Liebe Leserinnen und Leser von ADxS.org, bitte verzeihen Sie die Störung.

ADxS.org benötigt in 2024 rund 58.500 €. In 2023 erhielten wir Spenden von rund 29.370 €. Leider spenden 99,8 % unserer Leser nicht. Wenn alle, die diese Bitte lesen, einen kleinen Beitrag leisten, wäre unsere Spendenkampagne für das Jahr 2024 nach einigen Tagen vorbei. Dieser Spendenaufruf wird 23.000 Mal in der Woche angezeigt, jedoch nur 75 Menschen spenden. Wenn Sie ADxS.org nützlich finden, nehmen Sie sich bitte eine Minute Zeit und unterstützen Sie ADxS.org mit Ihrer Spende. Vielen Dank!

Seit dem 01.06.2021 wird ADxS.org durch den gemeinnützigen ADxS e.V. getragen. Spenden an den ADxS e.V. sind steuerlich absetzbar (bis 300 € genügt der Überweisungsträger als Spendenquittung).

Falls Sie lieber etwas aktiv beitragen möchten, finden Sie hier Ideen zum Mitmachen oder zur tätigen Unterstützung.

8268€ von 58500€ - Stand 29.02.2024
14%
Header Image
Guanfacin bei ADHS

Inhaltsverzeichnis

Guanfacin bei ADHS

Guanfacin ist in den USA seit 2009 zugelassen, dort auch für Erwachsenen-ADHS.
In Deutschland wurde Guanfacin in retardierter Form 2015 zugelassen und kam 2016 mit der Indikation für ADHS bei Kindern und Jugendlichen auf den Markt.1
Guafacin ist ein selektiver postsynaptischer α-2A-Adrenorezeptor-Agonist in frontalen pyramidenförmigen Neuronen.2
Daneben ist Guanfacin ein Imidazolin-Rezeptor-Agonist.
Guanfacin hemmte Ionenströme, die durch von SCN9A kodierte NaV1.7-Kanäle und andere NaV-Kanal-Subtypen in unterschiedlichem Ausmaß hervorgerufen wurden.3
Es unterliegt nicht der Betäubungsmittelverordnung.

Frühere Bezeichnung: BS 100-141 (in den 1970er Jahren)
Handelsname: Intuniv

ADHS-Wirksamkeit wahrscheinlich durch erhöhte α-2A-adrenerge Signalübertragung, postsynaptisch im PFC.4

Ein selektiver α-2A-Adrenorezeptor-Antagonist erhöhte bei Ratten Noradrenalin-, Serotonin- und Dopamin-Spiegel signifikant, was mit einem verringerten Monoaminumsatz korrelierte.5

Alpha-2-Adrenorezeptoren (auch: Adrenozeptoren) werden von den Neurotransmittern Adrenalin und Noradrenalin aktiviert. Sie sind damit für die Wirkungen verantwortlich, die durch Adrenalin und Noradrenalin vermittelt werden.
Agonisten verstärken die Wirkung der Rezeptoren, Antagonisten schwächen sie ab.
Guanfacin wirkt im Ergebnis noradrenerg.

Maximale Blutplasmawerte nach 5 Stunden.
Eliminationshalbwertszeit 18 Stunden, daher für einmalige tägliche Einnahme geeignet.
Erhöhte Wirkstoffaufnahme bei Einnahme mit fettreicher Mahlzeit; Einnahme sollte daher nüchtern erfolgen
Guanfacin sollte nicht mit Grapefruitsaft eingenommen werden.6
Die Tabletten dürfen nicht gekaut oder zerkleinert werden.
Metabolismus auch über CYP3A4 und CYP3A5, daher Potential für Wechselwirkungen mit Medikamenten wie Ketoconazol und Rifampicin.6
Inhibitor dieser CYP-Subtypen.

1. Wirksamkeit, Anwendung

Etliche Untersuchungen haben die Wirksamkeit von Guanfacin bei ADHS bestätigt.678910
Bei Kindern und Jugendlichen, die auf Stimulanzien nicht optimal ansprechen, ist Guanfacin gut wirksam.1112 Hierfür ist Guanfacin in Europa auch zugelassen.13
Nach einer Untersuchung wurde in einem akademischen medizinischen Behandlungszentrum (wahrscheinlich in den USA) bei Kindern mit ADHS, Verhaltensstörungen (DBD) oder Autismusspektrumsstörung zwischen 2 und 5 Jahren vornehmlich ein Alpha-Agonist (wie Guanfacin) eingesetzt. Bei Kindern ohne Autismusspektrumsstörung wurden vornehmlich Stimulanzien verwendet.14
In Bezug auf erwachsene ADHS-Betroffene, die auf Stimulanzien nicht optimal ansprechen, gibt es keine eindeutigen Wirkungsnachweise. Eine Studie fand Verbesserungen bei Guanfacin und bei Placebo gegenüber bisheriger Medikation.15

