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Leitfaden ADHS-Behandlung

Inhaltsverzeichnis

Leitfaden ADHS-Behandlung

Wir erachten die nachfolgend beschriebene Vorgehensweise für grundsätzlich sinnvoll. Dies sind jedoch lediglich Gedanken aus wissenschaftlicher Sicht, die keine therapeutische Handlungsempfehlung im Einzelfall darstellen können.
In jedem Fall muss eine individuell abgestimmte Therapieplanung durch einen Arzt oder Psychotherapeuten erarbeitet werden.
Unsere Darstellung dient nicht zur Selbstmedikation, sondern dazu, Betroffenen und deren Familien ärztliche Empfehlungen verständlicher zu machen und die beschriebenen Optionen mit dem behandelnden Arzt und Therapeuten erörtern zu können.

Amtliche nationale Behandlungsleitlinien gibt es unter anderem in Amerika1, Europa2, Kanada3, Japan4 und Deutschland5.

0. Voraussetzung: Sichere Diagnose

  • Fragebogen UND Tests, Selbstwahrnehmung UND Fremdwahrnehmungsanamnese, Grundschulzeugnisse oder andere Berichte aus Kindergarten und früher Schulzeit
    • Vorsicht: hohes Eigeninteresse an Tests kann zu Ergebnis wie bei Nichtbetroffenen führen (Aufmerksamkeit folgt intrinsischer Steuerung)
  • Familienanamnese
    • genetische Ursachen
    • Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen
    • Bindungsstörungen
    • körperliche oder sexuelle Misshandlung
    • psychische Misshandlung oder niederschwellige psychische Belastung
  • vollständige Differentialdiagnose
    • Mangelerscheinungen ausschließen
      • Blutbild
        • Thyroxin (Schilddrüse)
        • Zink
        • Eisen
        • Magnesium
        • B1
        • B12
        • B6
        • D3
        • Folsäure
        • Blutbild nach anderer Ansicht nicht erforderlich6
    • akute Stresssituation ausschließen
    • IQ-Test
    • Dominierende Störungen mit ähnlichen Symptomen ausschließen
      Mehr zum Thema Differentialdiagnostik
  • Komorbiditäten ermitteln

1. Schritt: Selbstbildung und Psychoedukation

1.1. Selbstbildung

Selbstbildung durch Bücher, Videos, Selbsthilfegruppen und Foren ermöglicht individuelles Wissen und Empowerment im Umgang mit ADHS.
Ziel ist die Stärkung der Eigenverantwortung und Förderung selbstbestimmter Lebensführung durch persönliche Informationsquellen und Erfahrungsaustausch in der Gemeinschaft.

  • Psychoedukation durch Psychiater, Psychologen, etc.

  • Bücher über ADHS lesen (mehrere)

  • ADxS.org als Informationsbasis nutzen

  • Youtube-Videos von Fachleuten (Vorträge)

  • Vorträge besuchen (z.B. von ADHS Deutschland e.V.)

  • Selbsthilfegruppen besuchen, bevorzugt, wenn von fachlich versierter Person geleitet (zu finden z.B. bei ADHS Deutschland e.V.)

  • Foren bieten Kontakt zu anderen Betroffenen und Hilfe bei Fragen, z.B. adhs-forum.adxs.org

  • Bereits eine ADHS-Diagnose geht mit der Erkenntnis einher, anders zu sein als andere, im negativen wie im positiven Sinne. Diese Erkenntnis ist oft mit großen Hoffnungen auf Verbesserung der Lebenssituation verbunden.7

  • Die Erfahrung, dass andere Menschen gleiches durchlebt haben oder durchleben, bewirkt für ADHS-Betroffenen häufig eine erstaunliche Erleichterung

    • Gefühl des nach-Hause-kommens unter Gleichgesinnten
    • Bereitschaft, sich des Themas anzunehmen
    • Erfahrungsaustausch
    • Selbstwertstärkung

1.2. Psychoedukation

Gezielte Wissensvermittlung über ADHS unter Leitung von Fachkräften, um Interaktionen, Einstellungen und Handlungen von Patienten und Bezugspersonen positiv zu beeinflussen.
Ziel ist die Förderung eines umfassenden Verständnisses von ADHS durch professionelle Anleitung, um die Bewältigung der Störung zu erleichtern.

