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Säugetiere reagieren unterschiedlich auf Stress. Manche reagieren eher mit Angriff und Kampf, andere eher mit Flucht oder Totstellen.
Diese Unterschiede in den Stressreaktionen sind wenig vererblich, sondern eher zufällig verteilte Persönlichkeitsmuster. Sie wurden im Laufe der Evolution entwickelt, um die Überlebenswahrscheinlichkeit von Gruppen zu erhöhen. Heterogene Gruppen haben eine höhere Überlebenschancen als homogene Gruppen. Dieses Prinzip findet sich heute in der Arbeitspsychologie wieder. Gruppen mit unterschiedlichen Persönlichkeitstypen sind langfristig produktiver, insbesondere wenn sie die unterschiedlichen Eigenarten verstehen und anerkennen können.
Das fight/flight-Stressmodell von Gray unterscheidet 3 funktionale Stressreaktionssysteme.
das BAS-System steuert den Angriff
das FFFS-Typ steuert Flucht und Totstellen
das BIS-System ist für die Abwägung zwischen BAS und FFFS verantwortlich.
Eine hohe Aktivierung des BIS ist mit Ängstlichkeit und Introversion verbunden, während eine hohe Aktivierung des BAS Impulsivität und Extraversion hervorruft.
Das BAS wird durch das dopaminerge System gesteuert, während das BIS über die noradrenerg-cholinerg-serotonergen Neurotransmitter kontrolliert wird. Das FFFS, das Flucht, Kampf oder Totstellen auslöst, wird im periaquäduktalen Grau des Gehirns gesteuert.
Auf Stress reagieren Säugetiere nicht einheitlich.
Nach dem fight/flight-Stressmodell (von Connor (1932) und später Gray, der es mit dem BIS/BAS-Modell kombinierte, → RST von 1990, überarbeitet 2000), gibt es 2 bis 3 Hauptgruppen von Stressreaktionen:
Der BAS-Typ reagiert auf Stress mit Angriff.
Der FFFS-Typ reagiert auf Stress mit Flucht oder totstellen.
Das BIS-System reagiert nach der überarbeiteten Reinforcement Sensitivity Theory (RST) von Gray (2000) nicht mehr auf Reize von außen, sondern wird lediglich aktiv, wenn das BIS und das FFFS-System beide aktiviert wurden. Das BIS-System ist für die Abwägung zwischen BAS und FFFS verantwortlich.
Das ursprüngliche Fight/Flight-System wurde um die Komponente Freeze (totstellen) zum FFFS erweitert.
Nutzen unterschiedlicher Stressphänotypen
Diese Reaktionsmodelle sind sehr tief verankert. Die Überlebenswahrscheinlichkeit einer “steinzeitlichen” Gruppe von Homo sapiens war seit jeher höher, wenn die Gruppe Mitglieder beider Typen hatte. Die moderne Arbeitspsychologie weiß, dass Gruppen mit verschiedenen Charakteren erfolgreicher sind als homogene Gruppen.
Beispiele
Wie gut wäre die urzeitliche Gruppe vor Feinden geschätzt gewesen, wenn alle Mitglieder einer Gruppe Nachteulen oder Frühaufsteher wären, also zur gleichen Zeit schlafen?
Ebenso: mit welcher Wahrscheinlichkeit hätten wenigstens einzelne Gruppenmitglieder überlebt, wenn eine gänzlich neue Herausforderung auftrat, bei der entweder bedachtes oder spontanes Handeln die passendere Überlebensstrategie war?
Mit anderen Worten: es würde dem Grundgedanken der Evolution entgegenlaufen, dass Gruppen mit homogener Charakterstruktur besser überleben als andere.
Die unterschiedlichen Stressreaktionsphänotypen sind auch bei anderen Lebewesen erkennbar, z.B. bei Guppys.1
In der Folge erscheint es schlüssig, dass die Ausprägung des einzelnen Individuums als fight- oder flight-Typus eine reine Zufallsvariable ist, die dafür gesorgt hat, dass eine Population genügend Mitglieder der beiden Typen hatte.
Betrachtet man “freeze” als eigenständigen Stressreaktionsphänotyp (der das Phänomen des sluggish thinking plausibel erklären könnte), wären es drei Stressphänotypen.