1.1. Wirkung von Guanfacin auf Symptome

Es wird vertreten, dass Guanfacin selektiver auf den PFC und die dort beherbergten Unaufmerksamkeits- und Organisationsprobleme wirke, während Stimulanzien breiter wirkten und neben dem PFC auch das Striatum beeinflussen, das primär für Hyperaktivität und Impulsivität verantwortlich ist.16

  • Arbeitsgedächtnis verbessert4
  • Aufmerksamkeit verbessert417
  • Reduzierung des ADHS-RS-IV-Gesamtscores durch Guanfacin um 8,9, Atomoxetin lediglich um 3,8.18
  • Rejection Sensitivity und/oder Dysphorie bei ADHS: Eine Kombination von Clonidin und Guanfacin soll hilfreich sein.19
  • Hyperaktivität202117
  • Impulsivität20417
  • komorbide Störungen bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS2223
    • Autismus-Symptome
    • oppositionelles Trotzverhalten21
    • emotionale und verhaltensmäßige Dysregulation aufgrund traumatischer Stresserfahrungen.23
    • möglicherweise auf Tics
    • keine Wirkung auf Angstsymptome
    • Auswirkungen auf Depression ist offen
    • Die Nebenwirkungen von Guanfacin sind bei komorbiden Erkrankungen und bei reinem ADHS ähnlich
  • Wirkung vergleichbar gut bei ADHS-I und ADHS-C.17
  • Guanfacin wird bereits seit langem als Mittel gegen Bluthochdruck angewendet. Bei ADHS hat es insbesondere Vorteile bei der Behandlung von komorbiden Ticstörungen.24
  • Während Stimulanzien primär den Dopaminwirkspiegel und sekundär den Noradrenalinspiegel erhöhen, verbessert Guanfacin als Alpha2-Rezeptor-Agonist die Signalübertragung im Frontallappen, indem es das Signal klarer und deutlicher macht.24

1.2. Effektstärke von Guanfacin

  • Die mittlere Effektstärke von Guanfacin soll bei 0,76 liegen. Stimulanzien liegen demgegenüber bei 0,9 bis 1,1 (bei Respondern).1 Weitere Studien kommen zu vergleichbaren Ergebnissen.25
  • Reduzierung des ADHS-RS-IV-Gesamtscores durch Guanfacin um 8,9, Atomoxetin lediglich um 3,818
  • Eine Kombinationsmedikation aus Methylphenidat und Guanfacin erreicht eine höhere Responderrate als Guanfacin oder Methylphenidat allein. In einer Studie erwies sich Guanfacin allein bei 68 % der Betroffenen mit einer Symptomreduzierung um mindestens 50 % gegenüber Methylphenidat allein (bei 81 % der Betroffenen eine Symptomreduzierung um mindestens 50 %) als unterlegen. Am erfolgreichsten war jedoch eine Kombinationsmedikation aus MPH und Guanfacin (91 % der Betroffenen zeigten eine Symptomreduzierung um mindestens 50 %).26
  • Die Wirkung auf ADHS-Symptome sei etwas schlechter als die von Stimulanzien, wenn letztere gut ansprechen. Die Wirkung sei bei Kindern besser als bei Jugendlichen.23

