Stimulanzien (Psychotonika, Psychoanaleptika, Aufputschmittel, umgangssprachlich: Upper; Singular: Stimulans) sind psychotrope Substanzen, die anregend (stimulierend) wirken, indem sie die Nervenaktivität erhöhen, beschleunigen oder verbessern.
Das Gegenteil sind Beruhigungsmittel (Sedativa, umgangssprachlich: Downer).
ADHS-Medikamente unterteilen sich in Stimulanzien (Methylphenidat, Amphetaminmedikamente) und Nichtstimulanzien (Atomoxetin, Guanfacin und andere).
1. Stimulanzien chemisch betrachtet¶
- Phenethylamine
Phenethylamin ist die chemische Stammsubstanz aller natürlich und künstlich erzeugten Phenethylamine. Es ist die übergeordnete chemische Gruppe und ist ein sogenanntes Spurenamin, da es nur in geringen Mengen im Körper zu finden ist. Viele Substanzen innerhalb dieser großen Gruppe besitzen eine psychotrope Wirkung.
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Katecholamine
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Dopamin
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Noradrenalin
- Adrenalin
- Phenylethylamine
- Amphetamine
Eine Gruppe von zumeist künstlich hergestellten Phenethylaminen, die aufgrund ihrer aufputschenden Wirkung auch als Weckamine bezeichnet werden
- Dexamphetamin
- Wirkstoff vieler ADHS-Amphetamin-Medikamente
- Methamphetamin
- wurde Ende des 19th Jahrhunderts entwickelt und als Kriegsdroge eingesetzt (Pervitin, bis 1988 in Deutschland im Handel; Desoxyn (USA))
- in der Drogenszene u.a. als „Meth“, „Crystal“ oder „Crystal Meth“ verbreitet
- Cathinone.
Dies sind sowohl natürliche als auch künstliche Amphetamine, die sich chemisch nur leicht von der Hauptsubstanz Amphetamin unterscheiden (Amphetaminderivate).
(Danke an Nephilim)
2. Stimulanzien als Medikamente versus Stimulanzien als Droge¶
Amphetamine werden auch als Drogen illegal gehandelt und konsumiert (z.B. als Ecstasy, Crystal Meth).
Wie bei jedem Mittel entscheidet die Menge und die Art der Anwendung, ob es hilfreich oder schädlich ist. Bei Amphetaminen entsteht die Rauschwirkung durch
- massiv höhere Dosierung denn als Medikament
- erst eine hohe Dosierung besetzt mehr als 50 % der Dopaminrezeptoren und damit genug, um eine Rauschwahrnehmung zu bewirken
- erst die hohe Dosierung führt zur Dopaminausschüttung über die VMAT2-Rezeptoren.
Diesen Wirkungsweg nutzen AMP-Medikamente nicht, die rein wiederaufnahmehemmend wirken
- schneller Wirkstoffaufnahme (z.B. durch die Nase)
- selbst eine hohe Dosierung, die langsam erfolgt, wirkt nicht wie eine Droge
- kurze Wirkdauer (entscheidend ist eine hohe Geschwindigkeit der Veränderung des Dopaminspiegels nach oben und nach unten)
Stimulanzien als Medikamente sind niedrig dosiert, wirken langfristig gleichmäßig und werden zudem oral verabreicht, was eine so langsame Wirkstoffverteilung bewirkt, dass keinerlei Rauschwirkung entstehen kann.
Bei Einnahme gemäß ärztlicher Verschreibung sind keinerlei Suchtwirkungen bekannt, was man von vielen anderen ärztlich verschriebenen Medikamenten bedauerlicherweise nicht sagen kann.
Unretardiertes MPH, hintereinander eingenommen, wie auch retardiertes MPH, setzt mehrere Dopaminmaxima (die alle so niedrig sind, dass sie keine Drogenwirkung entwickeln). Lisdexamfetamin setzt dagegen lediglich ein Maximum und bewirkt dadurch eine gleichmäßigere Dopamin-(und Noradrenalin-)Wiederaufnahmehemmung.
