Die Effektstärke einer Behandlung ist der Wert, um den sich die Symptomatik verbessert.
Die Größenordnung der gefundenen Effektstärken wird anhand von Standardkriterien beschrieben:
SMD (standardisierte mittlere Differenz): klein = 0,20, mittel = 0,50, groß = 0,80
Korrelationskoeffizient: klein = 0,10, mittel = 0,24, groß = 0,37.
Ein “kleiner” Effekt ist in der Regel bei einem Individuum schwer zu beobachten, kann aber für die öffentliche Gesundheit sehr wichtig sein, wenn es sich um eine allgemeine Exposition handelt, die viele Individuen betrifft.
Ein “mittlerer” Effekt sollte für einen aufmerksamen Beobachter wahrnehmbar sein.
Ein “großer” Effekt ist im Allgemeinen für die klinische Praxis auf der Ebene des Individuums relevant.
Synonyme sind:
“Mäßig” und “mittel”
“Stark” und “groß”
Die höchste Wirkung bei der Behandlung von ADHS zeigen Medikamente (vor allem Stimulanzien). Die Effektstärke von AMP (ca. 1,0 bis 1,5) und MPH (ca. 0,8 bis 1,1) bei ADHS sind die höchsten, die je für psychiatrische Medikamente gefunden wurden.
Verhaltenstherapie allein ist über viele Jahre hinweg nicht so wirksam wie Medikamente allein.
Eine Kombination von Medikamenten und intensiver Verhaltenstherapie schnitt in der MTA-Studie an n = 579 Kindern zwischen 7 und 9 Jahren nicht signifikant besser ab als Medikamente allein. Bei impulsiv-aggressiver Symptomatik und emotionalen Störungen waren Medikamente und Verhaltenstherapie gleich wirkungsvoll. Eine jüngere umfangreiche Metastudie von 190 Untersuchungen mit 26.114 Teilnehmern mit ADHS-HI kam zu vergleichbaren Ergebnissen.
Es wird berichtet, dass Medikamente während einer Therapie die Lernwirksamkeit der Therapie erhöhen. Nach unserem Verständnis stellen sie in vielen Fällen überhaupt erst die Therapiefähigkeit her, da Stimulanzien das Dopamindefizit beseitigen und damit die zur Lernfähigkeit erforderliche neurotrophe Wirkung des Dopamins, die Plastizität des Gehirns zu unterstützen, wiederherstellen. ⇒ Neurophysiologische Korrelate von Lernproblemen bei ADHS
Medikamente wirken bei ADHS nur so lange, wie sie gegeben werden. Therapie, Umfeldintervention und Psychoedukation haben dagegen langfristige Wirkung. Therapien wirken über ihre konkrete Anwendung hinaus.
Die in diesem Beitrag genannten Effektstärken und SMD-Werte (Standard mean difference) sind nicht unmittelbar miteinander vergleichbar, zumal sie meist nach unterschiedlichen Methoden ermittelt wurden. Gleichwohl geben die Daten ein ungefähres Bild zum Vergleich der Wirksamkeit.
-
1. Wirksamkeitsintensität der Behandlungsmethoden
-
1.1. Wirksamkeit von Medikamenten bei ADHS
-
1.2. Wirksamkeit von nichtmedikamentösen Therapieformen bei ADHS (Effektstärke)
-
1.2.1. Multimodale Therapie 1,7
-
1.2.2. Verhaltenstherapie: 0,85 (0,69 bis 1,0)
-
1.2.3. Sport (Ausdauertraining): ca. 0,8 (0,77 bis 0,93)
-
1.2.4. Neurofeedback: 0,8 (0,39 bis 1,2)
-
1.2.5. Elterntraining 0,59 (0,31 bis 0,86)
-
1.2.6. Kognitives Selbstregulationstraining 0,54
-
1.2.7. Verhaltenstraining 0,54
-
1.2.8. Eliminationsdiät: 0,54 (0,29 bis 0,8)
-
1.2.9. Kognitives Training 0,45
-
1.2.10. Social Skills Training 0,31
-
1.2.11. Elimination von Nahrungsergänzungsmitteln / Farbstoffen: 0,2 (0,08 bis 0,44)
-
1.2.12. PUFA-Supplementierung: 0,16
-
1.2.13. Achtsamkeitsbasierte Verhaltenstherapie (MBCT)
-
2. Wirksamkeitslatenz der Behandlungsformen
-
3. Wirksamkeitsgegenstand der Behandlungsformen
-
4. Wirksamkeitsdauer der Behandlungsformen
1. Wirksamkeitsintensität der Behandlungsmethoden¶
Die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten haben unterschiedliche Wirksamkeit.
