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6. Krankheiten als ADHS-Risikofaktoren

Inhaltsverzeichnis

6. Krankheiten als ADHS-Risikofaktoren

Autor: Ulrich Brennecke
Review (2024): Dipl.-Psych. Waldemar Zdero

Belastende körperliche oder psychische Kindheitserfahrungen können eine Mitursache von ADHS sein.
Dieser Beitrag behandelt Krankheiten als Risikofaktoren für ADHS.

Bei Kleinkindern und Kindern:
Eine Exposition gegenüber Passivrauchen, Luftverschmutzung (insbesondere Feinstaub und Stickoxide) sowie verschiedenen Schadstoffen wie Blei, Mangan oder Phthalaten steht im Zusammenhang mit einem erhöhten ADHS-Risiko.
Chirurgische Eingriffe unter Narkose, Neurodermitis, bakterielle Infektionen, Gehirnerschütterungen sind ebenso ADHS-Risikofaktoren wie belastende psychische Kindheitserfahrungen wie Traumata, chronischer Stress oder das Aufwachsen im Heim.
Ein mangelndes Bindungsverhalten der Mutter oder der Eltern im Kindesalter, Stress der Mutter im Kindesalter oder psychische Probleme der Eltern erhöhen das Risiko von ADHS bei Kindern ebenso wie ein niedriger sozioökonomischer Status, ein niedriger Bildungsstand oder eine Erwerbslosigkeit der Eltern.
Eine frühere Einschulung und ein junges Alter eines Kindes innerhalb einer Klasse sind weitere Risikofaktoren.

In der Pubertät:
Eine hohe Stressbelastung in der Pubertät gilt als Risikofaktor für eine Persistenz von ADHS bis ins Erwachsenenalter.

Die %-Werte geben an, um wie viel höher das ADHS-Risiko mit dem jeweiligen Faktor korreliert. Die Zahlen besagen nicht, dass der jeweilige Faktor eine kausale Ursache wäre.

6.1. Infektionen und Infektionskrankheiten

Eine Infektion ist der Eintritt von Mikroorganismen (Viren, Pilze, Bakterien, Parasiten) in einen Organismus und deren Ansiedlung und Vermehrung.
Im weiteren Sinne werden auch Infektionskrankheiten ungenau als “Infektionen” bezeichnet.1

Eine höhere Infektionsbelastung kann einen kumulativen Zusammenhang mit psychiatrischen Störungen haben, der über das hinausgeht, was für einzelne Infektionen beschrieben worden ist. Die Anfälligkeit für Infektionen spiegelt sich in der Infektionslast (der Anzahl spezifischer Infektionstypen oder -stellen) wider. Eine erhöhte Infektionslast korreliert mit einem erhöhten Risiko für:2

  • ADHS
  • ASS
  • bipolare Störungen
  • Depressionen
  • Schizophrenie
  • psychiatrische Diagnosen insgesamt.
    Es wurde eine bescheidene, aber signifikante Erblichkeit für die Infektionslast (h2 = 0,0221) und ein hoher Grad an genetischer Korrelation zwischen ihr und der psychiatrischen Gesamtdiagnose (rg = 0,4298) gefunden. Ebenso fanden sich Belege für eine genetische Kausalität der Gesamtinfektion für die psychiatrische Gesamtdiagnose.

6.1.1. Infektionen im ersten Lebensjahr (+ 16 % bis + 77 %)

Eine registerbasierte Kohortenstudie (n = 2.885.662 davon n = 1.864.660 Vollgeschwister) fand einen leichten Anstieg des ADHS-Risikos durch Infektionen des Kindes im ersten Lebensjahr um 16 % (ASS + 12 %, Tics + 12 %, geistige Retardierung + 63 %), der sich bei der Kontrolle durch Zwillinge für ADHS und Tics verlor.3
Schwere Infektionen innerhalb der ersten Lebenswoche erhöhten das Risiko eines bis zum 8. bis 14. Lebensjahr medikamentierten ADHS um 12 %. Meningitis in der ersten Lebenswoche erhöhte das so definierte ADHS-Risiko um 77 % und das ASS-Risiko um 105 %.4

6.1.2. Bakterielle Infektionen (bis + 593 %)

Schwere bakterielle Infektionskrankheiten in Kindheit oder Jugend erhöhen das Risiko von schweren psychischen Störungen massiv (HR):5

  • ASS: 13,80
  • ADHS: 6,93
    • ADHS-Medikamenteneinnahme: 11,81
  • Tic-Störung: 6,19
  • OCD: 3,93
  • bipolare Störung: 2,50
  • depressive Störungen: 1,93
    • Antidepressiva-Einnahme: 2,96
    • Stimmungsstabilisatoren-Einnahme: 4,51
    • atypische Antipsychotika-Einnahme: 4,23
  • Schizophrenie6

Unter den untersuchten Bakterienarten (Streptokokken, Staphylokokken, Pseudomonas, Klebsiella, Hämophilus, Mykoplasmen, Tuberkulose, Meningokokken, Escherichia, Chlamydien und Scrub-Typhus) waren Streptokokken mit den meisten Störungsbildern verbunden. ADHS war mit acht bakteriellen Erregerinfektionen assoziiert.5

6.1.2.1. Bakterielle Meningitis (Hirnhautentzündung) (+ 40 % bis + 180 %)

Kinder mit bakterieller Meningitis (nicht aber mit enteroviraler Meningitis) hatten in der Folge ein erhöhtes Risiko für ADHS oder ADHS-Medikamenteneinnahme:7

  • Meningitis in den ersten 90 Lebenstagen:
    • ADHS-Risiko 2,8-fach (aHR 2,8, + 180 %)
    • ADHS-Medikamenten-Einnahme 2,2-fach
    • ASS-Risiko 1,9-fach
    • Verhaltens- und emotionale Störungen 2-fach
    • Lern- und intellektuelle Entwicklungsstörungen 4,2-fach
  • Meningitis zwischen Tag 90 und 18 Jahren:
    • ADHS-Risiko 1,4-fach (+ 40 %)
    • ADHS-Medikamenten-Einnahme 1,5-fach
    • Lern- und intellektuelle Entwicklungsstörungen 1,5-fach

Die Prävalenz einer Streptococcus agalactiae-Infektion (Gruppe B Streptokokken, GBS) bei Säuglingen betrug 0,07 %.
GBS bewirkte:8

  • erhöhte Säuglingssterblichkeit (19,41-fach)
  • langfristige neurologische Entwicklungsstörungen (3,49-fach)

GBS-Meningitis erhöhte das Risiko von8

  • ADHS
  • zerebraler Lähmung
  • Epilepsie
  • Hörbehinderung
  • tiefgreifenden und spezifischen Entwicklungsstörungen

6.1.2.2. Paradontose

Parodontose ist eine bakterielle Zahnfleischentzündung durch das Bakterium P. gingivalis, das Toxine absondert. Parodontose und wird als Risikofaktor für ADHS beschrieben.9

6.1.2.3. Antibiotika in den ersten Lebensjahren (bis + 33 %)

Antibiotikagabe im zweiten Lebensjahr erhöhte in einer sehr großen Studie das Risiko für ADHS um 20 bis 33 % und für Schlafprobleme um 24 bis 50 %.10 Eine noch größere Studie aus Korea fand eine Erhöhung des ADHS-Risikos dosisabhängig um 10 %, wobei pränatale und frühkindliche Gaben zusammen das Risiko weiter erhöhten.11
Eine weitere sehr große Studie fand, dass das ADHS-Risiko sich umso stärker erhöhte,12

  • je früher die erste Antibiotikagabe erfolgte (unter 2 Jahre, 2 bis 5 Jahre, 5 bis 8 Jahre) und
  • je länger die Antibiotikagabe andauerte (unter 7 Tage, 7 bis 14 Tage, über 14 Tage):
ADHS-Prävalenz bei Antibiotikagabe im Alter von / bei Dauer von unter 2 Jahre 2–5 Jahre 5–8 Jahre
< 7 Tage 10,53 % 7,33 % 5,18 %
7–14 Tage 10,66 % 8,80 % 7,25 %
> 14 Tage 11,47 % 11,11 % 8,83 %

Eine kleinere Studie fand häufigere Verhaltensschwierigkeiten und depressive Symptome an 3 1/2 Jahre alten Kindern, die im ersten Lebensjahr Antibiotika erhalten hatten.13 Zwei andere Studien fanden keine erhöhten Risiken psychischer Störungen bei Antibiotikagabe in den ersten 1 14 bis 215 Lebensjahren.
Eine Studie fand keine Risikoerhöhung für ADHS, jedoch für Asthma, Nahrungsmittelallergien und allergische Rhinitis (Heuschnupfen),16 die jedoch bekanntlich mit erhöhtem ADHS-Risiko einhergehen.

Eine Gabe von Antibiotika in den ersten drei Lebensjahren verringert die Vielfalt, Stabilität und Zusammensetzung des Mikrobioms:17

  • verringerte Häufigkeit der Gattungen
    • Bacteroides
    • Bifidobacterium
    • Lactobacillus
    • Staphylococcus
    • Sediminibacterium
  • erhöhte Häufigkeit von
    • Mitgliedern der Familie Enterobacteriaceae
    • der Gattung Enterococcus

Während der Reifung des Mikrobioms erfolgen mehrere Prozesse des zentralen Nervensystems, wie Synaptogenese, Myelinisierung und synaptisches Pruning, die durch mikrobiom-assoziierte Metaboliten beeinflusst werden können.17

Antibiotikaexposition in den ersten Lebensjahren erhöhte das Risiko für das Kind für: (Metastudie, k = 30, n = 7.047.853)18

  • ADHS: + 33 %
    • nicht signifikant in Studien, die Geschwisterkontrollgruppen verwendeten
  • Depression: + 29 %
    • nicht signifikant in Studien, die Geschwisterkontrollgruppen verwendeten
  • ASS: + 19 %

Eine Kohortenstudie fand keine signifikante Risikoerhöhung für ADHS oder ASS durch Antibiotikagabe in den ersten beiden Lebensjahren.19

6.1.3. Virusinfektionen

Der Powassan-Flavivirus wird durch Zecken übertragen und verursacht beim Menschen in seltenen Fällen Enzephalitis. 6 Kinder mit Powassan-Virus-Enzephalitis, die im Alter von 14 Monaten bis 11 Jahren diagnostiziert wurden, erlitten alle bleibende neurologische Folgeerscheinungen, darunter:20

  • Krampfanfälle
  • Bewegungsstörungen
  • Verhaltensauffälligkeiten
  • ADHS
  • Lernprobleme
  • Angstzustände
  • Schlafstörungen

6.1.3.1. Enteroviren allgemein (bis + 182 %)

(Nicht-Polio-) Enteroviren verursachen gut die Hälfte aller Fälle aseptischer Meningitis und gehören damit zu den wichtigsten bekannten Ursachen.21 Neben Enzephalitis22 lösen (nicht-Polio-) Enteroviren zudem häufig fiebrige Erkrankungen, Hand-Fuß-Mund-Krankheit, Herpangina, aseptische Meningitis und Enzephalitis aus, sowie zuweilen schwere und bedrohliche Infektionen wie Myokarditis oder neonatale Sepsis.

Bei ADHS werden Enteroviren als mögliche Ursache diskutiert.23
Eine Studie fand ein erhöhtes ADHS-Risiko durch leichte Enterovirusinfektionen (16 %) und schwere Enterovirusinfektionen (182 %).24

6.1.3.2. Enterovirus A71 (EV-A71) (+ 200 %)

Eine Längsschnittstudie an 43 Jugendlichen, die im Alter zwischen 6 und 18 Jahren eine Infektion des zentralen Nervensystems mit dem Enterovirus A71 (EV-A71) hatten, fand bei 34,9 % ein ADHS. Damit ist das ADHS-Risiko mehr als verdreifacht. Zudem fanden sich erhöhte autistische Symptome. Andere psychiatrische Diagnosen waren nicht erhöht.2526 Eine andere Studie fand ADHS besonders häufig dann, wenn die A71-Infektion mit kardiopulmonalem Versagen einherging.27
EV-A71 verursacht häufig Schwäche, Atrophie der Gliedmaßen, Krampfanfälle, Hand-Fuß-Mund-Krankheit, Enzephalitis und verringerte Intelligenz.

6.1.3.3. HIV

Eine Studie an Kindern und Jugendlichen mit HIV in gesundheitlich stabilem Zustand fand bei 20 % ADHS-Symptome.28

6.1.3.4. Zoster-Enzephalitis

In einem Einzelfall wurde ADHS in Verbindung mit einer Zoster-Enzephalitis genannt.29

6.1.3.5. Humane Endogene Retroviren (HERV)

Das Thema Humane Endogene Retroviren (HERV) und ADHS ist aufgrund der hohen Vererblichkeit dargestellt im Kapitel Entstehung im Beitrag Genetische und epigenetische Ursachen von ADHS - Einführung

6.1.4. Parasitäre Infektionen

Eine Studie an 100 Kindern mit ADHS und 100 gesunden Kindern fand eine Korrelation von ADHS mit:30

  • Toxoplasma
  • Toxocara
  • Cryptosporidium parvum
  • Giardia lamblia
  • Entamoeba histolytica
    Kein Unterschied fand sich in Bezug auf Schistosoma (Kokzidienparasiten).

6.2. Schädel-Hirn-Traumata (bis + 529 %)

Schädel-Hirn-Traumata (SHT, Traumatische Hirnverletzungen, TBI) werden international auf 349 pro 100.000 Personenjahre geschätzt. Jeder zweite Mensch erleidet im Laufe seines Lebens eine Schädel-Hirn-Verletzung. Schädel-Hirn-Traumata weisen die höchste Inzidenz und Prävalenz aller gängigen neurologischen Erkrankungen auf und wurden in Studien mit Folgen wie neurodegenerativen Erkrankungen, kognitiven Beeinträchtigungen, Schlaganfall, psychiatrischen Erkrankungen und erhöhter Sterblichkeit in Verbindung gebracht.31

Schädel-Hirn-Traumata können sekundäres ADHS auslösen.32
Die Schwere von Gehirnverletzungen korreliert mit einer signifikant höheren ADHS-Symptomatik. Eine durch Gehirnverletzungen veränderte Morphometrie des Default Mode Netzwerks (DMN) sagt eine höhere ADHS-Symptomatik 12 Monate nach der Verletzung voraus, während die Morphometrie des Salienznetzwerks (SN) und des zentralen exekutiven Netzwerks (CEN) keine signifikanten unabhängigen Prädiktoren darstellten.33

Eine Übersichtsarbeit an k = 24 Metastudien fand eine Korrelation des ADHS-Risikos mit vorangegangenen Schädel-Hirntraumata:31

  • leichtes Schädel-Hirn-Trauma: + 18 %, statistisch nicht signifikant, n = 4.098 Probanden
  • moderates Schädel-Hirn-Trauma: + 266 %, statistisch nicht signifikant, n = 117
  • schweres Schädel-Hirn-Trauma: + 529 %, statistisch signifikant, n = 5.092

Offen ist, in welchem Maße Schädel-Hirn-Traumata bei ADHS die Folge der erhöhten Unfall- und Verletzungswahrscheinlichkeit bei ADHS sind.
In einer Studie hatten 30 % der Jungen und 15 % der Mädchen mit einem Schädel-Hirn-Trauma bereits zuvor ADHS.34 Diese Studie regt zugleich an, für Mädchen körperliche Aktivität und die Bereitstellung von Ressourcen zum Umgang mit schulischem Stress in ihr Rehabilitationsprogramm zu integrieren. Für Jungen könnten kognitive Unterstützung und Strategien zum Umgang mit ADHS effektiver sein.

