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Rejection Sensitivity: Kränkbarkeit, Angst vor Zurückweisung als spezifisches ADHS-Symptom

Inhaltsverzeichnis

Rejection Sensitivity: Kränkbarkeit, Angst vor Zurückweisung als spezifisches ADHS-Symptom

Rejection Sensitivity (Rejection Sensitive Dysphoria) (RS) ist eine erhöhte Kränkbarkeit und Bereitschaft, Ablehnung zu erwarten und zu akzeptieren sowie auf tatsächliche oder empfundene Zurückweisung intensiv zu reagieren. Charakteristisch für Rejection Sensitivity ist nicht die tatsächliche Ablehnung durch andere, sondern vielmehr die Anfälligkeit für gefühlte Ablehnung und Ausgrenzung sowie eine erhöhte Kritikempfindlichkeit
Rejection Sensitivity ist als eigenständige Störung bekannt und kann als primäres Symptom bei verschiedenen Störungen auftreten, darunter Borderline-Persönlichkeitsstörung, Narzissmus, bipolare Störung, soziale Phobie, Depression und Angststörungen. In der Standardliteratur über ADHS im deutschsprachigen Raum wird Rejection Sensitivity bislang nicht als ADHS-Symptom behandelt, obwohl eine Empfindlichkeit gegenüber Ablehnung häufig als Merkmal von ADHS-Betroffenen beschrieben wird. Mehrere Studien haben jedoch einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Schweregrad der ADHS-Symptome und dem Vorhandensein von Rejection Sensitivity gezeigt.
Rejection Sensitivity ist uns aus vielen Berichten von ADHS-Betroffenen bekannt. Nahezu alle von uns befragten ADHS-Betroffenen bestätigen eine vorliegende RS.

Rejection Sensitivity ist ein originäres ADHS-Symptom und nicht nur eine Folge negativer Erfahrungen im Laufe der Zeit.
Das Dopaminsystem spielt eine wichtige Rolle bei der Regulierung der Rejection Sensitivity, da es für die Motivation, zu einer Gruppe zu gehören, verantwortlich ist. Es hat sich gezeigt, dass Stimulanzien wie Methylphenidat die Ablehnungsempfindlichkeit bei Personen mit ADHS verringern. Der Einsatz von Alpha-2-Adreno-Agonisten wie Guanfacin und Clonidin sowie von MAO-A-Wiederaufnahmehemmern hat sich ebenfalls als wirksam erwiesen.

Ablehnungsempfindlichkeit kann zu sozialer Phobie führen, die durch die Angst gekennzeichnet ist, in sozialen Situationen beurteilt oder abgelehnt zu werden. Eine Behandlung mit ADHS-Medikamenten kann auch die Symptome der sozialen Phobie verringern.

1. Rejection Sensitivity (RS)

Rejection Sensitivity (RS) ist die Veranlagung zu

  • ängstlicher Erwartung von Ablehnung,
  • bereitwilliger Entgegennahme von Ablehnung und
  • intensiver Reaktion auf (tatsächliche oder vermeintliche) Ablehnung.

Rejection Sensitivity ist als eigenständiges Störungsbild bekannt und tritt bei verschiedenen Störungsbildern als originäres Symptom auf (nach Stärke abnehmend):

  • Borderline: Kränkbarkeit (Leitsymptom)1
  • Narzissmus: narzisstische Kränkbarkeit (Leitsymptom)
  • Bipolare Störung
  • Sozialphobie1
  • Depression1
  • ADHS23
  • Angststörungen1

Bei ADHS wird Rejection Sensitivity in den (deutschsprachigen) Fachliteratur-Standardwerken zu ADHS bislang nicht als spezifisches ADHS-Symptom thematisiert.