2. Zweiter Schritt: Medikamentöse Behandlung

2.1. Behandlungspriorisierung bei ADHS mit Komorbiditäten

Siehe hierzu unter 5.

2.2. ADHS-Symptombeseitigung durch Medikamente

2.2.1. Wahl des passenden Medikaments

Siehe hierzu Medikamentenwahl bei ADHS oder ADHS mit Komorbidität

2.2.2. Eindosierung, Medikamenteneinstellung

Bei der Eindosierung werden unserer Erfahrung nach besonders viele Fehler gemacht. die nicht nur eine optimale Wirkung, sondern häufig genug überhaupt eine Wirkung verhindern. Daher sollten die Eindosierungshinweise ganz besonders dringend beachtet werden,
Siehe hierzu ausführlich unter Eindosierung von Medikamenten bei ADHS

2.2.3. Effektstärken verschiedener Medikamente
  • Effektstärke bei optimaler Einstellung:
    • Amphetaminmedikamente: 1,1-1,5
    • Methylphenidat: 1,0-1,3
    • Guanfacin: 0,8
    • Atomoxetin: 0,65

Siehe hierzu ausführlich unter Effektstärke verschiedener Behandlungsformen von ADHS

2.2.4. Ziele einer optimalen Medikamenteneinstellung
  • Erfahrung ermöglichen, wie Leben ohne ADHS sein und sich anfühlen kann (ermöglicht Betroffenen intrinsische Zieldefinition für nichtmedikamentöse Therapie)
  • Therapiefähigkeit herstellen (Aufmerksamkeit und Konzentration auf für das Erlernen funktionalerer Handlungsweisen erforderliches Maß bringen)
    • Erhöhung der Therapierbarkeit durch dopaminerge ADHS-Medikamente, da Dopamin die Neuroplastizität erhöht bzw. wiederherstellt8
    • Bei ADHS sind Wachstumshormone verringert, die für Neuroplastizität (Lernen) erforderlich sind. Stimulanzien erhöhen die Spiegel von Wachstumshormonen.
  • Ziel ist nicht, alle ADHS-Symptome vollständig zu beseitigen
    • ADHS-Betroffene unterscheiden sich von Nichtbetroffenen nur durch die Anzahl der häufig auftretenden Symptome. Nichtbetroffene haben ebenfalls einige Symptome häufig.
    • Einzelne herausstechende Symptome sollten möglichst singuläre behandelt werden (z.B. Impulsivität mit geringsten Dosen SSRI, Aggressivität mit niedrigen Dosen Antipsychotika) anstatt diese mit ADHS-Medikamenten miterledigen zu wollen, da dadurch zu starker breiter Eingriff

2.3. Viele weitere kleine Behandlungsschritte

Die hier genannten Punkte sollten bei einer ADHS-Behandlung stets beachtet werden, da sie meist einen weiteren hilfreichen Beitrag leisten können, ohne nennenswerte Nebenwirkungen aufzuweisen. Die Punkte stellen keine Alternativen dar, sondern sollten allesamt berücksichtigt werden.
Ihre Effektstärke ist allerdings (selbst in Kombination aller Möglichkeiten) erheblich geringer als die oben genannten einschlägigen Medikamente. Wäre es anders, wären die Berichte ober eine erfolgreiche Behandlung ohne die einschlägigen Medikamente Legende. Einsteiger in dieses Thema können sich in Betroffenenforen informieren, wie z.B. im ADHS-Forum von ADxS.org
Zur Effektstärke nichtmedikamentöser Behandlungsformen bei ADHS ausführlich unter Effektstärke verschiedener Behandlungsformen von ADHS

