Medizinisches Cannabis bei ADHS
Es gibt erste Studien über eine therapeutische Wirkung cannabinoiderger Medikamente im Sinne einer spezifischen positiven Wirkung auf ADHS-Symptome.
In Bezug auf kognitive Leistungsfähigkeit und das Aktivitätsniveau wurde eine leichte, aber nicht signifikante Verbesserung durch Sativex festgestellt. Hyperaktivität/Impulsivität (p=0,03) und kognitive Inhibition (p=0,05) waren signifikant, Unaufmerksamkeit (p=0,10) und emotionale Labilität (p=0,11) tendenziell verbessert, wobei nach statistischer Anpassung für Mehrfachprüfungen die Signifikanz entfiel. In der aktiven Gruppe traten eine schwerwiegende (Muskelanfälle/Krampfanfälle) und drei leichte Nebenwirkungen auf, in der Placebogruppe eine schwerwiegende Nebenwirkung (Herz-Kreislauf-Probleme).
Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass Cannabismedikamentierung für manche Erwachsene mit ADHS ohne kognitive Beeinträchtigungen eine Verringerung der ADHS-Symptome bewirken kann.1 Eine umfassende Metastudie fand keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Wirksamkeit bei ADHS,2 eine weitere fand, dass Studien die Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabis bei ADHS belegen.3
Eine britische Studie fand Symptomverbesserungen durch medizinisches Cannabis bei ADHS über 12 Monate.4
Eine Untersuchung fand eine Korrelation zwischen hohen Cannabinol-Dosen (CBN) und verringerten selbstberichteten ADHS-Symptomen sowie eine Korrelation zwischen hoher Dosierung von medizinischem Cannabis und einer Verringerung oder vollständigen Substitution anderer ADHS-Medikamente.5
Eine umfangreiche Darstellung von THC-Medikamenten bei ADHS findet sich bei ADHSpedia.6
- 1. Cannabinoidrezeptoren
- 2. Cannabis-Medikamente bei ADHS
- 3. Wirkweg von THC auf Dopamin
- 4. Hemmung der Reizüberflutung
- 5. CBD-haltiges Cannabisextrakt bei ASS, Angst und ADHS
- 6. Cannabisbehandlung von Tic-Störungen
- 7. Dosierungs- und Anwendungshinweise für medizinisches Cannabis
1. Cannabinoidrezeptoren
Es gibt zwei Cannabinoid-Rezeptoren.7
1.1. CB1-Rezeptor
Die psychoaktiven Wirkungen von Cannabis im Gehirn werden durch Bindung seines Hauptbestandteils ∆9-Tetrahydrocannabinol (THC) an CB1-Rezeptoren vermittelt.8 Selektive CB1-Antagonisten lösen bei cannabinoidabhängigen Tieren ein Entzugssyndrom aus.8910
Der CB1-Rezeptor (Cannabinoid-1-Rezeptor) ist in vielen Organen vorhanden, zuweilen in niedriger Konzentration.
Er ist einer der häufigsten Rezeptoren des Gehirns. CB1 findet sich in:8
- Kortex
- Hippocampus
- Amygdala
- den Basalganglienausflussbahnen
- Cerebellum
Der CB1-Rezeptor ist beteiligt an der Regulierung von:
- Koordination von Bewegungen11
- räumliche Orientierung11
- Sinneswahrnehmung (Geschmack, Geruch, Tastsinn, Gehör)
- geistige Leistungsfähigkeit
- Motivation11
- Schmerz
- Diclofenac hemmt Schmerzen über CB1-Rezeptoren, GPR55-Rezeptoren und Mu-Opioid-Rezeptoren von mPFC und ventrolateralem periaquäduktalen Grau im Hirnstamm12
- Hemmung einer überhöhten Signalweitergabe durch Neurotransmitter.
Aktivierte CB1-Rezeptoren:
- hemmen GABA-Neuronen, was zu einer geringeren Hemmung von Dopamin-Neuronen führt. Dadurch erhöhen Cannabinoide indirekt den Dopaminspiegel
- hemmen eine Überaktivität der Schmerzregelung und wirken so schmerzlindernd
- THC als CB1-Agonist wirkt Dopamin erhöhend im Nucleus accumbens. Adenosin A2A-Rezeptor-Antagonisten (z.B. Koffein) wirken dem entgegen.13
Da der CB1-Rezeptor im Hirnstamm, der Atmung und Herzkreislaufsystem reguliert, nicht vorhanden ist, soll eine Überdosis an THC nicht zu hiermit in Verbindung stehenden Todesfällen führen können.
THC verursacht eine Überstimulation der CB1-Rezeptoren, was diese beeinträchtigt, ihren physiologischen Aufgaben nachzukommen, wie der Regulierung der Nahrungsaufnahme, des Stoffwechsels, der kognitiven Prozesse und des Vergnügens. Dies führt zu einer Verringerung von Gedächtnisleistung und Motivation sowie langfristig zur Abhängigkeit. In der Folge wird schwerer Langzeit-Cannabiskonsum mit einem erhöhten Risiko für psychische Störungen assoziiert, darunter Psychosen, Sucht, Depressionen, Suizidalität und Beeinträchtigung von Kognition und Motivation.8
1.2. CB2-Rezeptor
Der CB2-Rezeptor (Cannabinoid-1-Rezeptor) ist vornehmlich mit dem Immunsystem verbunden.