ADHS korrelierte mit einem erhöhten Auftreten von Hirnverletzungstraumata353637 und otorhinologische Traumata.38
Eine Studie untersuchte leichte (Gehirnerschütterung) und schwere Schädel-Hirn-Traumata vor dem 10. Lebensjahr. Die Inzidenz lag bei 1.156 pro 100.000 Personenjahre. Im Alter von 19 Jahren war das ADHS-Risiko um 68 % und das Risiko für eine Lernbehinderung um 29 % erhöht.39
Bei schwereren Schädel-Hirn-Trauma-Fällen war der Zusammenhang nicht statistisch signifikant. Bei einer Analyse der Fälle mit möglichem Schädel-Hirn-Trauma (entsprechend einer Gehirnerschütterung) war das Ergebnis signifikant (Risiko für ADHS um 105 % erhöht, Risiko für Lernbehinderung um 42 % erhöht). Das Risiko im Erwachsenenalter war insbesondere bei den Kindern mit den am wenigsten schweren Verletzungen erhöht.
Bei reinen Korrelationsstudien ist jedoch offen, inwieweit Schädel-Hirn-Verletzungen eine Folge des ADHS sind (erhöhtes Unfallrisiko) oder das ADHS eine Folge der Schädel-Hirn-Verletzungen (sekundäres ADHS).

Unter 1.709 Eishockeyspielern von 11 bis 17 Jahren korrelierte die Rate an Gehirnerschütterungen mit höheren selbst- und elternberichteten Werten für Aufmerksamkeitsprobleme. Nur selbstberichtete Hyperaktivität, nicht elternberichtete Hyperaktivität, korrelierte ebenfalls signifikant mit einer Gehirnerschütterung. Ein T-Score ≥ 60, der Aufmerksamkeitsprobleme und Hyperaktivitäts-Werte kombiniert (eine Schätzung der wahrscheinlichen ADHS), war nicht signifikant mit der Häufigkeit von Verletzungen oder Gehirnerschütterungen verbunden.40

Eine finnische landesweite retrospektive Kohortenstudie (1998 bis 2018) über Patienten mit pädiatrischem Schädel-Hirn-Trauma (n > 126.000) fand einen signifikanten Zusammenhang zwischen pädiatrischem Schädel-Hirn-Trauma und posttraumatischem ADHS-Medikamentengebrauch während eines 20-jährigen Follow-up, wobei der Zusammenhang nach 4 Jahren besonders ausgeprägt war.41
Als Wirkpfad wurde Neurodegeneration aufgrund von Schädel-Hirn-Trauma folgender Neuroinflammation und oxidativem Stress angenommen, welche die Gehirnentwicklung und Neurotransmitter beeinträchtigen und das Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen erhöhen könne.42

6.3. Kraniosynostose (+ 500 %)

Kraniosynostose ist eine vorzeitige Verknöcherung von Schädelnähten. In einer Studie zeigte die Mehrheit der Kinder mit Kraniosynostose zugleich ADHS-Symptome. Rauchen der Mutter während der Schwangerschaft erhöhte das Risiko einer Kraniosynostose erheblich.43
Rund jedes zweite Kind, das im Alter von 9,5 (± 7,9) Monaten eine Operation wegen metopischer Synostose (Trigonozephalie oder metopische Nahtkraniosynostose) hatte, zeigte im Alter von 10.3 (± 3.5) Jahren mindestens grenzwertige Hyperaktivitäts- und Unaufmerksamkeitswerte.44 Ein höheres Alter bei der Operation war mit einer schlechteren Exekutivfunktion verbunden.
Eine Studie fand bei 42,6 % derjenigen, die als Kinder eine Operation wegen Kraniosynostose erhalten hatten, im Alter von 16 Jahren und mehr hohe Werte im CAARS-2-ADHS-Index.45
Kraniosynostose geht mit einem deutlich erhöhten Risiko von ADHS-Symptomen einher.46

6.4. Epilepsie (bis + 470 %)

Epilepsie ist eine körperliche neurologische Erkrankung,
Eine Studie fand ein 5,7-faches ADHS-Risiko bei Kindern mit Epilepsie (41,5 % vs. 7,3 %). ADHS wurde bei diesen meist nach Abklingen der Epilepsie und Beendigung der Epilepsie-Medikation diagnostiziert.47 Eine andere Studie fand bei 43,3 % der Kinder mit Epilepsie ein ADHS oder eine Lernstörung.48 Eine Studie berichtet 11,2 % ADHS und 19,1 % ASS bei Kindern mit Epilepsie im Alter von 7 Jahren.49

Von Kindern mit einer infektionsbedingten Epilepsie (FIRES) zeigten 33,3 % Unaufmerksamkeitssymptome und 53,3 % Aggression sowie 20 % Stimmungsprobleme.50

6.5. Phenylketonurie (PKU) (+ 375 %)

Siehe hierzu unter Monogenetische Ursachen von ADHS.

6.6. Schlafbezogene Atmungsstörungen (SBAS, SDB, SRBD) (bis + 350 %)

Weitere Namen: Sleep disordered breathing (SDB), Sleep related breathing disorder (SRBD).51

Schlafbezogene Atmungsstörungen (SBAS) als Oberbegriff umfassen unter anderem

  • primäres Schnarchen (reines Schnarchen, ohne andere SBAS)
  • Syndrom des oberen Atemwegswiderstands52
  • obstruktive Schlafapnoe (OSA)5354
  • zentrale Schlafapnoe (ZSA)
  • schlafbezogene Gasaustauschstörungen (SAGEA)

SBAS ist am häufigsten im Alter zwischen 2 und 8 Jahren, vermutlich aufgrund der relativen Größe des Lymphgewebes im Vergleich zum Durchmesser der Atemwege.55

6.6.1. Schlafbezogene Atmungsstörungen allgemein

6.6.1.1. Prävalenz schlafbezogener Atmungsstörungen

Die Prävalenz von schlafbezogenen Atmungsstörungen (SBAS) wurde gefunden mit

  • Kinder:
    • 12 %56
    • 10 % (Studie an n = 227 Kindern von 4 bis 2 Jahren)55
  • Kinder und Jugendliche (6 bis 17 Jahre)
  • Kinder und Jugendliche (5 bis 16 Jahre) in kieferorthopädischer Behandlung:54
    • SBAS: 10,8 % vs. 5 % bei gesunden Kontrollen
    • Schnarchen: 13,3 %
    • Schläfrigkeit: 17,9 %
  • Jugendliche
    • 7 %58
      • männlich: 5,8 %
      • weiblich: 8 %
      • wöchentlich: 6 %58
    • 5,8 % ohne Adipositas58
      • 12,8 % mit Adipositas
  • Bevölkerung
    • von 30 bis 60 Jahren, AHI ab 559
      • 9 % bei Frauen
      • 24 % bei Männern
    • 20 %60
    • 23,4 % bei Frauen61
      • postmenopausal 3- bis 4-fach erhöht vs. prämenopausal62
    • Altersschnitt 59 Jahre, AHI ab 1561
      • 49,7 % bei Männern
      • Der Gesamtbevölkerungs-AHI-Median war 6,9/h bei Frauen und 14,9/h bei Männern61
    • von 30 bis 69 Jahren (Metastudie, k = 17)63
      • Deutschland
        • 60,1 % AHI ab 5
        • 32,9 % AHI ab 15
      • Frankreich
        • 72,1 % AHI ab 5
        • 36,3 % AHI ab 15
      • Österreich
        • 48,7 % AHI ab 5
        • 28,4 % AHI ab 15
      • Schweiz
        • 72,4 % AHI ab 5
        • 36,6 % AHI ab 15
      • Dänemark
        • 48,9 % AHI ab 5
        • 28,5 % AHI ab 15
      • Schweden
        • 17,0 % AHI ab 5
        • 12,7 % AHI ab 15
      • USA
        • 33,2 % AHI ab 5
        • 14,5 % AHI ab 15
  • stationäre psychiatrische Patienten
    • 23,9 %64
  • Prävalenz von SBAS (Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI), Atemstörungen-Index (RDI) oder Sauerstoffentsättigungsindex (ODI) ab 5/h):62
    • 24,0 % bis 83,8 % bei Männern
    • 9,0 % bis 76,6 % bei Frauen
  • Prävalenz mittelschwere bis schwere SBAS (AHI, RDI oder ODI ab 15/h)62
    • 7,2 % bis 67,2 % bei Männern
    • 4,0 % bis 50,9 % bei Frauen

SBD korreliert mit Hörproblemen.
44,8 % der Kinder mit gewohnheitsmäßigem Schnarchen hatten eine wiederkehrende Mittelohrentzündung65
Mittelohrentzündung korreliert mit SBD und dadurch vermittelter Hypoxie.66 Kinder mit Mittelohrentzündung mit Erguss haben häufiger erhebliche OSA-Symptome.67
Mittelohrentzündungen werden durch Sauerstoffmangel begünstigt.6869707172

Unbehandelte leichte SBAS gab sich von selbst:

  • bei 70,8 % der Kinder und Jugendlichen von 6 bis 17 Jahren57
  • bei 65 % der Kinder von 5 bis 9 Jahren mit leichter OSA73
  • bei 52,9 % der Kinder mit einem AHI von 2 und mehr bis zum Jugendalter74
  • bei 100 % % der Kinder mit einem AHI von 5 und mehr bis zum Jugendalter; darunter74
    • 50 % Teilremission auf AHI 2 bis 4
    • 50 % eine Remission auf AHI unter 2

Bei mittlerer oder schwerer SBAS (AHI ab 5) ist eine spontane Remission seltener. Adipositas, hoher BMI; anhaltende Tonsillenhypertrophie, männliches Geschlecht oder afroamerikanische Ethnizität sind ungünstige Prädiktoren für eine spontane Heilung von OSAS.75

6.6.1.2. Sauerstoffversorgung bei SBAS

TOI: mittlerer nächtlicher Gewebesauerstoffindex

Anders als bei Erwachsenen scheint sich der TOI während des Schlafs bei Kindern mit SBAS nicht von gesunden Kontrollen zu unterscheiden.76
Bei Apnoen und Hypopnoen geht die Abnahme des TOI der peripheren, systemischen Entsättigung voraus.
TOI sinkt stärker

  • bei Apnoen als bei Hypopnoen
  • während des REM-Schlafs als in anderen Schlafphasen
  • bei jüngeren Kindern als bei älteren Kindern
  • bei Kindern mit einem hohen AHI als bei niedrigem AHI

Eine Studie an 65 Kindern mit SBAS untersuchte 540 obstruktive und gemischte Apnoen, 172 zentrale Apnoen und 393 obstruktive Hypopnoen.77

  • SpO2 nahm im Schnitt um 4,1 % ab (± 3,1 %)
  • TOI nahm im Schnitt um 3,4 % ab (± 2,8 %)
  • TOI nahm stärker ab
    • bei Apnoen (Atemaussetzern) im Vergleich zu obstruktiver Hypopnoe (verminderte Atmungstiefe, flacherer Atem)
    • bei mittelschwerer bis schwerer SBAS im Vergleich zu leichter SBAS
    • bei Kindern bis 6 Jahren im Vergleich zu älteren Kindern
      • Erklärungsmodelle: geringere funktionelle Restkapazität, höherer Sauerstoffverbrauch und Unreife der zerebralen Autoregulation bei Kindern76
  • TOI-Rückgänge korrelierten unabhängig von der Art des Ereignisses signifikant mit
    • SpO2-Rückgängen
    • Dauer des Ereignisses
    • Alter

Eine Studie an 60 Kindern mit SBAS analysierte 493 zentrale und 399 obstruktive Ereignisse:78

  • Zentrale Sauerstoffversorgung und Herzfrequenz änderten sich stärker bei zentralen Ereignissen (Apnoen) als bei obstruktiven Ereignissen
  • Änderungen waren größer im NREM-Schlaf als im REM-Schlaf
  • TOI änderte sich stärker bei den 3- bis 6-jährigen Kindern als bei den 7- bis 12-jährigen
  • Herzfrequenz änderte sich stärker bei den 7- bis 12-jährigen Kindern als bei den 3- bis 6-jährigen

Abweichende Ergebnisse fanden zwei Studien:

  • Die zerebrale Sauerstoffversorgung korrelierte nicht mit der Schwere der SBAS. Primäres Schnarchen zeigte eine signifikant schlechtere zerebrale Sauerstoffversorgung als milde oder schwere OSA. Schlafstörungen, männliches Geschlecht, Erregungsindex und NREM-Schlaf korrelieren mit einer verringerten zerebralen Sauerstoffversorgung. Ein Anstieg des mittleren arteriellen Blutdrucks, höheres Alter, höhere Blut-Sauerstoffsättigung und REM-Schlaf korrelierten mit höherer zerebraler Sauerstoffversorgung.79
  • SBAS bei 7 bis 12-jährigen Kindern ging mit signifikant (bei primärem Schnarchen, AHI max 1) bzw. tendenziell (bei milder und starker OSA) erhöhtem zerebralen Sauerstoff (TOI) einher. Dies könnte möglicherweise eine Kompensationsreaktion auf eine verringerte arterielle Sauerstoffsättigung während einer Apnoe sein (zerebrale Autoregulation). Bei 3- bis 6-jährigen Kindern war der zerebrale Sauerstoff unverändert, unabhängig von der Schwere der SBAS. Der zerebrale Sauerstoff korrelierte nicht mit kognitiven Defiziten, aber mit Verhaltensproblemen bei den 7- bis 12-jährigen Kindern. Im Gegensatz zum zerebralen Sauerstoff war die Sauerstoffextraktionsrate (O2-ER oder FTOE, die den Sauerstoffverbrauch im Gewebe misst), in allen SBAS-Gruppen in allen Schlafphasen niedriger als bei den Kontrollen. Der SpO2-Wert war in allen Gruppen gleich.80

Bei Erwachsenen waren obstruktive Atemereignisse (insbesondere während des REM-Schlafes und in Relation zur Dauer des Ereignisses) verbunden mit76

  • O2Hb-Abnahme
  • TOI-Abnahme
  • HHb-Anstieg
  • tHb-Anstieg

Bei Erwachsenen veränderte sich die zerebrale Sauerstoffversorgung81

  • während obstruktiver Apnoen stärker als bei obstruktiven Hypopnoen
  • bei schwerer OSA stärker als bei leichter oder mittelschwerer OSA

Wiederholte Sauerstoffabfälle während des Schlafs können die Atemkontrollbereiche des Hirnstamms schädigen, insbesondere in kritischen Entwicklungsphasen, was langfristige Probleme wie instabile Atmung, Herz-Kreislauf-Belastung oder neurologische Probleme auslösen kann.82

Hyperaktivität korrelierte mit verringerter Blutsauerstoffsättigung.83

Hypoxie ist ein relevanter Entwicklungspfad für ADHS.84

Als weiterer gemeinsamer Entwicklungspfad von ADHS und SBAS kommt neuronale Inflammation in Betracht.8586

CO2 und Sauerstoff

Hypokapnie ist ein verringerter CO2-Partialdruck im arteriellen Blut. Eine Hypokapnie entsteht zum Beispiel im Rahmen einer Hyperventilation durch vermehrte Abatmung von CO2.
Hypokapnie bewirkt eine Verengung der Hirngefäße (zerebrale Vasokonstriktion), was die Sauerstoffversorgung des Gehirns trotz ausreichender O₂-Sättigung im Blut verringert. Ein verringerter CO2-Blutwert führt damit zu einem Sauerstoffmangel im Gehirn, der unabhängig von der O₂-Sättigung des Blutes ist. Da CO2 die Blutgefäße weitet, führt CO2-Mangel zu einer Verengung der Blutgefäße und damit zu einer verringerten Durchblutung und in der Folge einer verringerten Sauerstoffversorgung.
Hämoglobin bindet Sauerstoff in der Lunge und transportiert ihn zu den Körperzellen.
Hypokapnie (CO2-Mangel) erhöht die Sauerstoffaffinität des Hämoglobins, wodurch es mehr Sauerstoff bindet und ihn in den Geweben schwerer abgibt.
Hyperkapnie (hoher CO₂-Spiegel) verringert die Sauerstoffaffinität des Hämoglobins (Bohr-Effekt), was die Sauerstoffabgabe in den Geweben begünstigt.
Bei einer Kohlenmonoxid-(CO)-Vergiftung verdrängt das CO das CO2 aus dem Blut und bewirkt über die Hypokapnie mittelbar einen Sauerstoffmangel im Gehirn.

