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Bereits vor der Geburt kann das Ungeborene durch toxische Einflüsse oder Krankheiten geschädigt werden.
Viele Gifte und Krankheiten, die das ADHS-Risiko des Nachwuchses erhöhen, tun dies, indem sie das dopaminerge System beeinflussen. Gifte können zudem bereits vor der Zeugung durch epigenetische Vermittlung das ADHS-Risiko erhöhen.
Psychischer und körperlicher Stress (Gifte, Krankheiten) wirken grundsätzlich vergleichbar auf die Stresssysteme (HPA-Achse, Autonomes Nervensystem und andere).
Die angegebenen %-Werte für eine mögliche ADHS-Risikoerhöhung sind ein Indiz für die Größenordnung des Einflusses der jeweiligen Belastung. Bei Einträgen ohne %-Angabe sind uns keine Werte bekannt.
Der Konsum von Nikotin, Alkohol oder stärkeren Drogen während der Schwangerschaft erhöht das Risiko für ADHS beim Nachwuchs. Nikotin erhöht das Risiko sogar, wenn die Eltern nur vor der Zeugung geraucht haben.
Eine weitere Risikoquelle sind Gifte, mit denen die Mutter in der Schwangerschaft in Berührung kommt. Hierunter finden sich Pflanzenschutzmittel wie Organophosphate oder Pyrethroide und Chemikalien wie Blei, Cadmium, Thallium, Bisphenole, polychlorierte Biphenyle oder polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe.
Luftverschmutzung, insbesondere Feinstaub und Stickstoffoxide, können ebenfalls das Risiko für ADHS erhöhen.
Ein hoher Salzkonsum der Mutter während der Schwangerschaft kann die Stressempfindlichkeit des Ungeborenen erhöhen.
Auch verschiedene Gesundheitsfaktoren der Mutter, wie Krankheiten, Übergewicht, Stress, Infektionen und hormonelle Störungen bei ihr, stehen mit einem erhöhten ADHS-Risiko beim Kind in Verbindung. Besonders Schilddrüsenhormone sollten genau kontrolliert werden. Ein höherer Omega-3-Fettsäure-Spiegel beim Neugeborenen könnte das Risiko und die Schwere von ADHS sowie Autismusspektrumsstörungen verringern. Ein Vitamin D3-Mangel während der Schwangerschaft und nach der Geburt ist mit dopaminergen Fehlentwicklungen des Gehirns verbunden.
Eine hohe Cortisol-Exposition des Fötus oder Neugeborenen, durch eine Cortisolgabe oder durch Stress der Mutter in der Schwangerschaft, kann ebenfalls das ADHS-Risiko erhöhen.
Dass viele Medikamente in der Schwangerschaft ein Risiko für das Ungeborene darstellen können, ist bekannt. In Bezug auf ADHS sind insbesondere Paracetamol (Acetaminophen), SSRI (Antidepressiva), β-2-Adrenalin-Rezeptor-Agonisten, Pregabalin, Antibiotika und Valproat in der Schwangerschaft relevant.
Schließlich beeinflussen Schwangerschaftsumstände wie der Erstgeborenenstatus oder besonders kurze oder lange Abstände zur vorigen Schwangerschaft das ADHS-Risiko des Kindes.
Höherer pränataler Stress schien nur bei Personen mit einer höheren genetischen Anfälligkeit für ADHS (mit einem höheren polygenen Risk Score für ADHS) eine langsamere Gehirnentwicklung während der Adoleszenz zu fördern, während pränataler Stress bei Personen mit einer geringeren genetischen Anfälligkeit für ADHS eine schnellere Gehirnentwicklung begünstigte.1
Bei einigen dieser Risikofaktoren scheinen Geschlechtsunterschiede zu bestehen.
Die nachfolgende Sammlung ist zwar umfangreich, dennoch dürften noch etliche weitere Umstände mit einem erhöhten ADHS-Risiko einhergehen.
Die verschiedenen Faktoren stellen jeweils nur Teile eines vielschichtigen Risikomosaiks dar und führen nicht automatisch zu ADHS.
Die %-Werte geben die mögliche ADHS-Risikoerhöhung durch die jeweilige Ursache an.
1.1. Gifte vor der Zeugung als Risiken für ADHS - epigenetische Vererbung¶
1.1.1. Nikotinkonsum eines Elternteils vor der Zeugung (+ 259 %)¶
Kinder, deren Väter vor der Schwangerschaft geraucht haben, hatten ein 2,59-faches ADHS-Risiko, im Vergleich zu Kindern, deren Väter nie geraucht haben.
Kinder von Eltern, die vor der Schwangerschaft dem Rauchen oder Passivrauchen ausgesetzt waren, hatten das 1,96-fache A(D)HS-Risiko.
Kinder, deren Eltern sowohl vor als auch während der Schwangerschaft Tabakrauch ausgesetzt waren, hatten ein 2.01-faches ADHS-Risiko.2
Nikotinkonsum eines Elternteils vor der Zeugung: epigenetische Vererbung von Nikotinschäden bewirkt ADHS-Symptome bei Nachwuchs über mehrere Generationen
Mäuse, deren Väter oder Mütter vor der Zeugung chronisch Nikotin ausgesetzt waren, zeigten Hyperaktivität, eine beeinträchtigte Nikotin-induzierte motorische Sensibilisierung und verringerte Dopamin- und Noradrenalinspiegel im Striatum und PFC.34
Nikotinkonsum des Vaters oder der Mutter vor der Zeugung verursacht beim Nachwuchs epigenetische Veränderungen
des Dopamintransporters (DAT) m Striatum und mPFC6
durch Downregulation der DAT-Expression aufgrund erhöhter Methylierung des DAT-Gens.7 Eine erhöhte DRD4- und 5-HT-DNA-Methylierung korreliert mit ADHS.8
veränderte Expression und Dysfunktion von nikotinischen Acetylcholinrezeptoren (nAChRs)6
Hypersensitivität auf nikotin-induzierte nAChR-vermittelte Dopaminfreisetzung6
Die Kinder der ersten und zweiten Generation zeigten ADHS-typische Beeinträchtigungen:
Generation:
signifikant erhöhte spontane Bewegungsaktivität (Hyperaktivität) (Männchen und Weibchen)56
die verringerte DAT-Expression bewirkt erhöhte Dopaminspiegel im Striatum, was mittels Aktivierung von D2-Rezeptoren die Dephosphorylierung von AKT bewirkte, was zu einer verstärkten Aktivierung von GSK3α/β führte und letztlich Hyperaktivität in den Nachkommen der Mäuse verursachte.7
Es ist zu vermuten, dass die Mechanismen denen bei Menschen entsprechen.
1.1.2. Penicillineinnahme bis 2 Jahre vor der Zeugung¶
Eine Einnahme von Penicillin durch die Mutter erhöhte selbst dann noch das ADHS-Risiko des Kindes, wenn die Einnahme 2 Jahre vor der Schwangerschaft erfolgte. Eine mehrfache Penicillin-Einnahme erhöhte das ADHS-Risiko zusätzlich.9
1.2. Gifte und Schadeinwirkungen während der Schwangerschaft (bis + 778 %)¶
Nachgewiesen sind toxische Wirkungen für Ungeborene für:
1.2.1. Alkohol während der Schwangerschaft (+ 778 %)¶
Etwa 5 % der Kinder in den USA sollen an FASD leiden, also durch Alkoholkonsum der Mutter in der Schwangerschaft geschädigt sein.10
Die ganz überwiegende Anzahl der Studien stellt fest, dass Alkoholkonsum der Mutter in der Schwangerschaft die ADHS-Wahrscheinlichkeit für die Kinder signifikant erhöht.1112 bis zu 8,78-fach,13 Ebenso sind Aufmerksamkeitsprobleme erhöht.14
Eine Kombination von Alkohol und Stress bei der Mutter in der Schwangerschaft erhöhte bei männlichen Ratten die Wahrscheinlichkeit, ein weibliche(res) Sexualverhalten auszubilden.15
Kinder mit FAS (Fetales Alkohol Syndrom) hatten zu 47,2 % auch ADHS.16
Es bestehen Hinweise darauf, dass Alkoholkonsum der Mutter in der Schwangerschaft oder während der Stillzeit erhebliche Auswirkungen auf das Dopaminsystem des Kindes hat.17181920 Ebenso ist die Regulation der Neurotransmitter Serotonin21, Glutamat, Noradrenalin, Acetylcholin und Histamin betroffen.2223
Alkoholkonsum in der Schwangerschaft und ADHS.2425
Bingedrinking in der frühen Schwangerschaft und dem ADHS-Risiko der Kinder im Alter von 5 bis 19 Jahren.26
Eine Studie fand eine Korrelation zwischen Ethoxyessigsäure (einem von 6 untersuchten Abbauprodukt von Alkohol) im Urin der Mutter und Inhibitionsproblemen der Kinder.27
Eine Metastudie fand, dass Alkoholkonsum der Mutter von weniger als 70 g / Woche während der Schwangerschaft das ADHS-Risiko nicht erhöhte.28 Jungen waren durch Alkohol in der Schwangerschaft weniger gefährdet als Mädchen.
Neill et al beschäftigen sich mit der Differentialdiagnostik von ADHS und FASD (Fetal Alcohol Spectrum Disorder).29
1.2.2. Nikotinkonsum der Mutter in Schwangerschaft (+ 58 % bis + 378 %)¶
Vorgeburtliches Rauchen bewirkt ein erhöhtes ADHS-Risiko für den Nachwuchs30 auf das
1,09-fache (OR), wenn sozioökonomischer Status der Mutter, das mütterliche Alter, die mütterliche Psychopathologie, das väterliche Alter, die väterliche Psychopathologie und das Geburtsgewicht des Kindes für das Gestationsalter berücksichtigt wurden
1,50 fache (hier: Risiko von Hyperaktivitäts-/Impulsivitätssymptomen des Kindes)31
1,50-fache, schon bei Passivrauchen, jedoch nur für Jungen31
Lediglich zwei Studien (mit überlappenden Autoren) und eine Metastudie kamen zu einem abweichenden Ergebnis454647, eine Studie fand eher schwache Hinweise.48
Die meisten Experimente mit vorgeburtlicher Nikotinexposition zeigen eine Verringerung der Dopaminspiegel im PFC und Striatum. Unter bestimmten Umständen zeigten sich auch erhöhte Dopaminspiegel.49ADHS ist neurophysiologisch eng mit verringerten Dopaminspiegeln im dlPFC (beeinträchtiges Arbeitsgedächtnis) und Striatum (beeinträchtigte Motivation und motorische Steuerung = Hyperaktivität) verbunden.
