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Behandlung: Leitfaden und Effektstärke

Behandlung: Leitfaden und Effektstärke

ADHS ist sehr gut behandelbar12 und könnte die am besten behandelbare psychiatrische Problemstellung überhaupt sein.34 Die Effektstärke von Stimulanzien sind die höchsten, die je für psychiatrische Medikamente gefunden wurden.5
Während Amphetamine in Bezug auf ADHS im Erwachsenenalter eine Effektstärke von 0,8–1,5 (NNT = 1,6) aufweisen, zeigen internistische Medikamente für Bluthochdruck oder Antidepressiva eine NNT von 10.6
Ebenso ist das Responderquote von Stimulanzien bei ADHS bemerkenswert. Während bei einer Angststörungen nur jeder zweite auf die Behandlung mit dem Mittel erster Wahl anspricht7, sind dies bei ADHS zu 70 % (auf MPH) bis 80 % (auf Amphetaminmedikamente) der Fall.

Die heutigen medikamentösen und psychologischen Therapiemethoden von ADHS ermöglichen eine weitgehende bis völlige Behebung der Symptome. Eine Heilung würde indes darüber hinaus erfordern, dass die Symptome auch ohne laufende weitere Behandlung (auch nicht mittels Coping-Strategien) dauerhaft verschwunden blieben.
Eine langjährige Verhaltenstherapie kann eine vergleichbare Wirkung wie eine Medikation erreichen – aber eben erst nach Jahren. Allerdings kann eine falsch angewendete Psychotherapie ebenso erheblichen Schaden verursachen wie ungeeignete Medikamente.

Es gibt leider Therapeuten, denen nicht alle Symptome von ADHS bekannt sind. Manche Therapeuten kennen lediglich die diagnostischen DSM-Symptome von ADHS oder verstehen nicht, dass DSM wie ICD lediglich diejenigen Symptome nennen, die besonders gut von anderen Störungen abgrenzen und dass daneben weitere originär durch ADHS verursachte Symptome hinzutreten können. Wir nennen diese Gesamtheit der Symptome die behandlungsrelevanten Symptome, um die Teilmenge der diagnostischen Symptome hiervon abzugrenzen.
Wenn dies dazu führt, dass dem Betroffenen diese Symptome nicht als Folge des ADHS, sondern als persönliche Verantwortung zugeschrieben werden, kann der Betroffene mit mehr Gefühlen von Schuld und Unzulänglichkeit aus der Therapie herauskommen, als er hineinging. Wir kennen leider etliche derartiger Fälle, bei ambulanter wie bei stationärer Behandlung.

Darüber hinaus zeigten 25 % der ADHS-HI-Betroffenen (mit Hyperaktivität) nach einem Social Skills Training eine Verschlechterung der Symptomatik.8

Gleichwohl gibt es Methoden, die ADHS-Symptome dauerhaft lindern können.

ADHS - Symptombehandlung vs Heilung

Einige Indizien deuten darauf hin, dass eine Heilung von ADHS in Teilbereichen möglich sein könnte. Neurofeedback scheint in einigen Fällen die Symptome dauerhaft verringern oder im günstigsten Fall (wenn auch selten) sogar beseitigen zu können. Ebenso gibt es vorsichtige Hinweise, dass eine sehr frühzeitige Medikation mit Methylphenidat ebenso wie eine langfristige Medikation messbare Heilungswirkungen haben könnten.910
Achtsamkeitsbasierte Behandlungsformen zeigen durchgängig Verbesserungen der ADHS-Symptomatik. Wenn ADHS völlig unheilbar ist, fragt sich, wieso ADHS bei 20 bis 50 % der betroffenen Kinder bis zum Erwachsenenalter jedenfalls so weit abnimmt, dass kein ADHS mehr diagnostiziert wird. Hierfür sind mehrere Erklärungen denkbar, allein oder gemeinsam:

  • mangelnde Kenntnis über die sich im Erwachsenenalter verändernden Symptome, sodass das sich anders manifestierende Erwachsenen-ADHS nicht mehr erkannt wird
  • Copingstrategien werden wirkungsvoller entwickelt, sodass die Symptome besser überdeckt werden
  • Änderung der Lebensumstände; insbesondere Wegfall der hauptsächlich durch extrinsische Motivation organisierten Schule und Ersatz durch Ausbildung oder Studium eines Gebietes, das selbst ausgewählt wurde (mehr intrinsische Motivation).
  • tatsächliches remittieren (nachlassen) der Symptome, z.B. aufgrund einer Nachreifung betroffener Gehirnregionen
  • echte Gesundung

Diese noch nicht abschließend beantwortete Fragestellung erlaubt es jedenfalls, ein kleines bisschen an Hoffnung zu bewahren.
Gesichert ist, dass lang anhaltende Psychotherapie und Neurofeedback heilende Beiträge entwickeln und die Symptomschwere erheblich verringern können und dass eine medikamentöse Behandlung in aller Regel ohne belastende Nebenwirkungen die Symptome weitgehend beseitigen und ein belastungsfreies Leben ermöglichen kann.