Um mit unretardiertem MPH eine möglichst gleichmäßige DA- und NE-Spiegelerhöhung zu bewirken, sollte dieses unterhalb der eigentlich optimalen Einmaldosis in verkürzten Abständen (2 bis 2,5 Stunden) verabreicht werden. Anstatt also (beispielsweise) alle 3,5 Stunden 7,5 mg zu verabreichen, würde eine Gabe von 5 mg alle 2,5 Stunden eine gleichmäßigeren DA- und NE-Spiegel und damit eine bessere Symptomreduktion bewirken. Den Unterschied zwischen kurzfristiger hoher/schnell absinkender Stimulanzienmenge (= phasisches DA) und niedriger langfristige gleichbleibender Stimulanzienmenge (= tonisches DA) als entscheidenden Unterschied zwischen Drogenwirkung und heilsamer Medikamentenwirkung veranschaulicht Stahl.
3. Missbrauch verschriebener Stimulanzien¶
Eine Metaanalyse von k = 13 Studien zeigte, dass die Hälfte der Studien eine gemeldete Prävalenz des Stimulanzienmissbrauchs bei Erwachsenen von 0 % auswies. In anderen Studien reichte die Spanne von 2 % bis 29 %. Bestimmte Merkmale erhöhten das Risiko eines Missbrauchs:
- höheres Alter
- frühere oder häufigere Einnahme von ADHS-Medikamenten
- Einnahme von kurz wirksamen Medikamenten
- eine Diagnose von Alkohol-/Substanzmissbrauch in der Vergangenheit
4. Stimulanzien als ADHS-Medikamente verringern Suchtrisiko¶
4.1. ADHS-Medikamente verringern Risiko einer Suchtentwicklung¶
Stimulanzien erhöhen das Risiko einer Suchtentwicklung nicht, weder nach nichtmedizinischen Stimulanzien noch nach stimulierenden Medikamenten. ADHS-Betroffene vergessen häufig genug die Einnahme ihrer Medikamente, was mit einem Suchtdruck nicht passieren würde.
Im Gegenteil verringern Stimulanzien als ADHS-Medikamente das Suchtrisiko signifikant und nachhaltig. Ein Case-Report berichtet beispielhaft.
Eine Untersuchung berichtet, dass Faktoren wie Beginn und Unterbrechungen einer Medikamenteneinnahme bei ADHS Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer späteren Sucht haben könnten. Dabei ist allerdings zu beachten, dass Sucht in den USA epidemische Ausmaße hat (jeder 13. US-Amerikaner hat eine Suchtdiagnose), was insbesondere auf unpassende Schmerzmittelverschreibungen (Opioide) zurückzuführen ist, wie sie in Europa nie erfolgte. Inwieweit die Untersuchung auf Verhältnisse außerhalb der USA und insbesondere in Europa übertragbar sein könnte, ist unklar.
Eine Metaanalyse über k = 6 Studien mit n = 1.014 Probanden ergab für die mit Stimulanzien (hier: MPH) medikamentierten Teilnehmer ein signifikant verringertes Risiko einer späteren Sucht. Das Risiko einer späteren Sucht, sei es durch Alkohol oder andere Substanzen, ist danach um das 1,9-fache geringer (also nahezu halbiert).
Dies deckt sich mit den Erfahrungen aus dem ADHS-Forum von ADxS.org. Es berichten sehr viel mehr Betroffene, dass ihr Verlangen nach Alkohol oder Nikotin seit der Stimulanzienmedikaton deutlich gesunken ist, während gegenteilige Berichte eher Einzelfallcharakter haben.
Amphetaminmedikamente sind heute als Pro-Drug erhältlich (Lisdexamfetamin). Dies bedeutet, dass sie in einer Form vorliegen, in der sie bei missbräuchlicher Verwendung (missbräuchliche Einnahme in massiver Überdosierung durch die Nase oder intravenös) schlicht unwirksam sind, weil sie in einer Wirkstoffverbindung vorliegen, erst während im Blut über viele Stunden, ganz langsam, zum Medikamentenwirkstoff verstoffwechselt werden und daher kein Drogen-High auslösen können, sondern nur die heilsame Wirkung eines flach an- und absteigenden funktionalen Dopaminspiegels bewerkstelligen können.
