Bei ADHS treten sehr häufig Lernprobleme auf. Lernen meint hier nicht nur das Erlernen von Vokabeln oder Formeln während der Schulzeit, sondern wesentlich allgemeiner das Aneignen hilfreicher Verhaltensweisen zur Vermeidung oder Lösung von Problemen. Etliche Betroffene berichteten, dass sie auch als Erwachsene aus Fehlern nicht lernen können. Sie machen einen Fehler immer und immer wieder, obwohl sie gleichzeitig merken, dass sie den Fehler wiederholen.
Bei ADHS ist häufig der Spiegel von Wachstumshormonen verringert. Wachstumshormone und neurotrophe Stoffe wie z.B. BDNF und Dopamin sind für die Neuroplastizität des Gehirns unentbehrlich. Stimulanzien erhöhen die Spiegel von Wachstumshormonen und verbessern dadurch die Neuroplastizität. Atomoxetin kann laut einer Untersuchung die Langzeitpotenzierung wiederherstellen. Da Dopamin für die neuronale Plastizität (die Herstellung neuer Synapsenverbindungen) essentiell ist und Stimulanzien ebenso wie Atomoxetin den bei ADHS verringerten Dopaminspiegel anheben, haben auch Stimulanzien den Effekt, das Lernverhalten zu fördern.
Dies erklärt, warum Stimulanzien bei ADHS die Voraussetzung für eine nachfolgende erfolgreiche Psychotherapie verbessern können. Ist die Lernfähigkeit aufgrund mangelnder Neuroplastizität des Gehirns beeinträchtigt, ist die normalerweise bestehende Fähigkeit, aus Erfahrungen zu lernen, verringert. Damit sind ADHS-Betroffene nicht in der Lage, aus schlechten Erfahrungen zu lernen, um diese künftig zu vermeiden.
Folgerichtig haben uns dieselben Betroffenen, die vor ihrer Medikation darunter litten, dass sie dieselben Fehler immer wieder machten, nach einer passenden Medikamenteneinstellung berichtet, dass sie nun Fehler vermeiden könnten und sie nicht immer weiter wiederholen.
Das Gedächtnis ist in verschiedene Funktionen unterteilt:
- Kurzzeitgedächtnis
- verarbeitet und erinnert aufgenommene Informationen der letzten Minuten
- Langzeitgedächtnis
- verarbeitet und erinnert Stunden, Tage, Monate oder das ganze Leben
- implizites Gedächtnis
- beinhaltet die einfache klassische Konditionierung, nicht-assoziatives Lernen, Wahrnehmungsvermögen und motorische Geschicklichkeit, wie z.B. Fahrradfahren oder Klavierspielen
- deklaratives Gedächtnis
- speichert Informationen über spezielle Ereignisse und dazugehörende zeitliche und persönliche Assoziationen. Wird benötigt, um Menschen, Gesichter und Plätze wiederzuerkennen oder um Geschehnisse der eigenen Vergangenheit zu erinnern. Beinhaltet die sensorische Wahrnehmung, Gefühle und Motivationen.
Lernen und Motivation sind komplementäre Funktionen eines Zyklus. Motivation ist zukunftsorientiert. Motivation verwendet Vorhersagen über zukünftige Belohnungen (Werte), um Motivation und Antrieb für das aktuelle Verhalten zu steuern. Lernen ist vergangenheitsorientiert. Lernen verwendet die Bewertung von Zuständen und Handlungen der jüngeren Vergangenheit und aktualisiert deren Werte. Die durch Lernen aktualisierten Werte können bei der nachfolgenden motivationalen Entscheidungsfindung verwendet werden. Initiiert das initiierte (Nicht-)Verhalten nun andere Ergebnisse, führt das zu einer Aktualisierung der (Lern-)Bewertung.
Gedächtnisprozesse werden im PFC vornehmlich im Brodman Areal 10 (BA 10, vorderer PFC) verarbeitet. Motorik wird durch BA 8, Emotionen durch BA 9 und emotionsbezogene Sensorik durch BA 11 gesteuert.
