs.org (80 Teilnehmer), in einem englischsprachigen Subreddit zu Elvanse (467 Teilnehmer) sowie in der ADxS-Medikamentenwirkungsdauerumfrage (223 Teilnehmer für Elvanse, Stand 19.12.2023), wie lange eine Einzeldosis Elvanse bei ihnen wirke, ergaben:
Wirkdauer Einzeldosis Elvanse |
Teilnehmer (von 770) |
5 Stunden und weniger |
36,2 % |
6 bis 7 Stunden |
25,2 % |
8 bis 9 Stunden |
17,3 % |
10 bis 11 Stunden |
12,5 % |
12 Stunden und mehr |
8,8 % |
Die Verteilung in Richtung einer sehr viel kürzeren Wirkdauer als nach den Herstellerangaben von 10 bis 12 Stunden ist sehr deutlich. Bei über einem Drittel wirkt eine Einzeldosis nur bis zu 5 Stunden, bei insgesamt knapp zwei Dritteln 7 Stunden oder weniger. Nur 21,3 % der Betroffenen erreichen die vom Hersteller angegebene Wirkdauer von 10 bis 12 Stunden oder länger. Dies deckt sich zugleich mit den zahlreichen Berichten von Elvanse-Nutzern im Forum, die mehr als eine Einzeldosis am Tag benötigen. Manche Nutzer benötigen 3 Dosen (wobei die letzte Dosis meist niedriger ist als die vorangehenden).
Bei den Teilnehmern der ADxS-Medikamentenwirkungsdauerumfrage war die Höhe der Einzeldosis bei den n = 104 Nutzern mit einer Dosiswirkdauer von bis zu 7 Stunden mit 43,3 mg geringfügig größer als die Einzeldosis der n = 119 Nutzer mit einer Wirkdauer von 8 Stunden und mehr mit 40,7 mg. Die Werte unterschieden sich bei Erwachsenen nach Alter kaum.
Die Dosishöhe unterschied sich auch nicht signifikant nach Gewicht (bis 70 kg 40,4 mg, 71 bis 90 kg 42,1 mg, über 90 kg 44,4 mg).
Interessanterweise fanden sich auch mehrere Betroffene, bei denen nicht nur Elvanse/Vyvanse, sondern auch Methylphenidat sehr viel kürzer wirkt. Da Elvanse/Vyvanse und MPH von unterschiedlichen Enzymen verstoffwechselt werden, deutet dies auf andere Mechanismen als überaktive Enzym-Genvarianten hin, wie sie in diesem Beitrag ebenfalls erläutert werden.
1.2.2. Erfahrungswerte der Wirkdauer einer Einzeldosis MPH unretardiert¶
Unter den Teilnehmern der ADxS-Medikamentenwirkungsdauerumfrage (Stand 19.12.23) lag die Wirkdauer einer Einzeldosis unretardierten MPHs bei Einzeldosen von bis zu 12,5 mg (Schnitt: 9 mg) im Schnitt bei 2,95 Stunden (n = 20), bei Einzeldosen von 15 bis 20 mg (Schnitt: 18,75 mg) bei 3,43 Stunden (n = 8). Der Gesamtschnitt lag bei 3,18 Stunden und 14,8 mg.
1.2.3. Erfahrungswerte der Wirkdauer einer Einzeldosis MPH Halbtagesretard¶
Unter den Teilnehmern der ADxS-Medikamentenwirkungsdauerumfrage lag die Wirkdauer einer Einzeldosis halbtagesretardierten MPHs (Medikinet retard, Medikinet adult, Ritalin adult, Ritalin LA) bei 4,61 Stunden (n = 163). Die Einzeldosis lag im Schnitt bei 21,7 mg.
Wirkdauer Einzeldosis MPH Halbtagesretard |
Teilnehmer (von 163) |
bis 1 Stunde |
0,6 % |
> 1 bis 2 Stunden |
5,5 % |
> 2 bis 3 Stunden |
7,4 % |
> 3 bis 4 Stunden |
23,9 % |
> 4 bis 5 Stunden |
43,6 % |
6 bis 7 Stunden |
14,1 % |
8 Stunden und mehr |
4,9 % |
Damit berichten 67,7 % der Betroffenen eine Wirkdauer einer Einzeldosis von 3 bis 5 Stunden, 81,8 % eine Wirkdauer von 3 bis 7 Stunden. Die Ergebnisse sind damit deutlich konstanter und näher an den Herstellerangaben als bei Elvanse.
Medikinet retard und Medikinet adult (die bioidentisch sind) hatten einen Wirkdauerschnitt von 4,58 Stunden (n = 132) bei im Schnitt 20,64 mg, Ritalin adult und Ritalin LA (die ebenfalls bioidentisch sind) einen Wirkdauerschnitt von 4,74 Stunden (n = 31) bei im Schnitt 26,3 mg.
Im Folgenden erläutern wir die Einflussfaktoren, die die Dauer der Medikamentenwirkung (insbesondere bei ADHS-Medikamenten) individuell beeinflussen können.
