Autor: Ulrich Brennecke
Review: Dipl.-Psych. Waldemar Zdero
Hier stellen wir Untersuchungen über die Schädlichkeit von langfristigem (chronischem) Stress dar, die nicht auf das Alter der Betroffenen abstellen. Langfristiger Stress bewirkt bei Menschen jeden Alters neurologische Schäden, auch wenn diese Schädigungen bei älteren Menschen regelmäßig nicht die für ADHS typische allgemeine Veränderung der Stresstriggerlevel bewirken, sondern andere Schadensbilder zeigen.
Dauerstress (lange anhaltender Stress) und zu intensiver Stress (Trauma) können die neuronalen Stresssysteme dauerhaft schädigen.
Akuter (kurzzeitiger) Stress erhöht das Dopaminniveau im PFC.
Chronischer schwerer Stress verringerte dagegen das Dopaminniveau im PFC und führte zu einem Verlust dopaminerger Zellen in Hypothalamus, VTA und Substantia nigra, sowie zu einem Verlust noradrenerger Zellen im Locus coeruleus. In der Folge verringerte sich das Dopaminniveau im Striatum um rund 40 % in Woche 4 und 8. Serotonin war im Striatum nach 4 Wochen um 25 % und nach 8 Wochen um 15 % verringert.
Vor diesem Hintergrund ist es aus unserer Sicht wenig verwunderlich, dass chronischer Stress sehr ähnliche Symptome hervorruft wie das ebenfalls durch Dopaminmangel gekennzeichnete ADHS.
Chronischer Stress kann die Sensibilität von Rezeptoren verringern (Downregulation). Die Desensibilisierung von Cortisolrezeptoren führt zu einer gestörten Stressregulierung und ist mit ADHS assoziiert. Weitere Folgen von chronischem Stress sind Veränderungen der Genexpression, die Neurotoxizität von Stresshormonen und die Atrophie bestimmter Hirnbereiche. Insbesondere der Hippocampus ist hierfür sehr anfällig, was die Stresskontrolle und das Gedächtnis beeinträchtigt.
Chronischer Stress bewirkt erhöhte BDNF-Spiegel im VTA/Nucleus accumbens und reduzierte Spiegel im Hippocampus. BDHF ist für die Neuroplastizität des Gehirns wichtig.
Der circadiane Rhythmus wird durch wiederholten Stress gestört, wodurch der Schlaf und die Regulation der HPA-Achse beeinträchtigt werden.
2.1. Schadensmechanismen von chronischem Stress¶
2.1.1. Downregulation / Upregulation¶
2.1.1.1. Downregulation (Rezeptordesensibilisierung): Grundprinzip¶
Neurotransmittersysteme sind dazu da, Signale im Gehirn zu übertragen. Ist der Neurotransmitterspiegel optimal, funktioniert auch die Signalübertragung optimal. Ein zu geringer Neurotransmitterspiegel stört die Signalübertragung in etwa genauso wie ein zu hoher Neurotransmitterspiegel.
Neurotransmitter werden von der sendenden Nervenzelle (Präsynapse) in den synaptischen Spalt abgegeben und dort von Rezeptoren der empfangenden Synapse (Postsynapse) aufgenommen. Danach wird der Neurotransmitter von der Empfangssynapse wieder in den synaptischen Spalt zurückgegeben und von der sendenden Synapse über die Transporter wieder aufgenommen und bis zur nächsten Verwendung in die Vesikel eingelagert.
Wird nun für eine längere Zeit zu viel eines Neurotransmitters ausgeschüttet, führt dies zu einer Desensibilisierung der Rezeptoren der Empfangssynapse (Downregulation).
Mittels Downregulation und Upregulation wirkt der Körper überschießenden (bzw. verminderten) Spiegeln eines Botenstoffs entgegen.
Eine Downregulation erfolgt in mehreren Stufen, die je nach Intensität und Dauer des Neurotransmitter-Überangebots nacheinander stattfinden:
- Desensibilisierung
- Rezeptorinternalisierung
- Rezeptorrückbildung
- Änderung der Expression der Rezeptor mRNA (epigenetische Änderung der Genexpression)
Dies passiert vergleichbar bei Nikotin-, Alkohol oder Drogenmissbrauch. Der Entzug bewirkt dann Entzugserscheinungen, weil die desensibilisierten Rezeptoren nun zu wenig von den jeweiligen (nun nicht mehr künstlich erhöhten) Neurotransmittern erhalten. Nach einigen Wochen Entzug erholen sich die dort relevanten Neurotransmittersysteme, indem die Rezeptoren nach und nach wieder sensibler werden.
Leider gibt es keine Hinweise darauf, dass ein Entzug von Stress dazu führen könnte, dass sich die bei ADHS geschädigten Stressregulationssysteme wieder regenerieren würden. Dies ist auch nicht besonders wahrscheinlich, da es sich bei ADHS in der Regel nicht um die Folge von chronischem Stress handelt, sondern um eine Wirkung bestimmter Genvarianten, die den Dopamin- und Noradrenalinspiegel ebenso verringern, wie es ganz ähnlich auch chronischer Stress bewirkt.
ADHS könnte man in der Außenwirkung auch als extreme Überempfindlichkeit der Stresssysteme beschreiben. Dennoch dürfte selbst ein sehr weitgehender Stressentzug nicht so erfolgen können, dass eine angemessene Teilnahme am Leben möglich bleibt. Einen Menschen davon abzuhalten, jemals wieder Stress zu haben, ist nahezu unmöglich – und in gewisser Weise unsinnig. Denn Stress ist eine grundsätzlich sehr gesunde Reaktion (siehe: Stressnutzen).