2. Cannabis-Medikamente bei ADHS
In Deutschland sind mit Sativex, Cannabis Flos, Canemes, Dronabinol mehrere Cannaboid-Medikamente zugelassen, jedoch nicht für ADHS. Für einen off-label-Use bei ADHS musste früher eine Ausnahmegenehmigung beim BfArM beantragt werden. Seit 2017 ist eine ärztliche Verschreibung von Sativex wie von Cannabis Flos bei ADHS im Rahmen des BtmG ohne zusätzliche Ausnahmegenehmigung zulässig. 14
Bis 2017 hatten rund 150 ADHS-Betroffene eine Ausnahmegenehmigung erhalten (von insgesamt 1061 erteilten).15 Auch in anderen Ländern ist die Cannabisverschreibung bei ADHS stark gestiegen.16
Wir kennen inzwischen eine zweistellige Anzahl von Berichten Betroffener sowie mehrere Betroffene persönlich, bei denen medizinisches Cannabis die ADHS-Symptome deutlich verringert hat, nachdem MPH und Amphetaminmedikamente nicht ausreichend angeschlagen hatten.
Bei einem Fall eines offenbar massiv von THC Abhängigen, der kontrolliert THC konsumieren darf, ist offen, ob dies auf demselben Effekt gründete, oder ob sich die Wirkung dadurch erklärt, dass das THC lediglich die Entzugssymptome einer bestehenden THC-Sucht beseitigt hat. Dieses Muster ist auch bei Alkoholabhängigen bekannt, die mit ihrer Grunddosis “besser” funktionieren, weil die Entzugssymptome kaschiert werden.
Zusammenfassend:
Cannabinoide Medikamente dürfen in Deutschland bei ADHS als BtM-Rezept (wie Stimulanzien) verschrieben werden, wenn andere Medikamente wirkungslos sind. Krankenkassen erstatten die Kosten in der Regel auf Antrag.
3. Wirkweg von THC auf Dopamin
THC erhöht den Dopaminspiegel im Gehirn indirekt.
Die THC-Cannabinoide wirken dabei nicht direkt auf Dopamin-Neuronen, sondern auf das Endocannabinoid-System. Cannabinoidrezeptoren finden sich in vielen Hirnarealen, die Dopaminneuronen haben. Dopaminneuronen selbst haben keine Cannabinoidrezeptoren. Dopaminneuronen werden jedoch durch GABA-Neuronen, die wiederum Cannabinoidrezeptoren haben, inhibiert.
THC aktiviert CB1-Rezeptoren auf GABA-Neuronen, die die GABA-Neuronen inaktivieren. Damit sind die GABA-Neuronen, die die Dopaminneuronen hemmen, deaktiviert. Die Dopaminneuronen sind dadurch weniger inhibiert und somit aktiver.171819
THC als CB1-Agonist wirkt Dopamin erhöhend im Nucleus accumbens. Adenosin A2A-Rezeptor-Antagonisten (z.B. Koffein) wirken dem entgegen.13
Zum Unterschied zwischen Medikamenten und Drogen siehe ⇒ Medikamente und Drogen – der Unterschied.
4. Hemmung der Reizüberflutung
Endocannabinoide (körpereigene Cannabinoide) wirken ebenfalls auf die CB1-Rezeptoren und bewirken dadurch unter anderem einen Schutz vor Reizüberflutung.20
5. CBD-haltiges Cannabisextrakt bei ASS, Angst und ADHS
Eine Untersuchung behandelte eine kleine Gruppe von ASS-Betroffenen mit einem CBD-angereicherten Cannabis-Extrakt. Der CBD zu THC-Gehalt betrug 75 zu 1. Bei fast allen Betroffenen fanden sich nach 6 bis 9 Monaten Verbesserungen, wobei häufig die ADHS-Symptomatik verbessert wurde. Die Verbesserungen waren bei den nicht-epileptischen Betroffenen am ausgeprägtesten.21
Ein Review berichtet von positiven Effekten von Cannabidiol bei ADHS.22
Eine Einmalgabe zeigte bei Mäusen keine Veränderung von ADHS- oder Aufmerksamkeits-Symptomen, wohl aber eine Verringerung von Angstsymptomen.23
Mehrere Betroffene berichteten uns davon, dass CBD-Öl (ohne THC) keine Verbesserung ihrer ADHS-Symptome bewirkt habe.
Eine deutliche Verbesserung wurde jedoch bei Angststörungen berichtet. Mehrere Betroffene berichteten, dass sie durch CBD-Öl die bisherige Dosierung ihrer Angstmedikamente deutlich verringern konnten.
6. Cannabisbehandlung von Tic-Störungen
Eine kleine Untersuchung befasste sich mit der Behandlung von Tic-Störungen mit Cannabis. Bei 85 % der Betroffenen fand sich eine Verbesserung der Tics um 60 %, bei 55 % eine Verbesserung von Komorbiditäten (am häufigsten OCB / OCD, ADHS und Schlafstörungen) und bei 93 % eine Verbesserung der Lebensqualität. Die Wirkungen wurden als langfristig eingeschätzt. Die Hälfte der Betroffenen berichtete von Nebenwirkungen, wobei deren Schwere als tolerabel beurteilt wurden. THC-reiche Sorten schienen besser zu wirken.24
Tic-Störungen teilen mit ADHS eine genetische Grundlage.
7. Dosierungs- und Anwendungshinweise für medizinisches Cannabis
Hinweise zur Eindosierung von medizinischem Cannabis (Cannabis Flos) mittels Vaporisator findet sich hier.25
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