1. Case-Studien: Testosteron als wirksames ADHS-Medikament in Einzelfällen¶
Bei drei männlichen kaukasischen ADHS-Betroffenen mit ADHD-C im Alter von 24, 37 und 43 verbesserten sich die ADHS-Symptome durch eine Testosteron-Monotherapie innerhalb einer Woche und blieben dies dauerhaft (10 - 60 mg Testosteron/Tag als Hautgel).
Auch Winterdepressionen und Schlafprobleme besserten sich.
Vor der Testosteronbehandlung lagen die Serumspiegel der Patienten bei 12 - 16 nmol/L (altersspezifischer Referenzbereich: 10,4 - 32,6 nmol/L).
Das Verhältnis Testosteron/Sexualhormon-bindendes Globulin war bei zwei Patienten niedrig (0,32 und 0,34; altersspezifischer Referenzbereich: 0,38 - 1,1), was auf niedrige freie Serumspiegel von Testosteron hinweist.
Mit der Testosteronbehandlung stiegen die Serum-Testosteronspiegel und das Verhältnis von Testosteron zu Sexualhormon-bindendem Globulin an, blieben aber innerhalb der Referenzwerte.
Nur der jüngste der drei Probanden hatte unter MPH einen Libidoverlust.
Die Testosteronbehandlung ergab für die Probanden keine starken Nebenwirkungen, insbesondere keinen Zuwachs an Aggressivität.
Bei einer Testosterontherapie empfiehlt sich eine regelmäßige Kontrolle von
- Polyzythämie
- Plasmalipiden
- Leberfunktion
- Prostatafunktion
- Herzfunktion
- Blutdruck
- Schlafapnoe
- Reizbarkeit
- Stimmungsschwankungen.
Ein mäßig erniedrigter Serumspiegel an freiem Testosteron scheint zu den ADHS-Symptomen einiger erwachsener männlicher ADHS-Patienten beizutragen.
Eine Testosteronbehandlung könnte für diese Patienten von Nutzen sein.
Gleichwohl erlauben diese Case-Studien keine Verallgemeinerung, dass Testosteron ein ganz allgemein ein wirksames Medikament bei ADHS wäre. ADHS hat hunderte, wenn nicht sogar tausende verschiedene Ursachen. Dass bei einzelnen Betroffenen eine Behandlung wirksam ist, lässt keinen Schluss darauf zu, wie häufig dies bei anderen Betroffenen ebenfalls der Fall wäre.
2. MPH und Testosteron¶
Eine Studie fand keinen Einfluss einer 4-wöchigen MPH-Einnahme auf Testosteronspiegel bei ADHS.
Eine 12-Monatsstudie an ADHS-Betroffenen (Schnitt: 8,9 Jahre) fand signifikante Serumspiegelveränderungen durch MPH:
- verringert:
- erhöht:
- LH
- FSH
- freies Testosteron.
Dauer, Formulierung und Dosierung des MPH beeinflusste die Entwicklung der Gonadenhormone oder des Tanner-Stadiums nicht.
Eine Gruppe von 7 Case-Studien berichtet eine Korrelation zwischen MPH-Einnahme und verfrühter Pubertät. Die Basalhormonspiegel (luteinisierendes Hormon [LH], follikelstimulierendes Hormon und Östrogen/Testosteron) lagen im normalen Bereich.
Eine große Kohortenstudie fand keine Korrelation zwischen MPH-Einnahme und Testikelstörungen bei Jungen mit ADHS.
Eine Korrelation zwischen MPH-Einnahme und Rückgang des Serumtestosterons fand sich in einer Langzeitbehandlung an Makaken-Affen sowie in zwei Case-Studien bei Menschen.
Bei Ratten fand eine kleine Studie eine Zunahme des Hodengewichts und der Spermienanzahl durch MPH. Die Autoren schlossen daraus, dass eine subchronische MPH-Exposition bei heranwachsenden Ratten eine trophische Wirkung auf das Hodenwachstum und einen negativen Einfluss auf den Testosteron-Stoffwechsel haben könnte.