Weiter können ADHS-Gene und zusätzlicher chronischer Stress gemeinsam eine Verstärkung der Symptome bewirken. Denkbar wäre ein subklinisches ADHS, das durch hinzutretenden chronischen Stress den Schweregrad eines ADHS-Störung erreicht. Dieses Bild deckt sich mit Berichten, wonach bei ADHS-Betroffenen die erfolgreiche Behandlung einer komorbiden Rhinitis die ADHS-Symptomatik deutlich verbessern konnte, oder dass die Beseitigung einer Lebensmittelunverträglichkeit durch entsprechende Diät gleiches bewirkte. Möglicherweise liegt hier auch ein Schlüssel zum Verständnis von late onset ADHS.
In jedem Fall dürfte für ADHS-Betroffene die Entwicklung eines Bewusstseins, dass chronischer Stress ihr ärgster Feind ist, sicherlich therapeutisch hilfreich sein. Akuter Stress hingegen - wohldosiert - kann durchaus hilfreich wirken.
Diesem Mechanismus entsprechend kann eine zu hohe und zu lange Ausschüttung von Zytokinen zu einer verminderten Empfindlichkeit von Immunzellen auf die entzündungshemmende Wirkung von Glucocorticoiden beitragen. Zytokinpfade wie p38 MAPK bewirken außerdem eine Unterbrechung der Glucocorticoid-Rezeptor-Kommunikation.
2.1.1.1.1. Downregulation bei Stress: Desensibilisierte Cortisolrezeptoren verhindern Stresssystemabschaltung = ADHS¶
Cortisol vermittelt nach seiner Ausschüttung zunächst die Stresssymptome, indem es viele Organe und Gehirnbereiche alarmiert. Danach aber hat ein hoher Cortisolspiegel die Wirkung, das Stresssystem wieder herunterzufahren, weil Stress eben ein Ausnahmezustand ist – ein System, das auf 100 % ausgelegt ist, nimmt bei dauerhaften 130 % irgendwann Schaden.
Da jedoch die (Gluco-)Corticoidrezeptoren nach lang anhaltendem Stress aufgrund Downregulation weniger sensibel sind, nehmen sie dieses Signal nicht wahr. Die Abschaltung der Stresssysteme bleibt aus. In der Folge bleiben die CRH-Werte dauerhaft überhöht und lösen die von CRH vermittelten Symptome dauerhaft aus. Dieser Mechanismus ist für Depression bereits dargelegt.
Die Cortisolantwort bei ADHS auf einen akuten Stressor unterscheidet sich nach Subtypen. ADHS-HI und ADHS-C (mit Hyperaktivität) zeigen häufig eine verringerte Cortisolstressantwort, während der ADHS-I-Subtyp sehr häufig eine überhöhte Cortisolantwort auf einen akuten Stressor zeigt.
⇒ Die HPA-Achse / Stressregulationsachse.
Das genaue Verständnis, bei welchem Subtyp welches Stresshormonsystem welche Veränderung erfahren hat, könnte den zentralen Schlüssel für die zukünftige Behandlung von ADHS darstellen.
2.1.1.1.2. Downregulation bei chronischem Stress: Glutamatrezeptoren im mPFC¶
Chronischer unvorhersehbarer Stress führt bei Mäusen zu einer Deregulierung des Glutamathaushalts mit der Folge einer Downregulation der Glutamatrezeptoren im mPFC. Dies korreliert zudem mit Taskwechselproblemen.
Eine Downregulation von Glutamatrezeptoren deutet auf einen überhöhten Glutamatspiegel hin. Dies deckt sich schlüssig mit der Tatsache, dass chronischer Stress den GABA-Spiegel verringert. GABA hemmt Glutamat.
2.1.1.1.3. Downregulation bei chronischem Stress: Dopamin-D2-Rezeptoren im mesolimbischen System¶
Chronischer unvorhersehbarer milder Stress bewirkte in mehreren Studien bei 70 % der Ratten Anhedonie, ein typisches von chronischem mildem Stress ausgelöstes Depressionssymptom. 30 % der Ratten erwiesen sich als stressresilient.
In einer Studie zeigte sich bei den stressresilienten Ratten nach 2 Wochen eine Downregulation von D2-Rezeptoren im gesamten Gehirn, mit Ausnahme der medialen VTA (Rückgang des Rezeptorproteins). Dabei handelte es sich offenbar um eine Internalisierung der Rezeptoren, denn die Rezeptor-mRNA (Expression) blieb unverändert.
Bei den stressreaktiven Ratten zeigte sich diese Downregulation nach 5 Wochen. Während die stressempfindlichen Ratten keine Veränderung der Rezeptor-mRNA-Expression zeigten, erhöhte sich diese bei den stressresilienten Ratten nach 5 Wochen, sodass der Expressionsanstieg nach 5 Wochen die Anzahl der D2-Rezeptoren ausgeglichen hatte. Die stressresilienten Ratten zeigten damit eine starke neurobiologische Plastizität der Dopamin-D2-Rezeptordichte und der mRNA-Expression, im Gegensatz zu den stressempfindlichen Tieren.
Eine andere Studie fand keinen Zusammenhang zwischen der stressbedingten Anhedonie und Unterschieden
- im ventralen Striatum zu
- D1-Expression
- D2-Expression
- Enkephalin
- Dynorphin
- NMDA-NR2B-Rezeptor
- im Gyrus dentatus zu
- im paraventrikularen Nucleus des Hypothalamus zu
-
CRH
- Arginin / Vasopressin
Unterschiede ergaben sich bei Anhedonie
- im CA3 des ventralen Hippocampus:
- Upregulation der BDNF-mRNA in der stressresilienten Gruppe
- Downregulation der VEGF-mRNA (Vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor) in der stressempfindlichen Gruppe.
Weiter fand sich bei den stressresistenten Ratten eine Aktivierung der HPA-Achse.