1.1. Rejection Sensitivity bei ADHS

Kränkbarkeit wird zwar immer wieder als spezifische und typische Eigenart vieler ADHS-HI-Patienten erwähnt45, z.B. als schnelle Kränkbarkeit6, als Kritikempfindlichkeit als Unterfall eines negativen Hyperfokus7, in einem Fragebogen (Waren Sie als Kind sehr empfindlich und kränkbar?)8 oder in anderen Beschreibungen als Folge von Selbstwertproblemen910. Dietrich nennt dies eine nur geringe Toleranz gegenüber Kritik aus dem sozialen Umfeld oder eine Schwierigkeit, Kritik anzunehmen und Schuld einzugestehen.11

Nur selten jedoch wird die besondere Kränkbarkeit als spezifisches ADHS-I-Symptom beschrieben.1213214 Unserer Auffassung nach wird die besondere Bedeutung des Symptoms der Rejection Sensitivity als ADHS-Symptom erheblich unterschätzt.

Mehrere größere Untersuchungen stellten einen deutlichen Zusammenhang zwischen Stärke der ADHS-Symptomatik und dem Bestehen einer Rejection Sensitivity fest1516 Eine ältere kleine Studie fand keinen Zusammenhang.17
Eine der Studien stellte einen Zusammenhang zwischen dem erhöhten Gerechtigkeitsempfinden von ADHS-Betroffenen und Rejection Sensitivity her.16

Betroffene nehmen sich deutlich stärker als Außenseiter und “nicht in die Gruppe integriert” wahr als umgekehrt die Gruppe die Betroffenen.

Das Maß der Ablehnung durch Gruppenmitglieder (peer rejection) und das Maß, in dem die Sympathie für andere die umgekehrt erwiesene Sympathie übersteigt, sind laut einer Untersuchung die sichersten Parameter, um Kinder mit ADHS von Nichtbetroffenen anhand von Gruppenumfragen zu unterscheiden.18
ADHS-Symptome und die dadurch verursachte soziale Ablehnung (peer rejection) im Alter von 4 bis 6 Jahren sind ein sich gegenseitig verstärkender Teufelskreis.19 Soziale Ablehnung verursacht Stress und Stress bewirkt gegenwärtige ADHS-Symptome. Insbesondere im frühkindlichen Alter manifestiert Stress die genetische Disposition, sodass die ADHS-Intensität darüber hinaus im gesamten Lebensalter beeinflusst wird.

Die tatsächliche Ablehnung durch andere ist jedoch kein Maß für Rejection Sensitivity.
Bei Rejection Sensitivity ist nicht die objektive Ablehnung durch andere kennzeichnend, sondern die Verletzlichkeit gegenüber subjektiv empfundener Ablehnung. Es geht um die Empfindlichkeit gegenüber tatsächlicher Ablehnung einerseits und die Wahrnehmung vermeintlicher Ablehnung und Zurückweisung andererseits.

1.2. Begriffliche Abgrenzung zu “Rejection Sensitive Dysphoria” (RSD)

Vereinzelt wird anstelle des Begriffs Rejection Sensitivity in Bezug auf ADHS der Begriff der “Rejection Sensitive Dysphoria” (RSD) verwendet.2021

Dabei wird jedoch mit dem Begriffsteil “Dysphoria” keine echte Dysphorie bezeichnet, sondern es ist Rejection Sensitivity als solche gemeint und sie wird als eine spezielle atypische Depression betrachtet.22 Winkler, der Rejection Sensitivity bei ADHS wohl als einer der ersten im deutschsprachigen Raum dargestellt hat, stellt unter Bezug auf Dodson einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Rejection Sensitivity und Stimmungseinbrüchen / Dysphorie bei ADHS her23, wobei er Rejection Sensitive Dysphoria wohl als eine Form von atypischer Depression betrachtet.24

Wir betrachten Rejection Sensitivity einerseits und Dysphorie (bei Inaktivität) andererseits als zwei originäre, also unmittelbar durch ADHS verursachte Symptome – auch wenn sie bei ADHS häufig gemeinsam auftreten. Zur Vermeidung einer Verwechslung mit dem spezifischen ADHS-Symptom Dysphorie (bei Inaktivität) verwenden wir den Begriff der Rejection Sensitivity.