Davon zu unterscheiden ist Rauchen durch Betroffene – dies erhöht die Dopaminspiegel (zumindest im Striatum), da es die DAT verringert, die bei ADHS zu stark ausgeprägt sind und den Dopaminspiegel im Striatum verringern. Akutes Rauchen erhöht dadurch den Dopaminspiegel im Striatum.
Vorgeburtliches Rauchen in Verbindung mit bestimmten Genpolymorphismen erhöht die ADHS-Wahrscheinlichkeit noch stärker:
Liegen keine genetischen Risiken vor, erhöht Rauchen der Mutter während der Schwangerschaft das ADHS-Risiko für das Kind um 20 bis 30 %.
Die Risikogene allein erhöhen (wenn die Mutter während der Schwangerschaft nicht raucht) das Risiko um 20 bis 40 %.
Treffen aber Risikogene und ein Rauchen der Mutter in der Schwangerschaft zusammen, erhöht sich das ADHS-Risiko des Kindes um ein Vielfaches:
DAT1-9R (440 bp): um das 2,6-fache
DRD4-7R um das 2,9-fache
beide zusammen um das 9-fache5051
Eine weitere Studie bestätigt die Beteiligung von DRD4-7R an Gen-Umwelt-Interaktionen.52
Rauchen der Mutter während der Schwangerschaft verändert die Glutamat-NMDA-Rezeptoren im laterodorsalen Tegmentum des Nachwuchses.53 Eine weitere Studie fand ebenfalls Veränderungen der glutamatergen Signalübertragung im Hippocampus durch erhöhte Glutamatrezeptorexpression,54 was mit Lernproblemen, Aufmerksamkeitsproblemen und gesteigerter Impulsivität einherging.
Die proBDNF-Proteolyse ist durch ein Ungleichgewicht zwischen proBDNF und BDNF und die Herunterregulierung des proBDNF-Verarbeitungsenzyms Furin gestört. Die Aktivität des Glucocorticoidrezeptors ist durch eine verminderte relative nukleare GR-Lokalisierung verändert. Der basale Plasmacorticosteronspiegel ist verringert. Die HPA-Achse ist gestört. Dies betrifft den Nachwuchs selbst, aber auch dessen Kinder, wird also weitervererbt.55
Vorgeburtliche Nikotinexposition verringerte die Dopaminspiegel im mPFC des Nachwuchses von Nagetieren.56 Bei ADHS ist der Dopaminspiegel im PFC verringert.
Eine Untersuchung an Mäusen, deren Mutter während der Schwangerschaft Nikotin ausgesetzt wurde, fand Hinweise darauf, dass Nikotin während der Schwangerschaft verschiedene Folgen verursacht, die auch bei der Enkelgeneration fortbestanden, was auf eine epigenetische Vererblichkeit hinweist:57
Defizite in der Expression der kortikostriatalen DNA-Methyltransferase 3A (DNMT3A)
Downregulation des Methyl-CpG-bindenden Proteins 2 (MeCP2) in frontalen Cortizes und im Hippocampus
Downregulation der Histon-Deacetylase 2 (HDAC2) in frontalen Cortizes und im Hippocampus
Anomalien bei der HDAC2 (Ser394)-Phosphorylierung in frontalen Cortizes, im Striatum und im Hippocampus
keine Veränderung der Expression der Ten-Eleven-Translokase-Methylcytosin-Dioxygenase 2 (TET2)
keine Anomalien bei der MeCP2 (Ser421)-Phosphorylierung in frontalen Cortizes, im Striatum und im Hippocampus
Mütterliches Rauchen erhöht den fetalen Testosteronspiegel.58 Erhöhte pränatale Testosteronwerte sind ein Risikofaktor für ADHS. Mehr hierzu unter Geschlechtsunterschiede bei ADHS.
Mütterliches Rauchen war im Vergleich zu anderen Umweltursachen nur mit ADHS, aber nicht mit nur Autismus assoziiert. Eine psychiatrische Vorgeschichte der Eltern wies ähnliche Assoziationen mit allen Untergruppen auf. Ein Wohnen in der Stadt war am stärksten mit Autismus+ADHS und am wenigsten mit nur ADHS verbunden.59
Über 70 Millionen Frauen in der EU rauchen während der Schwangerschaft (Stand 2020).54
Möglicherweise könnten die Effekte von Nikotinkonsum der Mutter während der Schwangerschaft durch Stillen kompensiert werden.60
Bereits Passivrauchen, also eine passive Exposition der Mutter gegenüber Nikotinrauch in der Schwangerschaft, erhöht tendenziell die Risiken der Ungeborenen für spätere ADHS-Symptome.31
Ähnliche Ergebnisse fanden sich für die Verursachung von Dyspraxie (Developmental Coordination Disorder) durch Passivrauchen.61
Passivrauchen während der Schwangerschaft in Kombination mit mütterlichem Stress im 5. Lebensjahr des Kindes erhöhte das Risiko für Aufmerksamkeitsprobleme im 7. Lebensjahr.62
1.2.4. Drogenkonsum der Mutter während der Schwangerschaft (bis + 200 %)¶
Bei Kindern, die vorgeburtlich multiplem Drogenkonsum der Mutter ausgesetzt waren und die danach in Heimen aufwuchsen, fand sich im Alter von 17 bis 22 Jahren das 3-fache Risiko von ADHS.63
Cannabiskonsum in der Schwangerschaft wird von mehreren Studien mit einem erhöhten Risiko für ADHS der Kinder assoziiert.64
Eine Metastudie fand eine relativ geringe Risikoerhöhung für ADHS durch Cannabiskonsum der Mutter in der Schwangerschaft um 13 %.65
Der pränatale Kontakt mit polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen scheint die Schäden durch frühkindliche Stresseinwirkung zu verstärken und spätere Aufmerksamkeits- und Gedächtnisprobleme zu fördern.66 Eine Metastudie fand, dass 4 Studien eines Autors auf eine Erhöhung des Risikos von ADHS durch PAK um das 1,57-fache hindeuteten (OR 2,57), während die Gesamtzahl aller Studien auf ein verdoppeltes Risiko hindeuteten (OR 1,99), was aber nicht signifikant gewesen sei.67
Eine hohe pränatale PAK-Exposition korrelierte mit
Aufmerksamkeitssymptomen68 nach DSM-IV (OR = 5,06)69. dosisabhängig70
1.2.6. Exposition der Mutter gegenüber nichtionisierender Magnetfeldstrahlung während der Schwangerschaft (+ 100 %)¶
Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft (bei einer 24-Stunden-Messung) am stärksten nichtionisierender Magnetfeld-Strahlung (“Elektro-Smog”) ausgesetzt waren,73
zeigten ein verdoppeltes Risiko für ADHS (aHR 2,01)
Die Fortdauer von ADHS über das 11. Lebensjahr hinaus korrelierte mehr als dreimal so häufig mit einer hohen Exposition der Mutter als eine Remission von ADHS bis zum 11. Lebensjahr (aHR 3,38).
ADHS mit komorbiden immunbedingten Komorbiditäten (Asthma oder Neurodermitis / atopische Dermatitis) war 4,57 Mal so häufig mit hoher Exposition korreliert.
ein Zusammentreffen von über das 11. Lebensjahr hinaus persistierendem ADHS und immunbedingten Komorbiditäten war 8,27 Mal häufiger mit Exposition verknüpft.
1.2.7. Luftverschmutzung in der Schwangerschaft (bis + 26 %)¶
Eine Studie fand Veränderungen in Bezug auf das Immunsystem des Nachwuchses durch Luftverschmutzung.74
Eine Untersuchung an ca. 43.000 Familien in Shenzen fand positive Korrelationen von ADHS ab dem 3. Lebensjahr mit während der Schwangerschaft bestehender Exposition gegenüber75
Kochdämpfen
Tabakrauch
Dämpfen aus Hausrenovierungen
Moskitospulen (abgebrannte Moskitopyramiden; insbesondere in Kombination mit Weihrauch-Rauch)
Weihrauch-Rauch (insbesondere in Kombination mit Moskitoabwehrrauch)
Eine andere Studie fand keine Risikoerhöhung durch Luftverschmutzung in Bezug auf ADHS.76
Eine Metaanalyse fand, dass mehr Untersuchungen (ohne Schwangerschaftsbezug) einen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und ADHS bejahten als ihn verneinten.77
Eine Kohortenstudie an 425.736 Geburten zur pränatalen Feinstaubbelastung anhand von Satellitendaten fand, dass ein Anstieg der PM2,5-Konzentration um 10 μg/m³ während des ersten Trimesters das ADHS-Risiko um 26 % erhöhte und dass dieses bei PM2,5-Konzentrationen über 16 μg/m³ weiter anstieg.78
Luftverschmutzung durch Feinstaub in der Schwangerschaft korrelierte in einer Studie mit einem verringerten Volumen des Corpus callosum und einer Tendenz zu erhöhter Hyperaktivität.79 Eine weitere Studie fand einen Zusammenhang zwischen Feinstaub und ADHS bei geringer Feinstaubbelastung, während eine höhere Belastung schwerwiegendere Gehirnschäden verursachte.71
Bei Ratten führten eingeatmete Druckerpartikel zu 5-fach erhöhten Dopaminwerten, wobei diese wahrscheinlich durch eine erhöhte Synthese und nicht durch einen verringerten Abbau entstanden.80
Dieselabgaspartikel führten in Laborversuchen zu Funktionsbeeinträchtigungen von Dopamin-Neuronen. Eine pränatale Aufnahme mit der Atemluft bewirkte bei Mäusen:81
im Striatum
verringerten Dopaminumsatz
verringerte Spiegel von Dopamin-Metaboliten
in der Amygdala
erhöhten Dopaminspiegel
erhöhte Dopamin-Metaboliten-Spiegel
im Nucleus accumbens
erhöhte Dopamin-Spiegel
Verkehrs-Ultrafeinstaub in der Atemluft nach der Geburt bewirkte bei weiblichen Mäusen:81
im Hippocampus
erhöhten Dopaminumsatz
Vor- wie nachgeburtlich verringerten Feinstaub und gasförmige Schadstoffe bei Nagetieren die Expression von Oxytocin-Rezeptoren in Hippocampus82 und Hypothalamus, bei verringertem Pflegeverhalten als Mutter.83 Die Oxytocin- und Vasopressin-Kommunikation scheint durch endokrin wirksame Chemikalien gestört zu werden84, von denen viele in der Außenluft vorhanden sind.81
Studien fanden einen Zusammenhang zwischen PM2,5 und Hyperaktivität/Aufmerksamkeitssymptomen (OR = 1,12)85, Hyperaktivität86, ADHS-Symptomen87 und zwischen PM2,5 im ersten Trimester und einer Tendenz zu Aufmerksamkeitsproblemen und Hyperaktivität.88
Andere Studien fanden keinen Zusammenhang zwischen PM2,5 und ADHS899091
Andere Studien fanden keine signifikanten oder eindeutigen Korrelationen zwischen NOx und ADHS.898590
Eine Studie fand eine Korrelation zu ASS bei Kindern, nicht aber zu ADHS.93
Die Emission von Stickoxiden sank in Deutschland von 1990 bis 2020 um knapp 2/3.94
Polychlorierte Biphenyle hemmen die Dopamin-Synthese sowie die Speicherung von Dopamin in den Vesikeln und dessen Ausschüttung und bewirken dadurch ein zu niedriges Dopaminniveau. Polychlorierte Biphenyle riefen (bei Ratten bereits in subtoxischen Dosen) Hyperaktivität und Impulsivität hervor.95 Polychlorierten Biphenyle können direkt auf dopaminerge Prozesse einwirken, um das Dopaminsystem zu stören und Parkinson-ähnliche Symptome zu erzeugen.96 Weitere Studien fanden ebenfalls dopaminverringernde Wirkung von PFAS.9798 sowie Einflüsse auf den Acetylcholin-, Serotonin- und Glutamat-Neurotransmitter-Haushalt.99
Eine Übersichtsstudie an k = 30 Metastudien analysierte den Zusammenhang zwischen pränataler Exposition gegenüber PFOA und PFOS und ADHS bei Kindern im Alter von 4-11 Jahren.100
Bei Mädchen, nicht aber bei Jungen, fand sich eine statistisch signifikante Erhöhung des ADHS-Risikos.