  • Vitamine und Mineralstoffe
    Blutwerte bestimmen und auf obere Grenzwerte oder darüber eindosieren. Mehr hierzu unter* ⇒ Vitamine, Mineralstoffe, Nahrungsergänzungsmittel bei ADHS*
    • Vitamin D3
      • Oktober bis Mai in Deutschland unerlässlich
      • bei ADHS sehr wichtig, bei Depression unerlässlich. Eine Verordnung serotonerger oder noradrenerger Antidepressiva (die unseres Erachtens ganz erheblich stärkere Nebenwirkungen haben als ADHS-Medikamente) ohne vorherigen Check des D3-Spiegels ist unserer Ansicht nach ein Kunstfehler (außer bei schwerer Depression)
    • Zink
    • Magnesium
    • Eisen
    • B12
    • B 6
  • Omega-3/Omega-6-Fettsäuren
  • Schlafprobleme
    • offensiv behandeln
    • Benzodiazepine und SSRI meiden. Ggf. Trimipramin, Amitriptylin oder Trazodon (jeweils niedrig dosiert)
    • Melatonin (unretardiertes, insb. bei ADHS sehr hilfreich)
    • Lichttherapie
    • Mehr hierzu unter Schlafprobleme bei ADHS
  • medikamentöse Behandlung von leichten verbleibenden Komorbiditäten möglichst erst nach Analyse der Auswirkung der ADHS-Medikamente einleiten (idR nach ca. 6 Monaten)
  • Nahrungsmittelunverträglichkeiten austesten und ausschließen
  • Allergien austesten und ausschließen
  • Chronische niederschwellige Entzündungen austesten und behandeln (sehr schwierig)
  • Viel Sport und Bewegung9
    • Ausdauersport hat eine erhebliche Effektstärke bei der Verringerung der Symptomatik von ADHS (und anderen psychischen Problemen wie z.B. Depression)
      • Effektstärke von Kraftsport ist dagegen geringer
    • Sportart muss Spaß machen, damit sie nachhaltig ausgeübt wird
    • Ausdauersport
      • erhöht Stressresistenz, fährt Stresssysteme herunter (für 24 - 48 Stunden)
      • Effektstärke im Optimalfall (z.B. 5 x 1 Stunde / Woche) bis zu 0,7
    • Mehr hierzu unter Schlafprobleme bei ADHS;
  • Gesunde Ernährung
    • Zucker vermeiden10
    • schlechte Fette vermeiden (gesättigte Fettsäuren, Transfette; z.B. Frittierfett)9
    • reichlich antioxidative Lebensmittel (Gemüse, Obst)9
      • hilft, antioxidativen Stress abzubauen

3. Dritter Schritt: Psychotherapie

3.1. Psychotherapie zur Reduzierung der Symptome

Hier kommt es nur unwesentlich darauf an, welche Therapieform gewählt wird (Ausnahme: achtsamkeitsbasierte Therapien sind besser geeignet als kognitive Therapien, tiefenpsychologische Therapien nutzen nur etwas bei aufzuarbeitenden unschönen Erlebnissen oder Erfahrungen und Psychoanalyse ist bei ADHS grundsätzlich ungeeignet). Sehr viel wichtiger ist, dass der Patient sich mit dem Therapeuten sehr wohl und bei ihm sehr gut aufgehoben und angenommen fühlt. Das bedeutet keineswegs eine Kuscheltherapie, bei der der Therapeut dem Patienten nur sagen würde, was dieser hören wollte, sondern die positive Annahme und die Vertrauensbasis, welche die unabdingbaren Grundlagen für einen Therapieerfolg darstellen. Ohne diese Mindestvoraussetzungen wird die beste Therapieform und die größte Erfahrung des Behandelnden nutzlos sein. Daher ist hier sehr viel Geduld bei der Auswahl des passenden Therapeuten erforderlich.
Wichtig ist weiter, dass es nicht um eine einzelne therapeutische Maßnahme geht, sondern dass so lange und so viele therapeutische Maßnahmen erfolgen, bis ein zufriedenstellender Zustand erreicht wurde.