2. Dosishöhe¶
Innerhalb einer Person wirken höhere Dosen von Amphetamin länger.
Die Wirkdauer von Methylphenidat-Präparaten ist dagegen dosisunabhängig.
3. Magen-Passage-Geschwindigkeit¶
Neben der Dünndarm-Passage-Geschwindigkeit spielt die Magenfunktion eine Rolle. Magenmotilität und Entleerungsrate beeinflussen, wie schnell eine Substanz den Dünndarm erreicht. So ist bei Paracetamol die Magenentleerung der geschwindigkeitsbestimmende Schritt für das Erscheinen der Substanz im Blutplasma. Eine verzögerte oder auch beschleunigte Magenentleerung kann somit die Kinetik oral aufgenommener Medikamente grundlegend beeinflussen, sodass z. B. die notwendigen Wirkspiegel nicht oder nur verzögert erreicht werden.
Im Alter nimmt die Dünndarmoberfläche und die Geschwindigkeit der Magenentleerung ab. Zugleich steigt der Magen-pH-Werts an. Gleichwohl haben diese Veränderungen meist keine Auswirkung auf die Arzneimitteladsorption.
Anticholinergika können die Bewegung von Arzneimitteln durch den Magen in den Dünndarm verlangsamen.
4. Dünndarm¶
4.1. Dünndarm-Länge¶
Bei Kindern ist der Dünndarm verkürzt, sodass eine verringerte Aufnahme durch den Dünndarm erfolgt.
4.2. Dünndarm-Passage-Geschwindigkeit¶
“Bei Arzneimitteln, die eingenommen werden, stellt die Passagezeit durch Magen und Dünndarm eine natürliche Obergrenze für die Wirkstofffreisetzung dar: Wenn die Tablette den Dünndarm verlassen hat, kann nichts mehr aufgenommen werden, die Freisetzung ist dadurch auf einen Zeitraum von etwa 8-10 Stunden begrenzt.”
Individuell kann sich diese Zeit unterscheiden, wie sich die Geschwindigkeit der Darmpassage unterscheidet. Dies dürfte der Grund sein, warum es vereinzelt Superschnellverstoffwechsler sind, die von einer Wirkdauer von Medikinet von 1 bis 2 Stunden und von Elvanse von 3 Stunden berichten. Diese berichten ebenso, dass sie sehr viel häufiger am Tag etwas essen müssen als andere.
Für eine (nicht nur im Durchschnitt) längere Wirkzeit als die Darmpassage bedarf es daher Mechanismen, die über die Aufnahme aus dem Dünndarm hinausgehen.
5. Säurehaushalt¶
pH-Wert kann - in Abhängigkeit von der Dauer der Säureaussetzung - beeinflussen:
- Löslichkeit von Wirkstoffen
- Stabilität von Wirkstoffen
Der übliche pH-Wert im Magen beträgt:
- nüchtern pH 1–2
- bei Nahrungsaufnahme ansteigend
- je nach Art und Menge auf bis zu pH 5–6
- danach Rückgang auf Ausgangswert
Der ph-Wert hat eine Spanne von 0 bis 14. Ein niederiger pH-Wert (<7) steht für sauer, ein hoher Wert für basisch.
Überschüssige Säuren werden durch Puffersysteme abgefangen, über die Atmung und die Nieren ausgeschieden
Lebensmittel mit hohem Anteil an tierischem Eiweiß bilden als Stoffwechselendprodukte Säuren:
Z.B. Fleisch, Fisch, Käse, Eier
Pflanzliche Nahrungsmittel bilden vorwiegend Basen.
Z.B. Obst, Gemüse, Blattsalate, Vollkornprodukte
Fette und Kohlenhydrate beeinflussen den Säure-Basen-Haushalt normalerweise nicht.
5.1. Säurehaushalt und Amphetaminmedikamente¶
Amphetaminmedikamente:
- verkürzte Wirkungsdauer durch hohen Urin-Säuregehalt (niedriger pH-Wert), z.B. durch
- Ascorbinsäure (Vitamin C)
- Thiaziddiuretika
- Tier-Eiweißreiche Ernährung
- Diabetes
- respiratorische Azidose
- verlängerte Wirkungsdauer durch niedrigen (alkalisierten) Urin-Säuregehalt (hoher pH-Wert), z.B. durch
- Natriumhydrogencarbonat
- Mineralwasser mit Bicarbonat
- Ernährung mit einem hohen Anteil an Obst, Gemüse, Vollkorn
- Harnwegsinfektionen
- Erbrechen
- Ernährungsumstellung z. B. von fleischhaltiger auf vegetarische Kost
- massive Einnahme von Mitteln zur Neutralisierung der Magensäure
Der pH-Wert des Urins hat sich als guter PRAL-Marker erwiesen. Ein alkalischer pH-Urin-Wert korreliert mit einer Ernährung mit negativem PRAL-Wert, während pH-Urin-Werte unter 6,0 mit einer säurebildenden Ernährung korreliert. Der Urin-pH-Wert kann mit einfachen pH-Wert-Teststreifen aus der Drogerie oder dem Internet selbst gemessen werden.