1.2.9. Cadmium während der Schwangerschaft (+ 22 % bei Mädchen)¶
Eine Cadmium-Exposition während der Schwangerschaft erhöhte das ADHS-Risiko für 6-jährige Mädchen, nicht aber für Jungen. Eine verdoppelte Cadmium-Exposition der Mutter in der Schwangerschaft erhöhte das ADHS-Risiko für Mädchen um 22,3 %.101
1.2.10. Bleidisposition während der Schwangerschaft¶
Bleidisposition während der Schwangerschaft102103104 wirkt sich auf den mesocorticolimbischen Kreislauf aus und erhöht das ADHS-Risiko des Nachwuchses.105
Rattenmütter wurden während der Schwangerschaft akutem Stress und Blei ausgesetzt. Die Wirkung auf den Nachwuchs differierte zwischen Bleiexposition allein oder Bleiexposition plus Stressexposition. Männliche Rattenjunge zeigten nur bei Bleiexposition allein, weibliche Rattenjunge nur bei kombinierter Blei- und Stressexposition erhöhte Corticosteronspiegel sowie verringerte Dopaminspiegel im PFC. Bereits eine kurzfristige Bleiexposition der Muttertiere verursachte diesen Effekt.106 Bei weiblichen Rattenjungen trugen in der Schwangerschaft Bleibelastung und Stress der Mutter als kumulative Faktoren zu Lernschwierigkeiten bei. Diese wurden neurophysiologisch durch das Glucocorticoidsystem auf das mesocorticolimbische System vermittelt.107
Weitere Studien fanden ebenfalls Belege dafür, dass Bleiexposition ebenso wie Stress während der Schwangerschaft das mesocorticolimbische Dopamin-/Glutamatsystem von weiblichen Nachkommen (weniger bei männlichen) beeinträchtigen und ihre Wirkung gegenseitig erhöhen.108 Männliche Rattenjunge zeigten unter ähnlichen Bedingungen eine Tendenz zu serotonergen Störungen des mesocorticolimbischen Systems und verändertem Delay Discounting.109
Selbst ein Bleigehalt im Trinkwasser unterhalb der Grenzwerte soll problematisch sein.103
Grundsätzlich sind Bleiwasserrohre in Gebieten mit kalkhaltigem Wasser wenig gefährlich, da Kalk eine zuverlässig schützende Schicht in den Rohren bildet. Es darf dann jedoch keine Entkalkungsanlage für das Trinkwasser installiert werden. Gleichwohl empfiehlt es sich bei Modernisierungen grundsätzlich, bleihaltige Wasserrohre auszutauschen.
Möglicherweise ist bei ADHS der Stoffwechsel in Bezug auf Kobalt, Kupfer, Blei, Zink und Vanadium verändert. Es wurde eine verringerte Zyklusstabilität (Determinismus), Dauer (mittlere Diagonallänge) und Komplexität (Entropie) der Expositionsprofile festgestellt.110
Blei ist ein zweiwertiges Kation, das Ca2+ nachahmt und die PKC-Signalisierung aktiviert.111
Arnsten112 beschreibt Blei als ein Gift, das mit ADHS verwechselbare Symptome verursacht.
Blei scheint etliche schädliche neurophysiologische Wirkungen zu haben, die unter anderem auch das dopaminerge System betreffen:
Beeinträchtigung des mesocorticolimbischen dopaminergen Systems113
Bleivergiftung korreliert in den USA stark mit der Kriminalitätsrate und ausserehelichen Schwangerschaften.117118
Kinder mit erhöhten Bleispiegeln im Blut sollen für weitere Toxine in der frühen Kindheit besonders anfällig sein.119 Insbesondere wurde vor Blei in Wandfarben gewarnt. In der Schwangerschaft kann Blei von der Mutter durch die Plazenta auf das Kind übertragen werden.
1.2.13.1. Organochlorverbindungen-Kontakt in der Schwangerschaft¶
Organochlorverbindungen (Dichlorodiphenyltrichloroethane (DDT), Dieldrin, Heptachlor, Endosulfan) zeigten bei pränataler Exposition einen Einfluss auf die neuronale Entwicklung, die (bei Nagetieren), z.B.:122
DAT erhöht
Dopaminwiederaufnahme erhöht
Verlust dopaminerger Zellen
Veränderungen an der Präsynapse in wichtigen dopaminergen Proteinen als Reaktion auf OC-Pestizide in Striatum oder Substantia nigra
Noradrenalin erhöht
Serotonin erhöht
GABA-Rezeptoren verringert
NMDA-Rezeptoren verringert
mGluR5-Rezeptoren verändert
veränderte GABAerge, glutamaterge und dopaminerge Reaktion auf Endosulfan im PFC
veränderte dopaminerge Reaktionen auf Heptachlor-Exposition identifiziert
mit Beeinträchtigungen u.a. von:
Aufmerksamkeitsprozesse
kognitiver Leistungsfähigkeit
Gedächtnis
soziale Entwicklung
geistige und psychomotorische Entwicklung
Feinmotorik
Reflexe
visuelle Verarbeitung
Organochlorverbindungen wurden gleichwohl vornehmlich mit ASS in Verbindung gebracht.
1.2.13.2. Organophosphate-Kontakt in der Schwangerschaft¶
Die Organophosphate Chlorpyrifos und Diazinon zeigten erhebliche Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung von Neugeborenen, unter anderem auf das dopaminerge System.123 Pränatale Exposition gegenüber dem verbreiteten Pestizid Chlorpyrifos beeinträchtigte IQ und Arbeitsgedächtnis bei Kindern im Alter von 7124125 und die Exekutivfunktionen.126
Organophosphate hemmen die Acetylcholinesterase (= das Enzym, das Acetylcholin abbaut).122 Über das Organophosphat Diisopropylfluorophosphat (DFP) wurde neben der bekannten Downregulation von cholinergen Rezeptoren eine Erhöhung von Dopamin- und GABA-Rezeptoren berichtet. Eine einmalige Gabe von 1 mg/kg DFP bewirkte erhöhte Dopaminspiegel, eine einmalige toxische Dosis von 2 mg/ kg DFP einen erhöhten Dopaminabbau. Nach 6 Stunden waren die Werte wieder normalisiert. Eine chronische Gabe von 1 mg/kg DFP bewirkte nach 1 und 2 Wochen verringerte Dopaminspiegel, die sich bei fortgesetzter Gabe wieder normalisierten. Eine einmalige Gabe von DFP erhöhte den Dopaminumsatz im Striatum von Ratten, eine chronische Gabe verringerte diesen. Die Autoren vermuteten, dass die Änderungen von Dopamin- und GABA Folgen der Downregulation der cholinergen Rezeptoren sein könnten.127
Chlorpyrifos stört das Serotoninsystem. Kontakt in der Schwangerschaft kann bei Kindern Tremor auslösen und die kognitive und neuroverhaltensbezogene Entwicklung beeinträchtigen.15
Eine Messung anhand pränataler Urin-Dialkylphosphat-Metaboliten (Diethylphosphat und Dimethylphosphat) sowie einer Analyse der mütterlichen PON1-Genvarianten Q192R und L55M fand keinen Zusammenhang zwischen Organophosphat-Kontakt der Mutter während der Schwangerschaft und einem späteren ADHS des Kindes.128
Einer norwegische Kohortenstudie fand ein erhöhtes ADHS-Risiko des Nachwuchses bei Nachweis im Blut der Mutter während der Schwangerschaft von:129
Di-n-butylphosphat (DnBP)
Bis(1,3-dichlor-2-propyl)phosphat (BDCIPP)
Bis(2-butoxyethyl)phosphat (BBOEP)
nur bei Jungen. Bei Mädchen verringertes Risiko mit steigender Belastung.
Höhere Vitamin-D-Spiegel der Mutter scheinen die negative Wirkung des Organophosphats Chlorpyrifos auf das ADHS-Risiko des Nachwuchses zu verringern.130131
Eine andere norwegische Registerstudie fand keine Hinweise auf ein erhöhtes ADHS-Risiko des Nachwuches bei Kontakt der Mutter mit Organophosphaten in der 17. Schwangerschaftswoche.132
1.2.13.3. Pyrethroid-Kontakt vor oder in der Schwangerschaft¶
Pyrethroide sind als Insektenvernichtungsmittel und Pflanzenschutzmittel weitverbreitet.
Jede Verdoppelung des Pyrethroid-Metaboliten 3-phenoxybenzoic acid (3-PBA) im Urin der Mutter in der 28. Schwangerschaftswoche erhöhte das Risiko von ADHS des Nachwuchses um 3 % sowie das Risiko, dass ein eintretendes ADHS unter den 10 % der schwersten ADHS-Fälle lag, um 13 %.133
Das Pyrethroid Deltamethrin beeinträchtigt bei Mäusen bei früher Exposition offenbar das dopaminerge System:134
DAT verringert
D1-Rezeptor verringert
Apoptose
Weiter ergaben sich (bei pränataler, nicht aber bei postnataler Exposition)135 dauerhafte Verhaltensveränderungen in Bezug auf:134
Bewegungsaktivität
akustischen Startle-Reflex
Lernen
Gedächtnis
3-PBA und Chlorpyrifos verstärken gegenseitig ihre Wirkung in Bezug auf ADHS.133
Jede Messung von Trans-3-(2,2-dichlorovinyl)-2,2-dimethylcyclopropane-1-carboxylic acid (trans-DCCA), einem Metaboliten von Permethrin, Cypermethrin und Cyfluthri (Trans-Isomere von Pyrethroiden), im Urin erhöhte das Risiko für ADHS des Nachwuchses um 76 %.133
1.2.13.4. Glyphosat-Kontakt in der Schwangerschaft¶
Glyphosat (z.B. Roundup) ist ein Breitbandherbizid aus der Gruppe der Phosphonsäuren.