6.6.1.3. ADHS bei SBAS

Ein Review berichtet eine Korrelation von ADHS bei SBAS von 50 %.85
SBAS zeigt eine mittelstarke Korrelation mit ADHS-Symptomen (Hedges’ g = 0,57, 95 %-Konfidenzintervall: 0,36–0,78; p = 0,000001). Ein hoher AHI war mit geringeren Effektstärken verbunden. (Metastudie, k = 18, n = 2518)87 Eine Adenotonsillektomie korrelierte mit einer Abnahme der ADHS-Symptome 2–13 Monate nach der Operation (Hedges’ g 0,43 (SMD; 95 %-Konfidenzintervall = 0,30–0,55; p < 0,001; n = 529).

Das ADHS-Risiko ist bei SBAS erhöht:

  • um 1.106 % bei moderaten und schweren Schlafproblemen88
  • um 759 % (31,8 % vs. 3,8 % bei Kindern und Jugendlichen von 5 bis 16 Jahren) in kieferorthopädischer Behandlung:54
    • nächtliche Enuresis: 13,6 % vs. 0 %
    • Übergewicht: 18,2 % vs. 2,7 %
  • um 393 % bei leichten Schlafproblemen88
  • um 150 % bis 200 %89
  • um mehr als 100 %90
  • bei Kindern mit SBAS
    • Hyperaktivität91929394
      • um 150 % erhöht95
      • um 57 % erhöht96
      • 6,82-mal so oft Cutoff der BASC-2-PRF-Skala für Hyperaktivität überschritten bei anhaltenden SBD im Vergleich zu nie SBD (+ 582 %)97
    • Unaufmerksamkeit9791 94
      • um 110 % erhöht95
      • um 89 % erhöht96
      • im NEPSY erhöht98
    • Hyperaktivität wie Unaufmerksamkeit verbesserten sich durch eine Adenotonsillektomie deutlich.
  • Exekutivfunktionen verschlechtert
    • bei 5-jährigen Kindern99
    • im NEPSY98
  • Gedächtnisfunktionen beeinträchtigt
    • bei 5-jährigen Kindern99
  • allgemeine intellektuelle Fähigkeiten beeinträchtigt
    • bei 5-jährigen Kindern99
  • externalisierende Symptome91
    • bei 7- bis 12-jährigen Kindern (CBCL und BRIEF)100
    • 3,29-mal so oft Cutoff der BASC-2-PRF-Skala für externalisierende Probleme überschritten bei anhaltenden SBD im Vergleich zu nie SBD (+ 229 %)97#
  • Aggressivität9791
    • um 110 % erhöht95
  • verringerte soziale Kompetenz97
  • beeinträchtigte Kommunikationsfähigkeiten97
  • verringerte Anpassungsfähigkeiten97
  • Verhaltenssymptome94
    • (aber keine kognitiven Symptome) bei 3- bis 5-jährigen Kindern101
    • bei 7- bis 12-jährigen Kindern (CBCL und BRIEF)100
  • internalisierende Symptome91
    • bei 7- bis 12-jährigen Kindern (CBCL und BRIEF)100

ADHS-Symptome, die aus SBD resultieren, werden auch als “ADHS-ähnlich”, “erworbenes ADHS”, “sekundäres ADHS” oder “atypisches ADHS102 bezeichnet, da die ADHS-Symptome in diesem Fall nicht aus einer neurologischen Entwicklungsstörung resultieren.

Auffassung von Ulrich Brennecke, ADxS.org:

Auch wenn der Name ADHS suggeriert, dass es sich um eine Störung handele, ist ADHS tatsächlich ein Syndrom, das lediglich anhand der Symptomatik definiert ist. ADHS-Symptome können durch viele unterschiedliche Ursachen ausgelöst werden. Da ADHS bislang im Wesentlichen symptomatisch behandelt wird (die typischen ADHS-Medikamente setzen an der Symptomebene an), beinhaltet eine Differenzierung zwischen “echtem/primärem” ADHS und “unechtem/sekundärem” ADHS“ einerseits die Chance, die Notwendigkeit und auch die Erfolge einer Behandlung der Ursachen von “sekundärem” ADHS auch an der ADHS-Symptomatik zu messen und andererseits das Risiko, für eine Behandlung von “sekundärem” ADHS die bewährten ADHS-Behandlungsformen als unpassend oder unangemessen zu betrachten. Letzteres wäre indes fatal.
Auch wenn das DSM ADHS inzwischen als neurologische Entwicklungsstörung einordnet, ist zweifelhaft, zu welchem Anteil dies der bloßen Notwendigkeit der Einordnung in der zweidimensionalen, linearen Organisationsstruktur des DSM folgt und zu welchem Anteil dadurch eine Definition des Wesens von ADHS erfolgen sollte. Eine zweidimensionale Organisation wie das DSM, die keine mehrfache Nennung zulässt, ist gezwungen, ein Item an der wahrscheinlichsten oder wesentlichsten Stelle einzuordnen; dies impliziert jedoch nicht, dass dies die einzige richtige Stelle sein müsste. In seiner Begründung zu ADHS ist das DSM 5 TR durchaus widersprüchlich.103
Es trägt nicht nur eine Vielzahl an Umweltfaktoren zu ADHS bei, sondern selbst innerhalb der neurologischen Entwicklung dürfte es viele verschiedene Pfade geben, die zu ADHS führen. Zudem ist eine klare Abgrenzung von primärem ADHS und des daraus folgenden erhöhten Risikos von Komorbiditäten einerseits und Ursachen für ein sekundäres ADHS andererseits nicht möglich. Oft genug dürfte ein bestehendes (subklinisches) primäres ADHS erst durch ein Hinzutreten weiterer Umweltfaktoren (zu denen auch Krankheiten gehören) ein klinisches Maß erreichen. Es gibt keine Studien, die klar abgrenzen, wie viele Betroffene eines “sekundären” ADHS vor Auftreten der Sekundärursache (wie z.B. Schädel-Hirn-Trauma, Enzephalitis, SBAS) bereits subklinische ADHS-Symptome (im Sinne einer Veranlagung zu ADHS) hatten. Die Frage ist relevant, da nicht alle Betroffene einer Sekundärursache auch sekundäre ADHS-Symptome bekommen. Weiter ist offen, bei wie vielen Betroffenen, bei denen eine erfolgreiche Behandlung der Sekundärursache die ADHS-Symptome verbessert, diese die “sekundären” ADHS-Symptome vollständig beseitigt oder lediglich in einen subklinischen Bereich verringert, wo sie also noch vorhanden sind, und die Lebensqualität durchaus negativ beeinflussen, jedoch nicht mehr stark genug sind, um die Diagnosekriterien zu erfüllen.
Studien zur Feldprävalenz von ADHS unterscheiden die Ursachen des festgestellten ADHS ebensowenig wie ADHS-Diagnosen, die in (noch bestehender) Unkenntnis der Ursache gemacht werden.
Vor diesem Hintergrund dürfte es sinnvoller sein, ADHS weiter ADHS zu nennen und innerhalb des ADHS-Syndrom-Spektrums anhand der unterschiedlichen ADHS-Entstehungsursachen und Beitragsfaktoren zu unterscheiden.

Unter Kindern zwischen 4 und 12 Jahren, die eine Zahnklinik besuchten, korrelierte SBAS mit einem mehr als 7,35-fachen Risiko für ADHS-Medikation, einem 40 % erhöhten Risiko für Asthmamedikamente und einem 12,5-fachen Risiko für sonstige Medikamente.55

  • SBAS korrelierte weiter mit:55
    • Allergien: 4,9-fach
    • Entwicklungsstörungen: 4,94-fach
    • Verhaltensstörungen: 3,94-fach
    • Durchschlafstörungen: 3- bis 6-fach
    • Mundatmung: 4,7- bis 5-fach
    • Schnarchen: 3-fach
      • 70 % der Kinder mit SBAS schnarchen häufig104
    • weniger erlittene Geburtskomplikationen bei der eigenen Geburt
    • 83,3 % der Eltern berichteten, dass sie schnarchen, gegenüber 52,2 % der Eltern von Kindern ohne SBAS
  • ADHS-Medikamenteneinnahme korrelierte niedrig bis moderat mit Mundatmung (Phi = 0,216)
  • Mundatmung korrelierte moderat bis stark mit Schnarchen (Phi = 0,386, p < 0,001).

Polysomnografie-Studien fanden eine Korrelation von ADHS und schlafbezogenen Störungen nur in Bezug auf mehr Bewegungen in der Nacht.105106 Polysomnografie ist eine Schlaflaboruntersuchung mit Messung von Hirnströmen (EEG), Augenbewegungen (EOG), Herzaktivität (EKG), Atmung, Sauerstoffsättigung, Muskelaktivität (EMG) und Körperlage.

Eine Studie berichtet von erhöhtem Schnarchen und Atemaussetzern bei Kindern mit Downsyndrom.107 Downsyndrom geht mit einer ADHS-Quote von 50 % einher. Mehr hierzu unter Monogenetische ADHS-Ursachen.

Es fand sich eine genomische Korrelation zwischen ADHS und Schlaflosigkeit, Nickerchen am Tag, Tagesmüdigkeit, Schnarchen, Tagesmüdigkeit, kurzer und langer Schlafdauer. Schlaflosigkeit, Tagesmüdigkeit und Schnarchen hatten gemeinsame Gene mit ADHS, die an neurobiologischen Funktionen und regulatorischen Signalwegen beteiligt sind.108

Das obere Quartil für den SBAS-Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI größer als 20,6/h) korrelierte (jeweils unabhängig voneinander) mit61

  • metabolisches Syndrom (OR 2,80)
  • Diabetes (OR 2,00)
  • Depression (OR 1,92)
  • Bluthochdruck (OR 1,60)

Kinder mit ADHS zeigen häufiger SBAS-Symptome.109

6.6.1.4. Adenotonsillektomie bei SBAS und Veränderung der ADHS-Symptome

Kinder von 6 bis 12 Jahren mit SBAS zeigten eine Korrelation zwischen der niedrigsten Blutsauerstoffsättigung und Leistungen im Modifizierten Wisconsin-Kartensortierungstest. Eine Adenotonsillektomie verbesserte den Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) signifikant, und verbesserte die Durchschnittswerte der meisten neurokognitiven und verhaltensbezogenen Werte, obwohl auch nach 6 Monaten noch Restdefizite vorherrschten. Knapp die Hälfte der Kinder litt jedoch weiterhin an SBAS. Ein Ausgangs-AHI > 5/h und eine vollständige Besserung der SBAS (postoperativer AHI < 1/h) korrelierte mit einer Verbesserung in mehr Subskalen als ein Ausgangs-AHI < 5/h oder eine unvollständige Besserung der SBAS. Die Beeinträchtigung der neurokognitiven Leistungsfähigkeit bei SBAS scheint eher auf eine Hypoxämie als auf die Häufigkeit von SBAS-Ereignissen zurückzuführen zu sein.110
Kinder mit SBAS, die sich einer Adenotonsillektomie unterzogen hatten111

  • zeigten vor der OP im Vergleich zu Nichtbetroffenen
    • häufiger ADHS (DSM-IV)
    • häufiger Hyperaktivität
    • mehr Unaufmerksamkeit in kognitiven Tests
    • mehr Schläfrigkeit im Multiple Sleep Latency Test schläfriger
  • zeigten nach der OP in allen Werten deutliche Verbesserungen und keine Unterschiede mehr zu Nichtbetroffenen
  • die Verbesserungen waren vor der OP nicht durch polysomnographische Messungen vorherzusagen

Unter 64 Kindern mit SBAS (3 bis 12 Jahre) fand sich 4 Jahre nach der Adenotonsillektomie eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität, jedoch keine Verbesserung des Verhaltens nach der CBCL.112
Unter 20 Kindern mit OSA (3 bis 13 Jahre) fand sich 4,5 Jahre nach einer Adenotonsillektomie eine deutliche Verbesserung der ADHS-Symptomatik, des Verhaltens und des Schnarchens.113

Unter 54 Kindern mit schlafbezogenen Gasaustauschstörungen (SAGEA) bewirkten eine chirurgische Tonsillektomie und Adenoidektomie eine statistisch signifikante Verbesserung der Schulleistungen, während diese bei Kindern ohne die OP unverändert blieb.114

Kinder mit leichter (Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) unter 6 oder Apnoe-Index (AI) unter 1) SBAS (AHI-Schnitt 3,1) und Kinder mit OSA (AHI ab 5 oder AI ab 1) (AHI Schnitt 25,3; 10 bis 48) zeigten vor der Adenotonsillektomie keine Unterschiede in den BASC-Werten. Beide Gruppen zeigten nach der OP eine signifikante Verbesserung des Verhaltenssymptomindex, sowie in den BASC-Skalen für Atypizität, Depression, Hyperaktivität und Somatisierung.115

Beobachtungsunterschiede: Symptomwahrnehmung vs. Polysomnographische Messung

In mehreren Studien wurde beobachtet, dass die von Eltern oder Lehrern berichtete Symptomschwere nur bedingt mit den Ergebnissen polysomnographischer Messungen korreliert.