Dabei ist zwischen pflanzlichen und tierischen Proteinen zu unterscheiden. Nach 7 Tagen vegetarischer Ernährung steigt der pH-Urin-Wert an und der PRAL-Wert sinkt, ebenso bei 2 oder 3 Tagen vegetarischer Ernährung pro Woche. Vegetarische Ernährung korreliert damit mit einer verlängerten Amphetaminmedikamentenwirkung.
Lebensmittel mit hohem Oxalatgehalt können die Säurebildung erhöhen.
Eine Studie gibt als Berechnungsweg aus: PRAL (mEq/d) = 0.49 x Protein (g/d) + 0.037 x Phosphor (mg/d) - 0.021 x Kalium (mg/d) - 0.026 x Magnesium (mg/d) - 0.013 x Calcium (mg/d).
Mit anderen Worten: Lebensmittel mit einem stark negativen PRAL-Wert bewirken einen basischen (weniger sauren) Urin und fördern damit eine verlängerte Wirkung von Amphetaminmedikamenten. Lebensmittel mit einem hohen PRAL-Wert bewirken einen sauren Urin und fördern damit eine verkürzte Wirkung von Amphetaminmedikamenten. Nach diesem Modell ist Hartkäse geeignet, die Wirkung von Amphetaminmedikamenten abzukürzen, Rosinen könnten sie verlängern.
Lebensmittel (ungesüßt, unbehandelt) |
PRAL-Wert je 100 g (höher: Urin saurer) |
Rosinen |
-21,0 |
Trockenfeigen |
-18,1 |
Spinat |
-14,0 |
Petersilie |
-12,0 |
Spinat roh |
-11,8 |
Bitterschokolade |
-11,5 |
Kartoffeln |
-8,5 -4,0 gelagert -4,0 |
Grünkohl |
-8,0 |
Fenchel |
-7,9 |
Rucola |
-7,5 |
Bohnen |
unklar: -7,4 oder 1,1 |
Basilikum |
-7,3 |
Bananen |
unklar: -6,9 5,5 |
Feldsalat |
-6,6 |
Schwarze Johannisbeere |
-6,5 |
Karotten, roh |
-5,7 jung -4,9 |
Kiwi |
-5,6 -4,1 |
Schnittlauch |
-5,3 |
Sellerie |
-5,0 -5,2 |
Aprikosen |
-4,8 |
Karottensaft |
-4,8 |
Zucchini |
-4,6 |
Kopfsalat |
-4,3 -2,5 |
Pilze |
-4,2 -1,4 |
Tomaten |
-4,1 -3,1 |
Radieschen |
-3,7 |
Orangensaft |
-3,7 -2,9 |
Orangen |
-3,6 -2,7 |
Brokkoli |
-3,6 -1,2 |
Früchtetee |
-3,5 |
Grapefruit |
-3,2 -1,0 |
Grüne Bohnen |
-3,1 |
Kirschen |
-3,1 3,6 |
Mango |
-3,0 |
Soya |
-2,9 |
Birnen |
-2,9 |
Tomatensaft |
-2,8 |
Haselnüsse |
-2,8 |
Ananas |
-2,7 |
Erdbeeren |
-2,5 -2,2 |
Gurken |
-2,4 -0,8 |
Pfirsiche |
-2,4 |
Zitronen |
-2,3 Zitronensaft -2,5 |
Rotwein |
-2,2 -2,4 |
Spargel |
-2,2 |
Normale Spaghetti |
-2,2 6,5 8,0 |
Apfelsaft, ungesüßt |
-2,2 |
Chicoree |
-2,0 |
Wassermelone |
-2,0 -1,9 |
Zwiebeln |
-2,0 -1,5 |
Aubergine |
-2,0 -3,4 |
Äpfel |
-1,9 -2,2 |
Haselnüsse |
-1,9 |
Lauch |
-1,8 |
Apollinaris Mineralwasser |
-1,8 |
Eisbergsalat |
-1,6 |
Marmelade |
-1,5 |
Kaffee (Getränk) |
-1,4 |
Paprika, grün |
-1,4 |
Blumenkohl |
-1,3 -4,0 |
Milchschokolade |
-1,3 |
Weisswein |
-1,2 trocken, -1,2 |
Mineralwasser |
-0,8 |
Margarine |
-0,8 -0,5 |
Sojamilch |
-0,6 |
Trinkschokoladenmilch |
-0,6 -0,4 |
Spargel |
-0,4 |
Honig |
-0,3 |
Tofu |
-0,3 |
Indischer Tee (Getränk) |
-0,3 |
Grüner Tee |
-0,3 |
Fassbier |
-0,2 |
Sahne |
-0,2 |
Volvic Mineralwasser |
-0,1 |
Starkbier |
-0,1 |
Weisser Zucker |
-0,1 |
Olivenöl |
0 |
Sonnenblumenöl |
0 |
Butter |
0,1 0,6 |
Milch (Vollmilch, Magermilch) |
0,2 0,7 1,1 pasteurisierte H-Milch 0,7 |
Cola |
0,2 0,4 |
Buttermilch |
0,5 |
Milcheis |