Bei allen Therapiemaßnahmen muss sichergestellt sein, dass der Therapeut alle behandlungsrelevanten ADHS-Symptome kennt. Oft genug unterliegen Ärzte und Therapeuten auch heute noch dem fatalen Irrtum, ADHS sei auf die diagnoserelevanten Symptome von DSM oder ICD beschränkt. Therapeuten, die die über DSM / ICD hinausgehenden originären Symptome von ADHS nicht als solche akzeptieren wollen, sollten gemieden werden. Es besteht sonst die konkrete Gefahr, dass dem Betroffenen die Verantwortung für Verhaltensweisen zugewiesen wird, die in Wirklichkeit aus ADHS selbst stammen. So etwas kann statt einer Verbesserung eine weitere Verschlechterung für den Betroffenen bewirken.

Geeignete Therapiearten können unter anderem sein:

  • Achtsamkeitsbasierte (Verhaltens-)Therapie (MBCT) zur Verbesserung der Selbstwahrnehmung, um Selbstkontrolle über die Symptome zu verbessern und achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR) sowie Stressabbautechniken zu erlernen und zu trainieren (z.B. 8-Wochen-Intensivkurse MBCT + MBSR)
    Insbesondere bei ADHS-HI sollte der Teufelskreis der Erholungsunfähigkeit durchbrochen werden, der den Dauerbetrieb der HPA-Achse mit aufrecht erhält.
  • Neurofeedback zur langfristigen Verbesserung der Eigensteuerung (6 Monate bis 2 Jahre)
    • SMR-Training zur Verbesserung der Impulskontrolle und gegen Schlafprobleme
    • Theta-Beta-Training zur Verbesserung der Regulierung der Aktivierung
    • SCT-Training zur Verringerung von Überaktivierung oder Erhöhung der Unteraktivierung
    • besonders empfehlenswert scheint eine Kombination aus Theta-Beta-Training oder Z-Score-Training und SCP-Training zu sein (gleichzeitig oder nacheinander)
  • ggf. Kognitive Verhaltenstherapie bei Selbstwertproblemen, Sozialverhaltensproblemen. Hierbei Rejection Sensitivity: Angst vor Zurückweisung und Kritik als spezifisches ADHS-Symptom beachten. Cortisolerger Stress entsteht insbesondere bei subjektiv Selbstwert-bedrohenden Situationen.
  • ggf. tiefenpsychologische Therapie zur Behandlung schwerwiegender Erfahrungen / Erlebnisse
  • ggf. Traumatherapie (EMDR) bei traumatischen Erfahrungen
  • bei Kindern bis 6 oder 10 Jahren: elternzentrierte Therapie; kinderbezogene Therapie wirkungslos.

3.2. Umfeldinterventionen

  • Stressoren eliminieren
  • Optimale Gestaltung des Arbeits- und Lernumfelds, z.B.
    • überflüssige Reize eliminieren
    • ausreichendes Arousal ermöglichen
  • Gespräche mit Beziehungspersonen, um gegenseitiges Verständnis zu schaffen
    • ggf. systemische Therapie (Familientherapie, Elterntherapie) um eingefahrene Problemmuster zu verändern
  • Lebens- und Berufsausrichtung auf Dinge, die wirklich interessieren

4. Vierter Schritt: Komorbiditäten- und Medikamentenreview

4.1. Komorbiditäten

  • nach 9 bis 12 Monaten der ADHS-Behandlung Fortbestand von Komorbiditäten prüfen
  • ggf. medikamentöse spezifische Behandlung (Wechselwirkungen beachten, z.B. Vorsicht bei SSRI)
  • ggf. spezifische ADHS Medikamente wählen, die auf komorbide Störungen ebenfalls positiv wirken
    • Atomoxetin wirkt noradrenerg und dopaminerg auf PFC und Striatum, Stimulanzien noradrenerg und dopaminerg nur auf Striatum.
      Atomoxetin bei ADHS Bei starkem ADHS-I oder SCT soll Atomoxetin vorteilhaft sein.