1.3. Wirkmechanismen von Guanfacin

  • Als Alpha-2-Adrenoceptor-Agonist reduziert Guanfacin (wie Clonidin) im Labor die Dopaminausschüttung im Nucleus accumbens signifikant.27
  • Methylphenidat und Amphetaminmedikamente erhöhen die Power von Alpha (bei Ratten), während Atomoxetin und Guanfacin dies nicht tun.28
  • Guanfacin scheint mehrere Wirkwege zu haben:
    • verringert die direkte noradrenerge Übertragung zwischen Locus coeruleus und orbitofrontalem Cortex (OFC) im Ruhezustand2
    • reduziert die Noradrenalinfreisetzung im Locus coeruleus, orbitofrontalen Cortex und retikulären Thalamuskern2
    • verbessert die direkte katecholaminerge Übertragung vom Locus coeruleus zum orbitofrontalen Cortex (OFC)2
    • verbesserte die Katecholaminfreisetzung durch Hemmung von GABA im intermediären Pfad Locus coeruleus – retikulärer Thalamuskern – mediodorsaler Thalamuskern – orbitofrontaler Cortex (OFC)2
    • reduzierte GABA-Freisetzung im mediodorsalen Thalamuskern2
    • verstärkte AMPA-induzierte Freisetzung von L-Glutamat, Noradrenalin und Dopamin im orbitofrontalen Cortex (OFC) durch subchronische Gabe2
    • Guanfacingabe direkt in den OFC veränderte die Katecholaminfreisetzung im OFC nicht2
  • Akute lokale Gabe in Locus coeruleus in therapeutischer Dosierung bewirkt29
    • verringerte Noradrenalinfreisetzung in OFC, VTA und Nucleus reticularis (des Thalamus)
    • unveränderte Dopaminfreisetzung im OFC
  • Chronische Gabe (14 Tage) in therapeutischer Dosierung bewirkt29
    • Downregulation des α2A-Adrenozeptors in Locus coeruleus, OFC und VTA, dadurch
      • erhöhte basale Noradrenalinfreisetzung in OFC, VTA, Nucleus reticularis (des Thalamus)
      • erhöhte Dopaminfreisetzung im OFC
    • unveränderte GABAerge Übertragung innerhalb des Thalamus
    • phasenweise erhöhte glutamaterge Übertragung zwischen Thalamus und Cortex.
  • Alpha-2A-Rezeptor-Agonisten wie Guanfacin und Clonidin sollen die phasische Noradrenalinausschüttung im Nucleus coeruleus verbessern, was die Aufmerksamkeit sowie das Arbeitsgedächtnis und das visuomotorisch assoziierte lernen verbessert (im Gegensatz zu einer langfristigen tonischen NE-Ausschüttung, die die Leistung verschlechtert).30

1.4. Responding von Guanfacin

Eine Studie befasste sich mit Merkmalen, die ein gutes Responding einer Guanfacin- oder MPH-Monotherapie und einer MPH-/Guanfacin-Kombinationsmedikation vorhersagten:

  • Höhere Hyperaktivität-Impulsivität und oppositionelle Symptome vor der Behandlung31
    • Prädiktor für gute Ergebnisse bei MPH-Monotherapie, Guanfacin-Monotherapie und MPH-/Guanfacin-Kombinationsmedikation
  • geringere Angstzustände vor der Behandlung31
    • Prädiktor für gute Ergebnisse bei MPH-Monotherapie, Guanfacin-Monotherapie und MPH-/Guanfacin-Kombinationsmedikation
  • hohe ereigniskorrelierte mittelfrontale Beta-Leistung vor der Behandlung31
    • EEG-Aktivität aus kortikalen Quellen, die in den Regionen des mittleren Stirnbeins und des mittleren Hinterhauptbeins lokalisiert sind
    • stärkere Modulationen während der Kodierung und des Abrufs Prädiktor für gute Ergebnisse bei MPH-Monotherapie und Guanfacin-Monotherapie
  • schwache ereigniskorrelierte mittelfrontale Beta-Leistung vor der Behandlung31
    • EEG-Aktivität aus kortikalen Quellen, die in den Regionen des mittleren Stirnbeins und des mittleren Hinterhauptbeins lokalisiert sind
    • Prädiktor für gute Ergebnisse bei MPH-/Guanfacin-Kombinationsmedikation

Bei ADHS im Vorschulalter korrelierten niedrige externalisierende oder internalisierende Symptomstärken mit einer hohen Wahrscheinlichkeit des Ansprechens auf Stimulanzien. Bei hohen externalisierenden oder internalisierenden Symptomstärken näherte sich die Respondingquote von Stimulanzen der von Alpha-2-Agonisten an:32

Responder Symptomstärke: schwach mittel stark
Stimulanzien Externalisierend 96,4 % 74,3 % 66,6 %
Alpha-2-Agonisten Externalisierend 40 % 50 % 67 %
Stimulanzien Internalisierend 80,6 % 77,5 % 50 %
Alpha-2-Agonisten Internalisierend 57,7 % 70 % 57,7 %

2. Nebenwirkungen

  • Höhere Nebenwirkungen als Methylphenidat und Atomoxetin4
  • Die Nebenwirkungen von Guanfacin sind bei komorbiden Erkrankungen und bei reinem ADHS ähnlich22
  • Geringere Nebenwirkungen als Clonidin (weniger blutdrucksenkend und weniger sedierend)33
  • Aufgrund der blutdrucksenkenden Wirkung sollte Guanfacin nicht abrupt abgesetzt werden.6

Es sind keine Leberschädigungen oder erhöhten Enzymwerte im Blutserum durch Guanfacin bekannt.34

Guanfacin ist insbesondere in den Fällen eine Überlegung wert, wenn Stimulanzien stark blutdruckerhöhend wirken.