2. Rejection Sensitivity als originäres Symptom von ADHS

Die hier verwendete Formulierung Rejection Sensitivity als originäres Symptom von ADHS meint, dass Rejection Sensitivity bei ADHS nach diesseitiger Einschätzung ein unmittelbar durch ADHS selbst hervorgerufenes Symptom ist (ebenso wie Aufmerksamkeitsprobleme oder Hyperaktivität) und nicht eine bloße Folge von über lange Zeit gemachten schlechten Erfahrungen ist.
Gleichwohl gibt es RS nicht nur bei ADHS. RS ist daher kein exklusives Symptom von ADHS. RS allein ist keinesfalls ein Nachweis für ADHS.

2.1. Zurückweisungsemfindlichkeit ist mehr als eine psychologische Reaktion

Zunächst liegt es nahe, die Zurückweisungsüberempfindlichkeit bei ADHS-Betroffenen zurückzuführen auf

  • das durch die lebenslänglichen negativen sozialen Erfahrungen mit der Umwelt und dem dadurch massiv beeinträchtigten Selbstwertgefühl,
  • dem Gefühl des anders-seins, des nicht-dazu-gehörens, sowie
  • die durch die genetisch induzierte Hochsensibilität (DRD4-7R, 5-HTTPRs, COMT Met-158-Met, siehe hierzu den Aspekt Chance-/Risiko-Gene Wie ADHS entsteht : Gene + Umwelt) induzierte Vulnerabilität (Empfindsamkeit und Verletzlichkeit aufgrund des zu weit offenen Reizfilters) oder
  • ein allgemein niedriges Selbstwertgefühl10

Sicherlich tragen die lebenslangen eher negativen Erfahrungen mit anderen Menschen dazu bei, dass sich eine Angst vor Ablehnung herausbildet.

Videos, die Aufnahmen von ADHS-Betroffenen im Vergleich zu Depressiven zeigen, werden von Dritten als gleichermaßen unangenehm wahrgenommen. Während die Videos von Depressiven jedoch eher eine ebenfalls depressive, müde Stimmung hervorrufen, bewirken Videos von ADHS-Betroffenen eine eher feindselige Stimmung.25

Dieser Unterschied ist zwar relevant, kann jedoch die Rejection Sensitivity von ADHS-Betroffenen nicht allein erklären.

Die Massivität, in der ADHS-Betroffene an Rejection Sensitivity leiden und die hohe Häufigkeit des Auftretens bei ADHS ist unseres Erachtens nicht allein durch die belastenden Erfahrungen zu erklären, die ADHS-Betroffene im Laufe ihres Lebens als Folge ihrer Probleme mit anderen Menschen zusätzlich machen. Da Rejection Sensitivity zudem auch bei anderen psychologischen Störungen auftritt, wo sie nicht als “bloße” Folge einer Selbstwertproblematik (Narzissmus: narzisstische Kränkbarkeit; Borderline: Kernsymptom) wahrgenommen wird, verringert sich unseres Erachtens die Wahrscheinlichkeit einer erlernten Reaktion weiter.

Eine Untersuchung an Gesunden zeigte, dass der Charakter-Trait des Dazu-gehören-wollens, nicht aber der Trait der Rejection Sensitivity eine (für Stress typische) erhöhte Cortisolantwort auf Ausschliessung von der Teilnahme an einem Gruppenspiel verursachte.26

2.2. Stimulanzien verringern Rejection Sensitivity unmittelbar

Die meisten der diesseits befragten ADHS-Betroffenen bestätigten eine unmittelbare Verbesserung der Rejection Sensitivity durch Methylphenidat. (Mehr hierzu unten unter 3.5.)