0,6 |
Vollbier, hell |
0,9 |
Bohnen |
unklar: 1,1 oder -7,4 |
Erbsen |
1,2 |
Sauerrahm, frisch |
1,2 |
Fruchtjoghurt |
1,2 |
Naturjoghurt |
1,5 |
Reis, gekocht |
1,6 |
Weizenvollkornbrot |
1,8 |
Pistazien |
2,0 |
Mandeln |
2,0 |
Hühnereiweiss |
2,1 1,1 |
Linsen |
2,1 3,5 |
Reis, ungeschält |
2,3 |
Milchschokolade |
2,4 |
Kichererbsen |
2,6 |
Biscuit |
3,0 |
Roggenknäckebrot |
3,3 |
Madeirakuchen |
3,7 |
Weißbrot |
3,7 |
Weizenmischbrot |
3,8 |
Roggenmischbrot |
4,0 |
Roggenbrot |
4,1 |
Reis, geschält, roh |
4,5 4,6 |
Maistortilla |
4,8 |
Grfiechischer Yoghurt |
5,3 |
Bananen |
unklar: 5,5 -6,9 |
Schweinewurst |
5,8 |
Zwieback |
5,9 |
Roggenvollkornmehl |
5,9 |
Weissbrot |
6,0 |
Cornflakes |
6,0 |
Erdnüsse |
6,2 |
Eiernudeln |
6,4 |
Wiener Würstchen / Frankfurter Würstchen |
6,7 |
Walnüsse |
6,8 |
Schellfisch |
6,8 |
Weizenmehl, Auszug |
6,9 |
Hering |
7,0 |
Weizentortilla |
7,2 |
Vollkornspaghetti |
7,3 |
Dinkel (Grünkern, Vollkorn) |
7,5 |
Shrimps |
7,6 |
Hüttenkäse |
7,9 8,7 |
Fleisch |
8,0 |
Fisch |
8,0 |
Erdnüsse, ungesalzen |
8,3 |
Weizenmehl, Vollkorn |
8,4 |
Rumpsteak |
8,8 |
Hühnerei (Vollei) |
9,0 8,2 4,0 |
Kalbsfilet |
9,0 |
Truthahnfleisch |
9,9 |
Mittagsfleisch |
10,2 |
Leberwurst |
10,6 |
Haferflocken (Vollkorn) |
10,7 |
Forelle, braun, gedünstet |
10,8 |
Quark |
11,1 |
Salami |
11,6 |
Frischkäse |
12,4 |
Brauner Reis |
12,5 |
Rindfleisch |
12,5 mager 7,8 |
Garnelen |
13,2 |
Corned beef |
13,2 |
Nüsse |
13,8 |
Lachs |
14,0 |
Kalbsleber |
14,2 |
Schweinefleisch |
14,7 mager 7,9 |
Camembert |
15,0 14,6 |
Miesmuscheln |
15,2 |
Krabben |
15,5 |
Ölsardinen |
15,9 |
Hühnerfleisch |
16,5 8,7 |
Hühnereigelb |
18,1 23,4 |
Kabeljau |
19,8 Filet 7,1 |
Gouda |
20,0 18,6 |
Cheddar |
20,0 |
Emmentaler |
21,5 |
Parmesan |
21,4 34,2 |
Cheddar, fettarm |
26,4 |
5.2. Säurehaushalt und Methylphenidat¶
Medikinet retard, Medikinet adult:
Bei einem Magen-pH-Wert über 5,5 kann es bei Medikinet retard und Medikinet adult zu Dose-Dumping-Phänomenen kommen: Der Wirkstoff wird zu schnell freigesetzt und entfaltet dadurch erhöhte Wirkungen und Nebenwirkungen. Dies kann verursacht werden u.a. durch
- Protonenpumpenhemmer (z.B. Pantoprazol, Omeprazol)
- Antazida
- H2-Antagonisten (z.B. Ranitidin, Famotidin) (weniger wahrscheinlich)
- altersbedingte Erhöhung
- atrophische Gastritis
Ein Betroffener berichtete von einer kaum gegebener Wirkung von Medikinet von 20 bis 60 mg. Der zusätzliche Verzehr von trockenen Reiswaffeln führte zu einer zeitweiligen Wirkung, die nicht vorhersehbar war. Die zusätzliche Einnahme von Antazida (Magensäurehemmer) ergab eine zuverlässige Wirkung von MPH.
Ritalin adult:
Ritalin adult setzt MPH dagegen pH-unabhängig frei. Die Fachinformation nennt hier eine Resorptionsverminderung als wahrscheinliche Interaktion mit Antazida.
5.3. Säurehaushalt und Memantin¶
Memantin:
- Verlängerte Wirkung durch alkalisierten Urin
- Bei alkalischem Urin (hoher pH-Wert) kann die renale Eliminationsrate von Memantin um den Faktor 7 bis 9 reduziert sein.