    • Problematik von Serotoninwiederaufnahmehemmern bei ADHS-I beachten.
      Anmerkungen zu Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRI) bei ADHS

    • bei ADHS mit bipolarer Störung:
      Ob ADHS-Medikamente (insbesondere bei Bipolar 1) stimmungsdestabilisierend wirken können, ist umstritten. Dagegen: Barkley11
      Es wird empfohlen, zunächst die Bipolare Störung zu behandeln und danach ADHS zu therapieren (siehe oben).

4.2. Medikamentenüberprüfung

  • Nach Abschluss der nichtmedikamentösen Therapiemaßnahmen (regelmäßig, z.B. jährlich) überprüfen, ob Medikation noch erforderlich ist
    • ggf. Anpassung
    • ggf. Reduzierung
    • ggf. Beendigung
  • Regelmäßiger körperlicher Check-up bei Medikamentengabe
  • Dosierung: zu versuchen, durch die Medikation alle ADHS-Symptome zu beseitigen, wäre ein Kunstfehler. Nichtbetroffene haben 9 von 32 Symptomen (der Gesamtsymptomliste ⇒ Symptomgesamtliste nach Erscheinungsformen) häufig, Betroffene haben 26 von 32 Symptome häufig. Zu versuchen, auch die “gesunden” 9 Symptome völlig zu eliminieren, würde zwangsläufig in eine Überdosierung führen.

Wir haben auf medikamentöse und therapeutische Maßnahmen hin erstaunliche Veränderungen von Betroffenen miterleben dürfen, wobei sich teils schon innerhalb eines Jahres die Lebensqualität immens verbesserte.
Besonders beeindruckend waren die Veränderungen bei denjenigen Betroffenen, die mit Geduld und Konsequenz jede Möglichkeit wahrgenommen haben, die sich zur Verbesserung anbot. Bei kaum einem Betroffenen erwiesen sich alle wahrgenommenen Therapieformen als nützlich. Erfolgreich waren nach unserer Wahrnehmung insbesondere diejenigen Betroffenen, die nicht von einzelnen Maßnahmen einen bestimmten Erfolg erwarteten, sondern die konsequent so lange eine Maßnahme nach der anderen ausprobierten, bis ein zufriedenstellender Zustand erreicht ist. War eine therapeutische Maßnahme abgeschlossen, erfolgte die nächste, aber immer nur so viel auf einmal, wie es gut zu bewältigen war.

4.3. Medikamentenpausen

Viele Ärzte empfehlen ihren Patienten, mindestens einmal jährlich eine Medikamentenpause von mindestens einer Woche einzulegen, um festzustellen, ob eine Medikamentengabe weiterhin erforderlich ist. Dabei ist es kaum vorstellbar, dass ein Zustand des “nicht mehr benötigens” eingetreten ist, ohne dass die (zuvor unveränderte) Medikation nicht bereits als nicht mehr passend wahrgenommen worden wäre. Normalerweise müsste ein sinkender “Bedarf” bei gleichbleibender Dosierung Symptome einer Überdosierung hervorrufen. Wir vermuten daher, dass Fälle, bei denen die Betroffenen in der Medikamentenpause keinen Unterschied mehr zum vorherigen medikamentierten Zustand feststellen, eher mit verringerten Anforderungen im Umfeld (Ferien/Urlaub) oder mit einer Toleranzentwicklung zu tun haben.

Eine solche Medikamentenpause sollte stets auch vor dem Hintergrund der in dieser Zeit erhöhten Unfallgefahr abgewogen werden.