Für Nichtbetroffene wären die jeweiligen Auslöser ebenfalls unangenehm, aber nicht Anlass zu der von den Betroffenen beschriebenen intensiven Empfindung eines verletzt seins aufgrund wahrgenommener Ablehnung. Die unmittelbare Medikamentenwirkung auf die Intensität der Rejection Sensitivity lässt nach diesseitiger Sicht keinen anderen Schluss zu, als dass es sich um eine unmittelbare (neurophysiologisch vermittelte) Symptomatik von ADHS handelt.
Dass die dopaminerg wirkenden Stimulanzien die Symptome positiv beeinflussen, könnte in Anbetracht der unten unter 2.6. geschilderten Modulation des Zugehörigkeitsmotivs durch Dopamin schlüssig sein.
Diesseits wird daher eine unmittelbare neurophysiologische Manifestation der RS im Sinne eines spezifischen neurophysiologischen Wirkmechanismus vermutet.

2.3. Frühkindliche Stresserfahrung als Ursache von Rejection Sensitivity

Die psychologischen Modelle der Rejection Sensitivity führen diese auf frühkindliche traumatisierende Erfahrungen zurück, die das DMS aktivieren (“Defensive Motivational System” als eines der beiden verhaltenssteuernden Motivationssysteme nach Gray, das den Betroffenen zu aktiver Vermeidung und fight-or-flight-Reaktionen animiert) sowie einen Abwehrmechanismus ausbilden (Übervorsicht als Schutz vor unerwarteter Verletzung) und der aufgrund mangelhafter (emotionaler) Selbstregulation nicht mehr angemessen gesteuert werden kann.2728

2.4. Rejection Sensitivity und Bindungsstile

Unterschiedliche Bindungsstile sagen eine Rejection Sensitivity bei ADHS deutlich voraus.

Ein sicherer Bindungsstil ist am wenigsten von Rejection Sensitivity betroffen, während ein unsicher-verstrickter (preoccupied) Bindungsstil die meisten ADHS-Symptome zeigte, noch stärker als bei einem unsicher-vermeidender (dismissing) Bindungsstil.29 Vor diesem Hintergrund könnte Rejection Sensitivity als unmittelbarer Ausdruck einer unsicheren Bindung verstanden werden.

Dies fügt sich in das diesseitige Bild, dass bereits ein unsicherer Bindungsstil genug frühkindlichen Stress bewirken kann, um die genetische Disposition zu psychischen Problemen (hier und insbesondere bei ADHS aufgrund der dort vorhandenen Hochsensibilität) zu aktivieren.

Mehr zu Bindungsstilen und was Eltern präventiv tun können: Bindungsstile im Kapitel ⇒ Prävention.

2.5. Ähnliche Symptome bei ähnlichen Störungsbildern

Das Symptom der Rejection Sensitivity tritt nicht exklusiv bei ADHS in Erscheinung, sondern ist als komorbide Störung häufig bei affektiven Störungen wie beispielsweise Depressionen, Narzissmus (dort als narzisstische Kränkbarkeit), bipolaren Störungen (1 & 2)30 sowie Borderline (dort nochmals deutlich massiver und das Störungsbild bestimmend) zu finden.

Bekanntlich überlappen die Symptome von Borderline und ADHS teilweise (Differentialdiagnostik bei ADHS). Allerdings unterscheiden sich die neurologischen Ursachen erheblich. Das dopaminerge System ist bei beiden Störungsbildern involviert. Während bei ADHS der Dopaminspiegel im PFC und Striatum verringert ist, scheint er bei Borderline eher erhöht zu sein.

2.6. Zugehörigkeitsmotiv ist dopaminerg gesteuert

Motivation wird je nach Art des Motivs durch unterschiedliche Neurotransmitter vermittelt. Motivation lässt sich grundsätzlich in die Gruppen Machtmotiv, Zugehörigkeitsmotiv und Leistungsmotiv unterteilen.31 Bei der Angst vor Zurückweisung wird spezifisch das Zugehörigkeitsmotiv angesprochen, nicht das Leistungsmotiv und nicht das Machtmotiv. Lediglich das Zugehörigkeitsmotiv wird dopaminerg gesteuert.323334 Da ADHS von einem Dopaminmangel im PFC sowie im Striatum, dem Belohnungs- und Verstärkungszentrum des Gehirns, gekennzeichnet ist, erscheint es unter diesem Aspekt plausibel, dass ADHS-Betroffene für eine Angst vor Zurückweisung und Kritik besonders empfänglich sind.