Antidepressiva erhöhen die D2-Rezeptor-Expression, was ein Element ihrer antidepressiven Wirkung beschreiben könnte.
2.1.1.2. Upregulation¶
Bei Upregulation ist derselbe Anpassungsmechanismus am Werk, der versucht, langfristige Schwankungen von Neurotransmitter- oder Hormonspiegeln auszugleichen. Während Downregulation eine Anpassung an zu hohe Neurotransmitter-/Hormonspiegel ist, ist Upregulation die Folge eines zu niedrigen Neurotransmitter-/Hormonspiegels. Auf langfristig zu niedrige Spiegel reagieren die Rezeptorsysteme mit einer Erhöhung der Rezeptoranzahl bzw. einer Sensibilisierung der Rezeptoren.
2.1.2. Unspezifische, dauerhaft erhöhte Erregbarkeit von Nervenzellen (Grundprinzip)¶
Aldenhoff beschrieb bereits 1990 ein Modell, das das Entstehen von erhöhter Erregung von Nervenzellen als krankhaften Dauerzustand erklären könnte.
Wird eine Nervenzelle in bestimmter Weise (mit einer bestimmten Frequenz) synaptisch erregt, kann eine länger andauernde Potenzierung der synaptischen Übertragung entstehen (Long-term-potentation = LTP). Bindet ein Ligand an den NMDA-Rezeptor (NMDA = N-Methyl-D-Aspartat) während gleichzeitig eine Membran-Depolarisation erfolgt, führt dies zu einem überdurchschnittlichen Kalzium-Strom. Derart überhöhte Kalzium-Ströme bewirken eine Verselbstständigung der Phosphorylierungsprozesse, die in der Folge unabhängig von Kalzium ablaufen. Dies ist der grundlegende Mechanismus für die Steigerung synaptischen Übertragung und dürfte die Grundfunktion von Lernprozessen darstellen.
Hypercortisolismus ist bei vielen psychischen Erkrankungen ein endokriner Befund.
Bei ADHS-I besteht nach unserem Verständnis ein hypercortisolerges Ungleichgewicht der Stresssysteme.
Bei Stress wird im Hypothalamus das Stresshormon CRH freigesetzt. Dieses wirkt auf Zellen des Hippocampus erregend, indem es die kalzium-abhängige Kaliumleitfähigkeit vermindert.
2.1.2.1. Noradrenalinausschüttung von äußeren Reizen entkoppelt¶
Erhöhte Dosen von CRH über längere Zeit bewirken, dass die erregende Wirkung sich dauerhaft manifestiert. Das heißt, dass unabhängig von der Anwesenheit von CRH ein gesteigertes zelluläres Erregungsniveau erhalten bleibt.
Die der Aufmerksamkeit dienende phasische Aktivität von Zellen des Locus coeruleus ist eine Reaktion auf von außen eingehende Signalreize. Diese lösen im Locus coeruleus eine Entladung aus (Noradrenalinausschüttung), der (im Interesse des Signal-Rausch-Abstands) eine Aktivitätspause folgt.
Eine höhere Menge an CRH steigert zunächst die Erregbarkeit und damit die Noradrenalin-Freisetzung. Eine dauerhaft erhöhte Menge an CRH entkoppelt jedoch die Noradrenalin-Freisetzung auf Dauer vom phasischen Stimulus. Noradrenalin wird dann unabhängig von eingehenden Reizen ausgeschüttet. Dies führt zu einer Verschlechterung des Signal-Rausch-Abstands, was kognitive Funktionen stören kann. Der Mechanismus der Downregulation dürfte durch die dauerhaft erhöhten Noradrenalinwerte auch eine Downregulation der Noradrenalinrezeptoren (Adrenozeptoren) bewirken.
Daneben steigt die stressbedingte Noradrenalinausschüttung mit der Häufigkeit einer Stresserfahrung. Bei wiederholten Stresserfahrungen ist die stressbedingt ausgeschüttete Noradrenalinmenge höher als bei der ersten Stresserfahrung.
2.1.2.2. CRH-Rezeptor-Downregulation verringert Stresssystemhemmung und führt zu unspezifischer Erregbarkeit¶
CRH wirkt an den CRH-Rezeptoren CRFR1 und CRFR2. Eine dauerhaft überhöhte Freisetzung von CRH und/oder Corticosteroiden (Cortisol) führt zugleich zu einer Rückbildung dieser Rezeptoren (Downregulation). Damit tritt neben die dauerhaft erhöhte erregende Wirkung des CRH zugleich eine verringerte Hemmung aufgrund der Rückbildung der Corticosteroid-Rezeptoren. Dies führt zu einer gesteigerten unspezifischen psychophysiologischen Erregbarkeit.
Schwere Stressbelastung hebt die übliche verstärkende Wirkung von CRF auf die DA-Freisetzung in der NAc für mindestens 90 Tage vollständig auf. Dies könnte das biologische Substrat dafür sein, dass traumatischer oder chronischer Stress das Auftreten schwerer Depressionen begünstigen kann, bei der ein akuter Stressor nicht mehr als motivierend, sondern als unüberwindbares Hindernis empfunden wird. CRH wie DA regulieren die emotionale Reaktion auf akute Stressoren. Ein Verlust der CRF-Regulierung der DA-Freisetzung geht mit einer Umstellung der Reaktion auf CRH von appetitlich auf aversiv einher.
2.1.3. Neurotoxische Wirkungen von Stresshormonen bei chronischem Stress¶
2.1.3.1. Glucocorticoide (Cortisol)¶
Siehe hierzu ⇒ Neurotoxische Wirkungen von Glucocorticoiden (Cortisol) bei lang anhaltendem Stress im Beitrag ⇒ Cortisol im Abschnitt ⇒ Hormone bei ADHS im Kapitel ⇒ Neurologische Aspekte.