Anders herum formuliert: Gruppen, bei denen sich ein einziger Typ genetisch als dominant durchgesetzt hatte, hatten weniger Überlebenswahrscheinlichkeit, sodass wir die Nachkommen derjenigen sein dürften, die diese Eigenschaft mit höherer Zufallsverteilung weitergegeben haben.
Ähnlich: Farmer/Hunter-Hypothese
Im Bild der Hunter/Farmer-Hypothese werden ADHS-HI-/ADHS-C-Betroffene phänotypisch als Hunter (Jäger) und ADHS-I-Subtyp-Betroffene phänotypisch als Farmer (Sesshafte) betrachtet, wobei die ADHS-Symptome des jeweiligen Subtyps jeweils eine (ungesunde) Extremform der beiden Pole einnehmen. Eine Darstellung als Extrempole ist schlüssig.
Gleichwohl ist die Hunter/Farmer-Hypothese kaum haltbar.
Richtig ist zwar, dass Selbstständigkeit schnelle Entscheidungen erfordert, was für Typ-A-Persönlichkeiten und ADHS-HI/ADHS-C-Typen geeigneter ist, während therapeutische Berufe mehr Geduld und Empathie erfordern, was eher für introvertierte Typen geeignet ist. ADHS-Symptome wie Unaufmerksamkeit, Impulsivität etc. sind jedoch auch bei der Selbstständigkeit hinderlich und machen ihn innerhalb der Gruppe der Selbstständigen weniger erfolgreich als andere mit ebenso vielen externalisierenden Persönlichkeitsanteilen, aber ohne ADHS-Symptome. Andernfalls wären ADHS-HI- oder ADHS-C-Betroffene, wenn sie nur einen Beruf hätten, der unruhig genug ist, besonders erfolgreich. ADHS ist jedoch kein Berufswahlproblem.
Wir haben beobachtet, dass berufliche / unternehmerische Selbstständigkeit eine Domäne der Typ-A-Persönlichkeit und von ADHS-HI/ADHS-C ist. Typ-C-Persönlichkeiten und Menschen vom ADHS-I-Subtyp sind als Selbstständige nach unserem subjektiven Eindruck weniger bzw. seltener erfolgreich. Ganz besonders gilt dies für SCT-Betroffene, denen nach diesseitiger Erfahrung von einer Selbstständigkeit eher abzuraten ist. Dafür haben deren (insbesondere soziale) Stärken in anderen Bereichen Vorteile.
Selbstständigkeit benötigt zwingend die Fähigkeit zu schnellen Entscheidungen. Mögen übereilte oder gar unüberlegt-impulsive Entscheidungen für eine Selbstständigkeit auch nachteilig sein, scheinen Entscheidungsschwierigkeiten gleichwohl ein noch größerer Hemmschuh zu sein.
Umgekehrt scheinen nach unserem subjektiven Eindruck Tätigkeiten, die eine große Empathie und Geduld benötigen, wie z.B. therapeutische Berufe, eine Stärke der eher introvertierten Typen zu sein.
Literaturhinweis
Szczesny-Friedmann nennt BIS-Typen “Tauben” und BAS-Typen “Falken” und beschreibt die Folgen fachlich zutreffend und allgemeinverständlich.2
Introversion und Extraversion
Introversion und Extraversion sind nach dem Myers-Briggs-Typenindikator ungefähr gleich häufig. Sie haben vornehmlich genetische und biologische, weniger Umwelt- oder Erziehungsursachen.3 Introversion und Extraversion werden als zwei Pole eines Maßes verstanden.
Eine Erklärung könnte sein, dass reizsensitive Menschen weniger neue Reize benötigen und weniger reizsensitive Menschen mehr neue Reize benötigen um das für sie jeweils optimale Erregungsniveau zu erreichen. Danach wäre Extraversion mit geringer Reizsensitivität verbunden und Introversion mit einer hohen Reizsensitivität.