2.7. Zugehörigkeitsmotiv kann Prokrastination beheben

Die besondere Bedeutung des Zugehörigkeitsmotivs bei ADHS zeigt sich auch darin, dass es ADHS-HI-Betroffenen wesentlich leichter fällt, diejenige Tätigkeit, die sie für sich selbst (aufgrund ausgeprägter Prokrastination) nicht ausüben können, für einen anderen auszuüben. Dies geht so weit, dass Passig, Lobo als Copingstrategie für Prokrastination empfehlen, dass Betroffene, die von Ihnen prokrastinierten Tätigkeiten jeweils im Austausch für einen anderen erledigen.35

2.8. Überschätzung eigener sozialer Kompetenzen als RS

ADHS-Betroffene überschätzen häufig die eigenen sozialen Kompetenzen. Dieses Symptom ist nicht so gravierend, dass es als tragend für ADHS bezeichnet werden könnte.

In einer Testgruppe von n = 82 Mädchen von 9 bis 12 Jahren überschätzten die n = 42 ADHS-Betroffenen ihre sozialen Kompetenzen im Vergleich zu Fremdbeurteilungen (Lehrer, Eltern und Drittbeobachtern) deutlich mehr als Nichtbetroffene. Trat oppositionelles Trotzverhalten hinzu, verstärkte sich dies noch weiter, ebenso bei verringerter Depressionssymptomatik. Die Selbstüberschätzung korrelierte nur bei den ADHS-Betroffenen mit der Tendenz der Betroffenen, Antworten in Richtung sozialer Erwünschtheit zu verzerren (socially desirable reporting bias). Bei ADHS-Betroffenen war die Selbstüberschätzung sozialer Kompetenz an das Maß der Unausgeglichenheit gekoppelt. Mit zunehmender Ausgeglichenheit nahm die Selbstüberschätzung ab, während es dagegen bei Nichtbetroffenen mit Ausgeglichenheit zunahm.

Dies könnte, insbesondere aufgrund des Bias in Richtung sozialer Erwünschtheit, als eine Auswirkung der ADHS-typischen Rejection Sensitivity zu interpretieren sein.

3. Soziale Phobie als mögliche Folge einer Rejection Sensitivity

Soziale Phobie ist gekennzeichnet durch:

  • Zentral:
    • Angst vor prüfender Betrachtung in überschaubaren Gruppen (nicht in Menschenmengen)
    • Auftreten der Angst
      • ist meist beschränkt auf oder überwiegt in bestimmten soziale Situationen, z.B.
        • Essen
        • Sprechen in der Öffentlichkeit
        • Treffen mit Menschen des begehrten Geschlechts
      • kann aber auch unbestimmt sein und in fast allen sozialen Situationen außerhalb der Familie auftreten
  • Häufig:
    • niedriges Selbstwertgefühl
    • Furcht vor Kritik
  • Mögliche Begleitphänomene:
    • Erröten
    • Vermeiden von Blickkontakt
    • Schwitzen
    • Zittern
    • Herzrasen
    • Durchfall
    • Übelkeit
    • Harndrang
  • Symptomatik kann sich bis zu Panikattacken verstärken.
  • Die phobischen Situationen werden vermieden.
  • Beginn häufig im Jugendalter
  • Ausgeprägtes Vermeidungsverhalten kann zu vollständiger sozialer Isolation führen

Eine sehr ausgeprägte Rejection Sensitivity soll eine Soziale Phobie auslösen können.36
In diesem Sinne könnte eine Soziale Phobie, wie sie bei ADHS durchaus häufiger zu beobachten ist, als Folge einer oben bereits als originäres ADHS-Symptom beschriebenen Rejection Sensitivity auftreten. Da Rejection Sensitivity als ADHS-Symptom durch Behandlung mit ADHS-Medikamenten remittieren kann, müsste eine Soziale Phobie, die eine Folge einer ausgeprägten Rejection Sensitivity ist, damit theoretisch zugleich nachlassen. Belege hierfür sind uns bislang nicht bekannt.