6. Mechanische Wirkung von Nahrungsaufnahme¶
6.1. Nahrungsaufnahme als Voraussetzung für Retardwirkung bei Medikinet¶
Bei Medikinet adult und Medikinet retard ist eine vorhergehende oder gleichzeitige Nahrungsaufnahme Voraussetzung für die retardierte Wirkstofffreisetzung. Unterbleibt die Nahrungsaufnahme, wird das MPH doppelt so schnell freigesetzt. Die freigesetzte MPH-Dosis ist mithin in etwa verdoppelt und die Wirkdauer in etwa halbiert.
Andere Retardpräparate verwenden andere Mechanismen zur retardierten Wirkstofffreisetzung, die nicht auf eine gleichzeitige Nahrungsaufnahme angewiesen sind, wie z.B.
- Ritalin adult
- Ritalin LA
- Methysym
- Equasym Retard/XL
- Methylphenidathydrochlorid-neuraxpharm
- Kinecteen
- Methylphenidathydrochlorid Ratiopharm
- Methylphenidathydrochlorid Hexal
6.2. Nahrungsaufnahme beeinflusst Wirkdauer¶
Unabhängig von der Notwendigkeit für die retardierende Wirkung bei einigen MPH-Präparaten und unabhängig von der Beeinflussung des Urin-ph-Werts (in Bezug auf Amphetaminmedikamente) oder des Magen-ph-Werts (in Bezug auf MPH) beeinflussen bestimmte Formen der Nahrungsaufnahme die Wirkung und Wirkdauer von Stimulanzien auf eher mechanische Art und Weise.
Lisdexamfetamin (Elvanse) hat bei fettreichen Mahlzeiten einen um eine Stunde verzögerten maximalen Blutspiegel (4,7 Stunden anstatt 3,8 Stunden nach Einnahme). Andere Parameter, wie z.B. die Wirkungsdauer, ändern sich jedoch nicht.
Ein Betroffener berichtet:
“Ich nehme Medikinet adult durchgängig nun seit drei Monaten und habe auch lange gebraucht, meine richtige Einstellung zu finden. Neben der Dosis (bei mir 20-10-0) sind auch andere Bedingungen zur Nahrungsaufnahme bei mir wichtig gewesen. Zu viel Essen während der Einnahme ist bei mir problematisch, zu wenig auch. Und ich habe eine bessere Wirkung, wenn ich zur Einnahme etwas Kohlenhydratlastiges zu mir nehme.”
6.3. Nahrungsaufnahme verzögert AMP-Spiegel-Maximum¶
Lisdexamfetamin (Elvanse) hat bei fettreichen Mahlzeiten einen um eine Stunde verzögerten maximalen Blutspiegel (4,7 Stunden anstatt 3,8 Stunden nach Einnahme). Andere Parameter, wie z.B. die Wirkungsdauer, ändern sich jedoch nicht.
7. Körperliche Betätigung / Sport¶
Einzelne Betroffene berichten, dass intensiver Sport die Wirkdauer von Stimulanzien um bis zu 40 % verkürzen kann.
8. Nikotin / Rauchen¶
Mehrere Betroffene berichteten von einer Veränderung der Stimulanzienwirkung durch Rauchen.
Berichtet wurde (jeweils im Einzelfall als Besonderheit bei Stimulanzieneinnahme):
- Ein Betroffener berichtet:
- erhöhtes Nikotinverlangen 4h nach Elvanse-Einnahme
- nach der ersten Zigarette am Tag etwas antriebslos und Müdigkeitseintritt
- Ein Tag ohne Zigarette und nur mit Elvanse läuft ok bis auf die auftretende Unruhe durch Nikotinentzug, aber Motivation und Wirkung ist bis nachmittags/abends da
- Umstieg auf Nikotin-„Kaugummis“ statt zu rauchen/dampfen bewirkte deutlich höhere Ausgeglichenheit und keine Müdigkeit mehr mittags
- Eine Betroffene beschrieb eine medikamentenabhängige Wirkung:
- Elvanse + Nikotin: abgeschwächte Wirkung, negative Gefühle
-
MPH + Nikotin verstärkte Wirkung, Kick (zugleich größerer Abfall/Rebound)
- Eine Gelegenheitsraucherin:
- schon ein, zwei Zigaretten bewirken bereits, dass Elvanse und MPH nicht mehr richtig wirken
- es dauert dann einige Tage, bis sie wieder richtig wirken
- Normalerweise schlafe ich mit Elvanse mittlerweile gut. Wenn ich geraucht habe, schlafe ich schlechter.
- der Unterschied der Wirkung von Elvanse, wenn ich länger nicht geraucht habe, ist enorm
- Ein Betroffener:
- Wenn ich mich überfordere, bekomme ich Lust auf Rauchen, als Mittel zur Kompensation bzw. als Mittel, um mich weiter anzutreiben.
- Anfangs funktioniert das auch, nach ein paar Tagen schlägt es um. Ich werde energieloser und die Stimmung wird schlechter.