3. Abbau von Guanfacin

Guanfacin wird über das Cytochrom P450 3A4, kurz CYP3A4, abgebaut.

Bei Frauen ist dieses Cytochrom aktiver als bei Männern,35 sodass Frauen möglicherweise eine höhere Dosis benötigen könnten als Männer.
Weiter ergeben sich Wechselwirkungen, die die Enzymtätigkeit von CYP3A4 erhöhen (Induzierer) oder hemmen (Inhibitoren).

In vitro machte der 3-OH-Guanfacin-Signalpfad mindestens 2,6 % des Guanfacin-Stoffwechsels bei kryokonservierten, plattierten menschlichen Hepatozyten und 71 % bei gepoolten menschlichen Lebermikrosomen.36

4. Wechselwirkungen von Guanfacin

4.1. CYP3A4-Induzierer

  • Phenobarbital (stark)3738
  • Rifampin / Rifampicin (stark)3738
  • Chinolone37
  • Antikonvulsiva
    • Phenytoin (stark)3738
    • Carbamazepin (stark)3738
    • Oxcarbazepin (schwach)3738
  • Modafinil (schwach)3738
  • Armodafnil (schwach)38
  • Topiramat (schwach)38
  • Dexamethason37
    • nicht: Prednison37
  • Johanniskraut (schwach)3738
  • Ingwer37
  • Knoblauch37
  • Lakritz37

4.1.1. CYP3A4-Induzierer und Guanfacin

Starke CYP3A4-Induzierer verringern den Blutspiegel von Guanfacin binnen 2 bis 3 Wochen nach Einnahmebeginn, schwache und moderate CYP3A4-Induzierer können dies c bewirken.38 Umgekehrt steigt der Guanfacinspiegel 2 bis 3 Wochen nach dem Absetzen von CYP3A4-Induzierern wieder an.

Während die Packungsbeilage eine Verdoppelung der Guanfacindosis bei gleichzeitiger Gabe von CYP3A4-Induzierern empfiehlt, erforderte eine augmentierenden Einnahme von Phenobarbital in einem Einzelfall eine 5-fache Dosis.38 Eine Vermeidung starker CYP3A4-Induzierer scheint bei einer gleichzeitigen Einnahme von Guanfacin empfehlenswert.

4.2. CYP3A4-Inhibitoren

  • Antibiotika.
    • Makrolide
      • Erythromycin (stark)3837
      • Clarithromycin (stark)3837
      • Telithromycin37
    • Chloramphenicol37
  • Antimykotika:
    • Fluconazol37
    • Ketoconazol (stark)3837
    • Itraconazol37
  • Diltiazem (stark)38
  • Grapefruitsaft (stark)3837
  • Fluoxetin (schwach bis moderat)38
  • Fluvoxamin (schwach bis moderat)38
  • Proteaseinhibitoren:
    • Ritonavir37
    • Indinavir37
    • Nelfinavir37
  • Verapamil37
  • Aprepitant37
  • Nefazodon37
  • Amiodaron37
  • Cimetidin37
  • Baldrian37
  • Gelbwurzel37
  • Ginseng37

4.2.1. CYP3A4-Inhibitoren und Guanfacin

Starke CYP3A4-Inhibitoren erhöhen den Blutspiegel von Guanfacin nach Einnahmebeginn, schwache und moderate CYP3A4-Inhibitoren können dies gegebenenfalls bewirken.38

Während die Packungsbeilage eine Halbierung der Guanfacindosis bei gleichzeitiger Gabe von CYP3A4-Inhibitoren empfiehlt, scheint eine Halbierung bei einer augmentierenden Einnahme von Antipsychotika nicht ausreichend zu sein.38 Eine Vermeidung von CYP3A4-Inhibitoren scheint bei einer gleichzeitigen Einnahme von Guanfacin empfehlenswert.

Grapefruitsaft sollte bei der Einnahme psychiatrischer Medikamente stets vermieden werden.38

4.3. Sonstige Wechselwirkungen von Guanfacin

Valproat soll erhöhte Plasmaspiegel zeigen, wenn es parallel zu Guanfacin eingenommen wird.39

Guanfacin und Clonidin sollen durch trizyklische Antidepressiva und Phenothiazine antagonisiert werden.40

Eine gleichzeitige Anwendung von Betablockern oder ein plötzliches Absetzen von Guanfacin kann zu einer hypertensiven Reaktion führen.40