Bei Ratten bewirkte eine orale Glyphosat-Exposition der Mutter (0,5 und 50 mg/kg Körpergewicht/Tag) während der Schwangerschaft und der Stillzeit (insbesondere) beim (weiblichen) Nachwuchs:136
Depressions-Symptome
Angst-Symptome
soziale Defizite
verringerte Expression und Hypermethylierung des Tryptophanhydroxylase 2-Gens im Hippocampus
Tryptophanhydroxylase ist an der Serotonin-Synthese im Gehirn beteiligt
veränderte Darmmikrobiota der weiblichen Nachkommen
verminderten Abundanz von Akkermansia
erhöhte Abundanz von Alistipes und Blautia
(Bakterien, die am Tryptophan-Stoffwechsel beteiligt sind und mit depressions- und angstähnlichen Störungen in Verbindung gebracht werden)
Dies deutet auf eine Beteiligung von Glyphosat an Depression- und Angststörungen hin. Eine Verbindung zu ADHS ergibt sich daraus noch nicht.
Glyphosat wird auch als eine mögliche Ursache für ASS verdächtigt.137
Bisphenol-A (BPA) ist ein Glucocorticoidrezeptor-Agonist und wird mit Veränderungen der HPA-Achsen-Reaktion in Verbindung gebracht. Bei weiblichen Ratten korrelierte vorgeburtliches BPA mit erhöhten basalen Corticosteronwerten sowie mit verringerter Glucocorticoid-Rezeptor-Expression im Hypothalamus. Auf Stress zeigten diese weiblichen Ratten ein ängstliches Bewältigungsverhalten und eine gedämpfte Corticosteronreaktion mit fehlender Downregulation der Glucocorticoid-Rezeptor-Expression im Hypothalamus. BPA-exponierte männliche Ratten zeigten dagegen keine veränderte basale HPA-Achsen-Funktion, konnten aber auf akuten Stress die Expression des CRH-1-Rezeptors in der Hypophyse nicht hochregulieren.15 Die den Rattenmüttern während der Schwangerschaft und der Säugezeit gegebene Dosis war mit 40 Mikrogramm / kg / Tag sehr niedrig.138
5 Milligramm / Kubikmeter in der Atemluft bewirken Augenreizungen.139 Ein Review bestätigte Indizien, das Bishenol-A in der Schwangerschaft das ADHS-Risiko der Kinder, insbesondere von Jungen, erhöhen kann,140
BPA und BPS verursachten in Maus-Plazentas stark erhöhtes Dopamin (3- bis 5-fach) und stark verringertes Serotonin (um 80 %). GABA blieb unverändert.141 BPA ist ein endokriner Disruptor und imitiert die östrogene Aktivität. Damit wirkt BPA sich auf verschiedene dopaminerge Prozesse aus, um die mesolimbische Dopaminaktivität zu erhöhen, was zu Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsdefiziten und einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber Drogenmissbrauch führt.96
Phthalsäureester sollen nach den meisten Untersuchungen das Risiko von ADHS für das Ungeborene erhöhen,142 wobei die Zusammenhänge bislang unklar sind.143140 Es wird eine Beeinflussung des Thyroid-Haushalts erörtert.144 Höhere Phtalat-Metaboliten im Urin Schwangerer korrelierten mit erhöhter Ablenkbarkeit bei den Kindern im Vorschulalter.145
Eine pränatale Di-methoxyethyl Phthalat (DMEP)-Exposition verursachte bei Mäusen eine abnorme Gehirnmorphologie und -funktion. DMEP reduzierte signifikant die Anzahl der Neuronen im parietalen Kortex durch Beeinträchtigung der Neurogenese und Gliogenese während der Kortexentwicklung und beeinträchtigte die dendritische Spine-Architektur und die synaptische Aktivität im parietalen Kortex. Zudem induzierte pränatales DMEP bei Mäusen Hyperaktivität und reduzierte Angstverhalten.146
1.2.16. Perfluoralkylverbindungen (PFAS) in der Schwangerschaft¶
Eine Langzeitstudie fand keine Korrelation zwischen einer Perfluoralkyl-Belastung in der Schwangerschaft und ADHS. Es fanden sich schwache – positive und negative – Korrelationen zu Arbeitsgedächtnisfunktionen in der Kindheit.147 Eine Metastudie fand ebenfalls keine signifikante Korrelation zwischen mütterlicher PFAS-Exposition und der Prävalenzrate von frühkindlichem ADHS. Gleichwohl waren das Odds-Ratio teilweise erhöht:148
Perfluoroctansäure (PFOA): 1,00
Perfluoroctansulfonat (PFOS): 1,01
Perfluorhexansulfonat (PFHxS): 1,08
Perfluorononansäure (PFNA): 1,13
Perfluordecansäure (PFDA): 1,23
Die PFOS-Konzentration im Blut der Kinder sowie die PFNA-Konzentration im Blut der Mütter korrelierte mit der Prävalenz von frühkindlichem ADHS.
Eine andere Studie fand eine Korrelation von Perfluoroctansäure (PFOA) und AD(H)DS, nicht aber von Perfluoroctansulfonat (PFOS) mit ADHS oder ASS.149 Eine weitere Studie fand ein erhöhtes ADHS-Risiko von Schulkindern bei einer niedrigen bis mittleren Belastung mit PFAS im Alter von 2 Jahren.150
1.2.17. Dioxin-Exposition während der Schwangerschaft¶
Kinder, die während der Schwangerschaft Dioxin ausgesetzt waren, haben ein erhöhtes ADHS-Risiko.151
Eine pränatale Schwefeldioxid-Exposition (SO2) korrelierte mit einer DNA-Methylierung und erhöhten AD(H)S-Symptomen.152153
Zwei andere Studien fanden laut einem Review66 keinen signifikanten Zusammenhang.9186
Polybromierte Diphenylether (PBDE) sind bromhaltige organische Chemikalien. Sie dienten als Flammschutzmittel in vielen Kunststoffen und Textilien.
Ihre Konzentration in der Muttermilch stieg zwischen 1972 und 1998 exponentiell an.
Die deutsche Industrie verzichtete 1986 freiwillig auf die Verwendung. Schweden verbot 1999 die Herstellung und die Verwendung.
EU-weit dürfen PentaBDE und OctaBDE seit 2003 nur noch bis max.0,1 Gewichtsprozent in den Verkehr gebracht oder verwendet werden.
Eine pränatalen PBDE-Exposition erhöht offenbar bei Mädchen ADHS-Symptome.154
Eine Studie fand einen inversen Zusammenhang zwischen Fluoridgehalt des Urins der Mutter mit kognitiven Problemen des Nachwuches im Alter von 11 Jahren. Je höher der Fluoridgehalt war, desto geringer waren die kognitiven Probleme.155 Dies deckte sich nicht mit den Ergebnissen anderer Studien, die ein erhöhtes ADHS-Risiko bei erhöhten Urin-Fluoridgehalt der Kinder selbst feststellten.156157
Es gibt schwache Hinweise auf eine Relevanz bei ADHS, wobei bei ADHS-Betroffenen erhöhte Manganspiegel nur im Haar, nicht aber in Blutspiegel gefunden wurden.158
Eine Verdoppelung des Mangangehalts in Zähnen aus pränataler wie postnataler Zeit erhöhte das Risiko von Aufmerksamkeitsproblemen und ADHS-Symptomen in der Schulzeit um 5 %. Mangan aus der Zeit des Kindesalters zeigte keinen Einfluss.159
Ein Tiermodell mit entwicklungsbedingter Manganexposition zeigte, dass Mangan dauerhafte Aufmerksamkeits- und sensomotorische Defizite verursachen kann, die einem ADHS-I ähneln. Orales Methylphenidat konnte die durch frühe Mangan-Exposition entstehenden Defizite vollständig ausgleichen.160
1.3. Krankheiten der Mutter / der Eltern (bis + 310 %)¶
Kinder mit ADHS hatten häufiger Mütter, die während der Schwangerschaft gesundheitliche Beeinträchtigungen hatten:43
Krankheiten der Mütter während der Schwangerschaft:
Bei 34,4 % der Kinder mit ADHS hatte die Mutter in der Schwangerschaft eine Krankheit, bei nicht betroffenen Kindern 14,4 %.
Kinder mit ADHS: 34,7 %
Krankheiten der Mutter in der Schwangerschaft lagen in folgendem Trimester:
nur 1./2. Trimester: 56,4 %
nur 3. Trimester: 12,7 %
gesamte Schwangerschaft: 30,9 %
Nichtbetroffene Kinder: 14,4 %
Krankheiten der Mutter in der Schwangerschaft lagen in folgendem Trimester:
nur 1./2. Trimester: 0 %
nur 3. Trimester: 33,3 %
gesamte Schwangerschaft: 66,7 %
Andere Schwangerschaftsprobleme:
Kinder mit ADHS: 14,5 %
Nichtbetroffene Kinder: 3,8 %
1.3.1. Erhöhte oder verringerte Thyroxinwerte der Mutter (bis + 310 %)¶
Eine Studie fand ein um 7 % erhöhtes ADHS Risiko der Kinder bei unbehandelter milder Thyroxinmangel der Mutter während der frühen Schwangerschaft.161 In einer anderen Studie zeigten verringerte oder unbehandelte normale Thyroxinwerte der Mutter keinen Einfluss auf ein ADHS der Kinder. Dagegen scheint eine Thyroxinbehandlung der Mutter, insbesondere mit überhöhten Thyroxinwerte aufgrund einer Überdosierung, das ADHS-Risiko der Kinder zu erhöhen.162 Eine andere Untersuchung fand ebenfalls Hinweise auf Thyroxin als eine mögliche Ursache von ADHS,163 eine weitere Studie keinen Einfluss der Thyroxinwerte der Mutter in der Schwangerschaft.164
Bei männlichen Mäusen fand eine Studie einen deutlich verringerten Dopamin- und Serotoninumsatz im Striatum, Nucleus accumbens, Hypothalamus und Hippocampus als Folge eines vorgeburtlichen Thyroxinmangels.165 Dopaminmangel im Striatum / Nucleus accumbens ist bei ADHS für hyperaktive Symptome verantwortlich.