Je höher der Wert, desto effektiver verbessert die Behandlung die ADHS-Symptome.
1.1. Wirksamkeit von Medikamenten bei ADHS¶
Wirkung nur während der Medikamenteneinnahme.
1.1.1. Vergleich nach Effektstärke¶
Bei Effektstärke sind positive Werte besser.
1.1.1.1. Stimulanzien: 1 bis 1,5¶
1.1.1.1.1. Amphetaminmedikamente: 1,1 bis 1,5¶
- Amphetaminmedikamente gesamt
- Lisdexamfetamin 1,52 (Elvanse)
- d-Aphetamin unretardiert 1,24 (z.B. Attentin)
- d-Amphetamin retardiert 1,13 (nicht: Lisdexamfetamin)
- ca. 1,1 AMP gesamt, ca. 1,0
- 1,07 bei europäischen Erwachsenen (Lisdexamfetamin-Medikamente; Metastudie aus 22 Untersuchungen)
- bei Unaufmerksamkeit: 1,5 (Lisdexamfetamin-Medikamente, allerdings nur eine Untersuchung)
- bei Hyperaktivität: ca. 1,2 (Amphetaminmedikamente insgesamt)
- Lisdexamfetamin wies in einer Metastudie die beste Effektstärke auf, deutlich besser als Amphetaminsalze und Methylphenidat. Eine andere Studie kam zu vergleichbaren Ergebnissen für Adderall (Amphetaminsalze).
- Bei MPH-Nonrespondern wurden in einer randomisierten Doppelblindstudie mit n = 200 Probanden Lisdexamfetamin und Atomoxetin verglichen. Lisdexamfetamin wirkte in 2 von 6 Kategorien und in der Gesamtbeurteilung signifikant besser als Atomoxetin.
- Gemischte Amphetaminsalze
- 1,34
- bei Kindern: 0,85
- bei Erwachsenen: 0,75
- Gemischte Amphetaminsalze retardiert (z.B. Adderall XR; Mischung von Dexamphetamin und Levoamphetamin im Verhältnis 3:1)
- Amphetamin Suspension mit verlängerter Freisetzung
- bei Kindern: 0,8 / 0,5 bis 0,8 für bis zu 13 Stunden
1.1.1.1.2. Methylphenidat: 0,9 bis 1,1¶
-
MPH gesamt 0,9, ca. 0,8, nach weniger gesicherter Quelle 1,3 bis 1,69
- Methylphenidat mit Sofortwirkung (unretardiert)
- 0,92,
- Ritalin, MPH Hexal: 1,01
- Equasym: 1,09
- Methylphenidat retardiert: 1,08
- Concerta: 1,35
- Medikinet retard: 0,95
- OROS-MPH 0,9
-
MPH-MR 0,85
-
MPH-LA 0,95
- nach Symptomen:
- Unaufmerksamkeit im Schnitt ca. 0,8
- Hyperaktivität: im Schnitt ca. 1,0
- Eine Metastudie fand eine nur moderate Effektstärke. Dies deckt sich nicht mit den allgemeinen Erfahrungen der Praxis.
- d-MPH 0,76
1.1.1.1.3. Mazindol: 1,09¶
Mazindol, eine wachmachende Substanz mit stimulierenden Eigenschaften, zeigte eine hohe Effektstärke von 1,09 auf ADHS-Kernsymptome bei Erwachsenen mit ADHS.