SBAS bei Kindern von 5 bis 17 Jahren zeigte für die fünf Bereiche der exekutiven Funktionen (Metastudie k = 14, n = 1697)116

  • bei polysomnographischer Messung
    • 0,43 Generativität (SMD)
    • die anderen vier Bereiche der Exekutivfunktionen (Vigilanz, Inhibition, Arbeitsgedächtnis, Shifting) nicht signifikant
  • bei Fragebogenerhebung
    • für alle drei gemessenen Bereiche der exekutiven Funktionen signifikant von SMD 0,64 bis 1,06
      • 0,64 Inhibition (SMD im Elternreport)
      • 1,06 Arbeitsgedächtnis (SMD im Elternreport)
      • 0,86 Taskwechsel (SMD im Elternreport)
  • Schweregrad der SBAS beeinflusste Exekutivfunktionen nicht

Kinder von 7 bis 12 Jahren, die anhand einer nächtlichen Polysomnographie unterteilt wurden in Kontrollgruppe (N = 34); primäres Schnarchen (PS: N = 55), leichte obstruktive Schlafapnoe (leichte OSA: N = 22) und mittelschwere bis schwere OSA (MS OSA: n = 16) zeigten im Behaviour Rating Inventory of Executive Function (BRIEF) bei allen Schweregraden der SBAS Defizite im Arbeitsgedächtnis. Während ein Computertest (Erkennung von Spielkarten, CogHealth) keinen Unterschied zwischen SBAS und Kontrollen fand, zeigte leichte OSA signifikant schlechtere Leistungen als die Gruppe mit primärem Schnarchen. Eltern von Kindern mit primärem Schnarchen berichteten dagegen stärkere Arbeitsgedächtnisdefizite als die objektive Messung.117

Unter Kindern im Alter von 5 bis 9 Jahren mit Adenotonsillarhypertrophie und diagnostizierter Schlafapnoe erfüllten 42 % nach 7 Monaten ohne OP nicht mehr die diagnostischen Kriterien für eine Schlafapnoe. Diese Remission war statistisch signifikant häufiger bei niedrigerem AHI, besserer Sauerstoffsättigung, kleinerem Taillenumfang, höher positioniertem Gaumensegel, kleinerem Halsumfang und nicht-schwarzer Hautfarbe. Allerdings erzielten von den 167 Kindern mit PSQ-Ausgangswerten ≥ 0,33 nur 15 % eine symptomatische Remission. Diese wurde prognostiziert durch niedrige PSQ- und PSQ-Schnarch-Subskalenwerte, das Fehlen von gewohnheitsmäßigem Schnarchen, lautem Schnarchen, beobachteten Apnoen oder Rauchern im Haushalt, eine höhere Lebensqualität, weniger Symptome von ADHS und weibliches Geschlecht. Nur niedrigere PSQ- und Schnarchwerte waren unabhängige Prädiktoren.
Zusammenfassend ist eine abwartende Beobachtung der Polysomnographie zwar häufig mit einem Wegfall der OSAS-Diagnose verbunden, jedoch nur selten mit einer signifikanten Verbesserung der Symptome.118

Kinder von 3 bis 5 Jahren mit SBD zeigten bei einer Nachuntersuchung 3 Jahre später:119

  • 60 % der behandelten Kinder zeigten eine Heilung des SBAS
  • 40 % der nicht behandelten Kinder zeigten eine Heilung des SBAS
  • geheilt wurde definiert als: OAHI von max. 1/Stunde und kein Schnarchen bei der Polysomnografie und kein Bericht über gewohnheitsmäßiges Schnarchen durch die Eltern
  • keine kognitiven Unterschiede zwischen „ausgeheilt“, „nicht ausgeheilt“ und „Kontrollgruppe“
  • Verhaltensfunktionen signifikant schlechter bei Kindern mit ursprünglicher SBAS-Diagnose im Vergleich zu Kontrollen, und zwar unabhängig von der Heilung
  • OAHI-Veränderung sagte keine kognitiven oder verhaltensbezogenen Ergebnisse voraus
  • Verringerung der nächtlichen Erregungen, unabhängig von einer vollständigen Heilung, korrelierte mit verbesserter Aufmerksamkeit und weniger Aggression

6.6.2. Schnarchen (bis + 350 %)

Primäres Schnarchen (Schnarchen ohne OSA) unterscheidet sich von obstruktiver Schlafapnoe durch die Anzahl der Hypopnoen pro Stunde.
Primäres Schnarchen wird bei einem AHI von max. 1 angenommen, OSA bei einem AHI von mehr als 1.

6.6.2.1. Prävalenz von Schnarchen

Bevölkerungsprävalenz Schnarchen

  • Kinder von 4 bis 6 Jahren120
    • 24,9 % gelegentliches Schnarchen
    • 15,2 % gewohnheitsmäßiges Schnarchen
  • Kinder von 5 bis 7 Jahren
    • 7,7 % Schnarchen im Elternbericht121
  • Kinder von 2 bis 8 Jahren 10 %122
  • Kinder von 6 bis 12 Jahren: 5,7 %123
    • Jungen 7,5 %
    • Mädchen 3,8 %
    • von 6 bis 9 Jahren höher als von 10 bis 12 Jahren
  • Kinder von 7 bis 13 Jahren124
    • 38,9 %
    • Gewohnheitsmäßiges Schnarchen 3,5 %
    • am häufigsten von 7 bis 8 Jahren
  • Kinder von 2 bis 14 Jahren, die einen Kliniktermin hatten
    • 16 % gewohnheitsmäßiges Schnarchen125
  • Kinder mit 14 Jahren:
    • 23,2 %126
    • 19 % (manchmal oder oft)127
    • Alpträume: 27,88 %126
    • Schlafwandeln/Sprechen im Schlaf: 27,7 %126
    • Einschlafstörungen: 40,6 %126
  • Kinder und Jugendliche von 2 bis 18 Jahren: 10 %128
  • Jugendliche 9,7 %58
    • männlich: 10,4 %58
    • weiblich: 9,1 %58
    • mit Adipositas: 18,2 %58
    • ohne Adipositas: 7,8 %58
    • einige Nächte pro Monat: 20 %90
    • jede Nacht: 6 %90
    • ständig: 1,5 bis 6 %129

Gewohnheitsmäßiges Schnarchen bei Grundschulkindern (4 bis 6 Jahre) korrelierte mit120

  • Passivrauchen (Odds Ratio (OR) = 1,77, + 77 %),
  • Haustiere zu Hause (OR = 0,58, minus 42 %)
  • Stickstoffdioxidbelastung (NO2) im Winter erhöht Schnarchrisiko im Vergleich zu geringer Belastung (<30 Mikrogramm/m3)
    • 2,5-fach (+ 150 %) bei mittlerer (30–60 µg/m3) NO2-Exposition
    • 4,5-fach (+ 350 %) bei hoher Exposition (> 60 µg/m3)

6.6.2.2. Schnarchen und ADHS-Symptome

Gewohnheitsmäßiges Schnarchen sagte bei Kindern Hyperaktivität 4 Jahre später voraus (+ 340 %, OR 4,4), ebenso lautes Schnarchen (+ 350 %, OR 4,5). Die 25 % stärksten Schnarcher hatten ein 5,3-faches Hyperaktivitätsrisiko 4 Jahre später (+ 430 %). Schläfrigkeit war mit dem 3-fachen Risiko (+ 200 %), schlafbezogene Atmungsstörungen mit dem 4-fachen Risiko (+ 300 %) von Hyperaktivität 4 Jahre später verbunden.130

Bei gelegentlich oder oft schnarchenden Kindern war die ADHS-Prävalenz verdoppelt (+ 100 %).127

Eine Studie an n = 512 schnarchenden Kindern und Jugendlichen (davon 70 % übergewichtig oder fettleibig und 35 % mit einem erhöhten obstruktiven AHI von mehr als 3/h) fand dagegen, dass von den schnarchenden Kindern131

  • 36 % Hyperaktivität/Impulsivität zeigten
  • 24 % emotionale Dysregulation zeigten
  • Erstaunlicherweise korrelierte mit Hyperaktivität/Impulsivität oder emotionaler Dysregulation nicht die durch Schlafapnoe verringerte Sauerstoffzufuhr, sondern die Lautstärke des Schnarchens

Schnarchen in verschiedenen Formen korrelierte in einer großen Studie bei Kindern von 6 bis 12 Jahren mit um 30 % erhöhten Scores in Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und ADHS insgesamt nach dem Koreanischen ADHS-RS:132

  • Schnarchen mehr als die Hälfte der Zeit
  • Schnarchen immer
  • Lautes Schnarchen
  • Schweres oder lautes Atmen

Bei Kindern von 5 bis 7 Jahren ohne ADHS-Diagnose und ohne Hyperaktivität korrelierte häufiges Schnarchen mit133

  • Aufmerksamkeitsproblemen
  • Sozialen Problemen
  • Angstsysmptomen
  • Depressionssymptomen
  • Schlechteren kognitiven Werten

Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren mit gewohnheitsmäßigem Schnarchen, die sich einer Polysomnographie (PSG) unterzogen hatten, zeigten im Vergleich zu Kontrollen erhöhte Werte von134

  • Hyperaktivität (ADHS Rating Scale)
  • Unaufmerksamkeit (ADHS Rating Scale)

ADHS-Symptome hingen bei Kindern von 6 bis 12 Jahren vom Maß des Schnarchens ab:123

  • häufig schnarchende Kinder
    • 31,3 % Aufmerksamkeitsdefizit
    • 18,2 % Hyperaktivität/Impulsivität
  • gelegentlich schnarchende Kinder
    • 16,2 % Aufmerksamkeitsdefizit
    • 9,9 % Hyperaktivität/Impulsivität
  • nicht schnarchende Kinder
    • 13,9 % Aufmerksamkeitsdefizit
    • 8,8 % Hyperaktivität/Impulsivität

Kinder von 2 bis 14 Jahren, die einen Kliniktermin hatten, zeigten:125

  • Hyperaktivität: 22 % bei gewohnheitsmäßigem Schnarchen vs. 12 % bei Nichtschnarchen

Das Maß des Schnarchens, nicht aber der AHI, korrelierte bei Kindern von 4 bis 10 Jahren mit135

  • Hyperaktivität (CPRS-R)
  • Unaufmerksamkeit (CPRS-R)
  • Kognitiven Leistungen (NEPSY, DAS)
  • Internalisierenden Symptomen (CBCL)
  • Externaliserenden Symptomen (CBCL)
  • Verständnis von Anweisungen (NEPSY)
  • Die Korrelation zwischen Schnarchen und AHI war schwach (rs = 0,24).

Unter schnarchenden Kindern von 5 bis 7 Jahren korrelierte ein AHI von 5 und mehr im NEPSY mit schlechteren Werten in Bezug auf136

  • Unaufmerksamkeit
  • Exekutivprobleme

Gewohnheitsmäßiges Schnarchen bei Kindern und Jugendlichen korrelierte mit Hyperaktivität.124137

Eine Studie an n = 405 Kindern von 4 bis 9 Jahren fand klinisch relevante Hyperaktivität bei 15,5 % im Vergleich zu 5,3 % bei den Kontrollen (+ 188 %). Zudem fand sich bei 11,1 % eine hohe Wahrscheinlichkeit für Hyperaktivität gegenüber 4,1 % bei den Kontrollen (+ 170 %).

Eine Studie fand 43 % höhere Werte von Hyperaktivität und 25 % höhere Werte für Unaufmerksamkeit bei Kindern, die schnarchten. Beide Werte verbesserten sich durch eine Adenotonsillektomie deutlich.96

Gewohnheitsmäßiges Schnarchen bei Grundschulkindern korrelierte mit:

  • Hyperaktivität erhöht138, um 180 % häufiger139, um 140 % häufiger 140
  • Unaufmerksamkeit erhöht138, um 340 % häufiger139, um 300 % häufiger140
  • Oppositionelles Verhalten erhöht138
  • Verhaltensprobleme um 180 % häufiger 140
  • Emotionale Probleme um 450 % häufiger140
  • Probleme mit Gleichaltrigen um 870 % häufiger 140
  • Tagesmüdigkeit um 970 % häufiger139
  • UARS/OSA bei 25 %139
  • schlechtere schulische Leistungen139
    • Mathematik + 160 %
    • Naturwissenschaften + 230 %
    • Rechtschreibung + 150 %

Die Veränderungen waren unabhängig von zwischenzeitlicher Hypoxie um 140 % häufiger.140 Die Verhaltensprobleme besserten sich, wenn das Schnarchen verschwand.

Bei Jugendlichen korrelierte häufiges Schnarchen mit einem um 130 % erhöhten ADHS-Risiko.141

Eine Studie fand mittels Mendelscher Randomisierung keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Schlafapnoe oder Schnarchen und ADHS. ADHS korrelierte signifikant mit kürzerer Schlafdauer.142

Kinder mit ADHS schnarchten häufiger als Nichtbetroffene.143144145

  • 77,8 % der Kinder von 6 bis 14 Jahren mit ADHS, die einer Polysomnographie unterzogen worden waren, schnarchten stark. Bei 50,0 % fand sich ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (OSAS).146
  • 40 % der Kinder mit ADHS schnarchten zuweilen lauter als 60 dB, im Vergleich zu 28 % der Kontrollen.147
  • 33 % der Kinder mit ADHS (DSM-IV) schnarchten, gegen 9 % bis 11 % der Nichtbetroffenen128
  • 26,7 % der Kinder von 5 bis 13 Jahren mit Hyperkinetischem Syndrom schnarchten laut148
  • 21 % aller Kinder mit ADHS (Alterschnitt 8,9 Jahre) schnarchten.149

Jugendliche, die als Kinder mit ADHS (DSM-IV) diagnostiziert worden waren,150

  • und deren ADHS in der Jugend persistierte, schnarchten zu 57,9 %. Schnarchen war damit 3,5-mal so häufig wie bei Nichtbetroffenen (+ 250 %)
  • und deren ADHS in der Jugend nicht vollständig persistierte (subklinisches ADHS), schnarchten zu 43,4 % und damit 2,0-mal so häufig wie Nichtbetroffene (+ 100 %)
  • Schnarchen war damit bei persistentem ADHS um 80 % häufiger als bei subklinischem ADHS.
  • Nichtbetroffene Kontrollen scharchten zu 28,3 %

ADHS im Alter von 5 Jahren korrelierte mit einem um 32 % höheren Risiko, im Alter von 14 Jahren zu schnarchen.151
Unter Jugendlichen von 10 bis 17 Jahren schnarchten 50,7 % der ADHS-I und ADHS-C-Betroffenen, im Vergleich zu 33,2 % der Nichtbetroffenen152 Eine kleine Studie fand dagegen nur bei ADHS-HI eine erhöhte Prävalenz für Schnarchen.153

Auch seltenes Schnarchen bei Kindern korrelierte mit erhöhten ADHS-Symptomen.154

Methylphenidat verbesserte nach 6 Monaten Schnarchen und Bruxismus bei ADHS-I.155

6.6.2.3. Adenotonsillektomie bei Schnarchen und Veränderung der ADHS-Symptome

Eine Adenotonsillektomie verbesserte bei schnarchenden Kindern:

  • Aufmerksamkeit/Konzentration um 42 %156
  • verbale Flüssigkeit um 92 %156
  • Lernen/Erinnerungsvermögen um 38 %156
  • exekutive Funktionen um 52 %156
  • allgemeine intellektuelle Fähigkeiten um 33 %156
  • Unaufmerksamkeit um 21 %156
  • Hyperaktivität um 21 %156
  • neurokognitive Leistungen nicht157

Siehe auch unter Differentialdiagnostik: Organische Primärstörunge

6.6.3. Verengte Nasenmuschel (+ 300 %)

Eine Hypertrophie der unteren Nasenmuschel kann Schlafbezogene Atmungsstörungen (SBAS) und ADHS-Symptome verursachen.
Die unteren Nasenmuscheln verursachen bis zu 50 % des gesamten Widerstandes der Nasenatmungswege.158 Bis zu 20 % der Bevölkerung leiden unter einer chronischen Nasenverstopfung infolge einer Hypertrophie der Nasenmuschel.159
Eine chronische Hypertrophie der Nasenmuscheln, wie sie häufig durch allergische Rhinitis (Heuschnupfen) oder chronische Rhinosinusitis verursacht wird, kann die Nasenatmung auch ohne Adenotonsillarpathologie erheblich beeinträchtigen.160

Eine retrospektive Kohortenstudie an n = 326 Kindern von 3 bis 17 Jahren (Schnitt 9 Jahre, 65 % Jungen), die zwischen Dezember 2020 und Mai 2023 eine Reduktion der unteren Nasenmuschel (ITR) erhielten (isoliert oder in Kombination mit einer Adenotonsillektomie, Septumplastik oder funktioneller endoskopischer Nasennebenhöhlenoperation), fand unter den Teilnehmern bei 32,5 % ADHS-ähnliche Symptome vor der OP. Bei diesen berichteten die Eltern 12 Monate nach der OP:160

  • 89,6 % verbesserte Nasenatmung
  • 84,0 % Abklingen der SBAS-Symptome
  • 48,1 % Verbesserung der ADHS-Symptome, die signifikant mit einer Verbesserung der Nasenatmung korrelierte

Unter der Annahme einer ADHS-Prävalenz von 8 % bei Kindern und der Annahme, dass ADHS-Symptome mit einer ADHS-Diagnose gleichzusetzen wären, ergäbe sich bei 32,5 % ein um 300 % erhöhtes ADHS-Risiko.