1.3.1.1. Verringerte und erhöhte TSH-Werte der Neugeborenen (+ 14 % bei Jungen bis + 310 % bei Mädchen)¶
Eine Kohortenstudie aus Norwegen fand bei Neugeborenen, die zu geringe oder zu hohe TSH-Werte aufwiesen, ein erhöhtes ADHS-Risiko im späteren Lebensalter, jedoch nur bei Mädchen. TSH-Werte in der Gruppe der niedrigsten 20 % erhöhten das ADHS-Risiko der Mädchen auf das 3,1-fache, von Jungs lediglich um 14 %.166
Eine weitere norwegische Kohortenstudie fand ein 2,27-faches Risiko für ADHS bei Schilddrüsenhormon-T3-Werten der Mutter in der 17. Schwangerschaftswoche innerhalb des obersten 1/5 gegenüber dem untersten 1/5. Bei freiem T4 waren erhöhe wie verringerte Werte risikoerhöhend: das oberste 1/5 ebenso wie das unterste 1/5 zeigten das 1,6-fache ADHS-Risiko des Nachwuchses.167
1.3.2. Schweres Übergewicht der Mutter vor oder in Schwangerschaft (+ 14 % bis 280 %)¶
Massives Übergewicht der Mutter während der Schwangerschaft erhöhte das Risiko für ein späteres ADHS des Kindes in einer Untersuchung um das 2,8-fache.168
Bereits ein überhöhter BMI der Mutter vor der Schwangerschaft erhöhte das ADHS-Risiko des späteren Nachwuches.169 Ein BMI von 25 bis 30 erhöhte das ADHS-Risiko des Kindes um 14 %, ein BMI von 30 bis 35 um 96 % und ein BMI von mehr als 35 um 82 %.170
Andere Schwankungen des Gewichts der Mutter vor und am Ende der Schwangerschaft scheinen das ADHS-Risiko nicht zu beeinflussen.36
Eine norwegische Registerstudie fand nur geringe Hinweise auf einen Einfluss des BMI der Eltern auf das ADHS-Risiko des Kindes, wobei hier der Vor-Schwangerschafts-BMI der Mutter Untersuchungsgegenstand war.171 Eine andere Studie fand dagegen, dass Adipositas der Mutter vor der Schwangerschaft das ADHS-Risiko der Mutter um 62 % erhöhte.172
1.3.3. Chemikalien- / Medikamentenunverträglichkeit (+ 110 % bis 130 %; ASS + 201 % bis 470 %)¶
Kinder von Müttern mit einer Chemikalien- / Medikamentenunverträglichkeit (positives Ergebnis des Quick Environmental Exposure and Sensitivity Inventory (QEESI), einem validierten Screening-Instrument zur Chemikalienunverträglichkeit) hatten das 2,3-fache Risiko von ADHS und das 3,01-fache Risiko von ASS.173174
1.3.4. Präeklampsie (Gestose) in der Schwangerschaft (+ 30 % bis + 188 %)¶
Probleme in der Schwangerschaft, die die Sauerstoffversorgung des Fötus beeinträchtigen, erhöhen das ADHS-Risiko beim Kind um 30 bis 188 %.175 Eine Kohortenstudie fand eine ADHS-Risikoerhöhung durch Schwangerschaftsgestose um 43 %.176 Mehrere Reviews bestätigen ein erhöhtes ADHS-Risiko durch Präeklampsie in der Schwangerschaft.177178
Präeklampsie steht in Zusammenhang mit Veränderungen des Adenosinsystems, einschließlich der Adenosin-Transporter und der Adenosinrezeptoren. SHR werden aufgrund des Bluthochdrucks der Mütter in einer Präeklampsie-ähnlichen Situation geboren. Koffein (ein Adenosin-Antagonist) bei 7 Tage alten SHR verhinderte die negativen Folgen der Präeklampsie (Hyperaktivität, verschlechterte soziale Interaktion, verschlechterte kontextuelle Angstkonditionierung), während es diese Symptome bei Wistar-Ratten verstärkte.179 Hypoxie (Sauerstoffmangel) erhöht Adenosin. Adenosin-Antagonisten können die negativen Folgen von Hypoxie verhindern oder beheben. Mehr hierzu unter ⇒ Adenosin im Kapitel Neurologische Aspekte.
Hohe Spiegel des (schwachen) Adenosinantagonisten Theobromin korrelierten negativ mit Präeklampsie.180
1.3.5. Itrahepatische Cholestase (ICP) in der Schwangerschaft (+ 7 % bis + 162 %)¶
Die intrahepatische Cholestase in der Schwangerschaft (ICP) ist die häufigste geburtsthematische Lebererkrankung. Sie geht mit einem erhöhten Risiko für eine iatrogene Frühgeburt und nachteilige Folgen für das Kind einher.181
Eine ICD erhöhte das ADHS / ASS-Risiko:
vor der 28. Schwangerschaftswoche
2,62-faches ADHS-Risiko
1,69-faches ASS-Risiko
bis 36. Schwangerschaftswoche
1,36-faches ADHS-Risiko
1,37-faches ASS-Risiko
nach der 36. Schwangerschaftswoche
1,07-faches ADHS-Risiko
1,13-faches ASS-Risiko
1.3.6. PTBS (PTSD) in der Schwangerschaft (+ 132 %)¶
Eine posttraumatische Belastungsstörung der Mutter in der Schwangerschaft geht laut einer schwedischen Kohortenstudie mit einem 2,32-fachen ADHS-Risiko des Nachwuchses einher.182
1.3.7. Psychischer Stress der Mutter in der Schwangerschaft (+ 72 % bis + 100 %; mit 5HTTLPR + 800 %)¶
Stress der Mutter während der Schwangerschaft erhöhte das Risiko von ADHS bei den Kindern
Anhaltender und starker (angstbesetzter, bedrohlich wahrgenommener = cortisolerger) Stress erhöht das Risiko für Schreikinder186 (siehe auch 2.2.2.3.2), Angststörungen und ADHS erheblich.187188189190191
Dabei ist anhaltender Stress (hier: finanzielle Probleme) schädlicher als kurzzeitiger Stress (hier: Verlust einer nahestehenden Person).192
Hoher angstbesetzter / bedrohlich wahrgenommener Stress erhöht zugleich das Risiko für Borderline bei den Kindern signifikant.
Kinder mit ADHS hatten häufiger Mütter, die während der Schwangerschaft Stress oder emotionale Probleme hatten:43
Kinder mit ADHS: 53,8 %
Wenn Stress/emotionale Probleme auftraten, lagen diese in folgendem Trimester:
nur 1./2. Trimester: 36,0 %
nur 3. Trimester: 6,7 %
gesamte Schwangerschaft: 57,3 %
Nichtbetroffene Kinder: 27,6 %
Wenn Stress/emotionale Probleme auftraten, lagen diese in folgendem Trimester:
nur 1./2. Trimester: 28,6 %
nur 3. Trimester: 24,9 %
gesamte Schwangerschaft: 28,6 %
Haarcortisolwerte von Müttern und ihren Kindern zeigten eine Übertragung psychischer Stresserfahrungen von Müttern an die Kinder.193
Eine Studie fand bei Kindern von Frauen, die einem einmonatigen wiederholten Raketenbeschuss der Zivilbevölkerung im Libanonkrieg 2006 ausgesetzt waren, keine erhöhten psychiatrischen Störungen im Alter von 9 Jahren.194 Möglicherweise ist einmonatiger wiederholter Stress kein ausreichend intensiver Stressor.
Das bei angstbesetztem / bedrohlichem Stress ausgeschüttete Cortisol der Mutter wird vom Ungeborenen resorbiert und führt zu bleibenden Schäden der HPA-Achse, die mittels Cortisol Stressreaktionen reguliert.195196
Starke Angst der Mutter in der Schwangerschaft während der 12. bis 22. Woche nach der letzten Regel erhöht das Risiko für ADHS signifikant, während starke Angst in der 32. bis 40. Woche das Risiko nicht erhöht.197 Erhöhte Cortisolwerte der Mutter im 3. Schwangerschaftstrimester erhöhten das Risiko des Nachwuchses für ASS-Symptome nur bei Jungen im Alter von 3 Jahren, die aber im Alter von 5 Jahren nicht mehr signifikant waren. ADHS-Symptome waren weder im Alter von 3 noch im Alter von 5 Jahren erhöht.198
Es scheint also stark auf den Zeitpunkt der Stresserfahrung anzukommen.
Starke Angst der Mutter in der Schwangerschaft erhöhte das ADHS-Risiko des Ungeborenen in Abhängigkeit von dessen COMT-Gen-Variante (Gen-Umwelt-Interaktion).199
Bei Müttern mit den ADGRL3 (Latrophilin 3, LPHN3) - Gen-Varianten (SNPs)
rs6551665
rs1947274
rs6858066 oder
rs2345039
bewirkte bereits geringer Stress während der Schwangerschaft ein erheblich erhöhtes ADHS-Risiko für das Kind.200
Eine Kombination des 5HTTLPR L/L-Genotyp und Stress während der Schwangerschaft bewirkte ein achtmal höheres Risiko für ADHS/C oder ADHS-HI.201
Früher pränataler Stress erhöht den Gehalt an Immunantwortgenen, einschließlich der proinflammatorischen Zytokine IL-6 und IL-1β, insbesondere in männlichen Plazentas. Männliche Kinder zeigen stressbedingte Bewegungshyperaktivität, ein Markenzeichen der dopaminergen Dysregulation, die durch eine Behandlung der Mutter mit nichtsterioidalen Entzündungshemmern verbessert wurde. Zudem war die Expression von Dopamin D1- und D2-Rezeptoren durch frühen pränatalen Stress bei männlichen Nachkommen verändert.202 Die betätigt die Auswirkung von frühem Stress auf das dopaminerge System.