Zur Bestätigung sollten weitere Studien hierzu abgewartet werden.
1.1.1.1.4. Dasotralin: 0,48¶
Eine 6-wöchige RCT mit 342 Kindern im Alter von 6–12 Jahren fand eine Effektstärke von 0,48 bei 4 mg/Tag.
1.1.1.2. Nichtstimulanzien gesamt (Metaanalyse) 0,71¶
Nichtstimulanzien gesamt (Metaanalyse) 0,71
1.1.1.3.1. Guanfacin: 0,78 (Monotherapie; bei Kombination mit MPH besser als MPH allein)¶
- Clonidin 0,8
- Guanfacin: 0,76
- Eine Studie fand eine verbesserte Wirkung von Guanfacin + MPH als Guanfacin oder MPH allein:
- Guanfacin allein (bei 68 % der Betroffenen eine Symptomreduzierung um mindestens 50 %)
- Methylphenidat allein (bei 81 % der Betroffenen eine Symptomreduzierung um mindestens 50 %)
- Kombinationsmedikation aus MPH und Guanfacin (bei 91 % der Betroffenen eine Symptomreduzierung um mindestens 50 %)
1.1.1.3.2. Atomoxetin: 0,66¶
- Atomoxetin 0,68
- Atomoxetin 0,63
1.1.1.3.3. Modafinil: 0,59¶
- Modafinil 0,65
- Modafinil 0,52
- Eine andere Metastudie konnte dagegen keine Symptomverbesserung durch Modafinil feststellen. Diese Studie wich jedoch auch in Bezug auf MPH erheblich von den Erfahrungen der Praxis ab.
1.1.1.3.4. Viloxazin: 0,46 bis 0,63¶
Die Effektstärke von Viloxazin wurde in verschiedenen Studien mit zwischen 0,46 bis 0,63 ermittelt.
1.1.1.3.5. Bupropion: 0,22¶
1.1.1.3.6. Clonidin: 0,03¶
1.1.2. Vergleich nach SMD¶
Eine umfangreiche Metastudie, die 133 Untersuchungen mit insgesamt 10.068 Kindern und 8.131 Erwachsenen auswertete, ermittelte folgende Wirksamkeitswerte (in SMD; niedrigere Werte sind besser):
- Amphetaminmedikamente: -1,02 (von -1,19 bis -0,85)
- Methylphenidat: -0,8 (von -0,93 bis -0,62); -0,74 bei Kindern und Jugendlichen
- Atomoxetin: -0,56 (von -0,66 bis -0,45)
- Modafinil: -0,56 (von -0,66 bis -0,45)
Bei Erwachsenen allein fanden sich folgende Wirksamkeitswerte (in SMD, niedrigere Werte sind besser)
- Amphetaminmedikamente: -0,79 (von -0,99 bis -0,58) was sich mit weiteren Veröffentlichungen deckt
- Methylphenidat: -0,49 (von -0,64 bis -0,35)
- Bupropion: -0,46 (von -0,85 bis -0,07, also eine sehr große Schwankungsbreite)
- Atomoxetin: -0,45 (von -0,58 bis -0,32)
- Modafinil: 0,16 (von -0,28 bis 0,59)
- Der positive Wert bei Modafinil bedeutet eine schlechtere Wirkung als Placebo bei Erwachsenen.
1.1.3. Verträglichkeit¶
Ebenso wurde die Verträglichkeit analysiert.
Positive Werte bedeuten: schlechter verträglich als Placebo.
- Amphetaminmedikamente
- bei Kindern (2,30 odds ratio [OR], 95 % CI 1,36 bis 3,89)
- bei Erwachsenen (3,26, 1,54 bis 6,92)
- Guanfacin bei Kindern und Erwachsenen (2,64, 1,20 bis 5,81)
- Atomoxetin (2,33, 1,28 bis 4,25)
- Methylphenidat (2,39, 1,40 bis 4,08)
- Modafinil (4,01, 1,42 bis 11,33)
1.2. Wirksamkeit von nichtmedikamentösen Therapieformen bei ADHS (Effektstärke)¶
Wirksamkeit angegeben in Effektstärke. Positive Werte sind besser.