Eine systematische Behandlung von ADHS bewirkt neben einer signifikanten Verbesserung der Lebensqualität für die Betroffenen zugleich, dass sich das Risiko der Ausbildung einer Alkohol-, Nikotin- oder Drogensucht gegenüber unbehandelten Betroffenen halbiert.11 Das Risiko der Ausbildung psychiatrischer Komorbiditäten (Depression, Angststörungen, Zwänge, etc.) verringert sich auf weniger als die Hälfte.11
Während unbehandelte Kinder mit ADHS massive Beeinträchtigungen der Exekutivfunktionen zeigen, fanden sich bei behandelten Kindern mit ADHS Exekutivfunktionen nahe derer Nichtbetroffener.12

Manche Menschen lehnen eine Behandlung von ADHS mit Medikamenten grundsätzlich ab. Dies scheint eher eine Frage der grundsätzlichen Einstellung als eine Frage von Fakten zu sein. Eine Studie berichtet, dass vornehmlich folgende Faktoren bei den Eltern die Entscheidung beeinflussen, ob Kinder mit ADHS Medikamente erhalten:13

  • das Maß, indem ADHS als Stigma empfunden wird
  • die grundsätzliche Einstellung zu Medikamenten bei ADHS
  • das Wissen über ADHS.

  1. Weiss MD, Gadow K, Wasdell MB (2006): Effectiveness outcomes in attention-deficit/hyperactivity disorder. J Clin Psychiatry. 2006;67 Suppl 8:38-45. PMID: 16961429.

  2. Rivas-Vazquez RA, Diaz SG, Visser MM, Rivas-Vazquez AA (2023): Adult ADHD: Underdiagnosis of a Treatable Condition. J Health Serv Psychol. 2023;49(1):11-19. doi: 10.1007/s42843-023-00077-w. PMID: 36743427; PMCID: PMC9884156.

  3. Barkley (2019): Treatment Matters: ADHD and Life Expectancy; CHADD

  4. Barkley (2018): Health and Life Expectancy in ADHD. Treatment Matters More Than You Think; Youtube

  5. Nageye, Cortese (2019): Beyond stimulants: a systematic review of randomised controlled trials assessing novel compounds for ADHD. Expert Rev Neurother. 2019 Jul;19(7):707-717. doi: 10.1080/14737175.2019.1628640. PMID: 31167583.)

  6. Endrass, G (2024): ADHS aktuell – Mythen und Bedenken versus Fakten; NeuroTransmitter 2024; 35 (1-2)

  7. Tozzi L, Zhang X, Pines A, Olmsted AM, Zhai ES, Anene ET, Chesnut M, Holt-Gosselin B, Chang S, Stetz PC, Ramirez CA, Hack LM, Korgaonkar MS, Wintermark M, Gotlib IH, Ma J, Williams LM (2024): Personalized brain circuit scores identify clinically distinct biotypes in depression and anxiety. Nat Med. 2024 Jun 17. doi: 10.1038/s41591-024-03057-9. PMID: 38886626.

  8. Barkley (2018): Vortrag an der Universität Göteborg, ca. Minute 79

  9. Petrovic, Castellanos (2016): Top-Down Dysregulation—From ADHD to Emotional Instability; Front Behav Neurosci. 2016; 10: 70. doi: 10.3389/fnbeh.2016.00070; PMCID: PMC4876334

  10. Pires, Pamplona, Pandolfo, Prediger, Takahashi (2010): Chronic caffeine treatment during prepubertal period confers long-term cognitive benefits in adult spontaneously hypertensive rats (SHR), an animal model of attention deficit hyperactivity disorder (ADHD). Behav Brain Res. 2010 Dec 20;215(1):39-44. doi: 10.1016/j.bbr.2010.06.022. PMID: 20600342.

  11. Edel, Vollmoeller (2006): Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen, Springer, Seite 108, mwNw.

  12. Miklós, Futó, Komáromy, Balázs (2019): Executive Function and Attention Performance in Children with ADHD: Effects of Medication and Comparison with Typically Developing Children. Int J Environ Res Public Health. 2019 Oct 10;16(20). pii: E3822. doi: 10.3390/ijerph16203822. n = 150

  13. Boudreau, Mah (2020): Predicting Use of Medications for Children with ADHD: The Contribution of Parent Social Cognitions. J Can Acad Child Adolesc Psychiatry. 2020 Mar;29(1):26-32. PMID: 32194649; PMCID: PMC7065566.