Eine hohe Cortisol-Exposition des Fötus oder Neugeborenen kann eine Methylierung des GAD1 / GAD67-Gens bewirken, das das Schlüsselenzym für die Glutamat-zu-GABA-Synthese, Glutamat-Decarboxylase 1, codiert, und zu erhöhten Glutamatspiegeln führen. Dieser epigenetische Mechanismus kann das ADHS-Risiko der Kinder erhöhen.203 Die Exposition gegenüber Glucocorticoiden während der Entwicklung des Hippocampus in der Schwangerschaft beeinflusst den Startpunkt der Stressreaktion durch epigenetische Veränderungen mittels mRNA und Methylierung.204 Eine andere Studie berichtet, dass die durch psychischen Stress der Mutter vermittelte Risikoerhöhung für das Ungeborene für Entwicklungsstörungen wie ADHS möglicherweise mittels mRNA-Expression von Glucocorticoid-Pathway-Genen in der Plazenta vermittelt werden könnte.205
Eine weitere Studie beschreibt ebenso epigenetische Veränderungen im Ungeborenen aufgrund von psychischem Stress der Mutter während der Schwangerschaft.206
Eine Studie fand keine signifikante Risikoerhöhung für psychische Störungen bis zum Alter von 10 Jahren durch eine erhöhte Glucocorticoidbelastung der Ungeborenen.207
Eine Belastung der Mutter durch eine Naturkatastrophe während der Schwangerschaft erhöhte das ADHS-Risiko.208
Bei Primaten wird das Stresshormon Cortisol durch das Enzym Hydroxysteroid 11-β-Dehydrogenase 2 (HSD11B2) in seine inaktive Form umgewandelt. Diese Umwandlung in der Plazenta schützt auch den Fötus.209210Chronischer Stress der Mutter (ebenso wie Fehlernährung oder Hypoxie) verringert jedoch die HSD11B2-Expression in der Plazenta.210 Föten chronisch gestresster Mutter sind daher hohen Cortisolkonzentrationen ausgesetzt, was Entwicklungsverzögerungen und neurologische Entwicklungsstörungen wie ADHS auslöst.211212210 Bei Nagetieren wird stattdessen die Expression von Hsd11b1 verringert, das ein Enzym zur Regulierung der Aktivität stressbedingter Hormone im Neokortex kodiert.213
Mütterlicher Stress während der Schwangerschaft oder Geburtskomplikationen wie mütterliche Infektionen während der Schwangerschaft oder Sauerstoffmangel bei der Geburt sind auch Risiko erhöhend für andere Störungsbilder, wie z.B. Schizophrenie.214
1.3.8. Polyzystisches Ovarialsyndrom (PCOS) in der Schwangerschaft (+ 31 bis + 95 % bei Jungen)¶
Kinder von Frauen mit Polyzystischem Ovarialsyndrom (PCOS) scheinen ein erhöhtes Risiko für ADHS zu haben.215
Möglicherweise könnte sich ein Zusammenhang daraus ergeben, dass eine Behandlungsmethode der Einsatz von Dopaminagonisten ist.216217 Eine weiterer Zusammenhang könnte darin bestehen, dass PCOS mit Hyperandrogenämie einhergeht. Erhöhte pränatale Testosteronwerte sind ein Risikofaktor für ADHS. Mehr hierzu unter Geschlechtsunterschiede bei ADHS.
Eine Studie fand bei 3-jährigen Jungen von Müttern mit einem PCOS ein um 95 % erhöhtes ADHS-Risiko, während dies bei 3-jährigen Mädchen nicht erhöht war.218 Auch dies deutet auf einen Zusammenhang mit Geschlechtshormonen hin, obwohl erhöhte Testosteronwerte in der Schwangerschaft auch bei weiblichem Nachwuchs erhöhte ADHS-Symptome verursacht. Mehr hierzu unter Geschlechtsunterschiede bei ADHS. Es ist auch bekannt, dass sich ADHS bei Mädchen später zeigt als bei Jungen.
Eine chinesische Studie fand (nur) bei Jungen von 3 bis 6 Jahren ein um 31 % erhöhtes ADHS-Risiko.219Da ADHS häufig erst im Alter ab 6 Jahren diagnostiziert werden kann, vermuten wir im Schulalter eine höhere Quote.
Frauen mit PCOS hatten selbst ein erhöhte ADHS-Risiko, wobei kein Zusammenhang zwischen Testosteron und ADHS-Symptomen gefunden wurde.220
1.3.9. Ungesunde Ernährung der Mutter in der Schwangerschaft (+ 60 %)¶
Eine ungesunde oder eine “westliche” Nahrungsaufnahme der Mutter während der Schwangerschaft erhöhte die Wahrscheinlichkeit der Kinder für ADHS um mehr als 60 %.221 Da Stress die Bevorzugung von “Convienient Food” erhöht, könnte die Korrelation unserer Ansicht nach möglicherweise auch ein indirektes Abbild einer erhöhten Stressbelastung der Mutter währende der Schwangerschaft darstellen, da Stress die Nahrungspräferenzen in Richtung schnell verwertbare Nahrungsmittel und Convienient Food verändert.
1.3.10. Fieber der Mutter in der Schwangerschaft (+ 31 % bis + 164 %)¶
Eine Kohortenstudie an 114.000 Kindern zeigte, dass Fieber im ersten Trimester der Schwangerschaft das ADHS-Risiko um 31 % erhöht, mehrfaches Fieber um 164 %. Fieber erhöhte jedoch nur die Unaufmerksamkeit, nicht die Hyperaktivität/Impulsivität – dies galt auch für das zweite Trimester. Die Ergebnisse waren unabhängig davon, ob die Mutter Paracetamol (Acetaminophen) einnahm oder nicht.222
1.3.11. Verringertes C-reaktives Protein (CRP) (+ 92 %)¶
Kinder von Müttern, deren CRP-Werte im untersten Drittel der Probandengruppe lagen, hatten im Vergleich zu Kindern von Müttern aus dem mittleren Drittel an CRP ein knapp verdoppeltes Risiko für ASS und ADHS.223
Bei Kindern von Müttern, die an Systemischem Lupus erythematosus (SLE) litten, fand sich ein um 60 % erhöhtes ADHS-Risiko.224
1.3.13. Asthma der Eltern in- und außerhalb der Schwangerschaft (+ 13 % bis + 41 %)¶
Asthma der Mutter in der Schwangerschaft erhöht das ADHS- und ASS-Risiko des Nachwuchses.225 Eine Kohortenstudie an 961.202 Kindern zeigte ein um 41 % erhöhtes ADHS-Risiko bei Asthma der Mutter und ein um 13 % erhöhtes Risiko bei Asthma des Vaters. Ein Asthmaschub der Mutter während der Schwangerschaft erhöhte das ADHS-Risiko um 21 %, ein Asthmaschub nach der Schwangerschaft um 25 %.226 Eine weitere Studie fand ebenfalls ein erhöhtes ADHS Risiko des Nachwuchses von Müttern mit Asthma, insbesondere für Mädchen.227
1.3.14. Diabetes eines Elternteils; Diabetes in der Schwangerschaft (+ 40 %)¶
Eine Kohortenstudie an über 5 Millionen Personen fand ein erhöhtes ADHS-Risiko der Kinder, wenn ein Elternteil Diabetes hatte.228
Diabetes der Mutter vor oder während der Schwangerschaft erhöht das Risiko des Nachwuchses für ADHS und ASS.229230231
Diabetes mellitus oder Typ 1-Diabetes mellitus der Mutter vor der Schwangerschaft erhöhte das ADHS-Risiko der Kinder um 40 %, Typ-1-Diabetes mellitus des Vaters um 20 %.
Eine weitere Studie fand ein 2,4-faches ADHS-Risiko von Kindern von Müttern mit Diabetes mellitus und ein 3,7-faches ADHS Risiko von männlichen Nachkommen von Müttern mit Diabetes mellitus. Es wurden keine Unterschiede zwischen Schwangerschaftsdiabetes und anderweitiger Diabetes gefunden.232
Kinder von nicht insulinbehandelten stark adipösen Müttern mit Typ-2-Diabetes zeigten 2-mal so häufig psychiatrische Störungen wie Nachkommen von normal gewichtigen Müttern. Kinder von insulinbehandelten stark adipösen Müttern mit Prägestationsdiabetes zeigten 2,7-mal so häufig psychiatrische Störungen wie Nachkommen von normal gewichtigen Müttern.233
Eine Kohortenstudie an n = 250.517 Teilnehmern fand für Kinder von Müttern, nicht aber von Vätern mit MIgraine ein erhöhtes Risiko für:234
ADHS (+ 37 %)
Bipolarer Störung (+ 35 %)
Depression (+ 33 %)
1.3.16. Anämie (Blutarmut) der Mutter in der Schwangerschaft (+ 31 %)¶
Eine Kohortenuntersuchung an 532.232 Kindern über 23 Jahre zeigte, dass Anämie der Mutter in den ersten 30 Schwangerschaftswochen das ADHS-Risiko um 31 % erhöht, während eine Anämie in späteren Schwangerschaftswochen das Risiko kaum noch (um 1,4 %) erhöhte. 235
In einer kleinen libanesischen Korrelationsstudie (n = 119) erhöhte eine Anämie der Mutter während der Schwangerschaft das ADHS-Risiko auf das 3,7-fache (OR = 3,654).185
1.3.17. Infektionen der Mutter in der Schwangerschaft¶
Eine Virusinfektion der Mutter in der Schwangerschaft erhöht das ADHS-Risiko für den Nachwuch237 und kann die Entwicklung des dopaminergen Systems des Ungeborenen beeinflussen, z.B.:238
Masern
Varizellen
Röteln
auch subklinische Röteln-Infektion der Mutter in der Schwangerschaft erhöht Risiko des Kindes im Alter von 8 bis 9 Jahren für:239
ASS
ADHS
Entwicklungsstörungen
Enterovirus 71
Herpesvirus 6
Influenza A
Weniger gesichert scheint ein Zusammenhang bei
Streptokokken-Infektion
Mittelohrentzündung (Otitis media)
Geburtskomplikationen wie mütterliche Infektionen während der Schwangerschaft, mütterlicher Stress während der Schwangerschaft oder Sauerstoffmangel bei der Geburt sind auch Risiko erhöhend für andere Störungsbilder240, wie z.B. Schizophrenie214, ASS241 oder Depression.240
Kinder, die von einer Mutter mit fetalem Entzündungssyndrom (FIRS, einer Entzündung der Plazenta während der Schwangerschaft) geboren wurden, hatten ein erhöhtes Risiko von:242
Unstillbarer Brechreiz und Erbrechen der Mutter während der Schwangerschaft führte zu einem erhöhten ADHS-Risiko des Nachwuchses um 16 % (bei 2 Kohortenstudien) bis 287 %.243
1.3.20. Mineralstoff- und Vitaminmangel in der Schwangerschaft¶
Vitamin D3-Mangel während der Schwangerschaft und nach der Geburt bewirkt dauerhafte Fehlentwicklungen des Gehirns, und dort insbesondere des dopaminergen Systems.244245246247 In einer Metastudie zeigten Studien mit größeren Stichprobengrößen und strengeren Definitionen von Vitamin-D-Mangel positive Assoziationen für ADHS248249 und Schizophrenie.249
Die Häufigkeit von ADHS-ähnlichen Symptomen bei Kindern verringerte sich je 10 ng/ml Anstieg des mütterlichen 25(OH)D-Spiegels um 11 %.250 Eine weitere Studie fand ebenfalls, dass ein reletiv niedriger 25(OH)D-Spiegel der Miutter in der 24. Schwangerschaftswoche das Risiko für ADHS und ASS und die ASS-Schwere erhöhte. Eine hohe D3-Supplementation (2.800 iE/Tag) in der Schwangerschaft erhöhte weder das ADHS-Risiko noch das ASS-Risiko.251 Dies könnte unserer Ansicht nach darauf hindeuten, dass der D3-Spiegel insbesondere vor der 24. Schwangerschaftswoche der ASS- und ADHS-Risiko beeinflusst.
