ADHS im Tiermodell
Nagetiere sind als Tiermodelle sehr beliebt, weil sie in ihren Anlagen dem Menschen sehr ähneln, leicht zu halten sind und Entwicklungszyklen und Stoffwechsel sehr viel schneller sind. Ein Tag im Leben einer Ratte entspricht ca. 27 Tagen eines Menschen.1 Aufgrund des beschleunigten Stoffwechsel ist die benötigte Dosis von Stimulanzien allerdings auch erhöht, sodass Ratten knapp doppelt so hohe Dosen MPH benötigen wie Menschen, was bei der Beurteilung von Medikamentenstudien zu beachten ist.
Es gibt verschiedene Rattenzüchtungen, die als Tiermodelle ADHS-HI, ADHS-I und Nichtbetroffene repräsentieren. An ihnen wird untersucht, welche neurophysiologischen Veränderungen mit welchen Symptomen einhergehen. Es gibt zwei Gruppen von Modelltieren: solche, die auf bestimmte Symptome hin gezüchtet oder ausgewählt wurden und solche, bei denen eine singuläre Veränderung hervorgerufen wurde (meist ein einzelnes Gen deaktiviert (z.B. DAT-KO) oder ein einzelner Neurotransmitter (z.B. Dopamin) eliminiert).
In der ersten Gruppe repräsentiert die Spontaneous(ly) Hypertensive Rat (SHR) eine Form von ADHS-HI (mit Hyperaktivität), während Wistar-Kyoto-Ratten (WKY) üblicherweise Nichtbetroffene abbilden. Daneben gibt es mit der SHR/NCrl einen SHR-Stamm, der Symptome von ADHS-C zeigt und mit der WKY/NCrl einen Stamm, der Symptome von ADHS-I (Aufmerksamkeitsdefizit ohne Hyperaktivität) zeigt.2345 Sofern Untersuchungen dies nicht differenzieren, ist regelmäßig davon auszugehen, dass mit Wistar-Kyoto-Ratten (WKY) das Nichtbetroffenen-Modell gemeint ist.
Dass diese Tiermodelle ihre Symptome allein aufgrund der genetischen Ausstattung und ohne Einfluss von frühkindlichem Stress ausprägen,6 zeigt, dass auch bestimmte Genvarianten allein einen eigenen Pfad zur Entstehung von psychischen Störungen wie z.B. ADHS repräsentieren können und dass die beiden Entstehungspfade Gene allein und Gene + Umwelt nebeneinander bestehen.
Interessanterweise haben die SHR bereits allein aufgrund ihrer genetischen Veranlagung eine gestörte HPA-Achse (Stress-Achse).
Bei Nagetieren ist das vorherrschende Glucocorticoid das Corticosteron, anstelle des beim Menschen vorherrschenden Cortisols. Ansonsten sind sich die Stresssysteme von Nagetieren und Hominiden erstaunlich ähnlich, trotz der rund 90 Millionen Jahre, vor denen sich ihr evolutionärer Stammbaum trennte.
Auch bei Hunden wird ADHS erörtert.7 Eine ADHS-Rating-Skala für Hunde zeigte belastbare Ergebnisse.8
Die verschiedenen Tiermodelle zeigen plastisch, dass Symptome wie Hyperaktivität, Impulsivität oder Aufmerksamkeitsprobleme jeweils von ganz verschiedenen Ursachen ausgelöst werden können. Von den Ursachen (z.B. einem bestimmten Gendefekt) ist die Vermittlung von Symptomen zu unterscheiden. So können sehr verschiedene Ursachen (z.B. Gendefekte) ein Dopamindefizit oder andere einen Dopaminüberschuss bewirken, die beide wiederum aufgrund der Abweichung vom optimalen Dopaminspiegel nahezu identische Symptome vermitteln (Inverted-U).9 Um dies zu verdeutlichen, haben wir die Tiermodelle, soweit uns bekannt, in solche mit einem Dopaminmangel und einem Dopaminüberschuss eingeteilt. Dopamin ist bei ADHS zwar der wichtigste Faktor, dennoch tragen die übrigen Einflüsse ebenfalls bei.
Ob extrazellulär ein hypo- oder hyperdopaminerger Zustand herrscht, ist nach unserem Verständnis wenig relevant - beides geht mit ADHS-Symptomen einher. Extrazelluläre Dopaminspiegel sind bei überaktiven DAT zu niedrig, und das phasisch ausgeschüttete Dopamin wird durch überaktive DAT bereits wiederaufgenommen, bevor es sein Signal an die Rezeptoren übertragen kann. Bei unteraktiven DAT sind extrazelluläre Dopaminspiegel zu hoch, sodass es als Rauschen die Signalübertragung stört. Vor allem aber fehlt es an wiederaufgenommenem Dopamin, um die Vesikel für die phasisches Dopaminausschüttung wieder aufzufüllen.
Extrazellulär hyperdopaminerge wie hypodopaminerge Zustände beeinträchtigen die Signalübertragung durch phasisches Dopamin.
Die meistgenutzten Kriterien für die Modellvalidität umfassen die Augenscheinvalidität, die Konstruktvalidität und die Voraussagevalidität.
Augenscheinvalidität: Zuverlässigkeit, mit der das Modell bestimmte Zustandsmerkmale (z.B. die Verhaltenssymptome eines psychiatrischen Störungsbilds) reproduziert.
Konstruktvalidität: Zuverlässigkeit, mit der das Modell das misst, was es messen soll (Ätiologie und Pathogenese einer Störung)
Voraussagevalidität (prädiktive Validität): Zuverlässigkeit, mit der das Modell die Beziehung zwischen einem auslösenden Faktor und einer beobachtbaren Auswirkung der Krankheit einerseits und der beobachtbaren Auswirkungen eines therapeutischen Mittels auf die Krankheit andererseits vorhersagt.
Interessanterweise zeigen Mausmodelle, bei denen die Dopaminrezeptoren deaktiviert wurden, kaum ADHS-Symptome, was die Bedeutung der DAT und ihres Einflusses auf das extrazelluläre und das phasische Dopamin weiter unterstreicht.
Wir haben die Tiermodelle nach extrazelulärem Dopaminspiegel unterteilt:
1. ADHS-Tiermodelle mit verringertem extrazellulärem Dopamin
2. ADHS-Tiermodelle mit erhöhtem extrazellulärem Dopamin
3. ADHS-Tiermodelle mit (uns) unbekannter Dopaminveränderung
4. Tiermodelle, die ADHS unzureichend repräsentieren
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