1.2.1. Multimodale Therapie 1,7¶
In der “Multimodal Treatment Study of Children with ADHS” (MTA-Studie) Ende der 90er Jahre wurden 579 Kinder von 7 bis 10 Jahren 14 Monate lang mit Medikamenten, kognitiver Verhaltenstherapie oder beidem behandelt.
Lehrer und Eltern beurteilten den Symptomrückgang hinsichtlich der Kernsymptome von ADHS in der Gruppe der nur medikamentös behandelten Kinder besser als in der Gruppe der nur mit Verhaltenstherapie behandelten Kinder. Die Kinder, die Medikamente und Verhaltenstherapie erhielten, schnitten noch ein klein wenig besser ab als die nur mit Medikamenten behandelten Kinder. Wenn nicht nur die Kernsymptome, sondern sämtliche Symptome betrachtet wurden, schnitten die mit Medikamenten und kognitiver Verhaltenstherapie behandelten Kinder deutlich am Besten ab. Die Wirkung von Verhaltenstherapie allein war dagegen geringer als die alleinige Behandlung mit Medikamenten.
- 1,7 bei Verhaltenstherapie mit gleichzeitiger Medikation: 1,7
1.2.2. Verhaltenstherapie: 0,85 (0,69 bis 1,0)¶
- ohne gleichzeitige Medikation:
- 1,0
- 0,69 nach einer Metauntersuchung von 3 Studien mit insgesamt 107 Probanden Bedauerlicherweise erfolgte kein Vergleich zur Effektstärke von Medikation.
- Eine umfangreiche Metastudie von 190 Untersuchungen mit 26.114 Teilnehmern mit ADHS-HI fand, dass Stimulanzien wirksamer waren als Verhaltenstherapie, kognitives Training oder Nicht-Stimulanzien. Stimulanzien in Kombination mit Verhaltenstherapie schiene am wirksamsten zu sein.
- mit gleichzeitiger Medikation: 1,7
- Wirkung bleibt nach Therapieende weitgehend bestehen
- Dauer bis Wirkungseintritt sehr lange
1.2.3. Sport (Ausdauertraining): ca. 0,8 (0,77 bis 0,93)¶
Nach Effektstärke (höhere Werte sind besser):
- 0,93 nach einer Metauntersuchung von 5 Studien mit insgesamt 144 Probanden Bedauerlicherweise erfolgte kein Vergleich zur Effektstärke von Medikation.
- Eine Aerobic-Gruppensportprogramm bewirkte bei Teilnehmern mit unterschiedlichen Störungsbildern Verbesserungen gegenüber der passiven Kontrollgruppe in Bezug auf:
- globale Symptomschwere: 0,77
- Depression; 0,68
- Angst: 0,87
- Schlafqualität: 0,88
- Eine Übersichtsarbeit analysierte 37 Metastudien mit 106 Studien und fand als Hedges g:
- Unaufmerksamkeit: 0,92
- Impulskontrolle: 0,82
- kognitive Flexibilität: 0,52
Die Beweise für die Wirksamkeit von Bewegung auf emotionale, soziale und Arbeitsgedächtnisleistungen waren schwach, und auf Hyperaktivität und Verhaltensfunktionen nicht signifikant.