Eine Studie fand eine signifikante Verbesserung der Schlafqualität, aber keine Verbesserung der ADHS-Symptomatik durch Nasenseptumoperation (Begradigung einer verkrümmten Nasenscheidenwand).161

6.6.4. Vergrößerte Rachen- und Gaumenmandeln (Adenotonsilläre Hypertrophie) (bis + 275 %)

**Adenotonsillektomie: Chirurgische Entfernung der Gaumenmandeln (Tonsillen) und Rachenmandeln (Adenoide), oft aufgrund von wiederkehrenden Infektionen oder Vergrößerungen, die zu Atemproblemen wie z. B. einer obstruktiven Schlafapnoe führen. Häufige Standardbehandlung bei Kindern mit mittelschweren bis schweren Schlafapnoesyndromen. Kann Atemprobleme, Verhaltensauffälligkeiten und Tagesmüdigkeit verbessern.
**Adenotomie: Chirurgische Entfernung nur der Rachenmandeln (Adenoide, kindliche Polypen)
**Tonsillektomie: Chirurgische Entfernung nur der Gaumenmandeln (Tonsillen, Halsmandeln)

Eine Adenotonsillarhypertrophie ist der häufigste Faktor für SBAS bei Kindern.53162
Eine chronische Adenotonsillarhypertrophie kann zu verschiedenen Arten von atmungsbezogenen Schlafstörungen führen, von lautem Schnarchen bis zu schwerer obstruktiver Schlafapnoe. Chronische Adenotonsillarhypertrophie kann die Schlafarchitektur beeinträchtigen, z.B. durch erhöhte Erregung während des Schlafs, erhöhte REM-Schlaflatenz, verringerten REM-Schlaf, verminderte Schlafeffizienz
oder verkürzte Schlafdauer.163164
Normalerweise tritt eine Rachenmandelvergrößerung besonders in den ersten Lebensjahren auf und bildet sich während der späten Kindheit normalerweise - aber nicht zwingend - zurück.
Der Wegfall der Nasenfunktion bei der Atmung kann eine chronische Entzündung des oberen Respirationstraktes begünstigen.

6.6.4.1. Prävalenz von adenotonsillärer Hypertrophie

Bevölkerungsprävalenz der Adenotonsillarhypertrophie

Die Bevölkerungsprävalenz der Adenoidhypertrophie betrug

  • bei Kindern
  • bei Kindern und Jugendlichen
    • 49,7 % (Metastudie, k = 17, n = 5.248)166
      • 42,2 % Grad 1
      • 70,0 % Grad 2
      • 34,5 % Grad 3
    • 34,5 % in einer randomisierten, repräsentativen Gruppe166
  • bei Erwachsenen
    • 26,28 %, geschlechtsunabhängig167
      • 14,6 % Grad 1
      • 8,2 % Grad 2
      • 3,6 % Grad 3
  • Tonsillen-/Adenoidhypertrophie fand sich bei Kindern mit ADHS (6 bis 12 Jahre) bei168
    • 30,2 % von denjenigen mit Schlafstörungen
    • 13,8 % von denjenigen ohne Schlafstörungen
6.6.4.2. Adenotonsilläre Hypertrophie und ADHS-Symptome

Die ADHS-Prävalenz bei Kindern mit adenotonsillärer Hypertrophie lag bei (im Vergleich zu einer angenommenen Prävalenz von 8 %)

  • 30 % (+ 275 %)169
  • 30 % (+ 275 %)170
  • 27,1 % (+ 238 %)171
  • 26,8 % (+ 235 %)172

Bei n = 35 Kindern im Alter von 5 bis 12 Jahren mit adenotonsillärer Hypertrophie und ADHS (DSM-IV) bewirkte eine Adenotonsillektomie** sechs Monate nach der Operation:173

  • 57,8 % weniger ADHS-C (22,9 % nach der OP gegenüber 54,3 % vor der OP).
  • Unaufmerksamkeit signifikant verringert
  • Hyperaktivität signifikant verringert
  • kombinierte ADHS-Symptome signifikant verringert

Kinder mit ADHS von 6 bis 12 Jahren hatten ein 2,71-faches Risiko einer adenotonsillären Hypertrophie.168

Beeinträchtigungen von kognitiven Funktionen und Verhalten korrelierten bei Kindern von 6 bis 12 Jahren mit Schnarchen, Schlafeffizienz, Schlaflatenz und Ethnie, nicht aber mit der Größe der Mandeln. Schnarchen korrelierte besser mit den Defiziten als die Anzahl der Apnoe- und Hypopnoe-Episoden pro Stunde Schlaf.174

6.6.4.3. Adenotonsillektomie bei adenotonsillärer Hypertrophie

Eine Adenotonsillektomie bei Kindern mit ADHS und adenotonsillärer Hypertrophie

  • behob das ADHS bei 50 % nach 6 Monaten nach der OP. ODD blieb unverändert.169
  • behob das ADHS bei 70 % nach 6 Monaten nach der Adenotonsillektomie175
  • verringerte (nach 6 Monaten noch ausgeprägter als nach 3 Monaten):176
    • Oppositionelles Verhalten
    • Unaufmerksamkeit / kognitive Symptome
    • Hyperaktivität
    • ADHS-Gesamtsymptome
  • verbesserte bei Kindern mit ADHS, aber auch bei Kindern ohne ADHS.177
    • Oppositionelles Verhalten
    • Unaufmerksamkeit / kognitive Symptome
    • Hyperaktivität
    • ADHS-Gesamtsymptome
    • In einem Langzeit-Follow-up verschlechterten sich die Werte nach 2,4 bis 3,6 Jahren nach der OP nicht, und blieben - bis auf den ADHS-Gesamtindex - signifikant besser als die Werte vor der OP.178
  • verbesserte die ADHS-Symptomatik stärker als bei Behandlung mit MPH ohne OP, wobei die Symptome nach der OP fast auf das Niveau Nichtbetroffenen sanken179
  • verbesserte bei Kindern und Jugendlichen mit SBAS und ADHS (nach DSM-IV) signifikant die Werte von 180181172182183
    • Hyperaktivität
    • Unaufmerksamkeit
    • ADHS-Gesamtscore

Ebenso trat bei 54 % der Kinder mit Enuresis diese nach der OP nicht mehr auf.181

Bei 26,3 % der Kinder (3 bis 7 Jahre), die eine Adenotonsillektomie erhielten, war nach einem Jahr weiterhin eine Schlafapnoe (AHI über 2) vorhanden.184

6.6.5. Atemaussetzer im Schlaf (Schlaf-Apnoe, OSA, OSAS) (+ 100 %)

Schlaf-Apnoe (obstruktives Schlafapnoesyndrom, OSA, OSAS) wird anhand des Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) gemessen. Dieser gibt die Anzahl vollständiger Atemaussetzer (Apnoen) und teilweiser Atembeeinträchtigungen (Hypopnoen) pro Stunde Schlaf an. Ein AHI unter 5 gilt als normal, 5 bis 14 deutet auf eine leichte, 15 bis 30 auf eine mittelschwere und mehr als 30 auf eine schwere Schlafapnoe hin.185

6.6.5.1. Prävalenz von OSA

Prävalenz Schlafapnoe

Die Bevölkerungsprävalenz von Schlafapnoe wurde beziffert mit

  • 2 bis 4 %
  • Kinder
    • 1,2 bis 5,7 %186
    • 10 %127
    • Maximum im Alter von 2 bis 8 Jahren, was dem Alter des Höchststandes der Tonsillen- und Adenoidhypertrophie entspreche187
  • Jugendliche: 2,5 bis 6,1 %58
    • von 30 bis 60 Jahren, SHI ab 5 und Hypersomnolenz tagsüber59
      • 2 % bei Frauen
      • 4 % bei Männern
  • mittleres Alter: 4 bis 5 %60
  • in manchen neueren Studien mit 13 % bei Männern und 6 % bei Frauen
  • bei Typ-2-Diabetikern
    • 65 % (AHI 5 oder höher), 26 % mittelschwere (AHI 15 oder höher) oder schwere OSA188
  • bei Down-Syndrom
    • 66,4 %; 30 % mit AHI ab 10, 75,7 % bei den Kindern mit Downsyndrom, die schnarchten, jedoch schwereres OSA bei den Kindern, die nicht schnarchten189
    • OSA mit AHI ab 1,5 bei Down-Syndrom korrelierte mit einem zusätzlichen Verlust von 9 IQ-Punkten190

OSA bei Kindern mit ADHS (6 bis 12 Jahre):168

  • 46,6 % der Kinder mit ADHS hatten aufgrund eines PSQ > 7 (Pediatric Sleep Questionnaire) einen Verdacht auf OSA
  • 23,4 % der Kinder mit ADHS von 6 bis 12 Jahren zeigten eine OSA in der Atem-Polygraphie
    • Im Vergleich zu einer angenommenen Kinder-Bevölkerungs-OSA-Prävalenz von 8 % ist dies ein um 200 % erhöhtes OSA-Risiko
  • 93,5 % zeigten klinisch signifikante Schlafprobleme nach dem Children’s Sleep Habits Questionnaire (CSHQ)

OSA korreliert mit Hypoxie, Erregungszuständen während des Schlafs und negativen Schwankungen des intrathorakalen Drucks. Die Folgen können sein75

  • Belastung des Herz-Kreislauf-Systems.
    • periphere Vasokonstriktion
    • intermittierender Blutdruckanstieg (erhöhte Blutdruckvariabilität)
    • erhöhte Herzfrequenz
    • verringerte Herzratenvariabilität
    • Behandlung der OSA verbessert die Herz-Kreislauf-System-Faktoren.75
  • Aktivierung des sympathischen Nervensystems
    • erhöhte Urinkatecholaminwerte
  • erhöhter oxidativer Stress
  • systemische Entzündungen
  • endotheliale Dysfunktion
  • verminderte nächtliche Baroreflexverstärkung
    • mit der Folge erhöhter Blutdruckschwankungen
  • subklinische Anomalien der Herzstruktur und -funktion, die nur durch EKG erkennbar sind
  • Enuresis
    • verbessert durch OSA-Behandlung
  • Wachstumseinschränkung
    • Größe und Gewicht
    • verbessert durch OSA-Behandlung
  • Exzessive Tagesmüdigkeit
    • verbessert durch OSA-Behandlung
  • Eingeschränkte Lebensqualität
    • verbessert durch OSA-Behandlung
  • ADHS (siehe unten)
    • Hyperaktivität
    • Unaufmerksamkeit
    • kognitive Einschrnkungen
    • belastete Exekutivfunktionen
    • verbessert durch OSA-Behandlung

Die Prävalenz von Schlaflosigkeit bei OSA liegt zwischen 39 % und 55 %.188

6.6.5.2. ADHS-Symptome bei OSA

Atemaussetzer im Schlaf von Kindern können Symptome verursachen, die ADHS gleichen.191
Offen ist, ob Atemaussetzer im Schlaf eine solche Stressbelastung darstellen können, dass sie durch epigenetische Veränderungen zu ADHS beitragen können, oder ob sie lediglich Symptome verursachen, die denen von ADHS gleichen. In letzterem Fall müssten bei Menschen, die vorher kein ADHS hatten, und die durch Atemaussetzer im Schlaf ADHS-(ähnliche)-Symptome entwickelt haben, diese nach Beseitigung der Atemaussetzer im Schlaf wieder vollkommen verschwinden. Hierzu sind uns bislang keine Untersuchungen bekannt.

Bei Kindern mit OSA war die ADHS-Prävalenz verdoppelt (+ 100 %).127

Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren mit OSA, die sich einer Polysomnographie (PSG) unterzogen hatten, zeigten im Vergleich zu Kontrollen erhöhte Werte von192

  • Hyperaktivität (ADHS Rating Scale)
  • Unaufmerksamkeit (ADHS Rating Scale)

Unter 110 Jungen im Alter von 6 Jahren korrelierte SBAS mit Hyperaktivität, nicht aber mit Unaufmerksamkeit.193

Kinder von 4 bis 12 Jahren, mit Polysomnographie-diagnostizierter leichter oder mittelschwerer OSAHS zeigten im Vergleich zu gesunden Kontrollen194

  • FIQ-, VIQ- und Leistungs-IQ-Werte (PIQ) korrelierten nicht mit AHI, OAHI und dem niedrigsten nächtlichen SO2-Wert
  • unter 6 Jahren
    • signifikant niedrigere Werte beim Gesamt-IQ (FIQ), verbalen IQ (VIQ), Verständnis-Test und visueller Analyse
    • die kumulierte Zeit von SO2 unter 90 % (p = 0,046) und der Prozentsatz der kumulierten Zeit von SO2 unter 90 % in der Gesamtschlafzeit (p = 0,034) korrelierten signifikant negativ und signifikant mit dem PIQ
  • ab 6 Jahre signifikant niedrigere VIQ- und Klassifizierungstestergebnisse bei Kindern mit OSAHS signifikant niedriger

Kinder mit ADHS haben einen signifikant höheren AHI (Apnoe-Hypopnoe-Index). (Metastudie, k = 16, n = 1.360)195 Eine Casestudy von 3 Erwachsenen mit ADHS und OSA machte bereits früh auf das Thema aufmerksam.196

Kinder mit ADHS ohne OSA von 6 bis 13 Jahren zeigten in der Polysomnographie einen unauffälligen Schlaf.197

Kinder mit OSA und ADHS zeigten im Vergleich zu Kindern mit OSA ohne ADHS:198

  • AHI-Werte erhöht
  • Blutsauerstoffsättigung erhöht
  • IL-4 erhöht
  • IL-12 erhöht
  • IL-13 erhöht
  • transformierender Wachstumsfaktor (TGF)-β deutlich niedriger
  • Dopaminwerte erhöht (vermutlich peripher)
  • Noradrenalinwerte wesentlich niedriger (vermutlich peripher)
  • Serum-Leptinspiegel erhöht
  • Adiponektin verringert
  • Resistin verringert

6.6.5.3. Adenotonsillektomie bei OSA und Veränderung der ADHS-Symptome

Kinder mit OSA aufgrund von Adenotonsillarhypertrophie Grad 3 und 4 zeigten kognitive Funktionsstörungen (schlechterer NESPY-Score). Eine Adenotonsillektomie verbesserte diese und verringerte die Serumzytokinspiegel von Tumornekrosefaktor-α (TNF-α), Interleukin (IL)-6 und 1β. Lebensstilinterventionen wirkten bei leichtem OSAS und minimalen kognitiven Funktionsstörungen zufriedenstellend und verbesserten vor der Operation die Ergebnisse der Adenotonsillektomie. Unter den Probanden waren 33,5 % übergewichtig und weitere 55,8 % hatten Adipositas. Die Tonsillenhypertrophie betrug bei 27,7 % Grad 4, bei 44,2 % Grad 3, bei 27,2 % Grad 2 und bei 0,9 % Grad 1. Die Adenoidhypertrophie betrug bei 5,4 % Null, bei 5,7 % Grad 1, bei 41,1 % Grad 2, bei 36,2 % Grad 3 und bei 11,5 % Grad 4. Weder Tonsillenhypertrophie noch Adenoidhypertrophie korrelierten statistisch signifikant mit dem OSA-AHI-Score. Schwere OSA tendierte zu erhöhter Adenoidhypertrophie.199 Von den 181 Patienten mit Adenotonsillarhypertrophie Grad 3 oder 4 unterzogen sich 19 einer Adenoidektomie, 76 einer Tonsillektomie und 86 einer Adenotonsillektomie. Eine Tonsillektomie oder Adenotonsillektomie wurde bei schwerem OSA signifikant häufiger benötigt. Die kognitive Leistungsfähigkeit (NEPSY-Score) war vor der Behandlung bei schwerem OSA signifikant schlechter als bei leichter OSA. Im Follow-up verbesserte sich die kognitive Leistungsfähigkeit bei leichter OSA bei 76,7 %, bei mittlerer OSA bei 84,1 % und bei schwerer OSA bei 87,8 % der Probanden.
Die verringerten Serumspiegel inflammatorischer Zytokine deuten auf eine Beteiligung von OSA an Entzündungsprozessen hin.