5. Langzeitwirkung: Keine Gewöhnungseffekte von Guanfacin

Eine Metaanalyse von 87 randomisierten placebokontrollierten doppelblinden Studien fand keine Hinweise auf ein Nachlassen der Wirkung von Methylphenidat, Amphetaminmedikamenten, Atomoxetin oder α2-Antagonisten bei längerer Einnahme.41

6. Theoretische Überlegungen zu Guanfacin: nur bei ADHS-HI, nicht bei ADHS-I / SCT?

Ein starker Anstieg von Noradrenalin / Dopamin fährt den PFC herunter. Diese Deaktivierung des PFC erfolgt durch Alpha-1-Adrenozeptoren, die eine geringere Noradrenalin- und Cortisolaffinität haben als Alpha-2-Adrenozeptoren und daher nur bei sehr hohen Noradrenalin- und Cortisolspiegeln adressiert werden. 4243444546

Ein besonders starker Anstieg von DA und NE bei starkem Stress könnte daher zu einer (häufigen) Unteraktivierung des PFC führen, wie sie bei ADHS-I typisch ist.
Vor diesem Hintergrund könnten sich Raynaud und Bluthochdruckprobleme bei manchen ADHS-I-Betroffenen erklären, die ebenfalls durch Alpha-1-Adrenozeptoren vermittelt werden.

Es fragt sich, ob Alpha-1-Adrenozeptor-Antagonisten, die ja erfolgreich gegen Raynaud und Bluthochdruck eingesetzt werden, nicht auch gegen die PFC-Blockaden bei ADHS-I hilfreich sein könnten.

Die Agonisierung der affineren Alpha-2-Rezeptoren ist in der Wirkung einer Antagonisierung der Alpha-1-Rezeptoren entgegengesetzt. Wie bei den Cortisolrezeptoren ist der weniger affine Rezeptor (dort: Glucocorticoidrezeptor, hier: Alpha-1-Adrenozeptor) für die Abschaltung des Systems verantwortlich und wird nur bei sehr hohen Botenstoffmengen adressiert. Sind die affineren Rezeptoren (dort: Mineralocorticoidrezeptor, hier: Alpha-2-Rezeptor) zu stark ausgeprägt, werden die weniger affinen Abschaltrezeptoren nicht erreicht. Alpha-2-Agonisten belegen die freien Kapazitäten der affineren Rezeptoren, sodass nun mehr Botenstoff frei bleibt, der nun die Alpha-1-Adrenozeptoren adressieren kann. Bei ADHS-I müssten Guanfacin und Yohimbin daher die PFC-Abschaltung verstärken.

Guanfacin ist ein Alpha-2-A und Alpha-2-D-Adrenozeptor-Agonist, Yohimbin ein Alpha-2-B-Adrenozeptor-Agonist.

Dieser Zusammenhang eröffnet die Frage, ob – zumindest theoretisch – Guanfacin und Yohimbin bei ADHS-I vermieden werden sollten und bei ADHS-HI einen besonders sinnvollen Einsatzzweck haben könnten, um einen überlasteten PFC herunterzufahren

7. Betroffenenbericht

Eine ADHS-Betroffene berichtet zu Guanfacin:

“Ich nehme 1 mg Guanfacin, etwa 5 bis 6 Stunden vor dem Schlafengehen.
Wenn ich es morgens nehme, werde ich etwas müde und habe nicht den Eindruck, dass es so viel hilft. Wenn ich es so nehme, dass der theoretische Peak zur Schlafenszeit liegt, schlafe ich viel besser.
Mein Schlaf ist irgendwie tiefer und erholsamer und mein Gehirn fühlt sich irgendwie… lebendiger? besser durchblutet? an. Bei der ersten Einnahme spürte ich nach 5-6 Stunden ein komisches Knistern im Nacken/unter den Ohren, dann kam eine Art sich nass anfühlende Druckwelle durch den Kopf, die mir kurz Schwindel verursachte, aber sofort wegging, als ich den Kopf bewegte. Seitdem spüre ich deutlicher, wenn mein Nacken verspannt ist. Entspannungsübungen reduzieren jetzt auch den Druck oben, vorne und seitlich am Kopf, nicht nur im Nacken.

Es hilft mir außerdem gegen eine extrem starke Stressantwort, die zuweilen mein Gehirn lahmlegt.
Ich hatte am Anfang an der Uni immer wieder Blackouts in Prüfungen. Das fühlt sich an wie eine Art „Stressquetschie“ in meinem Bauch, das ausgequetscht wird und eine „Stresswelle“ im Bauchraum verursacht, die dann hochkrabbelt und den Brustkorb verspannen will, und das Gehirn über den Augen und „obendrauf“ gefühlt “ausschaltet”. Ich kann dann nicht mehr klar denken. Das ist mit dem Guanfacin extrem abgeschwächt.“

Die ist die plastischste Beschreibung der Abschaltung des PFC durch Alpha-1-Adrenozeptoren, die wir bisher gefunden haben.

