Glutamat ist ein exzitatorischer Neurotransmitter.
Glutamatneurone sind hauptsächlich als Interneurone im zerebralen Cortex angesiedelt. Glutamat gibt 70 % der exzitatorischen Impulse des Gehirns und regelt mit dem hemmenden Gegenspieler GABA die Aktivität fast aller Gehirnregionen.
Glutamin ist ein Metabolit (Abbaustoff) von Glutamat.
1. Glutamatrezeptoren¶
- NMDA(N-Methyl-D-Aspartat)-Rezeptoren (ionotrop)
- besteht aus vier bis fünf Untereinheiten, die zu unterschiedlichen Zeiten exprimiert werden
- Grin1
- Grin2a
- Grin2b
- Grin2c
- Grin2d
-
Antagonisten
-
Agonisten
-
AMPA-Rezeptoren (ionotrop)
-
Agonisten
- sollen antidepressiv wirken
- Schnelle glutamaterge Übertragung wird hauptsächlich durch AMPA-Rezeptoren vermittelt
- Kainat-Rezeptoren (ionenselektiv), weniger relevant
- Quisqualat-Rezeptoren (mGluR1-8) (metabotrop), weniger relevant
- mGluRs modulieren die Reaktion auf ionotrope Glutamatrezeptoren und die anderer Transmitter, einschließlich Dopamin, Serotonin und GABA
NMDA- und AMPA-Rezeptoren sind unter Ruhebedingungen durch Mg++ blockiert.
Agonisten:
- Glycin
⇒ Glycin
- D-Serin
- Pregnenolon-Sulfat
-
DHEA-Sulfat
- anders: DHEA und DHEAS seien Glutamat-NMDA und Glutamat-AMPA-Antagonisten
2. Wirkung auf Glutamat¶
Die Wirkung von Glutamat an NMDA-Rezeptoren wird durch
-
Noradrenalin und
-
Vasopressin
erhöht. Noradrenalin und Vasopressin wirken synergistisch auf Glutamat. Da Noradrenalin und Vasopressin und beide durch Stress erhöht werden, wirkt Stress Glutamat erhöhend.
3. Wirkung von Glutamat (auf die HPA-Achse)¶
Glutamat beeinflusst die Sekretion der Hormone HGH und ACTH aus der Hypophyse.
Stress erhöht die Ausschüttung von Dopamin im mPFC, lateralen PFC (lPFC) und Nucleus accumbens (nicht aber im perirhinalen oder cingulären Kortex, in der lateral-basolateralen Amygdala, im anterioren ventromedialen Striatum oder im posterioren dorsolateralen Striatum) sowie von Serotonin im mPFC. Ein Glutamat-NMDA-Glycin-Rezeptor-Antagonist verringert die Ausschüttung von Dopamin bei Stress im mPFC und lPFC, während die stressbedingten Anstiege von Dopamin im Nucleus accumbens, Serotonin im mPFC und Cortisol unvermindert blieben. Demnach vermittelt Glutamat die stressbedingte Erhöhung von Dopamin im PFC.
4. Regelungsbereich von Glutamat¶
Glutamat ist erforderlich für
- Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen
- Bewegungsausführung
- höhere Gehirnfunktionen
- Appetitregulation
- appetitsteigernd
- sättigungshemmend
- Gegenteil von Angst
- niedrige Glutamat-Spiegel und hohe GABA-Spiegel im ACC korrelieren mit einem hohen harm-avoidance-Wert
Ein zu hoher Glutamatspiegel wirkt neurotoxisch, indem die Glutamatrezeptoren und Nervenzellen zerstört werden. Auf diesem Weg hat Glutamat Anteil an neurodegenerativen Krankheiten wie
- Epilepsie
- Lähmungen nach Schlaganfall
- Parkinson
- Alzheimer
5. Glutamat bei verschiedenen Störungsbildern¶
5.1. Depression und Glutamat¶
Glutamatantagonisten wirken antidepressiv
- Amantadin
- Lamotrigin
- Ketamin
- Riluzol (Rilutek)
- Memantin
ebenso der partielle Glutamatantagonist
- D-Cycloserin (Antibiotikum, 500 mg/Tag)
Nach unserem Verständnis ist zwischen melancholischer (endogener) Depression und atypischer Depression zu unterscheiden. Da melancholische Depression (wie ADHS-I) typischerweise durch eine überhöhte Cortisolantwort auf akuten Stress gekennzeichnet ist, während atypische Depression (wie ADHS-HI) häufig eine abgeflachte Cortisolstressantwort zeigt, könnten nach unserer Hypothese zugleich entsprechend typspezifische GABA-/Glutamatungleichgewichte bestehen. Melancholische Depression und ADHS-I könnten nach unserer Hypothese mit einem GABA-Mangel und Glutamat-Überschuss korrelieren, während atypische Depression und ADHS-HI von einem GABA-Überschuss und Glutamat-Mangel gekennzeichnet sein könnten.