- Langfristig tut es mir nicht gut und verträgt sich nicht mit den Medikamenten. Die Wirkung wird schlechter und am Ende geht es mir schlechter
- Eine Dampferin:
- Nach der MPH-Einnahme bewirkt dampfen bei mir Müdigkeit und Kopfschmerzen
- Nikotin verstärkt die MPH-Wirkung
9. Alkohol¶
Alkohol kann den Amphetaminspiegel erhöhen.
10. Zyklus¶
Der weibliche Zyklus beeinflusst den Dopaminspiegel. Östrogen beeinflusst COMT, welches im PFC Dopamin abbaut.
Betroffene mit bestimmten COMT-Genvarianten sind besonders anfällig.
Je nach Zyklusphase kann die erforderliche Stimulanziendosis schwanken.
Bei der Eindosierung von Stimulanzien sollten Frauen unbedingt einen entsprechenden Beobachtungsbogen führen, um Zyklusschwankungen und Medikamentenwirkung zu erfassen. Nur so wird erkennbar, ob in bestimmten Zyklusphasen die Medikamentendosis verändert werden muss. Die Eindosierungshilfetabelle, die im Downloadbereich des adhs-forum.adxs.org kostenlos zur Verfügung steht, erleichtert die Erfassung von Medikamenteneinnahme, Symptomentwicklung und Zyklus.
11. Leberfunktion¶
11.1. Alter¶
Die hepatische Metabolisierung kann sich im Alter verlangsamen, unter anderem durch eine schlechtere Durchblutung der Leber.
Ein verringerter CYP-Metabolismus im Alter ist für folgende Psychopharmaka bekannt:
- Alprazolam (nur Männer)
- Chlordiazepoxid
- Desipramin (nur Männer)
- Diazepam
- Imipramin
- Nortriptylin
- Trazodon
- Triazolam (nur Männer)
Der Abbau verringert sich im Schnitt um 30 bis 40 %, jedoch individuell so unterschiedlich, dass wie bei der Eindosierung jeder Einzelfall zu betrachten ist.
11.2. Krankheiten¶
Erkrankungen der Leber können die Leberfunktionalität (stark) einschränken. Eine verringerte Eiweißsynthese in der Leber verringert automatisch die Plasmaproteinbindung, was den Abbau von Stoffen durch die Enzyme in der Leber abschwächt.
Bei einer Einschränkung der Gallensaftproduktion in der Leber wird die Ausscheidung großer Moleküle reduziert und der enterohepatische Kreislauf beeinträchtigt.
Herzinsuffizienz verminderter den Leberblutfluss.
11.3. First-Pass-Effekt¶
“Die Darmvenen werden über die Leber zum Herzen geführt, sodass ein im Darm resorbierter Stoff eine Leberpassage durchmacht, bevor er über große Hohlvene und Herz weiter verteilt werden kann. Falls ein Stoff diese erste Leberpassage nur in geringem Maße übersteht, spricht man von einem hohen First-Pass-Effekt. Ergebnis dieses Effektes ist, dass trotz guter Resorption nur kleine Mengen des Wirkstoffs systemisch zur Verfügung stehen. Durch den “First-pass-Effekt” können Substanzen schnell in der Leber verändert oder inaktiviert werden (präsystemische Elimination).”
Auch der First-Pass-Effekt unterliegt individuellen Unterschieden.
Ab dem 40. Lebensjahr nimmt der First-Pass-Effekt jährlich um rund 1 % ab, sodass bei gleicher Dosis bei Älteren die Blutserumwerte erhöht sind.
11.4. Rauchen¶
Rauchen kann die Metabolisierung durch Leberenzyme beeinflussen.
12. Renaler Blutfluss¶
Da Amphetamin über die Nieren ausgeschieden wird, spielt neben der Gesamtdosis auch der renale Blutfluss eine zwar geringe, aber messbare Rolle für die Wirkungsdauer.
Eine weitere Folge davon ist, dass sich der Amphetamin-Blutspiegel langsamer verändert und weniger anfällig für Rebound ist als bei Methylphenidat,
Die glomeruläre Filtrationsrate verringert sich ab dem 40. Lebensjahr im Schnitt um 8 ml/min/1,73 m²/Dekade (0,1 ml/s/m²/Dekade). Es bestehen erhebliche individuelle Unterschiede.
Die Serumkreatininspiegel bleiben im Alter trotz Abnahme der glomerulären Filtrationsrate oft im Normbereich, aufgrund verringerter Muskelmasse und verringerter körperlicher Aktivität, sodass der Serumkreatininspiegel im Alter nicht mehr die normale Nierenfunktion widerspiegelt. Der Abbau von durch die Niere ausgeschiedener Psychopharmaka ist im Alter verringert:
- Brexpiprazol
- Lurasidone
- Paliperidon
- Risperidon
13. Rezeptor-/Transporter-Sensibilität¶
Arzneiwirkstoffe können an Rezeptoren, Transporter, Ionenkanäle oder Enzyme binden und dort Wirkungen auslösen. Die Empfindlichkeit dieser Empfängerstrukturen beeinflusst die Wirksamkeit.
Die Empfindlichkeit der Empfängerstrukturen kann durch Varianten der d´sie codierenden Gene beeinflusst werden.