2.1.3.2. CRH¶
Siehe hierzu ⇒ Neurotoxische Wirkungen von CRH bei lang anhaltendem Stress im Beitrag ⇒ CRH im Abschnitt ⇒ Hormone bei ADHS im Kapitel ⇒ Neurologische Aspekte.
2.1.4. Veränderte Genexpressionen durch chronischen Stress¶
Stress hat je nach Dauer unterschiedliche Auswirkungen auf ein und dasselbe Gen. Kurzzeitiger Stress wirkt anders als mittellanger Stress und lang anhaltender Stress führt zu wiederum anderen Genexpressionen.
- Bei Stress sind vornehmlich die Katecholamin-Neurotransmittersysteme betroffen. Das TYH-Gen reguliert die Tyrosinhydroxylase, die in den Nebennieren und im Gehirn produziert wird. Tyrosinhydroxylase (TYH) ist das Enzym, das die Umwandlung der Aminosäure L-Tyrosin in die Aminosäure Levodopa katalysiert, aus dem Adrenalin, Dopamin und Noradrenalin entstehen. Dies ist somit der geschwindigkeitsbestimmende Reaktionsschritt bei der Biosynthese der Katecholamine.
- Langanhaltender Stress bewirkt bei erwachsenen Mäusen eine chronifizierte Demethylierung des CRH-Gens.
- Stress bewirkt, je nach Dauer, dass unterschiedliche Transkriptionsfaktoren des TYH-Gens adressiert werden:
- Kurzzeitiger Stress (3 Minuten) bewirkt die Phosphorylierung von CREB-1 und Jun
- Mittlerer Stress (30 – 120 Minuten) bewirkt die de novo Synthese von Transkriptionsfaktoren wie c-fos und EGR1
- Langanhaltender Stress aktiviert EGR1 und FRA2
Je nach Dauer des Stresses wird das TYH-Gen somit anders exprimiert. Dies äußert sich in anderer Genaktivität, was die Adrenalin-, Dopamin- und Nordrenalinverfügbarkeit verändert.
2.1.5. Atrophie in verschiedenen Gehirnbereichen¶
Chronischer unvorhersagbarer Stress verursacht bei Ratten Atrophie (Gewebeschrumpfungen) in etlichen Gehirnbereichen:
- verschiedene kortikale Areale
- prälimbischer Cortex
- cingulärer Cortex
- insularer Cortex
- retrosplenzieller Cortex
- somatosensorischer Cortex
- motorischer Cortex
- auditorischer Cortex
- perirhinalentorhinaler Cortex
-
Hippocampus
-
dorsomediales Striatum
-
Nucleus accumbens
- Septum
- Bettkern der Stria terminalis
- Thalamus
- mehrere Hirnstamm-Kerne.
Zugleich erhöht sich die funktionale Konnektivität innerhalb eines aus diesen Regionen bestehenden Netzwerks.
Es zeigten sich Gruppen aus High-Stressrespondern und Low-Stressrespondern.
- High Responder (stressempfindliche Tiere) zeigten eine lokale Atrophie des VTA und eine Zunahme der funktionellen Konnektivität zwischen diesem Bereich und dem Thalamus sowie weiteren Gehirnregionen, die das kognitive System mit dem Fight- or Flight-System verbinden.
- High-Stress-Responder und Low-Stress-Responder unterschieden sich weiter anhand der funktionellen Konnektivität in einem Netzwerk zwischen Hirnstamm und limbischen System. Diese sollen die ersten bekannten potentiellen bildgebenden prädiktiven Biomarker für die Resilienzgefährdung eines Individuums gegenüber Stressbedingungen darstellen.
2.1.6. Erhöhte Neuroinflammation durch chronischen Stress¶
Bei Erwachsenen mit ADHS korrelierte erhöhter empfundener chronischer Stress linear mit erhöhten Entzündungsproteinen.
Innerhalb der Probandengruppe fanden sich zwei Gruppen:
- eine mit höherem Entzündungspotenzial
- höherer chronischer Stress (p < 0,001)
- höhere ADHS-Werte (p = 0,030)
- höheres Suizidrisiko (p = 0,032)
- eine mit niedrigerem Entzündungspotenzial
Die deutlichsten Unterschiede betrafen (unbeeinflusst von der ADHS-Medikation, aber beeinflusst von einer psychotropen Begleitmedikation):
- NF-κB-Signalweg
- Chemokin-Signalisierung
-
IL-17-Signalisierung
- Stoffwechselveränderungen
- Chemokin-Attraktion
2.2. Konkrete Schäden durch chronischen Stress¶
2.2.1. Veränderung des dopaminergen Systems durch frühen oder chronischen Stress¶
Dieses Thema wird umfassend dargestellt im Beitrag Dopamin und Stress im Abschnitt Dopamin im Kapitel Neurologische Aspekte.
2.2.2. Erhöhtes ΔFosB in den Belohnungsschaltkreisen¶
ΔFosB (DeltaFosB) ist eine verkürzte Form des Transkriptionsfaktors FosB. ΔFosB gilt als molekularer Marker für eine chronische Stimulation der Belohnungsschaltkreise, stressbedingte Neuroplastizität und Sensibilisierung für Psychostimulanzien. Direkt nach singulärem Stress ist ΔFosB kaum nachweisbar, summiert sich aber aufgrund seiner Langlebigkeit nach wiederholtem sozialem Stress oder wiederholter Drogengabe erheblich auf. Auch chronischen psychosozialen Stress erhöhte sich die Anzahl von ΔFosB-Neuronen im PFC, Nucleus accumbens und der Amygdala von Ratten für 3 Wochen deutlich. Erhöhtes ΔFosB in den Belohnungsschaltkreisen steigert die Empfindlichkeit gegenüber Psychostimulanzien wie Kokain. ΔFosB reguliert die Expression vieler mit der Neuroplastizität zusammenhängender Gene in den Belohnungsschaltkreisen nach chronischer Drogenexposition.