5.2. Schizophrenie und Glutamat¶
Eine Studie erörtert die Behandlung von Schizophreniemit
- D-Cycloserin (Antibiotikum, 500 mg/Tag)
- Glycin
- D-Serin
5.3. Glutamat bei ADHS¶
5.3.1. Glutamat-Glutamin zu Kreatinin – Verhältnis¶
5.3.1.1. Verringertes Glutamat-Glutamin zu Kreatinin – Verhältnis bei ADHS im Cingulum¶
Eine Studie fand ein verringertes Glutamat-Glutamin zu Kreatinin-Verhältnis bei ADHS im Cingulum.
5.3.1.2. Erhöhtes Glutamat-Glutamin zu Kreatinin – Verhältnis bei ADHS-HI gegenüber ADHS-I¶
Zwei Studien fanden bei ADHS-HI ein höheres Glutamat/Glutamin zu Kreatinin – Verhältnis als bei ADHS-I.
Mäuse mit deaktiviertem Kreatinin-Transporter in dopaminergen Nervenzellen zeigten Hyperaktivität.
5.3.2. Glutamat-Glutamin zu myo-Inositol – Verhältnis¶
Kinder mit ADHS-HI zeigten ein signifikant erhöhtes Verhältnis von Glutamat+Glutamin zu myo-Inositol-haltigen Verbindungen im anterioren cingularen Cortex.
5.3.3. Ungleichgewicht des Glutamat/GABA-Haushalts¶
Weitere Berichte deuten auf ein Ungleichgewicht des Glutamat/GABA-Haushalts bei ADHS hin.
Bei Kindern mit ADHS wurde ein erhöhter Glutamatspiegel und ein unveränderter GABA-Spiegel im Gehirn festgestellt. Erwachsene zeigten dagegen einen normalisierten Glutamat-Spiegel und einen verringerten GABA-Spiegel.
Grundsätzlich leidet die Forschung daran, dass zu viele Untersuchungen keine getrennte Werte für ADHS-I und ADHS-HI-Subtypen erfassen.
5.3.4. Erhöhte Anandamid-Werte verändern Glutamattransmission im Striatum¶
Bei ADHS-Betroffenen wurden erhöhte AEA-Werte (= Anandamide = N-Arachidonoylethanolamin) aufgrund eines biochemischen Defekts des Abbaus von AEA gefunden. Dieser verändert selektiv die synaptische Glutamat-Übertragung im Striatum, nicht aber die GABA-Übertragung im Striatum.
Dies könnte ein Ungleichgewicht zwischen exitatorischer und inhibitorischer Neurotransmission im Striatum bewirken. Bei ADHS scheint die Erhöhung der AEA-Konzentrationen durch eine Hemmung von FAAH verursacht zu werden. FAAH ist ein Enzym, das für den Abbau von AEA maßgeblich ist. Interessanterweise wurde diese Veränderung im Mausstriatum nach der Stimulation der Dopamin-D2-Rezeptoren, nicht aber der D1-Rezeptoren repliziert.
5.3.5. Glutamat- und Glutaminwerte in Basalganglien bei ADHS¶
Bei noch nie medikamentierten wie bei medikamentierten erwachsenen ADHS-Betroffenen fand eine Studie verringerte Glutamat- und Glutamin-Werte in den Basalganglien. Bei unbehandelten Betroffenen korrelierte der Glutamat-/Glutamin-Mangel in den Basalganglien mit der ADHS-Symptomschwere. Keine Änderungen von Glutamat oder Glutamin fanden sich im parietalen Cortex.
Bei Kindern mit ADHS fand eine Studie keine Veränderung von Glutamat im linken Striatum bei ADHS, eine andere Studie fand erhöhte Glutamat-Werte frontalstriatal.
5.3.6. Glutamatwerte im rechten PFC bei ADHS¶
Eine Studie berichtet von verringerten Glutamatwerten im rechten PFC bei einer Subgruppe von Kindern mit ADHS. Die Studie berichtet weiter von einer Entkoppelung der Exekutivfunktionen von Glutamatänderungen bei diesen Kindern im Vergleich zu Nichtbetroffenen. Eine andere Studie berichtete erhöhte Glutamat-Werte bei Kindern mit ADHS im dorsolateralen PFC.
Eine Metaanalyse von = 33 Studien mit 874 ADHS-Betroffenen fand, dass der rechte mPFC von Kindern mit ADHS höhere Konzentrationen eines Komposits aus Glutamat und Glutamin aufwies (Effektstärke (SMD): 0,53).
5.3.7. Erhöhte Glutamatwerte im anterioren cingularen Cortex¶
Eine Studie berichtet von verringerten Glutamatwerten im rechten PFC bei einer Subgruppe von Kindern mit ADHS. Die Studie berichtet weiter von einer Entkoppelung der Exekutivfunktionen von Glutamatänderungen bei diesen Kindern im Vergleich zu Nichtbetroffenen. Eine andere Studie berichtete erhöhte Glutamat-Werte bei Kindern mit ADHS im dorsolateralen PFC.
5.3.8. Verringerte Cyclin-abhängige Kinase 5 (CDK5)-Blutspiegel¶
Bei Kindern mit ADHS fanden sich statistisch signifikant niedrigere CDK5-Blutspiegel.
5.3.9. Erhöhte MAP2-, GKAP- und PSD95-Blutspiegel¶
Eine Studie fand siginfikant erhöhte MAP2-, GKAP- und PSD95-Blutspiegel bei Kindern mit ADHS.