1. Lernen: Synaptische Plastizität durch Langzeit-Potenzierung (LTP) oder Langzeit-Depression (LTD)¶
1.1. Langzeit-Potenzierung (LTP)¶
Langzeitpotenzierung (LTP) insbesondere im Hippocampus und im PFC wird als Hauptmechanismus für das Langzeitgedächtnis betrachtet. LTP wird durch Aktivierung von NMDA-Rezeptoren (ein spezieller Glutamat-Rezeptor) ausgelöst. Glutamat ist der exzitatorische (aktivierende) Gegenspieler des inhibitorischen (hemmenden) GABAs. GABA und Glutamat bilden ein System, das im gesunden Zustand im Gleichgewicht ist. Bei vielen psychischen Störungen besteht ein Ungleichgewicht zwischen GABA und Glutamat. GABA hemmt die LTP. Daneben ist ein mittlerer Dopaminspiegel für die Induktion der Langzeitpotenzierung erforderlich (siehe unten).
LTP wird typischerweise durch Reihen hochfrequenter Reize gegenüber präsynaptischen Fasern induziert. Für LTP muss an einer Synapse die postsynaptische Zelle genau zu dem Zeitpunkt depolarisiert sein, zu dem aus der präsynaptischen Zelle Transmitter freigesetzt wird.
Im Hippocampus regen Reize bei 50 Hz (γ-Band) LTP an.
Dopamin moduliert die synaptische Plastizität im Striatum. Das Zusammentreffen von der 3 Faktoren
- Glutamatstimulation eines striatalen Dendritendornfortsatzes
- postsynaptische Depolarisation
- Dopaminfreisetzung
bewirkt ein Wachstum des Dendritendornfortsatzes, sofern die Dopaminfreisetzung maximal 0,3 bis 2 Sekunden nach der glumatergen Stimulation erfolgt.
1.2. Langzeit-Depression (LTD)¶
Langzeit-Depression hat hier nichts mit der psychischen Störung Depression zu tun, sondern beschreibt eine dauerhafte Abschwächung der Signalübertragung an den Synapsen von Nervenzellen. Sie ist für Lernprozesse genauso wichtig wie die LTP und stellt nicht lediglich deren Umkehrprozess dar.
Im Labor zeigte PFC-Gewebe von Ratten auf Reize bei 50 Hz auf präsynaptische Filter der Schicht I-II von Ratten entweder kein LTP (Reihen 4 mal wiederholt) oder induzierte LTD (Reihen 6 mal wiederholt). Dies wird auf niedrige extrazelluläre Dopaminspiegel zurückgeführt. Lebende Ratten mit mittleren extrazellulären Dopaminspiegeln zeigen dagegen auf 50-Hz-Reize eine normale LTP im PFC.
2. Neurotrophine für Lern- und Gedächtnisprozesse¶
Die wichtigsten Stoffe im Gehirn für Lern- und Gedächtnisprozesse sind Neurotrophine. Das wichtigste Neurotrophin ist BDNF.
BDNF wird durch Stress verringert. Auch bei ADHS ist BDNF erniedrigt.
Mehr hierzu unter ⇒ BDNF.
Stress verringert den BDNF-Spiegel im Hippocampus. Verschiedene Antidepressiva erhöhen ihn dagegen. Umgekehrt verringert eine unmittelbare BDNF-Gabe in den Hippocampus depressive Symptome bei Ratten.
Bei ADHS soll bei BDNF erniedrigt sein. Einige andere Studien fanden keine Hinweise auf verringertes BDNF bei ADHS.
3. Neurotransmitter für Lern- und Gedächtnisprozesse¶
Die wichtigsten Neurotransmitter für Lern- und Gedächtnisprozesse sind
-
Glutamat (insbesondere der NMDA-Rezeptor)
-
GABA
- Serotonin
-
Dopamin
-
Acetylcholin
3.1. Dopamin¶
Dopamin ist für synaptische Plastizität u.a. in PFC und Striatum relevant.
Der PFC bildet unter anderem das Langzeitgedächtnis für abstrakte Regeln oder Strategien mittels Langzeitpotenzierung (LTP) als Form von synaptischer Plastizität.
Mittlere tonische Dopaminspiegel erleichtern die Induktion von LTP, zu hohe oder zu niedrige Dopaminspiegel verschlechtern sie (invertierte U-Funktion).