Achtung: individuelle Berichte über Medikamentenwirkungen dürfen nicht verallgemeinert werden!
Medikamentierung ist stets mit dem Arzt zu besprechen!


  1. http://www.kompendium-news.de/2016/02/guanfacin-zulassung-bei-kindern-und-jugendlichen-mit-adhs/

  2. Okada, Fukuyama, Kawano, Shiroyama, Suzuki, Ueda (2019): Effects of acute and sub-chronic administrations of guanfacine on catecholaminergic transmissions in the orbitofrontal cortex. Neuropharmacology. 2019 Feb 22. pii: S0028-3908(19)30062-0. doi: 10.1016/j.neuropharm.2019.02.029.

  3. de Cássia Collaço R, Lammens M, Blevins C, Rodgers K, Gurau A, Yamauchi S, Kim C, Forrester J, Liu E, Ha J, Mei Y, Boehm C, Wohler E, Sobreira N, Rowe PC, Valle D, Brock MV, Bosmans F (2023): Anxiety and dysautonomia symptoms in patients with a NaV1.7 mutation and the potential benefits of low-dose short-acting guanfacine. Clin Auton Res. 2023 Dec 8. doi: 10.1007/s10286-023-01004-1. PMID: 38064009.

  4. Guanfacin, Wirkstoff Aktuell, Ausgabe 2/2016, Stand 11.04.2015, Information der KBV

  5. Harvey, Uys, Viljoen, Shahid, Sonntag, Meyer (2021): Hippocampal monoamine changes in the Flinders sensitive line rat: A case for the possible use of selective α2C-AR-antagonists in stress and anxiety disorders in companion animals. Res Vet Sci. 2021 Mar;135:175-183. doi: 10.1016/j.rvsc.2021.01.013. PMID: 33529845.

  6. NPS MedicineWise (2018): Guanfacine hydrochloride for attention deficit hyperactivity disorder; Aust Prescr. 2018 Aug; 41(4): 131–132. doi: 10.18773/austprescr.2018.042 PMCID: PMC6091781 PMID: 30116086

  7. Poitras, McCormack (2018): Guanfacine Hydrochloride Extended-Release for the Treatment of Attention Deficit Hyperactivity Disorder in Adults: A Review of Clinical Effectiveness, Cost-Effectiveness, and Guidelines; CADTH Rapid Response Report: Summary with Critical Appraisal; Ottawa (ON): Canadian Agency for Drugs and Technologies in Health; 2018 Sep 11.

  8. Yu S, Shen S, Tao M (2023): Guanfacine for the Treatment of Attention-Deficit Hyperactivity Disorder: An Updated Systematic Review and Meta-Analysis. J Child Adolesc Psychopharmacol. 2023 Mar;33(2):40-50. doi: 10.1089/cap.2022.0038. PMID: 36944092. METASTUDIE

  9. Neuchat EE, Bocklud BE, Kingsley K, Barham WT, Luther PM, Ahmadzadeh S, Shekoohi S, Cornett EM, Kaye AD (2023): The Role of Alpha-2 Agonists for Attention Deficit Hyperactivity Disorder in Children: A Review. Neurol Int. 2023 May 22;15(2):697-707. doi: 10.3390/neurolint15020043. PMID: 37218982; PMCID: PMC10204383. REVIEW

  10. Yu S, Shen S, Tao M (2023): Guanfacine for the Treatment of Attention-Deficit Hyperactivity Disorder: An Updated Systematic Review and Meta-Analysis. J Child Adolesc Psychopharmacol. 2023 Mar;33(2):40-50. doi: 10.1089/cap.2022.0038. PMID: 36944092. METASTUDY, k = 12, n = 2.653

  11. Childress (2012): Guanfacine extended release as adjunctive therapy to psychostimulants in children and adolescents with attention-deficit/hyperactivity disorder. Adv Ther. 2012 May;29(5):385-400. doi: 10.1007/s12325-012-0020-1.

  12. Bukstein, Head (2012): Guanfacine ER for the treatment of adolescent attention-deficit/hyperactivity disorder; Expert Opin Pharmacother. 2012 Oct;13(15):2207-13. doi: 10.1517/14656566.2012.721778.