Bei Kindern von 5 bis 9 Jahren und OAI (Apnoen pro Stunde Schlaf) von 1 bis 20 oder AHI (Apnoen oder Hypopnoen pro Stunde Schlaf) von 2 bis 30 korrelierte eine Adenotonsillektomie mit leichten Verbesserungen (SMD Cohen’s d, 0,20 bis 0,24) bezüglich200

  • nonverbales Denken
  • Feinmotorik
  • selektive Aufmerksamkeit

Eine Studie an Kindern mit OSA ohne verlängerte Blutsauerstoff-Entsättigung fand durch eine frühzeitige Adenotonsillektomie im Vergleich zu einer abwartenden Haltung mit unterstützender Behandlung zwar eine tendenzielle (SMD 0,15), aber statistisch nicht signifikante Verbesserung von Aufmerksamkeits- und Exekutivfunktionswerten im Developmental Neuropsychological Assessment. Eine frühzeitige Adenotonsillektomie korrelierte jedoch im Vergleich zu abwartender Beobachtung mit signifikant größeren Verbesserungen in Bezug auf:73

  • Verhalten
  • Lebensqualität
  • polysomnographische Befunde (79 % Normalisierung im Vergleich zu 46 %)
  • ADHS-Symptome (SMD 0,28 im Elternrating und SMD 0,29 im Lehrerrating der Conners Rating Scale)

Kinder mit OSA zeigten

  • vor einer Adenotonsillektomie

    • deutlich schlechtere kognitive Leistungsfähigkeit im Vergleich zu Kontrollen, Postoperativ unterschieden sich die Werte nicht mehr.201
  • nach einer Adenotonsillektomie

    • eine statistisch nicht signifikante Tendenz zu besseren Werten im Homework Performance Questionnaire (HPQ-P).202
    • Exekutivfunktionen moderat verbessert203
    • Aufmerksamkeit moderat verbessert203
    • motorische Fähigkeiten moderat verbessert203
    • internalisierende Verhaltensweisen (Elternreport) moderat verbessert203
    • externalisierenden Verhaltensweisen (Elternreport) moderat verbessert203

Unter 52 Kindern mit OSA (Alter 7,1; 2,5–14,9 Jahre) (AHI 16,2; 5,0–88,0) zeigten vor der Adenotonsillektomie mittlere BASC-t-Werte für alle Verhaltensskalen und Komposita von über 50. Nach der Adenotonsillektomie zeigte sich eine signifikante Verbesserung für:204

  • Aggression
  • Atypizität
  • Depression
  • Hyperaktivität
  • Somatisierung

Mit OSA korrelierten erhöhte Werte von IL-6, IL-8, IL-17, IL-18, MIF, Hs CRP, TNF-α, PAI-1 und Leptin, wobei von diesen lediglich IL-18 nicht auch mit dem BMI korrelierte, während mit dem BMI zusätzlich IL-23 korrelierte.205

Kinder von 6 bis 12 Jahren mit einem niedrigen AHI (1 bis 4) zeigten keine statistisch signifikanten Beeinträchtigungen neuropsychologischer Funktionen (Intelligenz, verbale und nonverbale Denkfähigkeit, Aufmerksamkeit, exekutive Funktionen, Gedächtnis, Verarbeitungsgeschwindigkeit und visuell-motorische Fähigkeiten).206

6.6.6. Syndrom des oberen Atemwegswiderstands (UARS)

Während OSA mit Apnoen (Atemaussetzer) und Hypopnoen (verringerte Atmungstiefe) einhergeht, die mehr als 10 Sekunden (2 bis 3 Atemzüge) andauern und häufig mit einem Abfall des Blutsauerstoffs und einem Anstieg des CO2 einhergehen, ist das Syndrom des oberen Atemwegswiderstands (Upper airway resistance syndrome, UARS) mit kürzeren Atemaussetzern assoziiert.52

Jungen sind häufiger betroffen, da Testosteron zu einem Wachstum von Muskeln führt. Während das Schädel-Gesichtsskelett sich in der frühen Kindheit ausbildet, setzt das testosteronbedingte Muskelwachstum u.a. von Zunge und Rachenmuskeln erst in der Pubertät in einem dann bereits durch den Knochenbau ausdefinierten räumlichen Gebilde ein.
Ein erhöhter Nasenwiderstand wird neben einer genetischen Veranlagung durch verschiedene Umweltfaktoren begünstigt:52

  • Allergien
  • Infektionen
  • abnormale Größe des nasalen Lymphgewebes (was wiederum durch Allergien und Infektionen der Atemwege oder Ohren gefördert wird)

Bei Neugeborenen zeigen sich:52

  • eine erhöhte Atemanstrengung, länger als vier Atemzüge, gemessen anhand der Ausatmungsgeschwindigkeit
  • ein plötzlicher Anstieg der Atemanstrengung mit einer negativen Spitzenendatmungsanstrengung, unmittelbar gefolgt von einem Aussetzen der Zwerchfellbewegung von zwei oder mehr Atemzügen. Es handelt sich nicht um zentrale Apnoen, sondern um eine Reaktion auf den plötzlichen Anstieg der Atemanstrengung
  • eine abrupte Erhöhung der Atemfrequenz über 4 oder mehr Atemzüge ohne Erhöhung der Atemanstrengung. Die Erhöhung der Atemfrequenz dient als Ausgleich für die Abnahme des
    Atemzugvolumens
  • die Ereignisse erfolgen ohne signifikanten Abfall der Sauerstoffsättigung (Pulsoximeter) oder der Sauerstoffspannung (transkutane P o 2-Elektrode)

Bei Säuglingen zeigen sich:52

  • deutlichere nächtliche Symptome
  • Durchschlafstörung möglich, Weinen beim nächtlichen Erwachen
  • Daumenlutschen kann eine Neupositionierung der Zunge begünstigen, die Kombination aus Druck und Saugen kann den anfänglichen Einatmungswiderstand verringern, insbesondere
    bei Mundatmung
  • seltener auch Sprechen im Schlaf
  • Unruhiger Schlaf
  • Schweißausbrüche im Schlaf, deren Maß mit den Schwankungen des Nasenwiderstands korreliert
  • Kopf kann überstreckt sein
  • Schlafposition häufiger auf dem Bauch, manchmal jede Nacht mit den Knien unter dem Bauch und dem Po oben
  • mindestens zeitweise Mundatmung
  • zeitweiliges Schnarchen
  • Enuresis ist möglich
  • langer Kopf mit schmalem Kiefer begünstigt UARS

Häufig einhergehend mit:

  • häufigere Ohrenschmerzen
  • häufige Atemwegsinfektionen
  • Atemwegsallergien

Schon in diesem Alter können Verhaltensprobleme die Folge sein:52

  • Aufmerksamkeitsprobleme
  • Hyperaktivität
  • rebellisches Verhalten
  • unerklärlicher Aggressivität gegenüber Gleichaltrigen
  • erhebliche Schüchternheit
  • Angst

Bei Schulkindern und Teenagern zeigen sich:52

  • häufig:
    • Hyperaktivität
    • Aufmerksamkeitsstörungen
    • Leistungsschwäche in der Schule
    • zuweilen geistige Abwesenheit (Lehrerbericht)
    • Tagesmüdigkeit
    • Normalgewicht bis untergewichtig
  • möglich:
    • Schläfrigkeit
    • Schwierigkeiten mit Gleichaltrigen
    • Aggressivität
    • leichte autonome Dysfunktion
      • kalte Hände und/oder Füße
      • Benommenheit oder Schwindel beim abrupten Bücken und Aufstehen

.

  • Schlafverhalten:
    • häufiges Schnarchen
    • kontinuierliche Bewegungen
    • Schwierigkeiten beim morgendlichen Aufstehen
      • Teenager häufig morgens schwer zu wecken
        • zu spät zur Schule / zur Ausbildung
        • verschobener Chronobiorhythmus (Eveningness)
        • Tagesmüdigkeit
        • Erschöpfung am Ende des Tages
        • Angst am Tag
    • nächtliches Schwitzen
    • morgendliche Kopfschmerzen
    • Enuresis
    • Schlafgesprächen
    • Schlafwandeln
      • besonders bei Teenagern
      • manchmal mit Alpträumen oder Schlafstörungen
    • Zähneknirschen

Behandlungsoptionen bei Kindern:
- Tonsillektomie
- ggf. zusätzlich Adenoidektomie
- Kieferorthopädie bei Bedarf:
- langsame maxilläre Distraktion
- maxilläre und/oder mandibuläre Expansion
- Zahnspange
- Weisheitszähne bei engem Kiefer entfernen

6.7. Gastroösophagealer Reflux (+ 248 %)

Gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD) erhöhte das ADHS-Risiko im Alter von 3 bis 5 Jahren (HR = 3,48) (Registerstudie, n = 631.695).207
ADHS erhöht das Risiko von GERD.208

Aus dem Abstract wird nicht klar, ob es wirklich um GERD bei den Kindern selbst geht. Der Volltext der Studie war für uns noch nicht einsehbar.

6.8. Anorektale Fehlbildungen (+ 200 %)

Anorektale Fehlbildungen sind angeborene Fehlbildungen des Darmausgangs und gehen mit einem erhöhten Risiko für ADHS, Depression und Angststörungen einher.209

  • 3-faches Risiko für ADHS und ASS210
  • 2,26-fache Häufigkeit der Verschreibung von ADHS-Medikamenten210

6.9. Fieberkrämpfe (+ 168 %)

Fieberkrämpfe haben gemäß klinischen wie tierexperimentellen Studien schädliche Auswirkungen auf die Neuroentwicklung, die zu ADHS, erhöhter Epilepsieanfälligkeit, Hippocampussklerose und kognitivem Abbau im Erwachsenenalter führen können.211
Fieberkrämpfe bei Kindern erhöhten das ADHS-Risiko um

  • 168 % (91 % nicht adjustiert) (Metastudie, k = 12, n = 958.082)212
  • 66 %213
  • 28 %214

6.10. D-3-Insuffizienz (+ 157 %)

Eine Metastudie an 10.334 Kindern und Jugendlichen fand bei einer D3-Insuffizienz (zwischen 10 und 30 mg/nl im Blutplasma) ein 2,57-faches ADHS-Risiko.215

Umfassend zu Vitamin D3 unter Vitamin D im Beitrag Vitamine bei ADHS im Abschnitt Vitamine, Mineralstoffe, Nahrungsergänzungsmittel bei ADHS im Kapitel Behandlung

6.11. (Unbehandelte) Typ-1-Diabetes (+ 145 %)

Eine Studie unter Diabetes-Betroffenen mit und ohne Behandlung mittels einer Insulin-Pumpe fand bei Nichtbehandelten mit Typ-1-Diabetes ein um 2,45-fach erhöhtes ADHS-Risiko, wobei ADHS als Risikofaktor für die inkonsequente Diabetesbehandlung betrachtet wurde.216
Unter Diabetes-1-Betroffenen hatten 15,9 % eine bestehende ADHS-Diagnose und weitere 31,9 % erfüllten die ADHS-Kriterien des ASRS.217 Die Probanden waren diejenigen, die auf den zugesendeten ASRS geantwortet hatten, sodass hier ein Bias in Richtung einer überhöhten ADHS-Quote zu erwarten ist.
Eine Studie fand keinen Hinweis auf eine Kausalität von Autoimmunkrankheiten wie Diabetes 1 für ADHS.218

Insulin hat neben der Regulierung des Blutzuckerspiegels auch Aufgaben im Gehirn:219

  • wirkt auf den IR in Gehirn-Astrozyten, was die dopaminerge Signalübertragung beeinflusst und so Kognition und Stimmung modulieren kann
  • erhöht die Anzahl der NMDAR-Kanäle in der Zelloberflächenmembran durch regulierte Exozytose
    • NMDAR steuern den Eintritt von Kalziumionen in die Zelle und lösen eine Langzeitpotenzierung (LTP) aus, die mit Lern- und Gedächtnisprozessen in Verbindung steht
  • beeinfusst die Aktivität von AMPA-Rezeptoren im Hippocampus
    • dies führt in der CA1-Region zu einer LTD, wodurch der Rezeptor herunterreguliert wird, was für Gedächtniskonsolidierung und Flexibilität wichtig ist
  • beeinflusst die Gehirnentwicklung
    • steuert Proliferation, Differenzierung und Wachstum von Neuriten220
  • verantwortlich für Gedächtniskonsolidierung
  • erhöht GABA-Rezeptoren im Hippocampus
  • Insulinmangel führt zu diabetischen neurologischen Komplikationen bei älteren Menschen und Kindern
  • Kindern mit Diabetes haben eine höhere Prävalenz von ADHS, ASD, Krampfanfällen und Depressionen sowie tendenziell niedrigere IQ-Werte und schlechtere schulische Leistungen

6.12. Prämenstruelles Syndrom (PMS) / Prämenstruelle Dysphorische Störung (PMDD) (+ 143 %)

Eine Studie an 290 Frauen mit schwerem PMD / PMDD fand erhöhte Risiken für:221

  • ADHS: 2,43-fach (+ 143 %)
  • AuDSH: 3,27-fach (+ 227 %)

Das Risiko für ASS ohne ADHS war unverändert.

6.13. Dystrophinopathie (Muskeldystrophie, Muskelschwäche) (+ 130 %)

Siehe hierzu unter Monogenetische Ursachen von ADHS.

6.14. Atopische Störungen (Immunglobulin-E-Überschuss)

Atopie ist eine erbliche Veranlagung, auf eigentlich harmlose Umweltstoffe überempfindlich (allergisch) zu reagieren.