Die Induktion von LTD (“Vergessen”) durch niederfrequente Reize erfolgt unabhängig von tonischem Dopamin durch endogenes, phasisch freigesetztes Dopamin während der Reize. Die LTP (“Lernen”) wird gehemmt durch
- Blockade der Dopamin-Rezeptoren während der Reize
- Hemmung der Dopamin-Transporter-Aktivität.
Als Reaktion auf eine Belohnung feuern dopaminerge Zellen im Nucleus accumbens so lange, wie das assoziative Lernen stattfindet. Dies ermöglicht dem Individuum die Automatisierung der Verhaltenskontrolle in Bezug auf den Belohnungsreiz (= lernen). Dieser Prozess scheint bei ADHS mangelhaft zu sein, indem Dopaminmangel im Nucleus accumbens Schwierigkeiten bei der Assoziation von Verhaltenskontingenzen und Belohnung bewirkt, sodass die Zeitspanne, in der ein Kind mit ADHS Verhaltenskontingenzen mit einer Belohnung verknüpfen kann, verringert ist.
Bei ADHS bewirkt eine verzögerte Belohnung für ein Verhalten, dass die Assoziation zwischen dem Verhalten und der möglichen Belohnung nicht erlernt werden kann – anders als bei Nichtbetroffenen, die diese Assoziation über längere Zeiträume herstellen können. Dies erklärt die Abwertung verzögerter Belohnung bei ADHS ebenso wie die typischen Lernprobleme.
Medikamente, die, wie Stimulanzien, den Dopaminspiegel im Nucleus accumbens erhöhen, verlängern dadurch den Verstärkungsgradienten, was mehr Zeit verschafft, in der sich die für das Lernen erforderlichen Assoziationen zwischen Verhalten und Belohnung entwickeln können. Medikamente können daher den Verstärkungsgradienten so normalisieren, dass ein normaleres Lernen möglich wird.
3.1.1. Phasisches Dopamin = Lernen, Tonisches Dopamin = Motivation?¶
Die bisherige Sichtweise, dass phasisches Dopamin die Belohnungserwartung und damit das Lernen steuert, während tonisches Dopamin die Motivation repräsentiert, wird in Frage gestellt:
-
eine Variation der tonischen Dopaminzellfeuerung über längere Zeitskalen wurde bislang nicht nachgewiesen
-
die Feuerraten dopaminerger Zellen ändern sich nicht mit wechselnder Motivation
-
eine Veränderung des Anteils aktiver Dopaminzellen (also ein Wechsel von aktivem und inaktivem Zustand dopaminerger Neuronen, was die Menge tonischen Dopamins steuern könnte) wurde bislang lediglich als Folge von Medikamenten oder Drogengabe nachgewiesen, nicht aber bei Änderungen der Motivation
-
Dopaminspiegelveränderungen entsprechen der Annäherung an ein Ziel (Dopaminrampen) und sind am höchsten im Moment der Zielerreichung, nicht der Motivation
3.1.2. Dopamin als neurotropher Faktor¶
Dopamin hat, wie oben erläutert, neurotrophe Wirkung, erhöht also die Neuroplastizität. Neuroplastizität ist die Voraussetzung für Lernanpassungen des Gehirns.
Akuter oder kurzzeitiger Stress erhöht Dopamin bzw. dopaminerge Aktivität im Mittelhirn. Dies scheint die belohnungsbezogene neuronale Konnektivität zu fördern, indem sie das Erlernen von Assoziationen zwischen Hinweis und Belohnung verstärkt.
Umgekehrt korreliert Dopaminmangel, wie er durch chronischen Stress oder bei ADHS auftritt, mit Lernproblemen.
3.2. Glutamat¶
Sind die NMDA-Rezeptoren und die Langzeitpotenzierung in der CA1-Region des Hippocampus beeinträchtigt, führt dies zu mangelhafter Abspeicherung und Erinnerung von räumlichen Informationen.
Werden Glutamatrezeptoren überstimuliert, führt dies zu einer Verletzung oder zu einem Absterben der entsprechenden Nervenzelle, wahrscheinlich aufgrund exzessiven CA2+ Einstroms.
3.3. GABA¶
GABA wird in der Nebenniere gebildet und wie Cortisol gesteuert.