Beispiele:
- Eine Kombination von sechs Polymorphismen in Genen, die für die 5-HT2A-, 5-HT2C-, Histamin-H2-Rezeptoren und den SERT codieren, prognostizierte mit knapp 80 %-iger Wahrscheinlichkeit das Ansprechen auf Clozapin bei Schizophrenie
- Fehlende Wirkung von Tamoxifen beim Mammakarzinom bei fehlender Östrogenrezeptorexpression
- Bei ADHS-Medikamenten wird ein Einfluss des DAT-Gens auf die MPH-Response erörtert
- Bei ausreichendem D3-Blutspiegel können weniger sensible Rezeptoren gleichwohl einen D3-Mangel vermitteln
Daneben können Varianten von Genen, die für den Abbau von Neurotransmittern zuständig sind (hier: COMT in Bezug auf Dopamin), die Wirkung von Medikamenten beeinflussen.
Bei Trägern des COMT Val-158-Met Gen-Polymorphismus erhöht Amphetamin die Effizienz des PFC bei Probanden mit vermutlich geringem Dopaminspiegel im PFC. Bei Trägern des COMT Met-158-Met-Polymorphismus hatte Amphetamin dagegen keinen Effekt auf die kortikale Effizienz bei niedriger bis moderater Arbeitsgedächtnislast und verursachte eine Verschlechterung bei hoher Arbeitsspeicherlast. Individuen mit dem Met-158-Met-Polymorphismus scheinen ein erhöhtes Risiko für eine nachteilige Reaktion auf Amphetamin zu haben.
14. Blut-Hirn-Schranke¶
Eine grundlegende Einführung zur Blut-Hirn-Schranke in deutscher Sprache findet sich unter Psysiologie.cc.
Transport: An der Aufnahme in und der Ausscheidung aus dem Organismus sowie dem Übertritt von Medikamenten aus dem Blut in das Gewebe sind Transportproteine beteiligt.
14.1. Konkurrenz der Transporternutzung¶
Eine Konkurrenz verschiedener Stoffe hinsichtlich des Transports durch die Hirnschranke kann die Wirkung von Medikamenten beeinflussen.
Beispiel:
Memantin, Opiate (Oxycodon, Codein), Tramadol, Kokain und Nikotin werden mittels derselben Transporterfamilie (Organischer Kationentransporter, OCT) durch die Blut-Hirn-Schranke transportiert. Da OCT einer Sättigungsgrenze unterliegen, könnte dieser gemeinsame Transportmechanismus den Memantin-Spiegel im Gehirn und damit dessen Wirkung beeinflussen.
14.2. Sperrfunktion der Blut-Hirn-Schranke¶
Das vom MDR1-Gen codierte P-Glykoprotein ist Bestandteil der Blut-Hirn-Schranke. Es ist einer von vielen in den Endothelzellen der Blutkapillaren des Gehirns exprimierten
Transportern, die den Transfer von Arzneistoffen in das Gehirn kontrollieren. Genvarianten des MDR-1-Gens beeinflussen die Wirksamkeit des P-Glykoproteins.
Bei herabgesetzter Funktion oder Expression von P-Glykoprotein ist die Blut-Hirn-Schranke geschwächt und Arzneistoffe können verstärkt ins Gehirn übertreten, was deren Wirkung erhöhen kann, obwohl der Blutplasmaspiegel unverändert ist.
15. Metabolisierungsenzyme¶
Viele Medikamente werden durch Enzyme abgebaut, vornehmlich in der Leber.
Manche Wirkstoffe entstehen erst durch einen vorhergehenden enzymatischen Umbau von Arzneistoffen.
Werden mehrere Medikamente eingenommen, die über dasselbe Enzym abgebaut werden, konkurrieren diese um das abbauende Enzym, was die Wirkdauer dieser Medikamente verlängert und Nebenwirkungen erhöht.
Daneben gibt es Wirkstoffe, die ein Enzym hemmen (Inhibitoren) oder fördern (Induktoren), was deren Wirksamkeit in Bezug auf den Medikamentenabbau entsprechend beeinflusst.
Metabolisierungsenzyme katalysieren beim Menschen zwei Arten von Biotransformationsreaktionen
- Phase-1-Reaktionen:
- Funktionalisierungsreaktionen
- Oxidation, Reduktion, Hydrolyse und Hydratisierung
- Wirkweise:
- Einführung funktioneller Gruppe(n) (z.B. einer Hydroxylgruppe) in das unpolare Molekül oder
- Freilegung entsprechende funktioneller Gruppen
- Phase-2-Reaktionen
- Konjugationsreaktionen
- Glucuronidierung, Sulfatierung, Methylierung, Acetylierung sowie die Konjugation mit Aminosäuren und Glutathion
- Wirkweise:
- Koppelung funktioneller Gruppen mit sehr polaren, negativ geladenen endogenen Molekülen (z.B. Glucuronsäure)
Wir gehen im Folgenden nur auf diejenigen Enzyme ein, die ADHS-Medikamente betreffen. Dies deckt jedoch bereits die wichtigsten Enzyme ab.