Bei Kindern mit geringem Geburtsgewicht erhöhte eine Vorgeschichte von T2-Entzündungskrankheiten wie Asthma und atopischer Dermatitis das Risiko für:222

  • ADHS um 81 %
  • Lernbehinderung um 74 %
  • ASS um 47 %
  • geistige Behinderung um 35 %

Atopische Störungen korrelierten nicht nur mit einem erhöhten ADHS-Risiko, sondern auch mit der Schwere der ASDHS-Symptome.223

6.14.1. Atemwegsallergien (+ 83 % bis 108 %)

Für die Prozentangaben in der Überschrift wurden aufgrund der ausreichenden Zahl an Studien das niedrigste und das höchste Ergebnis weggelassen.

Kinder mit einer Atemwegsmittelallergie zeigten eine ADHS-Prävalenz von 12,16 % vs. 7,63 % der Kindern ohne eine solche. Nach Bereinigung um Kovariablen lag die Risikoerhöhung bei + 50 %.224

Allergische Rhinitis erhöhte das Risiko für ADHS

  • um das 3,96-fache (+ 296 %, OR 3,96). (Metastudie, k = 2, n = 132.561)225
  • um das 2,08-fache (+ 108 %)226
  • um das 1,83-fache (+ 83 %; Metastudie, k = 18, n = 4.289.444)227
    • Frauen 1,86 mal so häufig wie Männer (+ 86 %)
    • Kinder bis 8 Jahren 1,75-faches Risiko von älteren Kindern (+ 75 %)
    • ASS: 1,90-faches Risiko (+ 90 %)

ADHS erhöhte das Risiko für allergische Rhinitis

  • korrelativ um das 1,85-fache (+ 85 %, OR 1,84) (Metastudie, k = 10, n = 397.799)225
  • korrelativ um das 1,38-fache über alle Studien (+ 38 %; Metastudie, k = 18, n = 4.289.444)227
    • Frauen im Vergleich zu Männern um weitere + 86 % (Metastudie, k = 18, n = 4.289.444)227
    • Kinder bis 8 Jahre im Vergleich zu älteren Kindern um weitere + 75 % (Metastudie, k = 18, n = 4.289.444)227
    • korrelativ um das 1,90-fache in Kohortenstudie (+ 90 %; Metastudie, k = 18, n = 4.289.444)227
  • kausal um das 1,27-fache (+ 27 %) in einer genetischen Assoziationsstudie228
  • Allergische Rhinitis fand sich bei Kindern mit ADHS (6 bis 12 Jahre) bei168
    • 26,6 % von denjenigen mit Schlafstörungen
    • 13,8 % von denjenigen ohne Schlafstörungen

Eine Übersichtsarbeit (k = 21 Metastudien, n = 348.405.029) fand mit hochgradig suggestiver Evidenz (Klasse II), dass allergische Rhinitis (Heuschnupfen) das Risiko erhöhte:229
- für Ticstörungen um 161 % (OR 2,61)
- für Schlafstörungen um 171 % (OR 2,17)

6.14.2. Nahrungsmittelallergien (+ 72 %)

Eine Nahrungsunverträglichkeit ist eine Reaktion des Verrdauungssystems, während eine Nahrungsmittelallergie eine Reaktion des Immunsystems darstellt.
Nahrungsmittelallergien gehören zum atopische Formenkreis.230

Kinder mit einer Nahrungsmittelallergie zeigten eine ADHS-Prävalenz von 12,66 % vs. 7,99 % der Kindern ohne eine solche. Nach Bereinigung um Kovariablen lag die Risikoerhöhung bei + 72 %.224

Nahrungsmittelallergien scheinen Verhaltensauffälligkeiten möglicherweise über die Mikrobiota-Darm-Gehirn-Achse (MGBA) und dort via Darmmikrobiota und Aminosäuremetaboliten zu vermitteln.231 Menschen mit Nahrungsmittelallergien zeigen andere Mikrobiomprofile im Vergleich zu NIchtbetroffenen. Mikrobielle Interventionen können die Wiederherstellung der Darmmikrobiomstruktur unterstützen, z.B.:232

  • Ernährung
  • Probiotika (lebende Mikroorganismen wie Bakterien und Hefen)
  • Präbiotika (unverdauliche Ballaststoffe)
  • Synbiotika (Kombination aus Probiotikum und Präbiotikum)
  • Fäkaltransplantation233234

6.14.3. Atopisches Ekzem (+ 72 %)

Ekzeme erhöhten das ADHS-Risiko auf das 1,72-fache (+ 72 %).226

6.14.4. Hautallergien (+ 65 %)

Kinder mit einer Hautallergie zeigten eine ADHS-Prävalenz von 11,46 % vs. 7,83 % der Kindern ohne eine solche. Nach Bereinigung um Kovariablen lag die Risikoerhöhung bei + 65 %.224

6.14.5. Asthma (+ 34 % bis + 62 %)

Während Atemwegsallergien die oberen Luftwege betreffen, betrifft allergisches Asthma die Lunge.

Eine Übersichtsarbeit (k = 21 Metastudien, n = 348.405.029) fand eine Erhöhung des ADHS-Risikos durch Asthma von 34 % (OR 1,34) mit überzeugender Evidenz (Evidenzklasse I).229
Mit hochgradig suggestiver Evidenz (Klasse II) erhöhte Asthma das Risiko für

  • Depressionen um 64 % (OR 1,64)
  • Angstzustände um 95 % (OR 1,95)
  • Ticstörungen um 90 % (OR 1,90),
  • Suizidgedanken um 52 % (OR 1,52)
  • Suizidversuche um 60 % (OR 1,60)
  • Asthma fand sich bei Kindern mit ADHS (6 bis 12 Jahre) bei168
    • 10,7 % von denjenigen mit Schlafstörungen
    • 5,3 % von denjenigen ohne Schlafstörungen

Eine große Studie fand einen Zusammenhang zwischen ADHS und Asthma bei Kindern von + 79 % vor und + 62 % nach der Adjustierung für alle Kovariablen. Dabei erhöhte ADHS kausal das Risiko für Asthma bei Kindern um 27 %.235

Eine genetische Assoziationsstudie fand keine kausale Risikoerhöhung für ADHS durch Asthma.228

6.14.6. Neurodermitis / atopische Dermatitis (+ 11,6 % bis + 28 %)

Der höchste und der niedrigste Wert wurden bei der Ermittlung der Zahlen in der Überschrift außer acht gelasen.

Neurodermitis / atopisches Ekzem / atopische Dermatitis in der Kindheit korreliert mit einem erhöhten ADHS-Risiko.236

Eine Übersichtsarbeit (k = 21 Metastudien, n = 348.405.029) fand bei atopischer Dermatitis mit hochgradig suggestiver Evidenz (Klasse II) eine Erhöhung des Risikos229

  • für ADHS um 28 % (OR 1,28)
  • für Depressionen um 60 % (OR 1,60)
  • für Angstzustände um 62 % (OR 1,62)
  • für Suizidgedanken um 44 % (OR 1,44)

Eine Studie in Saudi Arabien an Betroffenen von atopischer Dermatitis fand eine ADHS-Prävalenz bei Kindern von 20,9 % und bei Erwachsenen von 18,9 %. Atopische Dermatitis korrelierte nicht mit der Schwere der ADHS-Symptomatik.237

Eine Studie fand Hinweise, dass eine Anfälligkeit für Atopische Dermatitis kausal das Risiko von ADHS (+ 11,6 %) und ASS (+ 13,1 %) erhöht. Umgekehrt bewirkten eine Anfälligkeit für ADHS (+ 11,2 %) und Anorexie Nervosa (+ 10 %) ein erhöhtes Risiko für eine Atopische Dermatitis. Nur der kausale Zusammenhang zwischen AD und ASD war unabhängig von der Verzerrung durch den umgekehrten Effekt.238
Bei Urtikaria stieg das ADHS-Risiko um 9 %.239

ADHS-Betroffene hatten ein 45 % erhöhtes Risiko für atopische Dermatitis (OR = 1,45).
Betroffene von atopischer Dermatitis hatten ein um 34 % bis 42 % erhöhtes Risiko für ADHS (OR = 1,34; HRs = 1,42), bei schwerer atopischer Dermatitis war das ADHS-Risiko um 162 % erhöht (OR = 2,62), bei mehreren allergischen Erkrankungen um 189 % (OR = 2,89), bei atopischer Dermatitis und gleichzeitigen Schlafstörungen um 143 % (ORs = 2,43). (Metastudie, k = 49)240

Eine Kohortenstudie fand dagegen kein nennenswert (+ 2 %) erhöhtes Risiko von ADHS bei Neurodermitis in der Kindheit.241
Eine Kohortenstudie an n = 69.732.807 Menschen fand bei atopischer Dermatitis ein erhöhtes Risiko von Lernschwierigkeiten (OR = 1,77) und Gedächtnisproblemen (OR = 1,69).
Die Risikoerhöhung war ungleich verteilt: Bei Kindern mit neurologischen Entwicklungsstörungen wie ADHS war das Risiko von Gedächtnis- oder Lernschwierigkeiten auf das 2- bis 3-fache erhöht. Bei Kindern ohne neurologische Entwicklungsstörungen veränderte atopische Dermatitis das Risiko von Lern- oder Gedächtnisschwierigkeiten dagegen nicht.242

6.15. Hyperthyreose / Schilddrüsenüberfunktion (+ 70 %)

Eine Studie fand bei Kindern mit Hyperthyreose eine 1,7-fache Prävalenz von ADHS.243
Kinder mit ADHS zeigten

  • signifikant höhere T4-Spiegel (gesamtes Thyroxin).244
  • signifikant verringerte FT4-Spiegel (freies Thyroxin) und TT3-Spiegel (Gesamt-Trijodthyronin) (Metastudie, k = 12, n = 11.836)245, Kinder mit ASS zeigten verringertes FT4 und unverändertes TT3.

Hyperthyreose kann ADHS-ähnliche Symptome verursachen, darunter Ängstlichkeit, Nervosität, Reizbarkeit und körperliche Hyperaktivität. Eine Studie fand eine Korrelation zwischen erhöhten TSH-Werten und Hyperaktivität bei ADHS.246

Eine Hyperthyreose kann neben anderen kognitiven Defiziten auch Unaufmerksamkeit und Hyperarousal bewirken. Je nach dem Grad der Hypothyreose können die kognitiven Auswirkungen von leichten Beeinträchtigungen des Gedächtnisses und der Aufmerksamkeit bis hin zur völligen Demenz reichen.247248

Das THRA-Gen kodiert den Schilddrüsenrezeptor alpha, TRα1, TRHB die Schilddrüsen-Rezeptor-Isoformen TRβ1 und TRβ2.
Das Hypophysenhormon TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) regt die Schilddrüse zur Produktion von Thyroxin (T4; Prohormon) und anschließend von Trijodthyronin (T3) an. Die Schilddrüsenhormone (T3 und T4) im Blut wiederum regulieren die hypophysäre Freisetzung von TSH innerhalb der Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse, die durch die Rezeptor-Isoform TRβ2 vermittelt wird.
Bei einer (selten auftretenden genetisch bedingten) Resistenz gegenüber Schilddrüsenhormon β ist diese negative Rückkopplungsschleife, die den TH-Spiegel im Blut stabilisiert, gestört. Dies führt zu erhöhten TH- und nicht unterdrückten, d.h. normalen TSH-Spiegeln.249

Eine Ursache für Hyperthyreose ist die Basedowsche Krankheit / Grave’s desease. Die Prävalenz der Basedow-Krankheit in den USA wurde 1972 mit 0,02 % bis 0,4 % angegeben, wovon 5 % auf Kinder entfallen.250 Heute geht man in Ländern mit ausreichender Jodversorgung von einer Prävalenz von 2 % bis 3 % bei Frauen und von 0,2 % bei Männern aus. Die meisten Fälle treten im Alter von 30 bis 60 Jahren auf. Andere berichten die höchste Inzidenz tritt im Alter zwischen 11 und 15 Jahren.251
Es gibt Hinweise für ein erhöhtes ADHS-Risiko bei Basedowscher Krankheit.252253254 Eine kleine Studie berichtet eine verdoppelte ADHS-Prävalenz.255 Eine Praxis berichtet von Hyperaktivität bei 85 % der betroffenen Kinder (n = 21), die bei 20 nach Behandlung der Hyperthyreose nachließ.250

Zu den Auswirkungen abnormaler Schilddrüsenhormonspiegel während der Schwangerschaft siehe unter Pränatale Stressoren als ADHS-Umwelt-Ursachen

6.16. Ernährung und Nahrungsunverträglichkeiten

6.16.1. Zuckerreiche Ernährung (+ 41 %)

Eine Ernährung mit einem hohen Anteil an raffiniertem Zucker und gesättigten Fetten in der Kindheit erhöhte das ADHS-Risiko um 41 %, während eine gesunde Ernährung das ADHS-Risiko um 35 % verringerte. (Metaanalyse, k = 14 Studien)256 Im Vergleich z einer gesunden ERnährung erhöht ein ungesunde Ernährung das Risiko mithin um 117 %.

Eine Studie fand eine Korrelation zwischen der Zuckeraufnahme mit 30 Monaten und dem Risiko für ADHS, Schlafstörungen und Angst. Im Alter von 12 Monaten fand sich keine Korrelation.257
Ein täglicher Verzehr von Süßigkeiten durch das Kind korrelierte in einer ägyptischen Studie mit einem 6,82-fachen ADHS-Risiko (+ 582 %).258 Ob es sich hierbei um eine kausale Ursache oder um eine Folge veränderter Nahrungspräferenzen aufgrund der Störungsveranlagung handelt, ist offen.

6.16.2. Stark verarbeitete Lebensmittel (bis + 25 %)

Ein hoher prozentualer Anteil stark verarbeiteter Lebensmittel im Alter von 3 bis 4 Jahren erhöhte das Risiko für ADHS im Alter von 12 bis 13 Jahren um 25 % (RR 1,25).259

6.16.3. Kommerziell verpackte Nudeln

Ein kindlicher Verzehr von kommerziell verpackten Nudeln 3 Mal oder öfter pro Woche korrelierte mit einem 57-fachen ADHS-Risiko.258
Ob dies im Zusammenhang mit Inhaltsstoffen kommerziell verpackter Nudeln in Ägypten, mit Nahrungsmittelpräferenzen aufgrund von ADHS oder eine Folge von niedrigem sozioökonomischem Stand der Familie ist, ist offen.

6.16.4. Unverpacktes Mehl

Eine Verwendung von unverpacktem Mehl beim Kochen korrelierte in einer ägyptischen Studie mit einem 44-fachen ADHS-Risiko.258

6.16.5. Nahrungsunverträglichkeiten

Eine Nahrungsunverträglichkeit ist eine Reaktion des Verrdauungssystems, während eine Nahrungsmittelallergie eine Reaktion des Immunsystems darstellt.

Es ist gesichert, dass ADHS nicht durch einzelne, spezifische Nahrungsmittel, Phosphate oder Zusatzstoffe verursacht wird.