2.2.3. Schädigung der Amygdala (verstärkte Ängstlichkeit)¶
2.2.3.1. Vergrößerung der Amygdala durch Serinprotease “tissue-plasminogen factor”¶
Bei Dauerstress wird die Serinprotease “tissue-plasminogen factor” in der Amygdala vermehrt exprimiert. Das führt zu einer Vergrößerung der Amygdala, was eine verstärkte Ängstlichkeit bewirkt.
Es ist empirisch anerkannt, dass Stress eine (Mit-)Ursache von Angst- und Furchtstörungen (z.B. Posttraumatische Belastungsstörung, Phobien, Panikattacken, generalisierte Angststörungen) und Depressionen ist.
2.2.3.2. Amygdala-Neuronen werden übererregbar¶
Chronischer Stress führt dazu, dass die Hauptausgangsneuronen der basolateralen Amygdala übererregbar werden.
Mehr hierzu oben unter ⇒ Unspezifische dauerhaft erhöhte Erregbarkeit von Nervenzellen (Grundprinzip).
2.2.4. Schädigung des Hippocampus (Lern- und Gedächtnisstörungen)¶
Chronischer Stress beeinträchtigt den Hippocampus. Der Hippocampus ist – wie die Amygdala – an der Steuerung der HPA-Achse und damit an der Regulierung des CRH-Ausstoß beteiligt. Eine Schädigung des Hippocampus verschlechtert daher die Steuerbarkeit der HPA-Achse. Der Hippocampus wirkt vornehmlich hemmend auf die HPA-Achse.
Der Hippocampus ist eine der empfindlichsten und formbarsten Regionen des Gehirns und sehr wichtig für Lern- und Gedächtnisprozesse. Innerhalb des Hippocampus werden Signale vom entorhinalen Cortex an den Gyrus dentatus durch die Verbindungen zwischen dem Gyrus dentatus und den pyramidalen Neuronen CA3 geroutet. Ein einzelnes Neuron adressiert im Durchschnitt 12 CA3-Neuronen, wobei jedes CA3-Neuron über Axon-Kollaterale im Schnitt 50 weitere CA3-Neuronen sowie 25 inhibitorische Zellen adressiert. Daraus ergibt sich eine 600-fache Verstärkung der Anregung sowie eine 300-fache Verstärkung der Inhibition. Die hohe Signalverstärkung macht den Hippocampus besonders anfällig.
Ein moderater Anstieg von Cortisol unterstützt die Gedächtnisbildung durch erhöhte Erregung des Hippocampus. Ein starker Cortisolanstieg (wie durch die stressbedingte Aktivität der HPA-Achse) stört diese Funktionen des Hippocampus.
Keimdrüsen-, Schilddrüsen- und Nebennierenhormone modulieren Veränderungen in der Synapsenbildung und in der dendritischen Struktur des Hippocampus, was das Volumen des Gyrus dentatus (Teil des Hippocampus) im Kindes- und Erwachsenenalter beeinflusst.
Langfristig erhöhte Cortisolspiegel schädigen den Hippocampus.
2.2.4.1. Frühe lange Stresserfahrungen bewirken verkleinerten Hippocampus bei Erwachsenen¶
Erwachsene, die als Kinder frühe intensive Stresserfahrungen erlitten haben, zeigen eine Verringerung des Hippocampusvolumens.
Auch bei Kindern mit frühen Stresserfahrungen ist der Hippocampus verkleinert.
Hippocampusvolumenverkleinerungen bei Kindern durch frühzeitigen Stress sind permanenter als Hippocampusvolumenverringerungen durch akuten Stress bei Erwachsenen.
Chronischer Stress durch Eintauchen in Wasser oder durch Immobilisierung bewirkt bei Ratten eine neuronale Degeneration des Hippocampus.
2.2.4.2. Zellschichtunregelmäßigkeiten¶
Chronische Cortisolgabe bewirkte bei Primaten Zellschichtunregelmäßigkeiten im Hippocampus.
2.2.4.3. Soma-Schrumpfung und -kondensation¶
Chronische Cortisolgabe bewirkte bei Primaten im Hippocampus eine Schrumpfung und Kondensation (Verdichtung) des Zytosoma (Zellkörper).
2.2.4.4. Kernpyknose¶
Cortisol bewirkt bei Primaten im Hippocampus Kernpyknose (Verdichtung des Chromatins im Zellkern und gleichzeitige Schrumpfung der Kernmembran).
2.2.4.5. Dauerstress verkleinert apikale Dendritenbäume im Hippocampus¶
Langanhaltender massiver Stress bewirkt eine Verkleinerung des apikalen (apikal: zum Cortex zeigenden) Dendritenbaums (Dendriten: Zellfortsätze von Nervenzellen) von Pyramidenzellen in den Regionen CA1 und CA3 des Hippocampus. Der apikale Dendritenbaum hat dadurch weniger Verzweigungen und eine geringere Gesamtlänge. Diese Wirkung wird durch Cortisol vermittelt.
Sind die Nervenzellen des Hippocampus aufgrund der verkleinerten Dendriten in ihrer Aktivität beeinträchtigt, verringert das die Fähigkeit des Hippocampus zur Stresskontrolle.
Dies kann in einen Teufelskreis führen, bei dem der immer schlechter kontrollierte Stress zu einer immer größeren und längeren Cortisolausschüttung führt, die den Hippocampus immer weiter beeinträchtigt und dessen Stresskontrolle immer weiter reduziert.