Eine Blockade der GABA-A-Alpha5-Rezeptoren verbessert Lernen und Gedächtnis. GABA-A-Alpha5-Rezeptoren sind vorwiegend im Hippocampus angesiedelt.
3.3.1. GABA-A-Agonisten beeinträchtigen Lernen und Erinnern¶
Eine langanhaltende Belastung mit GABA-A-Rezeptor-Agonisten, zum Beispiel Allopregnanolon, Benzodiazepinen, Barbituraten oder Alkohol
- verringerte die Aktivität des Hippocampus
- verringerte die Langzeitpotenzierung (LTP) im Hippocampus (insbesondere durch Propofol und THDOC (Tetrahydrodeoxycorticosteron)
- beeinträchtigte cholinerge Abläufe im Hippocampus in Bezug auf das Gedächtnis
und führte im Ergebnis zu anhaltenden Lern- und Gedächtnisschwierigkeiten.
Abbauprodukte von Cortisol erhöhten die Wirkung von Allopregnanolon auf die GABA-A-Rezeptoren zusätzlich.
Ein Allopregnanolon-Antagonist verhinderte die beeinträchtigende Wirkung von Allopregnanolon auf Lern-und Gedächtnisprozesse.
Chronisch überhöhte Cortisol- und GABA-Pegel bewirkten irreparable kognitive Schäden. Stress erhöhte den Cortisol- und den GABA Spiegel.
Das Sexual-Steroid Medroxyprogesteron, ein Metabolit (Abbauprodukt) von Allopregnanolon, wird häufig als Hormontherapie nach der Menopause verordnet und verdoppelt das Demenz- und Alzheimerrisiko innerhalb von fünf Jahren. Medroxyprogesteron wirkt am GABA-A-Rezeptor. Die Wirkung von Medroxyprogesteron gleicht der Wirkung von Stresshormonen bei chronischem Stress.
Bei ausgeprägtem Alzheimer ist die Cortisol- und die GABA-Antwort identisch mit der bei chronischem Stress. Bei mildem Alzheimer bestehen hohe und supprimierbare Cortisol- und GABA-Spiegel. Bei Alzheimer besteht häufig ein Bild von chronischem Stress und Burnout Syndrom. Zugleich ist das cholinerge Neurotransmittersystem nicht im Gleichgewicht.
3.3.2. GABA-Antagonisten verbessern Lernprozesse¶
So wie GABA-A-Agonisten Lernvorgänge beeinträchtigen, bewirken GABA-A-Antagonisten eine Verbesserung von Lern- und Gedächtnisprozessen.
- Pregnenolonsulfat
- DHEAS
- 3Beta-Hydroxypregnan Steroid (UC01011)
Sofern bei GABA - wie bei Dopamin beschrieben - nicht nur zu hohe, sondern auch zu niedrige Spiegel Lernvorgänge beeinträchtigen sollten (Inverted-U), müssten je nach Zustand Agonisten oder Antagonisten hilfreich sein.
3.4. Serotonin (5HT)¶
Mäuse mit blockierten 5HT1A- und 5HT2C-Transportern haben ein beeinträchtigtes räumliches Lernen, anders als Mäuse mit blockierten 5HT1B-Transportern.
Verringerte cholinerge und serotonerge Funktionen bewirken schwere Gedächtnisschwierigkeiten.
Der Serotoninwiederaufnahmehemmer Fluoxetin erhöhte nach 3 Wochen die Neurogenese im Gyrus dentatus (= Teil des Hippocampus).
Durch Glucocorticoide vermittelter chronischer Stress regulierte in Tiermodellen die 5-HT1A-Rezeptoren im Hippocampus herunter. Serotonin beeinflusst die Neuroplastizität erheblich, vorwiegend mittels Langzeitpotenzierung (LTP). LTP ist der zentrale neurophysiologische Mechanismus des Lernens und Erinnerns.
Postsynaptische LTP erfordert synaptische Aktivierung von AMPA-Rezeptoren. Serotonerge Signale modulieren intrazelluläre Wege, die an der synaptischen AMPA-Rezeptorverabreichung beteiligt sind. Eine Aktivierung der 5-HT2A-abhängigen ERK1/2-Pfade verbessert die Effizienz der Signalübertragung zwischen den Synapsen, indem AMPA-Rezeptoren in Postsynapsen eingeschleust werden. AMPA-Rezeptoren sind eine Unterform von Glutamatrezeptoren.