Die Schwere der ADHS-Symptome des Nachwuchses korrelierte mit dem Maß des mütterlichen 25(OH)D-Mangels.252253
D3-Mangel in der Schwangerschaft verringert den Dopaminumsatz im Gehirn des Nachwuchses254 unter Verringerung von COMT.255
Verringerte Vitamin D3-Serumwerte der Mutter in der 30. Schwangerschaftswoche korrelierten signifikant mit Depressionen des Nachwuchses bis zum 22. Lebensjahr, nicht aber mit ADHS.256 Verringerte D3-Werte der Mutter in der 35. bis 37 .Schwangerschaftswoche korrelierten signifikant mit erhöhten ADHS-Anzeichen bei den Kindern mit 6 Monaten und 2 Jahren.191
Dabei ist offen, ob D3-Mangel in anderen Schwangerschaftswochen andere Auswirkungen hat, da sich spätere psychische Störungen insbesondere zu jeweils denjenigen Gehirnregionen in Bezug stehen, die in der betreffenden Schwangerschaftswoche gerade einen Entwicklungsschub haben. Mehr hierzu unter ⇒ Stresseinwirkung in verschiedenen Gehirnentwicklungsstadien im Kapitel ⇒ Stressschäden – Auswirkungen von frühem / langanhaltendem Stress.
Eine umfangreiche Langzeituntersuchung in Spanien zu Vitamin D3-Mangel in der Schwangerschaft fand keine Korrelation zwischen niedrigen D3-Blutwerten der Mutter in der Schwangerschaft und ADHS der Kinder im Alter von 5 bis 18 Jahren.257
Eine Studie in Finnland fand dagegen eine deutliche Korrelation zwischen einem verringerten D3-Spiegel der Mutter in der Schwangerschaft und ADHS der Kinder. Die Risikoerhöhung erreichte bis über 50 %.258
Möglicherweise könnte der Unterschied daraus resultieren, dass die Sonnenlichtintensität in Spanien fast das ganze Jahr hoch genug ist, um D3 zu bilden (so dass die spanischen Teilnehmerinnen mit relativ niedrigen Spiegeln einen immer noch ausreichenden Spiegel hatten), während in Deutschland und erst recht in nördlicheren Ländern die Sonnenstrahlungsintensität den Wintermonaten zu niedrig ist, um eine D3-Bildung zu vermitteln.
Nagetiere, deren Mütter eine Vitamin-D-Mangel hatten, zeigten typische ADHS-Symptome:259
Hyperaktivität
Impulsivität
Verringertes Sozialverhalten
Veränderte Frequenz der Ultraschallvokalisation
Häufigere Selbstbeschmutzung
Verringertes Grooming der Welpen
Verringerte Wachstumsfaktoren NGF und GDNF
Dünnere Kortikalschichten und größere Seitenventrikel
Geringere Größe des Hippocampus und kleinere Seitenventrikel
Eine Metauntersuchung fand Hinweise darauf, dass ein höherer Omega-3-Fettsäure-Spiegel beim Neugeborenen das Risiko und die Schwere von ADHS sowie von Autismusspektrumsstörungen verringern kann. Möglicherweise könnte eine ausreichende Versorgung mit Omega-3-Fettsäure im letzten Schwangerschaftsdrittel dem entgegenwirken.260
Eine weitere Studie fand ein um 13 % erhöhtes ADHS-Risiko des Nachwuchses im Alter von 7 Jahren durch ein erhöhtes Omega 6 zu Omega 3 - Verhältnis (hohe Omega 6 und niedrige Omega 3 - Werte).261
1.3.21. Depression der Mutter während der Schwangerschaft¶
Insbesondere bei Jungen scheinen die Schwere der Depression der Mutter in der Schwangerschaft sowie höhere zyklothymische, reizbare und ängstliche Temperamentwerte der Mutter relevante Risikofaktoren für die Entstehung von ADHS darzustellen.262
Eine groß angelegte Studie fand keinen kausalen Einfluss einer Depression, Ansgstörung oder Infektion der Mutter während der Schwangerschaft auf das Risiko von neurologischen Entwicklungsstörungen (ASS, ADHS, geistige Behinderung, zerebrale Lähmung oder Epilepsie) des Kindes.263
1.3.22. Bluthochdruck während der Schwangerschaft¶
Bluthochdruck in der Schwangerschaft erhöht das ADHS-Risiko der Nachkommen erheblich.178
Bluthochdruck ist mit genetisch vererblichen ADHS-Risiken verbunden. Es wird daher zu differenzieren sein, ob Bluthochdruck während der Schwangerschaft kausal das ADHS-Risiko erhöht oder ob erhöhter Blutdruck während der Schwangerschaft einen Ausdruck der genetischen Grundlast darstellt, die ADHS vermittelt.
Mädchen von Müttern mit einer Schlafdauer von weniger als 8 Stunden im letzten Schwangerschaftstrimester zeigten häufiger Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit und ADHS-Gesamtwerte.264
Schlafprobleme während der Schwangerschaft korrelierten mit einem erhöhten Risiko für Neuroentwicklungsstörungen und Schlafprobleme in der frühen Kindheit.265, insbesondere
verringerter und schlechterer Schlaf im zweiten Schwangerschaftstrimester korrelierte mit ADHS
größere Schlafprobleme im ersten Trimester korrelierte mit ADHS
Schlafprobleme im dritten Trimester korrelierte mit Schlafproblemen des Kindes
Eine pränatale Testosteron-Exposition korrelierte signifikant mit Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität/Impulsivität des Nachwuchses.266 Erhöhte Testosteronwerte der Mutter in der Schwangerschaft korrelierten signifikant mit erhöhten ADHS-Anzeichen bei den Kindern mit 6 Monaten und 2 Jahren.191
Perinatale Entzündungen korrelieren mit erhöhten ADHS-Symptomwerten bei Kindern im Alter von 8-9 Jahren und verstärken die genetische Veranlagung für ADHS (den Polygenic Risc Score).267268
1.4. Medikamente der Mutter in der Schwangerschaft als ADHS-Risiko (bis + 250 %)¶
Kinder mit ADHS hatten häufiger Mütter, die während der Schwangerschaft Medikamente einnahmen:43
Medikamenteneinnahme der Mutter während der Schwangerschaft:
ADHS: 43,5 %
Wenn Stress/emotionale Probleme auftraten, lagen diese in folgendem Trimester:
nur 1./2. Trimester: 36,2 %
nur 3. Trimester: 14,5 %
gesamte Schwangerschaft: 49,3 %
Nichtbetroffene: 31,4 %
Wenn Stress/emotionale Probleme auftraten, lagen diese in folgendem Trimester:
nur 1./2. Trimester: 31,1 %
nur 3. Trimester: 46,9 %
gesamte Schwangerschaft: 21,9 %
Die nachfolgende Liste ist nur beispielhaft und keineswegs vollständig.
1.4.1. Paracetamol (Acetaminophen) in der Schwangerschaft (+ 37 % bis + 250 %)¶
50 % aller Frauen verwenden Paracetamol in der Schwangerschaft.269
Die Einnahme von Paracetamol (in Nordamerika und Iran: Acetaminophen) während der Schwangerschaft erhöhte das Risiko von ADHS um bis zu 37 %. Schon eine kurzfristige Einnahme ist laut zwei sehr umfassenden Studien mit zusammen über 110.000 Teilnehmern schädlich.270271 Weitere Studien bestätigen dies.272273274 Kritisch hierzu Gilman et al.275 Während die bisherigen Untersuchungen auf Einnahmeberichten der Mütter basierten, fand eine Studie, die auf Blutspiegeln basiert, ein 2,3 bis 3,5-faches ADHS-Risiko und ein 1,6- bis 4,1-faches ASS-Risiko der Kinder bei Einnahme im zweiten oder dritten Schwangerschaftsdrittel.276
Das ADHS-Risiko durch Paracetamol (Acetaminophen) erhöht sich bei Einnahme277
im zweiten Schwangerschafts-Trimester um 19 %
im ersten und zweiten Trimester um 28 %
im ersten bis dritten Trimester um 20 %
Eine Kohortenstudie an 116.000 Kindern zeigte, dass Fieber im ersten Trimester der Schwangerschaft das ADHS-Risiko um 31 % erhöht, mehrfaches Fieber um 164 %. Fieber erhöhte jedoch nur die Unaufmerksamkeit, nicht die Hyperaktivität/Impulsivität – dies galt auch für das zweite Trimester. Die Ergebnisse waren unabhängig davon, ob die Mutter Paracetamol (Acetaminophen) einnahm oder nicht.222
Eine Metastudie bestätigt das erhöhte ADHS und ASS-Risiko des Nachwuchses bei Einnahme von Paracetamol in der Schwangerschaft.278
Eine Metaanalyse von 22 Studien mit n = 367.775 Teilnehmern fand ein erhöhtes ADHS-Risiko durch Paracetamol in der Schwangerschaft, das durch sonstige Faktoren (wie Diagnosen der Eltern) unverändert blieb.279
Eine Studie stellt die bisherigen kritischen Ergebnisse infrage, indem sie auf bis dato nicht berücksichtigte ADHS-Diagnosen der Eltern abstellt.280 Ebenfalls zweifelnd Damkier.281 Eine weitere Studie fand keinen HInweis auf ein erhöhtes Risiko von ADHS oder ASS durhc Paracetamol in der Schwangerschaft.282
Eine Langzeitstudie analysierte Paracetamol, Methionin, Serin, Glycin und Glutamat im Nabelschnur-Plasma und fand bei erhöhten Paracetamol-Spiegeln ein sich parallel zum Anstieg des 8-Hydroxy-Desoxyguanosin-Spiegels im Nabelschnurblut erhöhendes ADHS-Risiko. Ein Anstieg der Methionin-, Glycin-, Serin- und 8-Hydroxy-Desoxyguanosin-Werte im Nabelschnurblut korrelierte mit einer signifikant höheren Wahrscheinlichkeit für ADHS im Kindesalter. Methionin und Glycin vermittelten zu je 22 % die Assoziation zwischen erhöhten Paracetamol-Werten und späterem ADHS.283
Die Schädigung der Entwicklung des Nachwuchses durch Paracetamol in der Schwangerschaft scheint mit über Veränderungen des Endocannabinoid-Pfades vermittelt zu werden.284
Paracetamol wird auch als eine mögliche Ursache für ASS verdächtigt.137
Ibuprofen soll dagegen kein ADHS-Risiko für das ungeborene Kind auslösen.