  13. Huss, Chen, Ludolph (2016): Guanfacine Extended Release: A New Pharmacological Treatment Option in Europe.Clin Drug Investig. 2016 Jan;36(1):1-25. doi: 10.1007/s40261-015-0336-0

  14. Mittal, Boan, Kral, Lally, van Bakergem, Macias, LaRosa (2019): Young Children with Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder and/or Disruptive Behavior Disorders Are More Frequently Prescribed Alpha Agonists Than Stimulants. J Child Adolesc Psychopharmacol. 2019 Oct 17. doi: 10.1089/cap.2019.0105.

  15. Butterfield, Saal, Young, Young (2016): Supplementary guanfacine hydrochloride as a treatment of attention deficit hyperactivity disorder in adults: A double blind, placebo-controlled study. Psychiatry Res. 2016 Feb 28;236:136-41. doi: 10.1016/j.psychres.2015.12.017. n = 26

  16. Levy (2008): Pharmacological and therapeutic directions in ADHD: Specificity in the PFC. Behav Brain Funct. 2008 Feb 28;4:12. doi: 10.1186/1744-9081-4-12. PMID: 18304369; PMCID: PMC2289834.

  17. Sallee, Kollins, Wigal (2012): Efficacy of guanfacine extended release in the treatment of combined and inattentive only subtypes of attention-deficit/hyperactivity disorder. J Child Adolesc Psychopharmacol. 2012 Jun;22(3):206-14. doi: 10.1089/cap.2010.0135. PMID: 22612526; PMCID: PMC3373219. n = 631

  18. Guanfacin, Wirkstoff Aktuell, Ausgabe 2/2016, Stand 11.04.2015, Information der KBV, randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudie mit n = 337

  19. Dodson: How ADHD Ignites Rejection Sensitive Dysphoria; The extreme emotional pain of perceived rejection is a feeling unique to people with ADHD, and it can be debilitating. Learn how RSD may be impacting your patients; in: ADDitude. Strategies and Support für ADD & LD

  20. Lukkes, Drozd, Fitz, Molosh, Clapp, Shekhar (2020): Guanfacine treatment improves ADHD phenotypes of impulsivity and hyperactivity in a neurofibromatosis type 1 mouse model. J Neurodev Disord. 2020 Jan 15;12(1):2. doi: 10.1186/s11689-019-9304-y. PMID: 31941438; PMCID: PMC6961243.

  21. Muir, Perry (2010): Guanfacine extended-release: in attention deficit hyperactivity disorder; Drugs. 2010 Sep 10;70(13):1693-702. doi: 10.2165/11205940-000000000-00000

  22. de Groof, De La Marche, Danckaerts (2019): [Effectiveness of guanfacin on comorbid disorders in children and adolescents with adhd: a systematic literature review]. [Article in Dutch] Tijdschr Psychiatr. 2019;61(12):845-853.

  23. Connor, Arnsten, Pearson, Greco (2014): Guanfacine extended release for the treatment of attention-deficit/hyperactivity disorder in children and adolescents.Expert Opin Pharmacother. 2014 Aug;15(11):1601-10. doi: 10.1517/14656566.2014.930437.

  24. Barkley (2014): Dr Russell Barkley on ADHD Meds and how they all work differently from each other; Youtube

  25. Childress, Hoo-Cardiel, Lang, (2020): Evaluation of the current data on guanfacine extended release for the treatment of ADHD in children and adolescents. Expert opinion on pharmacotherapy, 1–10. Advance online publication. doi:10.1080/14656566.2019.1706480

  26. McCracken, McGough, Loo, Levitt, Del’Homme, Cowen, Sturm, Whelan, Hellemann, Sugar, Bilder (2018): Combined Stimulant and Guanfacine Administration in Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder: A Controlled, Comparative Study. Am Acad Child Adolesc Psychiatry. 2016 Aug; 55(8): 657–666.e1. doi: 10.1016/j.jaac.2016.05.015; PMCID: PMC4976782; NIHMSID: NIHMS800851; PMID: 27453079

  27. Nurse, Russell, Taljaard (1985): Effect of chronic desipramine treatment on adrenoceptor modulation of [3H]dopamine release from rat nucleus accumbens slices. Brain Res. 1985 May 20;334(2):235-42

  28. Takahashi, Ohmiya, Honda, Ni (2018): The KCNH3 inhibitor ASP2905 shows potential in the treatment of attention deficit/hyperactivity disorder. PLoS One. 2018 Nov 21;13(11):e0207750. doi: 10.1371/journal.pone.0207750. eCollection 2018.

  29. Fukuyama, Nakano, Shiroyama, Okada (2021): Chronic Administrations of Guanfacine on Mesocortical Catecholaminergic and Thalamocortical Glutamatergic Transmissions. Int J Mol Sci. 2021 Apr 16;22(8):4122. doi: 10.3390/ijms22084122. PMID: 33923533.