3.5. Acetylcholin¶
Acetylcholin verbessert Gedächtnisprozesse. Die derzeit übliche Behandlung von Alzheimer ist die Gabe von Acetycholinabbauhemmern.
Allopregnanol verhindert die Acetylcholinausschüttung im Hippocampus. Dies könnte ein Weg sein, wie Allopregnanol Lernprozesse behindert.
3.6. Cortisol¶
Psychologische Tests wie der TSST sprechen sozialen Stress (öffentliche Rede / lautes Kopfrechnen vor einer dies beurteilenden Gruppe) an, was das Motiv der Zugehörigkeit adressiert. Auf diesen sozialen Stressor reagiert Cortisol bevorzugt.
Die Cortisolreaktion ist indes gewöhnungsabhängig. Beim ersten Testdurchgang haben 80 % der Probanden einen erhöhten Cortisolspiegel. Testwiederholungen bewirken mittels Verringerung von Neuheit und Unvorhersehbarkeit eine Verringerung der Cortisolstressantwort, sodass beim 3. bis 5. Durchgang nur noch ein Drittel der Probanden einen erhöhten Cortisolspiegel hat – bei aber identischer subjektiver Stressempfindung und identischen übrigen Parametern (Adrenalin, Noradrenalin, Puls).
Sind in diesem Zustand Vokabeln zu lernen, zeigt sich, dass Cortisol einen signifikanten Einfluss auf die Lernfähigkeit ausübt. Diejenigen Probanden, die aufgrund der Gewöhnung an den Stresstest keinen Cortisolanstieg mehr zeigten, hatten eine einwandfreie Gedächtnisleistung, während jenes Drittel der Probanden mit Cortisolanstieg (und von diesen wiederum vor allem die weiblichen Mitglieder) zugleich auch erhebliche Gedächtniseinbussen aufwies.
Diese Wirkung konnte bei anderen Probanden durch eine Cortisolgabe reproduziert werden. Entgegen der Annahme, dass dies auf eine Hemmung von Abrufprozessen zurückzuführen sei zeigen sich kaum Abrufbeeinträchtigungen, wenn das Cortisol erst nach dem Lernen der Vokabeln oder kurz vor deren Abruf gegeben wurde. Daher ist anzunehmen, dass Cortisol den Lernvorgang / Abspeicherungsvorgang beeinträchtigt, nicht aber den Abrufvorgang.
4. Hormone, die das Lernen beeinflussen¶
4.1. Östrogen¶
Östrogen verbessert das verbale Gedächtnis und motorische Fähigkeiten.
Agonisten des Gonadotropin releasing hormons, die bei fruchtbaren Frauen die Funktion der Eierstöcke einschränken, bewirken zugleich Einschränkungen des verbalen Gedächtnisses, die mittels Östrogengabe wieder behoben werden.
Eine zweitägige Östrogenexposition führt zu einer Erhöhung von NMDA-(Glutamat)-Rezeptoren im Hippocampus (dorsal CA1). Östrogen scheint ebendort zugleich die GABA-Neurotransmission zu verringern.
4.2. Progesteron¶
Progesteron scheint einen Beitrag gegen die Entwicklung von Demenz zu leisten. Bei Frauen, denen die Eierstöcke entfernt worden waren (Hysterektomie), zeigte Östrogen allein keinen Einfluss auf die Häufigkeit einer Demenz. Dies deutet darauf hin, dass der demenzverringernde Effekt durch Progesteron verursacht wird.
Progesteron beeinträchtigt das räumliche Gedächtnis. Allopregnalon, das erst in wesentlich höherer Konzentration das Lernen beeinträchtigt, ist ein Progesteron-Metabolit.
5. Gehirnregionen, die mit Lernen verbunden sind¶
5.1. Hippocampus¶
Der Hippocampus ist maßgeblich für Lern- und Gedächtnisprozesse verantwortlich, insbesondere für das degenerative Langzeitgedächtnis. Die CA1 Region des Hippocampus ist für die Abspeicherung und Erinnerung von räumlicher Vorstellung, die CA3 Region des Hippocampus für assoziative Gedächtnisprozesse zuständig.