Nach SMD (niedrigere Werte sind besser):
- -0,65 SMD (Mittel). Eine Metauntersuchung fand moderate Effektstärken von Ausdauertraining bei Kindern mit ADHS. Angaben in SMD, (negativer ist stärker):
- Aufmerksamkeit (-0,84)
- Angstsymptome (-0,66)
- Exekutivfunktionen (-0,58)
- Sozialstörungen (-0,59)
- Hyperaktivität (-0,56)
-
Impulsivität (-0,56)
- -0,62 (SMD) Eine Cochrane-Metaanalyse von 35 Studien über die Wirkung von Sporttraining auf Depression fand eine SMD (negativer ist stärker) von -0,62 (35 Studien mit 1356 Teilnehmern, die Ausdauertraining gegen Kontrollen verglichen) und einer Langzeitwirkung von -0,33. Wurden jedoch lediglich die Studien mit einer hohen Verblindung ausgewertet, sank die SMD auf kaum relevante -0,18. Die vergleichenden Studien zur Effektstärke von Psychotherapie (7 Studien, n = 189) oder zu Medikamenten (4 Studien, n = 300) fanden jeweils eine identische SMD von Ausdauertraining.
1.2.4. Neurofeedback: 0,8 (0,39 bis 1,2)¶
- 0,6
- 0,49 bis 0,68 nach nur 30 Sitzungen
- 0,61 nach einer Metauntersuchung von 6 Studien mit insgesamt 203 Probanden Bedauerlicherweise erfolgte kein Vergleich zur Effektstärke von Medikation.
- auf Aufmerksamkeit: 0,8 bis 1,2
- 0,8
- nach 40 Sitzungen: 1,2
- auf Impulsivität: 0,68
- nach 20 Sitzungen: 0,7
- durch höhere Sitzungsanzahl nicht weiter verbesserbar
- auf Hyperaktivität: 0,39
- durch höhere Sitzungsanzahl nicht weiter verbesserbar
- Neurofeedback ist nicht so effektiv wie MPH.
-
MPH zeigte in einer Studie eine Symptomverbesserung von 46,9 % (SMD 2,03), während Neurofeedback eine Symptomverbesserung von 26,7 % (SMD 0,89) bewirkte.
- Wirkung bleibt nach Therapieende meist vollständig bestehen
1.2.5. Elterntraining 0,59 (0,31 bis 0,86)¶
Eine einzelne Untersuchung eines bestimmten Trainings für Eltern von Kindern mit ADHS fand eine Verbesserung des problematischen Verhaltens der Kinder von
- 0,86 für Elterntraining in der Gruppe
- 0,6 bis 0,7. Da die Datenerhebung durch Elternfragebögen erfolgte, dürfte mit einem erheblichen Bias in Richtung erhöhter Werte zu rechnen sein.
- 0,42 bis 0,53
- 0,40 bei ADHS
- 0,36 bei externalisierenden Symptomen
- 0,31, n = 4 Studien wobei allerdings zugleich Antidepressiva eine Effektstärke von 0,85, Stimulanzien eine Effektstärke von 0,35 und multimodaler Behandlung eine Effektstärke von 0,28 zugeschrieben wurde, was Fragen hinsichtlich der Belastbarkeit der Daten aufwirft.
1.2.6. Kognitives Selbstregulationstraining 0,54¶
- außerschulisch 0,58, n = 5 Studien wobei allerdings zugleich Antidepressiva eine Effektstärke von 0,85, Stimulanzien eine Effektstärke von 0,35 und multimodaler Behandlung eine Effektstärke von 0,28 zugeschrieben wurde, was Fragen hinsichtlich der Belastbarkeit der Daten aufwirft.
- schulisch 0,49, n = 2 Studien wobei allerdings zugleich Antidepressiva eine Effektstärke von 0,85, Stimulanzien eine Effektstärke von 0,35 und multimodaler Behandlung eine Effektstärke von 0,28 zugeschrieben wurde, was Fragen hinsichtlich der Belastbarkeit der Daten aufwirft.
1.2.7. Verhaltenstraining 0,54¶
- außerschulisch 0,29, n = 1 Studie wobei allerdings zugleich Antidepressiva eine Effektstärke von 0,85, Stimulanzien eine Effektstärke von 0,35 und multimodaler Behandlung eine Effektstärke von 0,28 zugeschrieben wurde, was Fragen hinsichtlich der Belastbarkeit der Daten aufwirft.