  30. Steinhausen, Rothenberger, Döpfner (2010): Handbuch ADHS, Seiten 84, 85

  31. Michelini, Lenartowicz, Vera, Bilder, McGough, McCracken, Loo SK (2022): Electrophysiological and Clinical Predictors of Methylphenidate, Guanfacine, and Combined Treatment Outcomes in Children With Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry. 2022 Aug 8:S0890-8567(22)01229-1. doi: 10.1016/j.jaac.2022.08.001. PMID: 35963559. n = 181

  32. Blum NJ, Shults J, Barbaresi W, Bax A, Cacia J, Deavenport-Saman A, Friedman S, Loe IM, Mittal S, Vanderbilt D, LaRosa A, Harstad E. Do Externalizing and Internalizing Symptoms Moderate Medication Response in Preschool Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder? A DBPNet Study. J Dev Behav Pediatr. 2023 Sep 1;44(7):e447-e454. doi: 10.1097/DBP.0000000000001209. PMID: 37696030

  33. Sorkin, Heel (1986): Guanfacine. A review of its pharmacodynamic and pharmacokinetic properties, and therapeutic efficacy in the treatment of hypertension.Drugs. 1986 Apr;31(4):301-36. Betrifft vermutlich Guanfacin-IR, nicht GXR, also nicht Intuniv

  34. Guanfacine. Source LiverTox: Clinical and Research Information on Drug-Induced Liver Injury [Internet]. Bethesda (MD): National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases; 2012-2019

  35. Keiner (2015): Gendermedizin – Dosisanpassung selten erforderlich. Pharmazeutische Zeitung.

  36. Law R, Lewis D, Hain D, Daut R, DelBello MP, Frazier JA, Newcorn JH, Nurmi E, Cogan ES, Wagner S, Johnson H, Lanchbury J (2022): Characterisation of seven medications approved for attention-deficit/hyperactivity disorder using in vitro models of hepatic metabolism. Xenobiotica. 2022 Nov 1:1-32. doi: 10.1080/00498254.2022.2141151. PMID: 36317558.

  37. CYP3A4 bei DocCheck Flexikon, abgerufen am 23.12.19

  38. Schoretsanitis, de Leon, Eap, Kane, Paulzen (2019): Clinically Significant Drug-Drug Interactions with Agents for Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder. CNS Drugs. 2019 Dec;33(12):1201-1222. doi: 10.1007/s40263-019-00683-7.

  39. Ambrosini, Sheikh (1998): Increased plasma valproate concentrations when coadministered with guanfacine. J Child Adolesc Psychopharmacol. 1998;8(2):143-7. doi: 10.1089/cap.1998.8.143. PMID: 9730080.

  40. Markowitz, Patrick (2001): Pharmacokinetic and pharmacodynamic drug interactions in the treatment of attention-deficit hyperactivity disorder. Clin Pharmacokinet. 2001;40(10):753-72. doi: 10.2165/00003088-200140100-00004. PMID: 11707061. REVIEW

  41. Castells, Ramon, Cunill, Olivé, Serrano (2020): Relationship Between Treatment Duration and Efficacy of Pharmacological Treatment for ADHD: A Meta-Analysis and Meta-Regression of 87 Randomized Controlled Clinical Trials. J Atten Disord. 2020 Feb 20:1087054720903372. doi: 10.1177/1087054720903372. PMID: 32075485.

  42. Ramos, Arnsten (2007): Adrenergic pharmacology and cognition: focus on the prefrontal cortex. Pharmacol Ther. 2007 Mar; 113(3):523-36., Kapitel 6

  43. Birnbaum, Gobeske, Auerbach, Taylor, Arnsten (1999): A role for norepinephrine in stress-induced cognitive deficits: α-1-adrenoceptor mediation in prefrontal cortex. Biol. Psychiatry 46, 1266–1274.

  44. Ramos, Colgan, Nou, Ovadia, Wilson, Arnsten (2005). The beta-1 adrenergic antagonist, betaxolol, improves working memory performance in rats and monkeys. Biol. Psychiatry 58, 894–900.

  45. ähnlich: Arnsten (2000): Stress impairs prefrontal cortical function in rats and monkeys: role of dopamine D1 and norepinephrine alpha-1 receptor mechanisms. Prog Brain Res. 2000;126:183-92.

  46. Für starke Stimulation des D1-Dopaminrezeptors: Zahrt, Taylor, Mathew, Arnsten (1997): Supranormal stimulation of D1 dopamine receptors in the rodent prefrontal cortex impairs spatial working memory performance. J Neurosci. 1997 Nov 1;17(21):8528-35.