1.4.2. SSRI, Antidepressiva in der Schwangerschaft (0 % bis + 63 %)¶
SSRI in der Schwangerschaft korrelieren nach zwei Metaanalysen von 18 Studien mit signifikant erhöhtem Risiko der Kinder für ADHS (OR = 1,26 = ca + 26 %) und ASS (OR = 1,42 = ca + 42 %). Es ist nicht eindeutig, ob dies aus den SSRI resultiert, oder aus eine Vererbung von psychischen Problemen der Mutter, wegen derer diese mit SSRI behandelt wurde, da auch bei einer Einnahme von SSRI oder SNRI durch die Mutter vor der Schwangerschaft, aber nicht in der Schwangerschaft das Risiko der Kinder für ADHS (OR = 1,63 = ca + 63 %) und ASS (OR = 1,39 = ca + 39 %) erhöht war.285286ein fürsorglich sollten SSRI während der Schwangerschaft mit äußerster Vorsicht verwendet werden.
Eine Metastudie fand bei 7 von 8 Studien über SSRI während der Schwangerschaft kein erhöhtes ADHS-Risiko der Kinder.287 Ebenso eine weitere Studie.288 Nach einer Studie erhöhten Antidepressiva während der Schwangerschaft die Wahrscheinlichkeit von späterem ADHS beim Kind um das 1,81-fache.289
1.4.3. β-2-Adrenalin-Rezeptor-Agonisten in der Schwangerschaft (+ 30 %)¶
Die Einnahme von β-2-Adrenalin-Rezeptor-Agonisten während der Schwangerschaft erhöht das Risiko von ADHS für das Kind um bis zu 30 %.290
1.4.4. Pregabalin in der Schwangerschaft (+ 29 %)¶
Eine pränatale Pregabalin-Exposition erhöhte das ADHS-Risiko um 29 %, was sich jedoch bei Berücksichtigung aktiver Komparatoren abschwächte.291
1.4.5. Antibiotika in der Schwangerschaft (+ 14 %)¶
Mehrere Metastudien fanden ein um 14 % erhöhtes ADHS Risiko durch Antibiotika-Einnahme der Mutter während der Schwangerschaft.292293
1.4.6. Antiepiletika: Valproat in der Schwangerschaft (+ 12 %)¶
Valproat in der Schwangerschaft soll das Risiko von ADHS für das Ungeborene erhöhen.294
Valproate sind die Salze der Valproinsäure.
Bei Einnahme von Antiepileptika in der Schwangerschaft fand eine Kohortenstudie wurde bei Kindern bis 6 Jahren (was für die Diagnose aller ADHS-Betroffenen noch zu früh ist) ein erhöhtes Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen:
Natriumvalproat zusammen mit anderen Antipsychotika: 15 %
Natriumvalproat als Monotherapie: 12 %
Lamotrigin 6,3 % (aufgrund der geringen Teilnehmerzahl dieser Gruppe kein statistisch signifikanter Anstieg)
Carbamazepin 2 % (kein signifikanter Anstieg)
Kinder, die keinem dieser Medikamente in der Schwangerschaft ausgesetzt waren: 1,8 %
ASS war die häufigste Diagnose. 2 % der Kinder von medikamentierten Müttern erhielten bereits im Alter bis 6 Jahren eine ADHS-Diagnose, 1,5 % Dyspraxie. Bei den Kontrollen hatte kein Kind eine ADHS-Diagnose.295
Eine groß angelegte Kohortenstudie fand ein erhöhtes Risiko für ASS (+ 110 %) und ADHS (+ 43 %) bei Kindern von Müttern, die während der Schwangerschaft Antiepileptika eingenommen hatten. Das Risiko war vor allem auf Valproat zurückzuführen.296 Im Vergleich zu Müttern mit Epilepsie, die während der Schwangerschaft kein Antiepileptikum einnahmen, was das Risiko für ASS nur noch um 38 % erhöht.
Eine Cortisolgabe während der Schwangerschaft führt zu langfristigen Veränderungen des Gehirns des Ungeborenen und erhöht das Risiko von ADHS.297 Die Kinder erleiden eine lebenslange Veränderung des dopaminergen Systems und der HPA-Achse, die offenbar durch Änderungen der Expression und des Verhältnisses der MR- und GR-Rezeptoren verursacht wird.298 Die bei diesen Kindern beschriebenen ADHS-Symptome könnten unserer Ansicht nach möglicherweise die Folge einer HPA-Achsen-Veränderung sein. ⇒ Corticosteroid-Rezeptor-Hypothese der Depression
Eine hohe Cortisol-Exposition des Fötus oder Neugeborenen kann eine Methylierung des GAD1 / GAD67-Gens bewirken, welches das Schlüsselenzym Glutamat-zu-GABA-synthetisierende Glutamat-Decarboxylase 1 codiert und zu erhöhten Glutamatspiegeln führt. Dieser epigenetische Mechanismus kann das ADHS-Risiko der Kinder erhöhen.203
Eine Betamethason-Exposition in der Schwangerschaft erhöhte das ADHS-Risiko des Nachwuchses lediglich marginal.299300
Dexamethason in der Schwangerschaft von Mäusen erhöhte bei weiblichen Nachkommen die spontane Aktivität, während sie diese bei Männchen verringerte. Dexamethason in der Schwangerschaft regulierte die bei Weibchen die Dopamin-Signalisierung herunter und die Glutamat- und GABA-Signalisierung hoch.301
Nachkommen von Mäusen, die während der Schwangerschaft Valproinsäure erhielten, zeigten eine deutlich erhöhte Hyperaktivität und Veränderungen im Gyrus dentatus.302303 Zudem bestehen HInqeidse auf Verändeunrgen des histaminergen Systems und des Sozialverhaltens.304
Valproinsäure in der Schwangerschaft erhöht das Risko von ADHS, ASS, verminderten kognitiven Fähigkeiten und Sprachstörungen des Nachwuches.305 Daneben verursacht sie dosisabhängig, insbesondere bei mehr als 600 mg / Tag, bei 10 % der Kinder angeborene Fehlbildungen wie Neuralrohrdefekte, Herzanomalien, urogenitale Fehlbildungen (z.B. Hypospadie, Skelettfehlbildungen und orofaziale Spaltbildungen). Hochdosierte Folsäure vor und während der Schwangerschaft könnte das Risiko verringern. In der Muttermilch scheint die Valproinkonzentration geringm, weshalb Stillen damit keine Gefahr beinhalte.
Eine Einnahme von Penicillin durch die Mutter während der Schwangerschaft erhöhte ADHS-Risiko des Kindes. Das ADHS-Risiko wurden durch Penicillin selbst durch eine Einnahme 2 Jahre vor der Schwangerschaft erhöht. Eine mehrfache Penicillin-Einnahme erhöhte das ADHS-Risiko weiter.9
1.4.10. Keine Risikoerhöhung durch NSAIDs, normalen Koffeinkonsum, Benzodiazepine¶
Eine Kohortenstudie fand keine ADHS-Risikoerhöhung durch nichtsteroidale entzündungshemmende Medikamente (NSAIDs) in der Schwangerschaft.306
Koffeinkonsum während der Schwangerschaft unterhalb von 10 Tassen am Tag erhöhte das ADHS-Risiko nicht.307
Benzodiazepine in der Schwangerschaft scheinen das Risiko für Internalisierungsprobleme bei Kindern (Ängstlichkeit, emotionale Reagibilität, somatische Beschwerden), nicht aber für externalisierende Probleme (Hyperaktivität, Aggressivität) zu erhöhen.308 Eine Kohortenstudie, die Geschwister mit und ohne Benzodiazepin-Einnahme der Mutter in der Schwangerschaft verglich, fand keine signifikante Risikoerhöhung für ADHS oder ASS durch Benzodiazepine, Die Autoren vermuten eher einen Zusammenhang mit einer genetischen Disposition der Mutter.309 Eine Metastudie kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass für Benzodiazepine in der Schwangerschaft bislang keine relevante Erhöhung des ADHS-Risikos des Nachwuchses festgestellt wurde, auch wenn eine Studie Hinweise auf eine leichte Erhöhung bei einer Benzodiazepin-Monotherapie im letzten Schwangerschaftstrimester gab.310 Eine Studie fand eine leichte Erhöhung des ADHS-Risikos um 15 % bei Benzodiazepin-Einnahme in der Schwangerschaft.311
Diese Liste über Medikamente der Mutter in der Schwangerschaft als ADHS-Risiko ist nur beispielhaft und keineswegs vollständig.
Eine große schwedische Kohortenstudie fand, dass Erstgeborene ein höheres Risiko für Depressionen und ADHS in der Kindheit und für endokriner Erkrankungen nach dem 50. Lebensjahr haben.312
1.5.2. Besonders kurze oder lange Abstände zur vorigen Schwangerschaft (+ 25 % bis + 30 %)¶
Besonders kurze oder besondere lange Abstände zur Schwangerschaft mit dem vorausgehenden Geschwisterkinde erhöhte das ADHS-Risiko um 30 % (unter 6 Monate) bzw. 12 % (60 – 119 Monate) bis 25 % (120 Monate und mehr).313
1.5.3. Proteinmangel während Schwangerschaft und nachgeburtlich¶
Ratten, deren Mütter 15 Tage vor der Zeugung und dann weiter während der Stillzeit eine proteinarme Ernährung erhielten, waren auf frühkindliche Stressoren (intraperitoneale Injektion von Deltamethrin, Lipopolysaccharid oder beides) erheblich anfälliger, ADHS-Symptome wie Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsprobleme und verringerte Angst zu entwickeln.314
1.6. Schwangerschaftsumstände ohne Einfluss auf ADHS¶
Für folgende Faktoren fand sich kein Einfluss auf das ADHS-Risiko des Ungeborenen:
Jod/Kreatinin-Verhältnisses im Urin der Mutter während der Schwangerschaft
Eine große Studie an 3 Kohorten fand keinen Einfluss auf das ADHS oder das ASS-Risiko315
Migration der Mutter
Eine Metastudie fand keine Hinweise auf ein erhöhtes ADHS-Risiko durch Migration der Mutter, anders aber bei ASS.316
Eisenspiegel der Mutter
Eine Studie fand keinen Einfluss des Eisenspiegels der Mutter während der Schwangerschaft auf das ADHS-Risiko des Kindes im Alter von 7 Jahren317
Künstliche Befruchtung durch Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI)318
1.7.1. Ballaststoffeinnahme der Mutter während der Schwangerschaft¶
Eine ballaststoffreiche Ernährung der Mutter in der Schwangerschaft verringerte das ADHS-Risiko des Nachwuchses um bis zu 20 %.319
Dies war unabhängig von der genetischen Veranlagung für ADHS, von ungesunder Ernährung und von soziodemografischen Faktoren.
Nilsen K, Staff AC, Krogsrud SK. Paracetamol use in pregnancy: Not as safe as we may think? Acta Obstet Gynecol Scand. 2023 Mar 20. doi: 10.1111/aogs.14557. PMID: 36941046. ↥