2.2.4.6. Dauerstress verändert Zelladhäsionsmoleküle im Hippocampus¶
Dauerstress verändert Zelladhäsionsmoleküle (Immunglobulin-Proteine), die bei der
- Entwicklung des Nervensystems,
- plastischer Veränderung des Gehirns,
- Kontaktvermittlung zwischen Präsynapse und Postsynapse mitwirken
und die außerdem
- Signalmoleküle sind.
Dauerstress verringert die Transkription des Zelladhäsionsmoleküls NCAM-140. Dies bewirkt eine Verkleinerung des Hippocampus.
2.2.4.7. Akuter wie chronischer Stress unterdrückt die Neurogenese von Zellen im Gyrus dentatus des Hippocampus¶
Glucocorticoide (Cortisol), exzitatorische Aminosäuren und N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptoren sind an der Beeinträchtigung der Neurogenese von Zellen im Gyrus dentatus (Teil des Hippocampus) sowie am neuronalen Tod durch Anfälle und Ischämie von Zellen im Gyrus dentatus beteiligt. Der menschliche Hippocampus erleidet bei einer Reihe von Störungen, zu denen die genannten gehören, eine selektive Atrophie, begleitet von Defiziten in der deklarativen, episodischen, räumlichen und kontextuellen Gedächtnisleistung. Aus therapeutischer Sicht ist es wichtig, zwischen einem permanenten Zellverlust und einer reversiblen Atrophie zu unterscheiden.
2.2.4.8. Cortisol verstärkt Glutamat-Wirkung an NMDA-Rezeptoren im Hippocampus¶
Cortisol verstärkt die Wirkung des erregenden Neurotransmitters Glutamat an NMDA-Rezeptoren. Dies verstärkt erstens den Calcium-Einstrom in Neuronen des Hippocampus und beeinflusst zweitens das Serotoninsystem des Hippocampus hin zu vermehrter Exzitation.
Dieser Mechanismus verbessert grundsätzlich das Lernen. Bei einer zu starken oder zu langen Cortisolbelastung wird der Hippocampus jedoch dadurch geschädigt.
2.2.4.9. Noradrenalin erhöht¶
Chronischer Stress durch Bewegungseinschränkung bewirkte im Hippocampus von Ratten:
-
Noradrenalin erhöht um 104 %
- Noradrenalintransporter (NET) verringert um 16 %
- DBH (Dopamine-β-Hydroxylase) erhöht um 30 %
- VMAT2 erhöht um 11 %
- BDNF erhöht um 11 %
Chronischer Immobilisationsstress Stress führte zuerst zu einem Anstieg und nachfolgend zu einem Verlust noradrenerger Zellen im Locus coeruleus:
-
Locus coeruleus: Veränderung noradrenerger Zellen
- am ersten Tag Anstieg um 33 % (akuter Stress)
- in der 2. Woche Anstieg um 8 % (ab jetzt chronischer Stress)
- in der 4. Woche Verlust um 6 %.
- in der 8. Woche Verlust um 24 %.
- in der 16. Woche Verlust um 30 %.
In der Folge erhöhte sich Noradrenalin im Striatum nach 4 Wochen um 80 % und nach 8 Wochen um 30 %.
2.2.5. Veränderungen im PFC¶
Cortisol schädigt auf Dauer den PFC. Da der PFC an der Hemmung der HPA-Achse (Stressachse) beteiligt ist, führt ein langanhaltend hoher Cortisolspiegel zu einer Beeinträchtigung der Hemmung der HPA-Achse. Auch dies ist ein Teufelskreis.
2.2.5.1. Dauerstress verkleinert apikale Dendritenbäume im PFC¶
Langanhaltender Stress bewirkt eine Verkleinerung von Neuronen und Dendriten im PFC, indem eine ausgeprägte und anhaltende ERK1 / 2-Hyperphosphorylierung in Dendriten der höheren PFC-Schichten (II und III) und eine Reduktion der Phospho-CREB-Expression in verschiedenen kortikalen und subkortikalen Regionen ausgelöst wird.
2.2.5.2. Cortisol reorganisiert Dendritenbäume in PFC und Hippocampus¶
Die Veränderungen der Dendritenbäume im PFC durch lang anhaltende hohe Cortisolspiegel ähneln den Veränderungen im Hippocampus.
2.2.6. Veränderungen im BDNF-System durch chronischen Stress¶
Wiederholter Sozialstress führt bei Mäusen zu einer lebenslangen Sozialphobie aufgrund von:
- überhöhtem BDNF-Spiegel im Pfad VTA / Nucleus accumbens
- verringertem BDNF-Spiegel im Hippocampus
Bei Ratten bewirkte episodischer psychosozialer Stress (4 mal in 10 Tagen) eine Erhöhung von BDNF im VTA, während chronischer 5-wöchiger psychosozialer Stress eine abgeflachte BDNF-Antwort verursachte.
2.2.7. Veränderungen im serotonergen System durch chronischen Stress¶
Wiederholter chronischer Stress führt bei Mäusen zu Veränderungen der Serotoninausschüttung in den dorsalen Raphekernen bei akutem Stress. Die dadurch bewirkten Verhaltens- und Funktionsanpassungen an chronischen Stress werden anscheinend durch regulatorische Änderungen von microRNA vermittelt.
2.2.8. Veränderungen im cortisolergen System durch chronischen Stress¶
Neben Veränderungen des dopaminergen und noradrenergen Systems zeigt lang anhaltender chronischer Stress auf Veränderungen im cortisolergen System. Chronischer Stress geht regelmäßig mit einem verringerten basalen Cortisolspiegel einher (leichter tonischer Hypocortisolismus). Die schematischen Abläufe, wie es zum Zusammenbruch des cortisolergen Systems kommt, finden sich unter ⇒ Zusammenbruch des Cortisolystems über die Stressphasen im Beitrag ⇒ Die Stresssysteme des Menschen – Grundlagen von Stress im Kapitel ⇒ Stress.