CYP3A4 (Guanfacin) baut 40 bis 50 % aller Medikamente ab.
CYP2D6 (Amphetaminmedikamente, Atomoxetin) baut rund 25 % aller Medikamente ab.
15.1. Metabolisierungskreuzwirkungen¶
15.1.1. Konkurrenz, Inhibition, Induktion, genetische Regulation¶
Die Wirkung von Medikamente kann durch ihre Abbauenzyme auf verschiedene Weise beeinflusst werden:
- Konkurrenz anderer Substrate
Wenn mehrere Wirkstoffe an dasselbe Enzym binden (Substrate) und von diesem abgebaut werden, konkurrieren sie bei gleichzeitiger Gabe um die vorhandene Menge an Abbauenzymen. Dies kann den Abbau verzögern.
-
Inhibition
Arzneimittel können die Wirkung von Enzymen behindern (inhibieren), selbst wenn sie von ganz anderen Enzymen abgebaut werden
- Induktion
Arzneimittel können die Wirkung von Enzymen verstärken (induzieren)
- genetische Regulation
Medikamentenwirkstoffe können Metabolisierungsenzyme auch durch genetische Regulation beeinflussen. Beispielsweise ist Bupropion in vitro ein eher schwacher Inhibitor von CYP2D6. In vivo hemmt Bupropion CYP2D6 dagegen stark, weil es eine genetische Downregulation der CYP2D6-mRNA bewirkt.
15.1.2. Risiko: unbeabsichtige Kreuzwirkungen¶
Die unbeabsichtigte Kombination von zueinander konkurrierenden, inhibierenden oder genetisch regulierenden Medikamenten ist hochriskant. Dadurch kann ein neues Medikament die Wirkung eines bereits eindosierten Medikaments beeinflussen - und umgekehrt, sodass das Risiko von Wirkungsverlust und/oder Überdosierung entsteht.
15.1.3. Nutzen: beabsichtige Kreuzwirkungen¶
Eine bewusste Kombination von zueinander konkurrierenden, inhibierenden oder genetisch regulierenden Medikamenten ist dagegen weniger riskant. So können Medikamente, die gleichzeitig eindosiert werden, bei Beachtung der Interaktionen entsprechend vorsichtig oder nachdrücklich dosiert werden. Ebenso ist eine bewusste Nutzung solcher Kombinationen möglich, um beispielsweise bei Superschnellverstoffwechslern die Wirkung zu verbessern. Ein Betroffener, der eine Dosis Elvanse in 5-6 Stunden verstoffwechselte, berichtete uns, dass eine Kombination mit 150 mg Bupropion die Wirkungsdauer des Elvanse sehr hilfreich verlängerte. Elvanse wird via CYP2D6 verstoffwechselt; Bupropion hemmt CYP2D6 genetisch.
15.2. ADHS-Wirkstoffe und ihre Hauptabbauenzyme¶
ADHS-Wirkstoffe werden von unterschiedlichen Enzymen abgebaut:
Methylphenidat: CES1
Amphetaminmedikamente: CYP2D6 (unklar, ob dies wirklich der Hauptabbauweg ist)
Atomoxetin: CYP2D6
Bupropion: CYP2B6 sowie etwas über CYP2A6
Guanfacin: CYP3A4
Clonidin: unbekannt
Buspiron: CYP3A4
Memantin: unbekannt, wohl nicht durch CYP
Viloxazin: CYP2D6, UGT1A9, UGT2B15, möglicherweise auch durch CYP1A2
Melatonin: CYP1A
Dasotralin: unbekannt
Agomelatin: CYP1A2 (90 %), CYP2C9/2C19 (10 %)
15.3. Pharmakogenetische Diagnostik¶
Durch Genuntersuchungen können die Genvarianten von Metabolisierungsenzymen festgestellt werden.
Geeignete Labore finden sich bei einer Suche nach Labor CES1 (für MPH) oder Labor CYP2D6 (Amphetaminmedikamente, Atomoxetin). Die Laborleistung soll in Deutschland via Krankenkassen abgerechnet werden können, wenn diese von einem Arzt verschrieben wurde.
Eine Labordiagnostik der 22 wichtigsten Metabolisierungs-Gene (einschließlich des für die CYP-Genfamilie wichtigen POR-Gens) kostet Stand September 2023 rund 600 €.
Ein Muster-Diagnosebericht findet sich bei CeGaT, einem Anbieter für genetische Diagnostik in Tübingen. Genanalysen einzelner Metabilisierungs-Gene lagen im September 2023 bei rund 300 €.
15.4. Metabolisierungsenzyme und ihre Genvarianten¶
Siehe hierzu die Beiträge und die betroffenen ADHS-Medikamente:
CES1 Metabolisierungsenzym
CYP2D6 Metabolisierungsenzym
- Amphetaminmedikamente (AMP)
- Atomoxetin
- Bupropion: CYP2B6 sowie etwas über CYP2A6, aber starker CYP2D6 Inhibitor
CYP3A4 Metabolisierungsenzym