- schulisch 0,50, n = 3 Studien wobei allerdings zugleich Antidepressiva eine Effektstärke von 0,85, Stimulanzien eine Effektstärke von 0,35 und multimodaler Behandlung eine Effektstärke von 0,28 zugeschrieben wurde, was Fragen hinsichtlich der Belastbarkeit der Daten aufwirft.
1.2.8. Eliminationsdiät: 0,54 (0,29 bis 0,8)¶
Wirkung nur während fehlerfreier Diäteinhaltung
- 0,29
- 0,51 bis 0,8
- 0,29
Es gibt Hinweise, dass eine Eliminationsdiät nur bei bestimmten Betroffenen anschlägt (“Subgruppe”).
1.2.9. Kognitives Training 0,45¶
- 0,45 nach einer Metauntersuchung von 4 Studien mit insgesamt 159 Probanden. Bedauerlicherweise erfolgte kein Vergleich zur Effektstärke von Medikation.
- SMD = 0.216
- Ein Review fand nur eine begrenzte bis geringe Symptomverbesserung durch Computergestützes Kognitives Training.
1.2.10. Social Skills Training 0,31¶
- Social Skills Training 0,31, n = 3 Studien wobei allerdings zugleich Antidepressiva eine Effektstärke von 0,85, Stimulanzien eine Effektstärke von 0,35 und multimodaler Behandlung eine Effektstärke von 0,28 zugeschrieben wurde, was Fragen hinsichtlich der Belastbarkeit der Daten aufwirft.
1.2.11. Elimination von Nahrungsergänzungsmitteln / Farbstoffen: 0,2 (0,08 bis 0,44)¶
- 0,08 bis 0,11 (Lehrer und Beobachterrating)
- 0,12 bis 0,25
- 0,21 bis 0,283 (bei Hinzunahme auch kleiner, weniger hochwertiger Studien)
- 0,21 bis 0,44 im Elternrating
- Wirkung nur während fehlerfreier Diäteinhaltung
1.2.12. PUFA-Supplementierung: 0,16¶
- 0,16 bis 0,17 im Eltern- und Lehrerrating
1.2.13. Achtsamkeitsbasierte Verhaltenstherapie (MBCT)¶
ADHS-Betroffene, die zusätzlich mit MBCT (Mindfullness based cognitive therapy, eine achtsamkeitsbasierte Verhaltenstherapie) behandelt wurden, wiesen eine signifikant grössere Verringerung der ADHS-Symptome auf [M-Differenz = -3,44 (-5,75, -1,11), p = 0,004, d = 0,41]. Dieser Effekt wurde bis zum 6-Monats-Follow-up beibehalten. Von den zusätzlich mit MBCT Behandelten zeigten 27 % eine Verringerung der ADHS-HI-Symptome um 30 % (p = 0,001), gegenüber lediglich 4 % der nicht zusätzlich mit MBCT behandelten ADHS-Betroffenen.
Die Wirkung blieb weitgehend auch nach Therapieende bestehen.
2. Wirksamkeitslatenz der Behandlungsformen¶
Mit Wirksamkeitslatenz meinen wir, wie lange es dauert, bis eine Behandlung eine Wirkung erbringt.
- Medikamente
- Stimulanzien: sofort wirkend, bei optimaler Einstellung sofort voll wirksam
- Noradrenalinwiederaufnahmehemmer: 2-3 Wochen Anflutungsphase
- Atomoxetin: mehrere Wochen bis 6 Monate Anflutungsphase
- Therapie
- Verhaltenstherapie: mehrere Monate für erste Schritte, 3 Jahre für adäquate Behandlungswirkung
- Neurofeedback: mehrere Monate für erste Schritte, 6 bis 15 Monate für adäquate Behandlungswirkung
3. Wirksamkeitsgegenstand der Behandlungsformen¶
Mit Wirksamkeitsgegenstand meinen wir, welche Symptome die einzelnen Behandlungsformen verändern.