Daberkow et al zeigen in dieser Grafik unter D den langsamen Dopamin-Anstieg (Medikament) bei 1 mg/kg AMP und den schnellen Anstieg (Droge) bei 10 mg/kg AMP. Die Spiegelentwicklung bei 1 mg/kg AMP entspricht den Kurven, wie sie auch von Amphetaminmedikamenten bekannt ist.
4.2. ADHS-Medikamente verringern Suchtverhalten bei bestehender Sucht¶
ADHS-Betroffene mit komorbider Kokainsucht zeigten bei Behandlung mit Stimulanzien eine erhebliche Verringerung des Suchtverhaltens, entsprechend dem Rückgang der ADHS-Symptome.
Dennoch sollte bei ADHS-Betroffenen mit einer vorbestehenden akuten oder früheren Sucht (Abhängigkeit) nach Amphetaminen oder Kokain berücksichtigt werden, dass der Erhalt von ähnlich wirkenden Medikamenten einen Trigger auslösen könnte, zu versuchen, diese wieder als Droge zu missbrauchen.
Bei anderen akuten oder früheren Suchtarten (Alkohol, THC ohne Amphetaminsucht) sollte sich kaum eine Triggerwirkung ergeben.
Vereinzelter Amphetaminmissbrauch (Wochenendkonsum) in der Vergangenheit dürfte ebenfalls kein Risiko darstellen und bei ADHS-Betroffenen auch bei Wiederholung eher Zeichen einer Selbstbehandlung sein.
Zudem sollte berücksichtigt werden, dass es auf jedem Discoklo und hinter jedem Bahnhof billigere und einfacher zu erhaltende Substanzen gibt, die erheblich mehr Rauschwirkung erzeugen. Das Risiko eines Missbrauchs von ADHS-Medikamenten ist unserer Auffassung nach eher theoretisch. In Anbetracht der Bedeutung für die Behandlung der Betroffenen bezweifeln wir, dass die Restriktionen gesellschaftspolitisch betrachtet sinnvoll sind.
5. Langzeitwirkungen von Stimulanzien¶
Eine Studie fand bei einer Einnahme von Stimulanzien (MPH, Lisdexamfetamin) über mindestens 24 Monate einen Langzeiteffekt auf:
- räumliches Gedächtnis
- Mustertrennung
- Objekterkennung.
Diese Verbesserungen traten nicht unmittelbar mit der Stimulanzieneinnahme auf, sondern wurde erst nach 24 Monaten signifikant.
Die Studie fand keine nachteiligen Auswirkungen auf die räumliche Navigation, das Objekterkennungsgedächtnis oder die Mustertrennung.
6. Nebenwirkungen von Stimulanzien¶
6.1. Blutdruck, Puls¶
Eine Metastudie mit n = 2.665 Erwachsenen mit ADHS fand als Nebenwirkungen von Stimulanzien:
- einen Anstieg der Ruheherzfrequenz um durchschnittlich 5,7 Schläge pro Minute
- einem Anstieg des systolischen Blutdrucks um durchschnittlich 2 mm Hg
- eine geringe Rate klinisch signifikanter kardiovaskulärer Ereignisse (einschließlich Bluthochdruck oder Tachykardie)
6.2. Kardiovaskuläre Probleme¶
Eine andere Metastudie berichtet:
- 6 von 7 Studien an Kindern fanden kein erhöhtes Risiko kardiovaskulärer Probleme
- 2 von 3 Studien an Erwachsenen fanden Hinweise auf erhöhte Risiken kardiovaskulärer Probleme
Zur Gesamtwirkung von Stimulanzien auf ADHS-Symptome siehe auch in folgenden Beiträgen:
6.3. Knochenprobleme¶
Eine Metaanalyse von k = 44 Studien berichtet , dass die Verwendung von MPH oder AMP über nachgeschaltete Effekte auf Osteoblasten und osteoklastenbezogene Gene zu einer Verschlechterung spezifischer Knocheneigenschaften und der biomechanischen Integrität führt.
Demgegenüber ist zu bedenken, dass Stimulanzien bei ADHS das Risiko (unfallbedingter) Knochenbrüche massiv verringert. *Mehr hierzu im Kapitel Folgen von ADHS). *