3. AMP und Steroide¶
Lisdexamfetamin und d-Amphetamin erhöhten in einer randomisierten doppelblinden placebokontrollierten Studie an Gesunden signifikant die Plasmaspiegel von:
- adrenocorticotropes Hormon
- Glucocorticoiden (hier ähnlich wie MPH)
-
Cortisol
- Cortison
- Corticosteron
- 11-Dehydrocorticosteron
- 11-Desoxycortisol
- Androgenen
- Dehydroepiandrosteron
- Dehydroepiandrosteronsulfat
- Δ4-Androsten-3,17-dion [Androstendion]
- Progesteron (nur bei Männern)
Unverändert blieben die Plasmaspiegel vion
- Mineralokortikoiden
- Aldosteron
- 11-Desoxycorticosteron
- des Androgens Testosteron
4. Sonstiges zu Testosteron bei ADHS¶
Bei präpubertären ADHS-Betroffenen korrelierten die Serum-Testosteronwerte und die Serum-Androstendion-Spiegel mit dem Maß der autistischen Merkmale, während die Serum-Oxytocinwerte signifikant höher waren.
Zwei Studien fanden deutlich erhöhte ADHS-Symptome bei Nutzern von anabolen (androgenen) Steroiden (AAS) im Kraftsport. AAS sind Testosteron-Derivate. Die Autoren schließen daraus auf ein Risikopotential von AAS für ADHS-Symptome. Vor dem oben geschilderten Hintergrund ist ebenso denkbar, dass die Nutzung von AAS eine Selbstmedikation darstellen könnte, die in der Folge zur Sucht führen könnte,
Eine pränatale Testosteron-Exposition korrelierte signifikant mit Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität/Impulsivität des Nachwuchses.
Die pränatale Testosteronexposition wird (indirekt) durch ein niedriges Verhältnis der Länge von Zeigefinger zu Ringfinger indiziert (Länger Zeigefinger geteilt durch Länge Ringfinger, 2D:4D), während ein hohes 2D:4D auf eine hohe pränatale Östrogenexposition hindeutet.. Eine Studie fand eine signifikante Korrelation zwischen einem niedrigen 2D:4D-Verhältnis und ADHS bei deutschen Männern, nicht aber bei deutschen Frauen oder chinesischen Männern oder Frauen. Eine andere Studie fand eine Assoziation von hohem pränatalem Testosteron (d. h. niedrigeres rechtes 2D:4D) mit hohen hyperaktiv-impulsiven ADHS-Symptomen bei Mädchen, aber nicht bei Jungen im Vorschulalter.
Eine andere Studie fand keinen Zusammenhang zwischen 2D:4D und ADHS-Symptomen oder ADHS-Subtypen bei Kindern mit ADHS.
Der Zusammenhang zwischen einem männlicheren rechten 2D:4D (d.h. einer erhöhten pränatalen Testosteron-Exposition) und erhöhter ADHS-Unaufmerksamkeitssymptomatik könnte durch eine verringerte Gewissenhaftigkeit vermittelt werden.
Eine große Studie fand keine robuste Korrelation zwischen bioverfügbarem Testosteronspiegel und ADHS bei Erwachsenen.
Eine Studie fand bei Jungen wie Mädchen mit ADHS:
-
DHEA-S verringert
- niedriges DHEA-S korrelierte mit höherer Impulsivität
- SHBG unverändert
- niedriges SHGB korrelierte mit erhöhten ADHS-Symptomen
- freies Testosteron unverändert
- keine Korrelation von freiem Testosteron zu ADHS-Symptomen
Bei SHR (Spontaneously hypertensive rats) fand sich im Serumspiegel-Vergleich zu WKR (Wistar-Kyoto-Ratten):
- Testosteron und freies Östriol bei 10 Wochen alten SHR und WKR im Vergleich zu 5 Wochen alten SHR und WKR erhöht
- Progesteron, Corticosteron und Cortisol erhöht bei 10 Wochen alten SHR im Vergleich zu 5 Wochen alten SHR und 5 oder 10 Wochen alten WKR
Nach einer Hypothese könnte die Überzahl an männlichen Betroffenen bei Verhaltensstörungen in der Kindheit von einem Testosteronüberschuss und die Überzahl in weiblicher Betroffener an emotionalen Störungen in der Jugend und im Erwachsenenalter von einem Östrogenüberschuss mit beeinflusst sein.
Eine Studie berichtet eine verdoppelte Rate von Testosteronmangel bei erwachsenen ADHS-Betroffenen nach 5 Jahren Stimulanzieneinnahme (1,2 %) gegenüber ADHS-Betroffenen ohne Stimulanzieneinnahme (0,67 %) oder Nichtbetroffenen (0,68 %).