Genetische Kandidaten bei ADHS
Die Beiträge in diesem Abschnitt ordnen mehr als 300 ADHS-Genkandidaten nach ihrem möglichen Wirkweg auf ADHS. Dieser Beitrag ist nach den bekanntesten und deutlichsten Wirkmechanismen geordnet, beginnend mit Dopamin, Noradrenalin und anderen Neurotransmittern. Die Genkandidaten wurden in diesem Ordnungssystem jeweils unter demjenigen ihrer (und bekannten) Wirkmechanismen eingeordnet, das am engsten mit ADHS verbunden ist.
Das Maß, die Intensität des Einflusses der verschiedener Mechanismen einzelner Gene auf ADHS ist jedoch oft nicht bekannt, was die Belastbarkeit der Einordnung deutlich limitiert. So haben wir etwa Gene, die einen Zusammenhang mit Dopamin aufweisen, dort eingeordnet, solange nicht positiv erkennbar war, dass ein anderer Pfad des Gens einen größeren Einfluss in Bezug auf ADHS hat. Beispielsweise genügte uns ein dopaminerger Wirkweg zur Einordnung unter Dopamin, auch wenn weitere Wirkwege bekannt sind, die ebenfalls mit ADHS-Entstehung korrelieren. Dies ist naturgemäß sehr verkürzend. Wir hoffen, dass wir nach und nach weiter Informationen einpflegen können, die die Einordnung der Gene verbessern.
Bislang dient die Übersicht vornehmlich zur Orientierung, welche Wirkmechanismen von etlichen ADHS-Kandidatengenen bedient werden, was ein gewisses Indiz für einen Zusammenhang des Wirkwegs mit der Entstehung von ADHS setzt.
Wir kennen indes keine andere Veröffentlichung, die derart umfassend versucht, die ADHS-Genkandidaten nach Wirkmechanismen auf ADHS zu ordnen: Wir hoffen daher, dass diese Darstellung trotz ihrer Limitierungen einen interessanten Eindruck der wahrscheinlichen und möglichen Wirkwege der Entstehung von ADHS geben könnte.
Genkandidaten, bei denen sich uns bislang nicht erschlossen hat, wie diese auf die Entstehung von ADHS einwirken können, sammeln wir im nachfolgenden Beitrag.
Eine Untersuchung fand 560 Gene und 6 miRNA, die bei ADHS eine von Nichtbetroffenen abweichende Expression aufwiesen.1 Veränderungen der Genexpression bewirken eine abweichende Aktivität des Gens und damit der von diesem vermittelten Wirkungen (z.B. Aktivität eines Rezeptors, Transporters, Proteins). Andere Untersuchungen fanden viele weitere in Betracht kommende Gene, sodass derzeit von einer vierstelligen Anzahl an Kandidatengenen auszugehen ist.
Eine interessante Studie an 1033 ADHS-Betroffenen gegen 950 Nichtbetroffene kam zu einem Ergebnis, das diagnostisch relevante Werte von Genauigkeit (0,9018), AUC (0,9570), Sensitivität (0,8980) und Spezifität (0,9055) erreichte, indem der kombinierte Effekt von mehreren Varianten mit unbedeutenden P-Werten berücksichtigt und mittels DeepLearning (“KI”) analysiert wurde. Die Studie fand 96 Kandidatengene, von denen bislang lediglich 14 Gene in früheren Studien im Zusammenhang mit ADHS berichtet worden waren.2
Die chinesische ADHDgene Datenbank listet für ADHS relevante Gene auf.3 Sie scheint jedoch seit 2014 nicht mehr aktualisiert worden zu sein.
Manche der nachfolgend aufgeführten Gene bewirken bei einem Gendefekt seltene (orphane) Krankheiten. Das SYNE1-Gen beispielsweise (eines der 560 Gene aus der Studie von Nuzziello et al) löst bei 20 von 100.000 Menschen die SYNE1-Ataxie aus, hat also eine Prävalenz von 0,02 %.4 Folgendes Gedankenspiel mag einen Eindruck vom Beitrag einzelner Gene zu ADHS vermitteln: Würden alle der 560 Gene, die als Kandidatengene für ADHS genannt wurden, eine derart seltene orphane Störung auslösen (die jeweils mit ADHS-Symptomen verbunden wäre), und träte jede Genveränderung nur allein auf, ergäbe sich in der Summe dieser 560 Gene bereits eine Prävalenz von 11,2 %, was der Prävalenz von ADHS entspräche oder sie überträfe.
Gendatenbanken:
Genetische Kandidaten bei ADHS meint mögliche Gene, die an der Entstehung von ADHS beteiligt sein können.
Wir haben dabei begonnen, die Gene danach zu unterteilen, ob diese bereits bekannten neurophysiologischen Mechanismen für ADHS beeinflussen. Dies ist eine Mammutaufgabe, die möglicherweise noch Jahre benötigen wird.
Kopienzahlvarianten sowie miRNA und RNA, die die Expression von Genen beeinflussen, stellen wir getrennt dar.
- Gene als genetische Kandidaten bei ADHS mit plausiblem Wirkweg auf ADHS
- Genkandidaten ohne plausiblen Wirkweg in Bezug auf ADHS
- Monogenetische ADHS-Ursachen
- Kopienzahlvariationen als Genkandidaten bei ADHS
- miRNA und RNA als genetische Kandidaten bei ADHS
- Merkmale, deren Gene ADHS-Risiko erhöhen
Nuzziello, Craig, Simone, Consiglio, Licciulli, Margari, Grillo, Liuni, Liguori (2019): Integrated Analysis of microRNA and mRNA Expression Profiles: An Attempt to Disentangle the Complex Interaction Network in Attention Deficit Hyperactivity Disorder. Brain Sci. 2019 Oct 22;9(10). pii: E288. doi: 10.3390/brainsci9100288. ↥
Liu, Feng, Li, Cheng, Qian, Wang (2021): Deep learning model reveals potential risk genes for ADHD, especially Ephrin receptor gene EPHA5. Brief Bioinform. 2021 Jun 9:bbab207. doi: 10.1093/bib/bbab207. PMID: 34109382. n = 1.983 ↥
Zhang, Chang, Li, Zhang, Du, Ott, Wang (2011): ADHDgene: a genetic database for attention deficit hyperactivity disorder. Nucleic Acids Res. 2012 Jan;40(Database issue):D1003-9. doi: 10.1093/nar/gkr992. PMID: 22080511; PMCID: PMC3245028. ↥