Die Realität dürfte komplexer sein; siehe das Modell zur Sensitivität von Dunn.4
Ob BIS und BAS unabhängig voneinander sind, BIS und BAS also beide niedrig oder unterschiedlich hoch sein können (so Gray) oder ob BIS und BAS die Pole einer einheitlichen Einheit sind, innerhalb der sie je nach Zustand miteinander korrelieren (Corr), also eher wie eine Spielplatzwippe starr miteinander verbunden sind, war streitig. Die Frage dürfte indes bei der neueren RST obsolet sein, weil bei dieser BIS und FFFS zwangsläufig gleichzeitig aktiv sein müssen, um dem BIS Handlungsalternativen anbieten zu können. Neuere Stimmen betrachten die Systeme konsequenterweise als voneinander unabhängig.56
Gray hat im Jahr 2000 die von ihm postulierte Reinforcement Sensitivity Theorie (RST) vor allem hinsichtlich der Aufgabe des BIS modifiziert.
Nach der modifizierten RST werden BAS und FFFS gleichzeitig und unabhängig voneinander durch neue Reize aktiviert. Das BAS reagiert dabei auf Belohnungsreize, das FFFS auf alle Formen von Bestrafungsreizen. Das BIS wird dagegen nicht mehr durch Reize selbst aktiviert, sondern erst durch eine gleichzeitige Aktivierung von BAS und FFFS. Das BIS wird danach durch Konflikte von BAS und FFFS aktiviert und dient zur Abwägung, welchem System der Handlungsvorzug gegeben werden soll. Zugleich aktiviert das BIS die Aufmerksamkeit auf die Umwelt, um Hinweise zur Entscheidungsfindung zu erhalten.78
Impulsivität lässt sich danach als hohe Extraversion mit hoher emotionaler Labilität (Neurotizismus) beschreiben, was zu einer hohen Sensibilität für Belohnung führt (hoch reagibles BAS).
Die “alte” RST, nach der das BAS-System auf Belohnungsreize, das BIS auf Bestrafungsreize und Nichtbelohnung, und das FFS auf existenziell bedrohliche Reize reagieren sollte, wobei diese drei Systeme unabhängig voneinander agierten, konnte etliche Reaktionen nicht schlüssig erklären.
Menschen mit hohem BIS berichten in einer Tagebuchstudie mehr negative Erlebnisse und erleben diese negativer als Vergleichsgruppen.12
Menschen mit hohem BIS bewerten negative soziale Erlebnisse negativer. Sie investieren mehr, um diese zu vermeiden und erleben negative Erlebnisse intensiver.13, Seite 227, mit weiteren Nachweisen))
Menschen mit hohem BIS setzen sich häufiger negative Ziele. Beispiel im sozialen Bereich: “ich will nicht allein sein” anstatt “ich will einen Partner haben”.13, Seite 227, mit weiteren Nachweisen))
Dennoch ist die Wahl der (hier: sozialen) Ziele ein besserer Prädiktor für (hier: sozialen) Erfolg als das Maß der Empfindlichkeit für Bestrafung oder Belohnung (BIS und BAS).13, Seite 227, mit weiteren Nachweisen))
Ein höheres BIS korreliert mit einer größeren rechten präfrontalen Aktivierung, zeigt eine niedrigere NK-Aktivität (NK = natural killer = natürliche Killerzellen) und reagiert stärker auf negative emotionale Reize.14
Neurologisch verortet Gray das BIS im septo-hippocampalen System (SHS),15 bestehend aus
Ein aktiviertes BIS erhöht die nicht-spezifische Erregung (Arousal), die zu einem Fokus der Aufmerksamkeit auf aktuell relevante Ereignisse führt.17
Eine hohe Ängstlichkeit und eine erhöhte Bestrafungssensitivität sind insbesondere durch eine hohe Synchronisierung von Hippocampus und Amygdala im Theta-EEG-Frequenzband gekennzeichnet.18 Mit einer Verringerung der Ängstlichkeit durch neue Konditionierung verringert sich zugleich die Synchronisation von Hippocampus und Amygdala.1920
Depressionen und Angststörungen sind mit einem sensibilisierten BIS verbunden.21 Ein sensibilisiertes BIS geht mit erhöhter Bestrafungssensitivität und einem vergrößerten Hippocampus und einer vergrößerten Amygdala einher.2218
Anxiolytika (angstverringernde Medikamente) vermindern die Erregbarkeit der Amygdala.23
Das BIS-System kann durch Anxiolytika jedoch auch beeinträchtigt werden.24
gesteuert, wobei Noradrenalin und Serotonin mit der Aktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA-Achse) in Verbindung stehen und zur Cortisolfreisetzung aus der Nebenniere führen.26 Bei gesunden Kindern ist die Aktivierung des BIS als Reaktion auf eine Bestrafung mit erhöhten Cortisolspiegeln nach schwierigen Situationen verbunden.27
Eine Zusammenfassung der neurologischen Korrelate des BIS zeigt Chiossi.28
Nach Gray’s Reinforcement Sensitivity Theory (RST) korrelieren Drive, Reward Responsiveness, Fun Seeking29 mit dem Maß der Aktivierung des BAS auf einen bestimmten Stimulus.