Bei ADHS ist der basale Cortisolspiegel ebenso verringert. Dies betrifft alle ADHS-Subtypen.
2.2.9. Veränderungen im Alloprenalon-System durch chronischen Stress¶
Akuter Stress erhöht Allopregnanolon, das wiederum die HPA-Achse hemmt (wie auch Cortisol). Chronischer Stress, wie er zur Entwicklung neuropsychiatrischer Störungen wie Depressionen und Angstzuständen beiträgt, führt dagegen zu einem Rückgang des Allopregnanolonspiegels, was die Fähigkeit zur Herabregulierung der HPA-Achse nach deren akuter Aktivierung beeinträchtigt.
Die Wirkung entspricht hier derjenigen bei Cortisol.
2.2.10. Veränderungen des circadianen Systems durch chronischen Stress¶
Wiederholter Stress führt zu Veränderungen des circadianen Rhythmus. Nur gelegentlicher Stress hat nur geringe Auswirkungen auf das Taktsystem. Stresssignale, die häufiger auftreten, desynchronisieren die verschiedenen Zell- und Gewebeuhren im Körper.
Wird der circadiane Rhythmus (hier: des Cortisoltagesspiegels) künstlich nivelliert, führt dies zu einer abgeschwächten Abschaltung der HPA-Achse (dort mindestens von ACTH).
Nach unserem Verständnis sind der ADHS-HI- und ADHS-C häufig durch Abschaltprobleme der HPA-Achse geprägt.
Cortisol ist zudem in der Lage, periphere Oszillatoren in weiteren Körpergeweben zurückzusetzen:
Es besteht offenbar eine wichtige Beziehung zwischen gestörten circadianen Rhythmen und allostatischer Belastung. Die circadiane Hauptuhr im SCN des Hypothalamus steuert alle circadianen Rhythmen in der Physiologie und im Verhalten. Daneben dienen “periphere” circadiane Uhren im ganzen Körper zur Einstellung der lokalen Zeit. Diese peripheren Uhren werden durch eine Vielzahl von Signalen (unter anderem Glucocorticoide) mit dem SCN synchronisiert. Glucocorticoide sind in der Lage, einige (nicht jedoch alle) periphere Uhren im Gehirn und im Körper (z. B. in der Leber) “zurückzustellen”.
Die Rhythmen der Glucocorticoide modulieren im Gehirn die Expression von Clock-Proteinen im ovalen Nucleus des Bed nucleus der Stria terminalis sowie in der zentralen Amygdala. Die basolateralen Kerne der Amygdala und der Gyrus dentatus des Hippocampus exprimieren dagegen zur zentralen Amygdala entgegengesetzte Tagesrhythmen von PERIOD2 (einer zentralen Clock-Komponente). Eine Adrenalektomie (Entfernung der Nebenniere, in deren Rinde u.a. Cortisol synthetisiert wird) beeinflusst den Rhythmus der zentralen Amygdala.
Gestörte oder fehlende circadiane Muster können zu einer ungesunden Regulation der HPA-Achse führen und somit zur allostatischen Belastung beitragen. Somit könnten sowohl eine Störung der HPA-Achse als auch eine Störung der zirkadianen Rhythmen interagierende Effekte haben und zu Verschiebungen der Resilienz und Vulnerabilität beitragen.
Eingehend zu Stress und Störungen des circadianen Systems: Wolf, Calabrese (2020).
2.2.11. Veränderungen der Energiespeicherung in Fett durch chronischen Stress¶
-
Chronischer Stress bewirkt
- Einlagerung von Energie in viszerale Fettdepots durch Kombination von Hypercortisolismus und Hyperinsulinämie
- Unterdrückung der Gonaden- / Wachstumshormon-/Schilddrüsenachse.
- Folgen:
- zentrale Adipositas
- Hypertonie
- Dyslipidämie
- endotheliale Dysfunktion
2.3. Wirkmechanismen von akutem Stress¶
Akuter Stress bewirkt:
- Glucocorticoidausschüttung erhöht
-
Katecholaminausschüttung erhöht
- Dopaminausschüttung im Gehirn erhöht
- was vermutlich auch über das Stresshormon CRH vermittelt wird
- Verringerung der dopaminergen Aktivität im dorsalen ventralen Tegmentum bei Erwachsenen durch Stress
- Erhöhung der dopaminergen Aktivität im ventralen Teil des ventralen Tegmentums bei Erwachsenen
- Erhöhung des tonischen und phasischen Dopamins im Nucleus accumbens bei neuartigem unausweichlichem/unkontrollierbarem Stress. Bei chronischem Stress Abfall des tonischen Dopamins unter den Ausgangswert, bis der Stressor endet. Dies entspricht der primären und sekundären Beurteilung eines nicht beseitigbaren Stressors durch das Individuum.
- Diese Veränderungen des toniaschen Dopamins im Nucleus accumbens wird durch den mPFC kontrolliert.