4. Medikation gegen Rejection Sensitivity bei ADHS

4.1. Methylphenidat

Viele ADHS-Betroffene berichteten, dass Stimulanzien erheblichen und unmittelbaren Einfluss auf ihre Rejection Sensitivity habe. Dabei berichteten 90 % von einem positiven und RS verringernden, 10 % von einem eher erhöhenden Einfluss durch MPH.

Ein ADHS-Betroffener berichtete, dass seine langjährig bestehende intensive Rejection Sensitivity seit der Behandlung mit MPH signifikant zurückgegangen ist. Er berichtete weiter, dass er mehrfach Rückfälle von Rejection Sensitivity feststellen konnte, wenn geeignete Auslöser vorhanden waren und er zugleich die MPH-Medikation auch nur für wenige Stunden vergessen hatte. Die Intensität der RS, die ein abendlicher Streit mit der Freundin (außerhalb der tagsüber bestehenden MPH-Medikation) auslöst, wurde innerhalb von 10 Minuten nach der Einnahme von MPH drastisch verringert.

Methylphenidat verringert bei ADHS-Betroffenen das Gefühl von Misstrauen signifikant.37

4.2. Guanfacin und Clonidin

Bei einer Rejection Sensitivity sei eine Kombination der Alpha-2-Adrenorezeptor-Agonisten Guanfacin und Clonidin laut einem einzelnen Erfahrungsbericht eines amerikanischen Arztes (Dodson) besonders wirksam. Dieser berichtet, dass bei einer Dosierung von zwischen 0,5 und 7 mg Guanfacin und zwischen 0,1 mg bis 0,5 mg Clonidin jeder dritte Betroffene seine Rejection Sensitivity Symptome verliert. Er berichtet weiter, dass der Einfluss auf die Lebensqualität durch diese Behandlung im Ergebnis größer sei als die Behandlung durch Stimulanzien.20

Dodson berichtet weiter von einer Studie der Harvard-Universität, dass eine Anhebung der Dosierung für Guanfacin bis auf 4 mg und für Clonidin bis auf 7-8 mg ein um 40 % höheres Ansprechen bewirke, wobei diese Dosierung jedoch über den empfohlenen Limits liege. Hierbei ergeben sich zudem erhöhte Nebenwirkungen.

Guanfacin ist als ADHS-Medikament im Vergleich zu Atomoxetin wirksamer.

Alpha-2-Adrenorezeptoren (Adrenozeptoren) werden von den Neurotransmittern Adrenalin und Noradrenalin aktiviert. Sie sind damit für die Wirkungen verantwortlich, die durch Adrenalin und Noradrenalin vermittelt werden.38
Agonisten verstärken die Wirkung der Rezeptoren. Guanfacin und Clonidin wirken damit im Ergebnis noradrenerg und verringern die adrenerge Wirkung.

4.3. MAO-A Wiederaufnahmehemmer

Dodson20 beschreibt weiter Erfolge mit MAO-A Wiederaufnahmehemmern, insbesondere mit Parnate (tranylcypromine), was die bisher übliche Behandlung bei Rejection Sensitivity gewesen sei. MAO-A Wiederaufnahmehemmer seien auch in Bezug auf ADHS Symptome erfolgreich eingesetzt worden.

4.4. Imipramin, Phenelzin

Imipramin und Phenelzin sollen je nach Art der weiteren Symptomlage jeweils besser geeignet sein (als Valproat), Rejection Sensitivity zu bekämpfen.39.

Imipramin ist bei ADHS ein denkbares Ergänzungsmedikament zu Stimulanzien. Es sollte jedoch die gegenseitige Wirkungsverstärkung von Imipramin und Methylphenidat beachtet werden.

4.5. Valproat bei BPD

Valproat (250 mg bis 500 mg) verbesserte bei 50 % von BPD-Betroffenen moderat die Symptome der Reizbarkeit, Wut, Angst, Rejection Sensitivity und Impulsivität. Die Ergebnisse variierten von Betroffenem zu Betroffenem sehr.40


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  2. Littman (2021): Rejection Sensitivity Is Worse for Girls and Women with ADHD, Additudemag.com. Download 24.01.2021. Man beachte die AD(H)S-Fachprominenz des wissenschaftlichen Beirats von ADDitudeMag.