Das BAS reagiert auf konditionierte Reize für Belohnung und Nichtbestrafung, was zu Annäherungsverhalten und generell zu einer Verhaltensaktivierung führt.3031
Das Behavioural Activation System korreliert mit dem Persönlichkeitsmerkmal Impulsivität als abgeschwächte Form der Extraversion und bildet die Sensitivität für Belohnungsanreize ab.3233
Ist das BAS aktiviert, führt dies zu einem Belohnungsgefühl, wie es ähnlich nach dem Konsum von Kokain, Amphetaminen, Heroin oder Alkohol auftritt.34 Diese Belohnungen sind sämtlich mit dem dopaminergen System verknüpft.
Menschen mit einem hohen BAS berichten in einer Tagebuchstudie häufiger positive Erlebnisse als eine Vergleichsgruppe.12
Menschen mit hohem BAS setzen sich häufiger positive Ziele. Beispiel im sozialen Bereich: “ich will neue Menschen kennenlernen” anstatt “ich will nicht allein sein”.13, Seite 227, mit weiteren Nachweisen))
Dennoch ist, wie bereits geschrieben, die Wahl der (hier: sozialen) Ziele ein besserer Prädiktor für (hier: sozialen) Erfolg als das Maß der Empfindlichkeit für Bestrafung oder Belohnung (BIS und BAS).13, Seite 227, mit weiteren Nachweisen))
3.3. Neurophysiologische Korrelate des BAS-Systems¶
Das BAS wird vornehmlich durch den mesokortikalen Pfad dopaminerg gesteuert.25
Das BAS wird neurologisch durch Prozesse gesteuert, die in den Gehirnbereichen
Dass das BAS vornehmlich durch den mesokortikalen Pfad dopaminerg gesteuert wird25 erklärt die Anfälligkeit des Belohnungssystems bei ADHS aufgrund der bei ADHS bekannten dopaminergen Fehlfunktionen.
Ein Anspringen des BAS spiegelt sich in einem Anstieg der Herzfrequenz3637 und der Hautleitwerterhöhung sowie Änderungen des Startlereflexes.38
Bei Kindern mit dem ADHS-HI-Subtyp und mit Sozialstörungen fand sich eine verringerte Aktivität des BIS und eine erhöhte Aktivität des BAS.3926 Unter der neuen RST dürfte nicht das BIS, sondern das FFFS verringert sein.
Die Reaktion auf immer wiederkehrende Belohnungsanreize war verstärkt, selbst wenn diese zwischenzeitlich durch aversive Reize ersetzt worden waren. 40
4. Fight-Flight-Freeze-System (FFFS) nach neuer RST¶
Das FFFS korreliert mit Panik und Furcht (Bedrohung), also unkonditionierten aversiven Reizen. Primäre negative Verstärker werden von negativen Emotionen wie Entsetzen, Panik und Zorn begleitet und lösen Flucht (Flight), Starre (Freeze) oder Kampf (Fight) aus.41
Das FFFS ist im Vegetativen Nervensystem verankert.
Die bei ADHS anerkannte Therapiemethode der achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (MBSR) ist vegetativ wirksam.
Der fight-flight-freeze Mechanismus (den Gray erstmals beschrieb) wird im periaquäduktalen Grau des Gehirns (zentrales Höhlengrau) gesteuert. Der Steuerungsmechanismus ist bislang unbekannt.42