Ein kleineres Hippocampusvolumen korreliert mit Lernschwierigkeiten.
5.2. Cortex¶
Bei SHR-Ratten, die ein Modelltier für ADHS-HI (mit Hyperaktivität) sind, zeigten Neuronen im Cortex:
- eine geringere Verzweigung der Neuriten
- eine kürzere maximale Neuritenlänge
- ein verringertes axonales Wachstum
Diese Veränderungen der Nervenzellen im Cortex der ADHS-HI-Modelltiere konnte auf verschiedenen Wegen normalisiert werden:
- Koffein bewirkte eine Normalisierung der Neuronenverzweigung und -ausdehnung von über PKA- und PI3K-Signale
- Der Adenosin-2A-Rezeptor-Agonist CGS 21680 normalisierte die Neuronenverzweigungen über PKA-Signale
- Der selektive Adenosin-2A-Rezeptor-Antagonist SCH 58261 normalisierte das axonalen Wachstum über PI3K, nicht über PKA
5.3. ACC¶
Gatzke-Kopp und Beauchaine beschreiben den ACC als Schnittstelle zwischen Emotion und Kognition, indem er Informationen von afferenten Projektionen aus dem limbischen System über Fehler bei der Belohnungsvorhersage nutzt, um die Verhaltensreaktion zu steuern, was folgende Funktionen verbinde:
- Zielerfassung
- Durchführung von Aufgaben, bei denen zwischen konkurrierenden Antworten zu wählen ist (z.B. wie Go-No/Go und Stroop)
- Konfliktlösung während der Entscheidungsfindung
- motivationale Funktionen, die durch das mesolimbische System und den limbischen Kortex erfüllt werden
- hierfür spreche auch die charakteristische tiefgreifende Apathie bei Schäden des ACC
Die Funktionen des ACC sind aufgeteilt:
-
dorsaler ACC
-
ventraler ACC
- Interkonnektiver Austausch
- zwischen kognitiven und affektiven Funktionen des ACC
Möglicherweise überwacht der ACC nicht die tatsächlichen Fehlerquoten, sondern verwendet den dopaminergen limbischen Input als “Trainingssignal”, um Situationen mit höherer Fehlerwahrscheinlichkeit zu erkennen und dadurch die kognitive Kontrolle über das Verhalten zu verbessern. Daraus könnte folgen, dass Dopaminmangel im mesolimbischen System ein zeitliches Defizit beim Erlernen von Belohnungsassoziationen bewirkt, indem dieser zunächst den Input für den ACC und in der Folge die Erlangung kognitiver Kontrolle über die Vigilanz bei der Ausführung von Aufgaben stört.
6. Augenmotorik bei Lernproblemen (ADHS, Dyslexie, Dyspraxie)¶
Bei einer Gruppe von Störungen, die die Lernfähigkeit beeinträchtigen (ADHS, Dyslexie, Dyspraxie) fand eine Review-Untersuchung Hinweise auf gemeinsame Störungen der Augenmotorik.
7. Genveränderungen, die Lernprobleme verursachen¶
Mutationen der Gene von
- Ephrin-Rezeptor A
- Ephrin-Rezeptor B
- Tyrosinkinase-Rezeptor B (TrkB)
ergeben in verschiedenen Tests Defizite im Lernverhalten,
8. Männer häufiger von Lernproblemen betroffen¶
Lernprobleme betreffen mehr Männer als Frauen, da auf dem X-Chromosom eine Reihe von Genen liegt, deren Mutationen zu
mentaler Retardierung führen.
9. Lernprobleme bei ADHS Folge von Schlafproblemen?¶
Eine Studie verglich Studenten mit und ohne ADHS, die eine Lernaufgabe erhielten, deren die Langzeitkonsolidierung besonders schlafabhängig ist.
Dabei wurde der Lernerfolg bei einem Wachtest (Lernen morgens, Prüfung nach 12 Stunden abends) und einem schlafintegrierten Test (Lernen abends, Prüfung morgens nach dem Schlaf= verglichen.
Beim Wachtest waren die Lernergebnisse der Studenten mit und ohne ADHS vergleichbar.
Beim schlafintegrierten Test profitierten die Studenten ohne ADHS vom Nachtschlaf, die Kinder mit ADHS dagegen nicht.