  3. Quenneville, Badoud, Nicastro, Jermann, Favre, Kung, Euler, Perroud, Richard-Lepouriel (2019): Internalized stigmatization in borderline personality disorder and attention deficit hyperactivity disorder in comparison to bipolar disorder. J Affect Disord. 2019 Oct 30. pii: S0165-0327(19)31666-0. doi: 10.1016/j.jad.2019.10.053.

  4. Krause, Krause (2014): ADHS im Erwachsenenalter, S, 118, Fallbeispiel S. 90

  5. Neuhaus (2004): Beziehungskisten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit AD(H)S, in Fitzner, Stark (Herausgeber): Doch unzerstörbar ist mein Wesen, wohl unveränderte Neuauflage 2014, Seite 146 ff

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  7. Lachenmeier (2014): Selbstwertwahrnehmung bei ADHS Erwachsener, SWISS ARCHIVES OF NEUROLOGY AND PSYCHIATRY 2014;165(2):47–53, Seite 50

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  9. Decker, ads-praxis

  10. Decker, hausarztzentrum-nh, hier unter Selbstwertprobleme

  11. Dietrich (2010): Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom, Seiten 40, 52

  12. Dodson: How ADHD Ignites Rejection Sensitive Dysphoria; The extreme emotional pain of perceived rejection is a feeling unique to people with ADHD, and it can be debilitating. Learn how RSD may be impacting your patients; in: ADDitude. Strategies and Support für ADD & LD. Man beachte die AD(H)S-Fachprominenz des wissenschaftlichen Beirats von ADDitudeMag.

  13. Dodson: 3 Defining Features of ADHD That Everyone Overlooks. ADDitudeMag. Download 06.01.2020. Man beachte die AD(H)S-Fachprominenz des wissenschaftlichen Beirats von ADDitudeMag.

  14. Helga Simchen: Das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom mit Unaufmerksamkeit, aber ohne Hyperaktivität

  15. Babinski, Kujawa, Kessel, Arfer, Klein (2018): Sensitivity to Peer Feedback in Young Adolescents with Symptoms of ADHD: Examination of Neurophysiological and Self-Report Measures. .J Abnorm Child Psychol. 2018 Aug 29. doi: 10.1007/s10802-018-0470-2, n = 391

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  17. Canu, Carlson (2007): Rejection Sensitivity and Social Outcomes of Young Adult Men With ADHD; Journal of Attention Disorders February 2007 vol. 10 no. 3 261-275; doi: 10.1177/1087054706288106, n = 78

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  19. Stenseng, Belsky, Skalicka, Wichstrøm (2016): Peer Rejection and Attention Deficit Hyperactivity Disorder Symptoms: Reciprocal Relations Through Ages 4, 6, and 8; Child Dev. 2016 Mar-Apr;87(2):365-73. doi: 10.1111/cdev.12471. Epub 2015 Dec 16. n=962

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  24. Winkler (2016): Atypische Depression oder hochfunktionelle Depression ohne Depression

  25. Paulson, Buermeyer, Nelson-Gray (2005): Social rejection and ADHD in young adults: an analogue experiment. J Atten Disord. 2005 Feb;8(3):127-35. n=130

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  33. McClelland, Maddocks, McAdams (1985): The need for power, brain norepinephrine turnover, and memory. In: Motivation and Emotion. Volume 9, No. 1, March 1985

  34. McClelland (1995): Achievement motivation in relation to achievement-related recall, performance, and urine flow, a marker associated with release of vasopressin. In: Motivation and Emotion. Volume 19, No. 1, March 1995; n = 64

  35. Passig, Lobo (2010): Dinge geregelt kriegen ohne einen Funken Selbstdisziplin. Ein äußerst unterhaltsames und lesenswertes Buch über Prokrastination für Betroffene

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