Kinder mit Essproblemen oder Wachstumsproblemen können von einer mehrwöchigen Medikamentenpause in den Ferien profitieren, um Gewichtsreserven für die kommende Schulzeit zu bilden oder das Längenwachstum nachzuholen (das, sofern überhaupt beeinträchtigt, durch MPH in der Regel nur verzögert wird).12

5. Behandlungspriorisierung bei Komorbiditäten

5.1. Priorisierung nach Schwere des Störungsbilds

5.1.1. Komorbidität schwerwiegender als ADHS

  • primäre Behandlung der Komorbidität
  • z.B. schwere Depression, Bipolar 1,1314 Sucht, Psychose, schweren Ängsten
  • bei Depression, Angst und Sucht zugleich unter paralleler Behandlung des meist ursächlichen ADHS.15
  • Bei komorbider Angst mit ADHS ist möglicherweise ein spezielle Behandlung erforderlich.15

5.1.2. ADHS schwerer als Komorbidität

  • primäre Behandlung der ADHS als führende Störung.13
  • Mildere emotionale Dysregulation, Stimmungsschwankungen, leichte Impulsivität oder Aggressivität, leichte Angststörungen oder Dysphorie (insbesondere Dysphorie bei Inaktivität) werden durch ADHS-Behandlung verbessert.161417

5.1.3. ADHS und Komorbidität gleich schwerer

Im Zweifel würden wir die ADHS-Behandlung vorziehen.
Eine Behandlung von ADHS kann die Symptome von Komorbiditäten deutlich verringern – bis hin zu deren Beseitigung.18
Auch eine Berücksichtigung der Nebenwirkungen der Medikamente, sodass die nebenwirkungsärmste Behandliung vorgezogen wird, dürfte unserer Auffassung nach meist zu einer Priorisierung der ADHS-Behandlung führen.

Depression bei ADHS kann beispielsweise auch durch die Intensität unerfreulicher Konflikte bestimmt sein, die durch ADHS-Symptome mitverursacht werden.19

5.2. Behandlungsleitfäden bei spezifischen Komorbiditäten

5.2.1. ADHS und Depression:

  • Unterschied Dysphorie / schwere Depression bei ADHS beachten
    Depression und Dysphorie bei ADHS
  • Stets D3-Blutspiegel und Schilddrüsenhormone prüfen vor Antidepressivagabe bei mittlerer oder leichter Depression
  • Zusammenfassung des Texas Kinder-Medikationsalgorithmus bei ADHS-HI und MDD nach Burleson Daviss (2018) Moodiness in ADHD – A Clinicians Guide, S. 99 (modifiziert)202122
    • Beeinträchtigung durch ADHS-HI schlimmer als durch MDD:
      • Beginn einer Stimulanzien-Monotherapie gemäß ADHS-HI-Algorithmus.
        • Wenn daraufhin:
        • ADHS-HI, aber nicht Depression anspricht:
          SSRI zur Behandlung der Depression hinzufügen
        • ADHS-HI und die Depression gleich bleiben:
          Wechsel zu einer neuen Stimulanzienklasse
          • von MPH zu AMP oder von AMP zu MPH
            • Amphetaminmedikamente haben, anders als MPH, zugleich leicht antidepressive Wirkung und sind daher bei komorbider Depression gegenüber MPH im Vorteil.. Amphetaminmedikamente bei ADHS
          • wenn MPH und AMP erfolglos:
            • Wechsel zu Guanfacin
          • wenn Guanfacin ebenfalls erfolglos:
            • Wechsel zu Atomoxetin
        • ADHS-HI und/oder Depression verschlimmern:
          Wechsel zu SSRI2324
    • Beeinträchtigung durch MDD schlimmer als durch ADHS-HI23 oder Suizidgedanken/suizidales Verhalten21:
      • Beginn einer SSRI-Monotherapie23
        • Wenn daraufhin
          • Depression, aber nicht die ADHS-HI anspricht:
            Stimulanzien zur Behandlung der ADHS-HI hinzufügen
          • Depression gleich bleibt oder sich verschlimmert:
            Wechsel auf anderes SSRI
        • Wenn daraufhin
          • Depression, aber nicht ADHS-HI anspricht:
            Stimulanz hinzufügen, um ADHS-HI zu behandeln.
          • Depression gleich bleibt oder sich verschlimmert:
            Wechsel auf Nicht-SSRI-Antidepressivum, z.B.
            • Bupropion13
            • Wenn Bupropion erfolglos:
              Nortriptylin, Desipramin oder Venlafaxin13