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Akuter und wiederholter Stress aktiviert das gesamte Dopaminsystem, das insbesondere das assoziative (dorsale) Striatum adressiert, das für die Objektschärfe wichtig ist, während bei chronisch stressinduzierter Depression das Abstumpfen der Dopaminreaktion hauptsächlich in den Nervenzellen auftritt, die in das ventromediale Striatum projizieren, wo belohnungsbezogene Variablen verarbeitet werden
- Während elektrophysiologische Studien zu dem Ergebnis kamen, dass aversive Stimuli die Aktivität der meisten dopaminergen VTA-Neuronen hemmen und nur in einer kleinen Untermenge dopaminerger VTA-Neuronen die dopaminerge Aktivität erhöhen, zeigten Mikrodialysestudien, dass verschiedene Stressoren einen robusten dopaminergen Anstieg von extrazellulärem Dopamin und seine Metaboliten im Nucleus accumbens und mPFC bewirken, in die das ventrale Tegmentum projiziert. Bei akutem (erstmaligem) Stress beginnt im Nucleus accumbens der Anstieg sofort, erreicht nach 30 bis 40 Minuten sein Maximum und kehrt nach 70 bis 80 Minuten zum Ausgangswert zurück. Bei wiederholtem oder chronischem Stress verringert sich der Anstieg im Nucleus accumbens bis auf Null und weiter hin zu einer Dopaminverringerung mit einem Maximum binnen 80 bis 120 Minuten. Im mPFC zeigte sich auf akuten Stress ein Dopaminanstieg während des Stresses und ein nochmaliger Anstieg ach Ende des Stressors. Frühkindlicher Stress (Unterernährung in der Schwangerschaft) korrelierte mit keinem Dopaminanstieg und einem Dopaminverringerung nach Ende des Stresses.
- Möglicherweise gibt es (mindestens) zwei Subgruppen an Dopamin-Neuronen im VTA: eine Gruppe, die Belohnungs-Vorhersage-Fehler kodiert und durch aversive Stimulation unterdrückt wird, und eine zweite Gruppe mit atypischem Ih und hohem Basislinien-Burst-Firing, die phasisch durch aversive Stimuli stimuliert wird.
- schon eine einmalige Stresserfahrung erhöht nicht nur einmalig die Dopaminausschüttung im ventralen Tegmentum (VTA), sondern erhöht zusätzlich die Bereitschaft der dopaminergen Zellen im VTA, bei künftigen Stresserfahrungen Dopamin auszuschütten. Somit kann akuter Stress die Reaktionsfähigkeit der VTA-Dopamin-Neuronen auf zukünftige Stressoren oder Belohnungen verändern. Dieser Erhöhung der dopaminergen Reaktionsbereitschaft gegenüber folgenden Stresserfahrungen tritt nicht ein, wenn zuvor die Glucocorticoidrezeptoren blockiert werden. Die Erhöhung der dopaminergen Reaktionsbereitschaft auf Kokain trat nicht ein, wenn dabei der Dopamin-D1-Rezeptor blockiert war.
- Dopaminausschüttung im Körper erhöht
- beachte: Dopamin kann die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden. Das periphere Dopaminsystem ist daher vom zentralen Dopaminsystem vollständig entkoppelt.
- sympathisches Nervensystem aktiviert
- Hemmung der Hypothalamus-Hypophysen-Achse und damit der Fortpflanzung
- Insulinresistenz in der Leber
- Insulinresistenz in der Skelettmuskulatur
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Mikroglia-Aktivierung:
Ein einzelner 8-stündiger Immobilitätsstress veränderte die Morphologie von Mikrogliazellen hin zu intensiveren und größeren Zellkörpern in Substantia nigra und Locus coeruleus. Diese Reaktion der Mikroglia blieb auch bei 16 Wochen andauerndem chronischem Stress bestehen. Die Entzündungswerte konnten anhand einer erhöhten iNOS-Proteinexpression nachgewiesen werden.
Intermittierender akuter Schwanzschockstress erhöhte das extrazelluläre Dopamin bei Ratten im Vergleich zum Ausgangswert im Striatum um 25 %, im Nucleus accumbens um 39 % und im medialen frontalen Cortex um 95 %. Eine Überstimulation des Dopamin-D1-Rezeptors im PFC beeinträchtigt das Arbeitsgedächtnis. Der PFC benötigt für eine optimale Funktion ausgewogene Dopaminspiegel.
50 oder 100 unkontrollierbare Schwanzstromschocks bewirkten bei Ratten:
- eine Verringerung der körperlichen Aktivität im Mausrad um 50 % bzw. 75 % innerhalb der folgenden 9 Wochen
- eine Verringerung des durch körperliche Aktivität verursachten Anstieg des Dopamin-Umsatzes im PFC und Hippocampus und einen erhöhten Serotonin-Umsatz im Hypothalamus und übrigen Kortex
- einen leichten Dopamin-Mangel im Striatum, was die verminderte Motivation für körperliche Aktivität erklären könnte
- erhöhte HSP70-Proteinkonzentrationen im Gastrocnemius-Muskel, was auf anhaltenden oxidativen Stress hinweisen könnte.
- verringerte SOD2-Proteinkonzentrationen im Gastrocnemius-Muskel, was auf anhaltenden oxidativen Stress hinweisen könnte.
2.4. Unterschiedliche Folgen von akutem und chronischem Stress¶
2.4.1. Folgen von akutem Stress¶
Akuter Stress kann auslösen:
- allergische Erscheinungen, wie
- angiokinetische Phänomene, wie
- hypertensive oder hypotensive Anfälle
- Schmerzen, wie
- Kopfschmerzen
- Bauchschmerzen
- Beckenschmerzen
- Kreuzschmerzen
- gastrointestinale Symptome wie
- Schmerzen
- Verdauungsstörungen
- Durchfall
- Verstopfung
- Panikattacken
- psychotische Episoden
2.4.2. Folgen von chronischem Stress¶
Chronischer Stress kann auslösen:
- körperliche Manifestationen
- kardiovaskuläre Herz-Kreislauf-Phänomene, wie
- atherosklerotische kardiovaskuläre Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- neurovaskuläre degenerative Erkrankungen
-
Osteopenie / Osteoporose
- Stoffwechselstörungen, wie
- Adipositas
- metabolisches Syndrom
- Typ-2-Diabetes mellitus
- verhaltensbezogene und oder neuropsychiatrische Manifestationen
- Angst
- Depression,
- exekutive und/oder kognitive Dysfunktion
- Schlafstörungen wie
- Schlaflosigkeit
- übermäßige Tagesmüdigkeit