3.1. Medikamente¶
- Stimulanzien:
- Aufmerksamkeit
- Hyperaktivität
-
Impulsivität (MPH mehr als Amphetaminmedikamente)
- innerer Druck
- emotionale Dysregulation
- Stimmungsschwankungen / Affektstabilität
- Aggression/Ängstlichkeit
-
Dysphorie (vorwiegend Amphetaminmedikamente, MPH dagegen weniger)
- Nichtstimulantien:
-
Impulsivität
z.B. geringe Dosen an SSRI
- emotionale Regulation
- Aufmerksamkeit
- Noradrenalinwiederaufnahmehemmer:
-
Impulsivität
- Depression
- Stimmungsschwankungen / Affektstabilität
- Hyperaktivität
3.2. Therapie¶
- Verhaltenstherapie:
- kognitive VT:
Selbstwert, Sozialverhalten, Stressreduktion
In gewissem Maße auch Veränderung der Stressverarbeitung samt hormoneller und immunologischer körperlicher Veränderung
- achtsamkeitsbasierte VT:
Aufmerksamkeit, Empathie, Stressreduktion
- Achtsamkeitstraining:
Veränderung der Stresswahrnehmung; Veränderung der Stressverarbeitung im ZNS, Impulsivität
Eine verbesserte Wahrnehmung angenehmer Aspekte bewirkt unmittelbare Veränderungen am dopaminergen Fokussierungs- und Verstärkungssystem. Gleiches bewirken Wahrnehmungen zur Beschaffenheit der räumlichen Umgebung eines Individuums und (dauerhaft) ein hoher sozialer Rang.
Ob diese Veränderungen jedoch (mit Ausnahme des sozialen Rangs) dauerhaften Einfluss haben, was für einen therapeutischen Einsatz Voraussetzung ist, oder jeweils nur eine Aktivierung während der Wahrnehmung erfolgt, ist ungeklärt.
- Neurofeedback:
Aufmerksamkeit; Impulsivität; Hyperaktivität, Entspannung, Schlaf
- Umfeldinterventionen:
Wegfall von Stressoren durch Eliminierung von Stressoren und größeres Verständnis des Umfelds
- Psychoedukation:
Wegfall von Stressoren und bessere Regulationsfähigkeit durch grösseres Verständnis des Betroffenen
Selbstwertsteigerung durch das Gefühl, nach Hause zu kommen, bei Begegnung und Austausch mit anderen Betroffener
4. Wirksamkeitsdauer der Behandlungsformen¶
4.1. Frühzeitige Medikation¶
Es gibt einen Hinweis, dass eine Methylphenidatbehandlung mit 2 mg / kg / Tag bei sehr jungen Ratten eine dauerhafte Verringerung der Dopamintransporter im Striatum verursachte (was einer dauerhafte Heilungswirkung entspräche), während eine Methylphenidatgabe bei etwas älteren Tieren (“nach der Pubertät”) dies nicht mehr bewirkte. Diese Ergebnisse konnten bislang nicht reproduziert werden.
Bei der Behandlung von Menschen ist auch bei Kindern vor der Pubertät mit MPH keine dauerhafte Verringerung der DAT im Striatum bekannt. Entweder ist bei Menschen eine Anwendung in noch viel früheren Jahren erforderlich oder die – gegenüber der bei Kindern postulierten Maximaldosis von 1 mg / kg / Tag – deutlich erhöhte Dosierung (hier 2 mg / kg) bewirkt bislang unerforschte Effekte.
Trotz der immensen Bedeutung dieser Frage sind keine weiteren Untersuchungen hierzu bekannt, die die Ergebnisse bestätigen. Bei einer Dosierung von sogar zwei mal 5 mg / kg / Tag bei Ratten ab dem 7. Tag bis zum 35. Tag nach der Geburt wurden zwar kurzfristige Verringerungen der DAT-Anzahl festgestellt, die sich jedoch am 135. Lebenstag nicht mehr fanden.
Welchen Anteil die massiv erhöhte Dosierung hierbei hat, ist offen.