Individuelle Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder Allergien sind jedoch ebenso Stressoren wie Krankheiten, Gifte oder psychische Belastungen und können daher die Stresssituation von Betroffenen so verschlechtern, dass Symptome entstehen. Dies ist keine ADHS-spezifische Feststellung. Beispielsweise konnten in einer Gruppe von Kindern mit Schizophrenie-Problemen durch eine diätische Behandlung einer bestehenden Glutenunverträglichkeit bei den hiervon betroffenen Kindern die Schizophreniesymptome beseitigt werden.260261 Gleiches wurde bei Betroffenen mit nicht-affektiver Psychose festgestellt.262

Lebensmittelzusatzstoffe (hier: Sonnengelb, Carmoisin, Tartrazin, Ponceau 4R; Chinolingelb, Allurarot, Natriumbenzoat) können eine Histaminfreisetzung aus zirkulierenden Basophilen verursachen. Diese ist nicht allergisch, d.h. nicht von Immunglobulin E abhängig. Die erhöhte Histaminfreisetzung kann - bei Trägern bestimmter Genvarianten der Gene, die Histamin abbauende Enzyme codieren - ADHS-Symptome erhöhen.263

Um selten vorkommende Nahrungsmittelunverträglichkeiten (die, anders als Allergien, nicht durch Blutuntersuchungen festgestellt werden können) festzustellen, kann eine Eliminationsdiät hilfreich sein. Eine derartige Diät ist jedoch sehr schwierig durchzuführen und einzuhalten und wird insbesondere bei jüngeren Kindern kaum einzuhalten. Insbesondere sind etwaige Vorteile gegen die teils gravierenden sozialen Folgen abzuwägen.

In anderen Fällen kann eine derartige Diät bei bestehenden Unverträglichkeiten dazu beitragen, die Symptome zu lindern.

Bei der Beurteilung der Wirksamkeit von Diäten (und anderen “erwünschten” Therapiewegen) kommt es häufig zu Einschätzungen der Eltern, die weit über dem liegen, was Tests oder Lehrerbewertungen bestätigen können.

Eine Übersichtsarbeit (k = 21 Metastudien, n = 348.405.029) fand mit hochgradig suggestiver Evidenz (Evidenzklasse II) bei Nahrungsmittelallergien ein erhöhtes Risiko für ASS um 179 % (OR 2,79).229

Näheres unter Ernährung und Diät bei ADHS.

6.17. Frühpubertät (Pubertas praecox) (+ 40 %)

Unter Mädchen mit einer Frühpubertät (Beginn der sexuellen Reifung vor dem 8. Lebensjahr bei Mädchen und vor dem 9. bei Jungen) fand sich eine ADHS-Prävalenz von 13,5 %.264

6.18. Chirurgische Eingriffe unter Narkose / Anästhesie (+ 25 bis 39 %)

Anästhesie im Kindesalter korreliert mit einem erhöhten ADHS-Risiko.265
Kinder, die im Alter bis 5 Jahre einen einzelnen chirurgischen Eingriff unter Anästhesie erfuhren, nahmen in späteren Jahren mit einer um 37 % höheren Wahrscheinlichkeit ADHS-Medikamente ein.266 Eine koreanische Kohortenstudie fand ein um 41 % erhöhtes ADHS-Risiko als Folge einer Vollnarkose in früher Kindheit. Zudem korrelierte die Dauer der Vollnarkose mit einem erhöhten ADHS-Risiko.267
Eine Studie fand eine Erhöhung des ADHS-Risikos bei einmaliger Anästhesie anlässlich einer OP im Alter von bis zu 5 Jahren um 37 %, bei mehrmaliger um 75 %.268
Eine Kohortenstudie an n = 15.072 Kindern, von denen die Hälfte im Alter von 0-3 Jahren Anästhetika erhalten hatte, fand ein um 39 % erhöhtes ADHS-Risiko.Die Häufigkeit der Anästhetika-Expositionen, die Dauer der Exposition, männliches Geschlecht und Operationen am zentralen Nervensystem waren signifikante Risikofaktoren für ADHS in der Zukunft.269
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen weitere Studien.270271
Eine Metastudie fand eine Erhöhung des späteren ADHS-Risikos durch Allgemeinanästhesie im Kindesalter von 25 % (RR = 1,26).272

  • 38 % (RR = 1,38) durch einmalige Vollnarkose von max. 60 Minuten im Kindesalter
  • 55 % (RR = 1,55) durch einmalige Vollnarkose von max. 61 bis 120 Minuten oder mehr als 120 Minuten im Kindesalter
  • 61 % (RR = 1,61) nach mehreren Vollnarkosen

Eine Kohortenstudie in Taiwan fand dagegen kein erhöhtes ADHS-Risiko durch Anästhetika in den ersten 3 Lebensjahren.273

Offen dürfte sein, zu welchem Anteil die Wahrscheinlichkeit eines chirurgischen Eingriffs unter Anästhesie bereits durch die erhöhte Unfallwahrscheinlichkeit von ADHS-Betroffenen beeinflusst wird. Siehe hierzu unter Folgen von ADHS.

Es gibt jedoch Hinweise, dass Vollnarkosen mittels Fentanyl und Sevofluran bei neugeborenen Mäusen ADHS-Symptome wie ADHS-ähnliche Verhaltensweisen, kognitive Beeinträchtigungen, Feinmotorikstörungen verursachen sowie die Neurogenese stören und die Genexpression verändern können. Diese konnten durch eine vorherige Gabe von Vitamin K2 verringert werden. Eine K2-Gabe vor Vollnarkosen führte zu deutlich anderen Genexpressionsveränderungen.274

6.19. Selektiver Immunglobulin-A-Mangel (+ 30 %)

Selektiver Immunglobulin-A-Mangel korrelierte mit einem um 30 % (OR 1,30) höheren ADHS-Risiko sowie mit einem erhöhten Auftreten von Atemwegs- und Darminfektionen.275.

6.20. Entzündliche Darmerkrankung (IBD) (+ 20 %)

Entzündliche Darmerkrankungen (Inflammatory bowel disease, IBD) korrelieren mit einem erhöhten ADHS-Risiko und einer erhöhten Einnahme von Stimulanzien.276
Personen mit einem Beginn von IBD in der Kindheit zeigten ein erhöhtes Risiko von277

  • ADHS: + 20 %
  • ASS: + 40 %
  • psychiatrischen Störungen insgesamt: + 60 %
  • Angststörungen: + 90 %
  • Affektive Störungen: + 60 %
  • Essstörungen: + 60 %
  • Persönlichkeitsstörungen: + 40 %
  • Selbstmordversuchen: + 40 %

Eine Studie fand keine signifikante Erhöhung von ADHS durch IBD insgesamt, jedoch durch Morbus Crohn (CD) (+ 6,5 %) und Colitis ulcerosa (UC) (+ 5 %).278

Eine Studie an Personen mit einem Beginn von IBD in der Kindheit fand ein um 25 % verringertes Risiko für die Einnahme von MPH. Colitis ulcerosa war mit einem um 37 % verringerten Risiko einer MPH-Einnahme und einem - wenn auch statistisch nicht signifikant - verringerten Risiko einer ADHS-Diagnose verbunden. Das Depressionsrisiko war bei IBD um 50 % erhöht, bei Betroffenen mit beiden IBD-Subtypen (Morbus Crohn und Colitis ulcerosa) um 73 % erhöht.279

Einige Studien deuten darauf hin, dass IBD der Mutter in der Schwangerschaft das zentrale Nervensystem entzünden können, was bei den Nachkommen das ADHS-Risiko erhöht.280

6.21. Antihistaminika in den ersten Lebensjahren

Eine große Kohortenstudie fand, dass eine Einnahme von Antihistaminika (insbesondere Antihistaminika der ersten Generation) in den ersten Lebensjahren das Risiko einer späteren ADHS signifikant erhöhte. Als mögliche Ursache wurde eine Störung des REM-Schlafs genannt, die sekundär die Hirnreifung beeinträchtige.281

6.22. Schlafmangel

Kurzer Schlaf korrelierte mit erhöhtem Risiko von Angstzuständen, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen und aktivitätseinschränkenden emotionalen und psychologischen Zuständen, nachdem die ethnische Zugehörigkeit, die Deprivation, das Alter und das Geschlecht berücksichtigt wurden.282
Ethnische Zugehörigkeit und sozioökonomische Benachteiligung in der Nachbarschaft korrelierten unabhängig voneinander mit kurzem Schlaf und Schnarchen/geräuschvoller Atmung während des Schlafs.
Langer Schlaf korrelierte unabhängig davon mit einem erhöhten Depressionsrisiko.

6.23. Akne vulgaris

Eine Studie fand bei Jugendlichen (12 bis 17 Jahre) mit Akne vulgaris moderat erhöhte Werte für283

  • Hyperaktivität
  • Hyperaktivität/Impulsivität
  • Unaufmerksamkeit
  • ADHS-Gesamtsscore

Für Akne vulgaris wie für ADHS soll eine erhöhte Androgenhormonbelastung im Mutterleib mitursächlich sein.

6.24. Darm-Hirn-Achse, Darmbakterien, Darmflora

Siehe hierzu unter Darm-Hirn-Achse

6.25. Polyzystisches Ovarialsyndrom (PCOS)

Frauen mit Polyzystischem Ovarialsyndrom (PCOS) scheinen ein erhöhtes Risiko psychischer Störungen zu haben, vornehmlich Angststörungen und Depressionen, jedoch auch ADHS.284
Jugendliche mit PCOs zeigten ebenfalls ein erhöhtes ADHS-Risiko.285

6.26. Anabole androgene Steroide (AAS)

Kraftsportler, die anabole androgene Steroide einnehmen, haben signifikant häufiger ADHS als Kraftsportler, die diese nicht einnehmen.286

6.27. Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel (G6PD)

Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel (G6PD) erhöhte das ADHS-Risiko um 16 %.287

G6PD-Mangel ist eine X-chromosomale genetische Störung und betrifft rund 4,9 % aller Menschen.
Das Enzym Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase (G6PD) erleichtert die Synthese von Nikotinamid-Adenin-Dinukleotid-Phosphat (NADPH) und Glutathion (GSH), die an der Oxidations-Reduktions-Gleichgewichts-Regulation beteiligt sind. G6PD-Mangel bewirkt verringerte GSH-Werte und damit erhöhten oxidativen Stress.

G6PD-Mangel ist meist nahrungsmittelbedingt (Favismus; hämolytische Reaktion auf Verzehr von Favabohnen (Saubohnen)) und zuweilen genetisch bedingt (gehäuft im Mittelmeerraum und im Nahen Osten, teils in Asien und Afrika).
G6PD-Mangel kann (insbesondere bei Kindern) auslösen:

  • schwere Hämolyse
  • Hyperbilirubinämie
  • Gelbsucht
  • Hörstörungen
  • Verhaltensstörungen
  • langanhaltende neurologische Schäden führen
  • erhöhten Produktion reaktiver Sauerstoffspezies (ROS)
    • dadurch Aktivierung von Astrozyten und Mikroglia, erhöhte proinflammatorische Chemokine und Zytokine, Neuroinflammation, beeinträchtigte Gehirnentwicklung
  • Ungleichgewicht im antioxidativen System
    • dadurch Beeinträchtigung der Astrozyten, Absterben von Neuronen und DNA-Schäden führt
    • oxidativer Zelltod von Leukozyten, Myozyten und anderen immunologischen Akteuren.

6.28. Lipodystrophie (Mangel an Fettgewebe)

Eine Studie fand bei Lipodystrophie Hinweise auf eine stark erhöhte ADHS-Prävalenz.288

6.29. Lipidstoffwechsel, Fettsäuren

Zur Vermeidung von Redundanzen stellen wir diesen Abschnitt unter Fettsäuren, Probiotika und mehr bei ADHS im Kapitel Behandlung: Medikamente bei ADHS im Abschnitt Vitamine, Mineralstoffe, Nahrungsergänzungsmittel bei ADHS dar.

6.30. Geschlechtsdiversität

Eine multinationale Studie fand Hinweise darauf, dass Häufigkeit und Schweregrad von ADHS-Symptomen bei geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Personen besonders hoch war.289

6.31. Mitochondrienstörung

Mitochondriale Dysfunktion bzw. mitochondriale Störungen werden als mögliche Ursache von ADHS erörtert.290291292 Bislang sind dazu keine konkreten Erkenntnisse gewachsen.

6.32. Zwerchfellhernie

Unter Kindern mit einer angeborenen Lücke im Zwerchfell (Zwerchfellhernie) fand sich bei 26,3 %293 bis 39 %294 der Überlebenden Probleme mit der anhaltenen Aufmerksamkeit. 51,9 % hatten eine formelle Diagnose für ADHS, spezifische Lernschwäche oder Entwicklungsstörung.293
Bei einem Loch im Zerchfell können Organe aus dem Bauchraum in den Bereich der Lunge vordringen und die Lungenentwicklung und die Atmung behindern.
Der Vermittlungspfad für ADHS ist daher Hypoxie.

6.33. Faktoren ohne Risikoerhöhung für ADHS

  • Bei Kindern mit ADHS fand sich eine um 14 % niedrigere Prävalenz einer mikrozytären Anämie (OR: 0,86).295
  • Bilinguales Aufwachsen erhöhte das ADHS-Risiko nicht296
  • Autoimmunkrankheiten zeigten keine Hinweise auf eine Kausalität von Autoimmunkrankheiten für ADHS. Untersucht wurden:218
    • Lupus erythematodes
      • dagegen fand eine retrospektive Matched-Cohort-Studie (n = 11.144), dass eine Lupus-Diagnose nach 15 Jahren oder später mit einer um 61 % höheren Wahrscheinlichkeit psychiatrischer Störungen korrelierte und psychiatrische Störungen mit einem um 120 % erhöhten Risiko für Lupus nach 10 Jahren oder später korrelierten. Eine Lupus-Diagnose korrelierte mit einer erhöhten Verschreibung u.a. von ADHS-Medikamenten 10 Jahre zuvor.297
    • Morbus Crohn
    • Colitis ulcerosa
    • Typ-1-Diabetes (gegenteilige Studie: siehe oben)
    • rheumatoide Arthritis
    • Psoriasis
    • Spondylitis ankylosans
    • Multiple Sklerose
  • Bluthochdruck
    • Eine Studie fand keine statistische Signifikanz für eine genetische Verbindung zwischen Bluthochdruck und ADHS.298 Dem steht zumindest das Haupt-ADHS-Modelltier, die SHR, entgegen, das im Alter Bluthochdruck entwickelt.
  • COVID-19-Gendisposition
    • Eine Gendisposition, die anfälliger für COVID-19 macht, zeigte keine Anzeichen für ein erhöhtes ADHS-Risiko. Umgekehrt sind jedoch ADHS und Tourette mit einem erhöhten COVID-19-Risiko und einem schwereren COVID-19-Verlauf verbunden.299
  • T1w/T2w-Verhältnis
    • Das T1w/T2w-Verhältnis ist ein auf Magnetresonanztomographie (MRT) basierender Indikator für intrakortikales Myelin. Es fanden sich keine Unterschiede des T1w/T2w-Verhältnis zwischen ADHS, ASS und Kontrollen.300
  • Adipositas
    • bereinigt zeigte sich kein signifikanter kausaler Einfluss von Adipositas auf ADHS301
  • Platin- und Taxan-basierte Chemotherapie bei Kindern302

6.34. Faktoren mit Risikoverringerung für ADHS

  • Immigrantenstatus der Eltern bewirkt ein verringertes ADHS-Risiko303 innerhalb der ersten 2 Generationen.304
  • Borreliose korrelierte mit einer um 10 % verringerten ADHS-Prävalenz305

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Diese Seite wurde am 05.12.2025 zuletzt aktualisiert.