5.2.2. ADHS und Sucht

  • Sucht oder Alkoholmissbrauch sollten zunächst stabilisiert werden, können aber gleichzeitig mit ADHS behandelt werden.16 Insbesondere besteht keine Veranlassung mehr, Suchtbetroffenen Stimulanzien als ADHS-Medikamente vorzuenthalten und diese allein mit dem deutlich schlechter wirksamen und erheblich nebenwirkungsstärkeren Atomoxetin zu behandeln.25

  1. Wolraich ML, Hagan JF Jr, Allan C, Chan E, Davison D, Earls M, Evans SW, Flinn SK, Froehlich T, Frost J, Holbrook JR, Lehmann CU, Lessin HR, Okechukwu K, Pierce KL, Winner JD, Zurhellen W; SUBCOMMITTEE ON CHILDREN AND ADOLESCENTS WITH ATTENTION-DEFICIT/HYPERACTIVE DISORDER (2019): Clinical Practice Guideline for the Diagnosis, Evaluation, and Treatment of Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder in Children and Adolescents. Pediatrics. 2019 Oct;144(4):e20192528. doi: 10.1542/peds.2019-2528. Erratum in: Pediatrics. 2020 Mar;145(3): PMID: 31570648; PMCID: PMC7067282.

  2. Kooij JJS, Bijlenga D, Salerno L, Jaeschke R, Bitter I, Balázs J, Thome J, Dom G, Kasper S, Nunes Filipe C, Stes S, Mohr P, Leppämäki S, Casas M, Bobes J, Mccarthy JM, Richarte V, Kjems Philipsen A, Pehlivanidis A, Niemela A, Styr B, Semerci B, Bolea-Alamanac B, Edvinsson D, Baeyens D, Wynchank D, Sobanski E, Philipsen A, McNicholas F, Caci H, Mihailescu I, Manor I, Dobrescu I, Saito T, Krause J, Fayyad J, Ramos-Quiroga JA, Foeken K, Rad F, Adamou M, Ohlmeier M, Fitzgerald M, Gill M, Lensing M, Motavalli Mukaddes N, Brudkiewicz P, Gustafsson P, Tani P, Oswald P, Carpentier PJ, De Rossi P, Delorme R, Markovska Simoska S, Pallanti S, Young S, Bejerot S, Lehtonen T, Kustow J, Müller-Sedgwick U, Hirvikoski T, Pironti V, Ginsberg Y, Félegyházy Z, Garcia-Portilla MP, Asherson P (2019): Updated European Consensus Statement on diagnosis and treatment of adult ADHD. Eur Psychiatry. 2019 Feb;56:14-34. doi: 10.1016/j.eurpsy.2018.11.001. PMID: 30453134.

  3. Canadian ADHD practice guidelines, 2018

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  5. Leitlinie S3

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  9. Loewen, Maximova, Ekwaru, Asbridge, Ohinmaa, Veugelers (2020): Adherence to lifestyle recommendations and ADHD: A population-based study of children aged 10-11 years. Psychosom Med. 2020 Feb 13. doi: 10.1097/PSY.0000000000000787. PMID: 32058459. n=3.436

  10. Loewen, Maximova, Ekwaru, Asbridge, Ohinmaa, Veugelers (2020): Adherence to lifestyle recommendations and ADHD: A population-based study of children aged 10-11 years. Psychosom Med. 2020 Feb 13. doi: 10.1097/PSY.0000000000000787. PMID: 32058459. n = 3.436

  11. Barkley (2014): Dr Russell Barkley on ADHD Meds and how they all work differently from each other; Youtube – Langfassung, ca. Minute 57:20

  12. Ibrahim K, Donyai P (2014): Drug Holidays From ADHD Medication: International Experience Over the Past Four Decades. J Atten Disord. 2015 Jul;19(7):551-68. doi: 10.1177/1087054714548035. PMID: 25253684.

  13. Bond, Hadjipavlou, Lam, McIntyre, Beaulieu, Schaffer, Weiss, CANMAT (2012): The Canadian Network for Mood and Anxiety Treatments (CANMAT) task force recommendations for the management of patients with mood disorders and comorbid attention-deficit/hyperactivity disorder. Ann Clin Psychiatry. 2012 Feb;24(1):23-37.