Strukturelle Änderungen der Hirnstrukturen fanden sich weder unmittelbar nach Behandlungsende am 35. Tag, noch am 135. Tag. In Anbetracht der extremen Dosierung belegt dies zudem eine geringe Gefährlichkeit von MPH.
4.2. Kurzfristige Medikation¶
Die Verbesserungen bei medikamentöser Behandlung endet (jedenfalls bei Stimulanzien) unmittelbar mit Beendigung der Medikamentengabe, bei anderen Medikamenten mit Spiegelwirkung spätestens nach ca. 14 Tagen.
Die Lerneffekte bei Neurofeedback und Verhaltenstherapie sind unter Medikamentengabe besser.
Die Wirksamkeit von nichtmedikamentöser Therapie ist langanhaltend; erforderlich ist jedoch eine ausreichend lange und intensive Therapie (6 Monate bis 3 Jahre).
Bei Neurofeedback wurde noch 6 Monate nach Behandlungsende ein Fortbestehen der Behandlungserfolge festgestellt Kühle beobachtete, dass Behandlungserfolge in manchen Fällen noch Jahre später fortbestehen, in anderen nicht.
4.3. Langfristige Medikation¶
Es gibt Hinweise, dass eine längerfristige Medikation eine Nachreifung derjenigen Gehirnstrukturen bewirken könnte, die bei ADHS von einer Entwicklungsverzögerung betroffen sind.
Bei ADHS sind die dysfunktionalen exekutiven Funktionen mit einer verringerten Menge am Hirnsubstanz im Cortex assoziiert. Bei Kindern mit ADHS ist das Wachstum der Hirnsubstanz im Cortex signifikant verringert, wobei die größten Verzögerungen im PFC und im ACC bestehen.
Erwachsene ADHS-Betroffene, die mit Stimulanzien behandelt werden, haben eine deutlich größer Gehirnmasse in den relevanten Hirnregionen als Erwachsene ADHS-Betroffene, die nicht mit Stimulanzien behandelt wurden. Dies könnte darauf hindeuten, dass eine Behandlung mit Stimulanzien die Entwicklungsverzögerung aufholen bzw. ausgleichen kann.
Bei ADHS-Betroffenen, die auch als Erwachsene noch die vollen ADHS-Symptome zeigten, war keine Nachreifung (i.S.v. Anwachsen) der Hirnmasse in den relevanten Hirnregionen erkennbar.
4.4. Multimodale Behandlung: nichtmedikamentöse Therapie und Medikation¶
Es gibt Hinweise darauf, dass dopaminerge ADHS-Medikamente – in der Untersuchung insbesondere D-Amphetamin-Medikamente (das ebenfalls genannte Levodopa ist als ADHS-Medikament nicht geeignet) – die Neuroplastizität erhöhen und damit die Erfolge einer Psychotherapie erhöhen können.
Nach unserer Überzeugung sind psychotherapeutische Maßnahmen bei ADHS-Betroffenen, die nicht medikamentiert sind, deutlich weniger wirksam, da die Lern- und Aufnahmefähigkeit durch ADHS selbst massiv herabgesetzt ist. Die medikamentöse Herstellung einer Lern- und Aufnahmefähigkeit ist daher für eine erfolgreiche Psychotherapie unseres Erachtens klar zu empfehlen und liegt im Interesse einer baldmöglichen Reduzierung und Absetzung der Medikamente nach erfolgreicher psychotherapeutischer Behandlung.
Abgesehen davon macht eine Psychotherapie wenig Sinn, wenn der Patient gar nicht weiß, wie sich der Zustand anfühlt, den er durch die Therapie erreichen soll. Dieses Gefühl kann dem Betroffenen erst eine längere Zeit (ab 1 Jahr) einer sauber eingestellten Medikation vermitteln.
Dies gilt bei ADHS-Betroffenen ganz besonders, da bei ADHS die Motivation in Richtung einer deutlich erhöhten intrinsischen Steuerung verändert ist. ADHS beinhaltet ja gerade, dass eine Befolgung extrinsischer Aufforderungen massiv erschwert ist.