  14. Perugi, Pallucchini, Rizzato, Pinzone, De Rossi (2019): Current and emerging pharmacotherapy for the treatment of adult attention deficit hyperactivity disorder (ADHD). Expert Opin Pharmacother. 2019 May 21:1-14. doi: 10.1080/14656566.2019.1618270.

  15. Perugi, Pallucchini, Rizzato, Pinzone, De Rossi (2019): Current and emerging pharmacotherapy for the treatment of adult attention deficit hyperactivity disorder (ADHD). Expert Opin Pharmacother. 2019 Aug;20(12):1457-1470. doi: 10.1080/14656566.2019.1618270.

  16. Kooij, Bijlenga, Salerno, Jaeschke, Bitter, Balázs, Thome, Dom, Kasper, Filipe, Stes, Mohr, Leppämäki, Brugué, Bobes, Mccarthy, Richarte, Philipsen, Pehlivanidis, Niemela, Styr, Semerci, Bolea-Alamanac, Edvinsson, Baeyens, Wynchank, Sobanski, Philipsen, McNicholas, Caci, Mihailescu, Manor, Dobrescu, Krause, Fayyad, Ramos-Quiroga, Foeken, Rad, Adamou, Ohlmeier, Fitzgerald, Gill, Lensing, Mukaddes, Brudkiewicz, Gustafsson, Tania, Oswald, Carpentier, De Rossi, Delorme, Simoska, Pallanti, Young, Bejerot, Lehtonen, Kustow, Müller-Sedgwick, Hirvikoski, Pironti, Ginsberg, Félegeházy, Garcia-Portilla, Asherson (2018): Updated European Consensus Statement on diagnosis and treatment of adult ADHD, European Psychiatrie, European Psychiatry 56 (2019) 14–34, http://dx.doi.org/10.1016/j.eurpsy.2018.11.001, Seite 21

  17. Murray, Caye, McKenzie, Auyeung, Murray, Ribeaud, Freeston, Eisner (2020): Reciprocal Developmental Relations Between ADHD and Anxiety in Adolescence: A Within-Person Longitudinal Analysis of Commonly Co-Occurring Symptoms. J Atten Disord. 2020 Mar 14:1087054720908333. doi: 10.1177/1087054720908333. PMID: 32172640.

  18. Edel, Vollmoeller: Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen, 2006, Seite 91 ff

  19. Semeijn, Comijs, Kooij, Michielsen, Beekman, Deeg (2015): The role of adverse life events on depression in older adults with ADHD; J Affect Disord. 2015 Mar 15;174:574-9. doi: 10.1016/j.jad.2014.11.048.

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  25. Kooij, Bijlenga, Salerno, Jaeschke, Bitter, Balázs, Thome, Dom, Kasper, Filipe, Stes, Mohr, Leppämäki, Brugué, Bobes, Mccarthy, Richarte, Philipsen, Pehlivanidis, Niemela, Styr, Semerci, Bolea-Alamanac, Edvinsson, Baeyens, Wynchank, Sobanski, Philipsen, McNicholas, Caci, Mihailescu, Manor, Dobrescu, Krause, Fayyad, Ramos-Quiroga, Foeken, Rad, Adamou, Ohlmeier, Fitzgerald, Gill, Lensing, Mukaddes, Brudkiewicz, Gustafsson, Tania, Oswald, Carpentier, De Rossi, Delorme, Simoska, Pallanti, Young, Bejerot, Lehtonen, Kustow, Müller-Sedgwick, Hirvikoski, Pironti, Ginsberg, Félegeházy, Garcia-Portilla, Asherson (2018): Updated European Consensus Statement on diagnosis and treatment of adult ADHD, European Psychiatrie, European Psychiatry 56 (2019) 14–34, http://dx.doi.org/10.1016/j.eurpsy.2018.11.001, Seite 22, 7.4.1.

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