Taurin (2-Aminoethansulfonsäure) ist eine schwefelhaltige freie β-Aminosäure. Als Aminosulfonsäure kann Taurin keine Peptide bilden. Taurin gilt bei Säugetieren als semi-essentiell.
Ein gesunder Mensch hat 50 bis 70 g Taurin im Körper.
Taurin hat therapeutische Bedeutung bei:
-
ADHS
- neurologischen Entwicklungsstörungen
- Angelman-Syndrom
- Fragile-X-Syndrom
- Schlaf-Wach-Störungen
- Neuralrohrdefekten
1. Taurin-Synthese¶
Die Taurin-Biosynthese erfolgt hauptsächlich peripher in der Leber über den Weg Methionin - Cystein - Cysteinsulfonsäure - Hypotaurin - Taurin.
Im Gehirn wird Taurin im Hippocampus und im Kleinhirn synthetisiert durch Umwandlung der Aminosäure Cystein durch Sulfinsäure-Decarboxylase (Taurin-Synthase und CAD/CSAD).
Taurin kann zwar die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Taurin besteht allerdings, anders als alle anderen neuroaktiven Aminosäuren, eher aus Sulfonsäure als aus Carbonsäure, was die Überwindung der Blut-Hirn-Schranke erschwert.
Bei Menschen ist die Taurin-Biosyntheserate in der Leber niedrig, sodass die Ernährung die wichtigste Quelle für Taurin darstellt.
Taurin ist im Kolostrum (Erstmilch, Vormilch, Kolostralmilch) sowie üblicherweise in Säuglingsnahrung und parenteralen Lösungen enthalten.
Kochen beeinträchtigt den Tauringehalt nicht. In Lebensmitteln findet sich Taurin
- in großen Mengen in
- Schalentieren, insbesondere Muscheln, Jakobsmuscheln und Venusmuscheln
- dunklem Fleisch von Hühnern und Puten
- manchen Energydrinks (z.B. 1000 mg / 250 ml)
- in geringen Mengen in
2. Wirkungen von Taurin¶
Taurin findet sich in:
- Gehirn
- Netzhaut
- Herz
- Plazenta
- Leukozyten
- Muskeln
Taurin beeinflusst die Signalübertragung im Gehirn. Es stimuliert den Einstrom und die Membranbindung von Kalzium und unterstützt die Bewegung von Natrium und Kalium durch die Zellmembran. Dies erhöht die Kontraktion und wirkt am Herzen antiarrhytmisch. Als Antioxidans schützt Taurin Gewebe vor oxidativen Schäden.
Im sich entwickelnden Gehirn ist die Taurinkonzentration in der ersten postnatalen Woche 3-4 mal höher als im erwachsenen Gehirn.
Taurin wirkt:
- lindernd in Bezug auf
- Folgen von Entzündungen und oxidativem Stress
- neurodegenerative Erkrankungen
- Schlaganfall
- Epilepsie
- diabetische Neuropathie
- protektiv in Bezug auf
- Verletzungen / Vergiftungen des Nervensystems
- oxidativen Stress
- Parkinson
- Alzheimer
- Huntington
- modulierend / regulierend
- Gehirnentwicklung
- Entwicklung des optischen Systems (Netzhaut)
- Immunsystem
- Stress des Endoplasmatischen Retikulums
- Qualitätskontrolle von Proteinen; Taurin fördert (wie andere organische Osmolyte) die ordnungsgemäße Proteinfaltung und den Membranverkehr des mutierten CFTR-Proteins (delta508 CFTR), das ohne organischen Osmolyten nicht aus dem ER in die Plasmamembran gelangt
-
Ca2+-Homöostase
-
neuronale Aktivität und Erregbarkeit auf molekularer Ebene
- Lernen und Gedächtnis
- Aggressionshemmung
- Energiestoffwechsel
- Genexpression
- Osmose
- Fortpflanzung
- Stabilisierung von Membranen
- Regulierung des Herzmuskels
- unterdrückt die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies
- hemmt die zelluläre Apoptose
Ob Taurin den Stoffwechsel verstärkt, indem es den Insulinspiegel beeinflusst, ist offen.
Taurin wirkt blutdrucksenkend.
Taurin und Salz können zu einem überhöhten Natriumgehalt in den Zellen führen, was lebensgefährlich sein kann.
Laut einer Stellungnahme der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit liegt das NOAEL (No Observed Adverse Effect Level) für Taurin bei 1000 mg/kg pro Tag.
Taurin beeinflusst
- Synapsin 1
- für die Entwicklung von Synapsen entscheidend
- Postsynaptic density protein-95- Spiegel
- für die Entwicklung von Synapsen entscheidend
- Proliferation von Stamm-/Progenitorzellen
- erhöhte Überlebensrate neugeborener Neuronen, verbesserten Neurogenese im Erwachsenenalter
- antidepressive Wirkung und Schutzwirkung gegen milden unvorhersehbaren Stress, möglicherweise durch
- Regulierung der HPA-Stress-Achse
- Förderung der Entstehung, des Überlebens und des Wachstums von Neuronen im Hippocampus
Nachkommen von Müttern mit Taurinmangel zeigen ein geringeres Hirngewicht und abnorme Morphologien im visuellen Kortex und im Kleinhirn
Taurinmangel korreliert häufig mit Nierenversagen und Immunsystemstörungen, insbesondere mit erhöhten Entzündungen.
Mäuse ohne funktionierenden Taurin-Transporter (TauT-KO-Maus) zeigen:
- Verlust der Langzeitpotenzierung im Striatum
- eine beeinträchtigte GABAerge Hemmung im Striatum, was das Angstverhalten beeinflussen kann
- geringeres angstähnliches Verhalten im Elevated-Plus-Labyrinth-Test
- Hörprobleme
- ein geringeres Körpergewicht
- Bewegungsunverträglichkeit
- skeletaler Muskelschwund
- verschiedene Erkrankungen im fortgeschrittenem Alter
- leichte Kardiomyopathie (unklar)
- Blindheit
- Geruchsstörungen
- unspezifische Hepatitis
-
chronische Leberfibrose
- verkürzte Lebenserwartung
- 591 Tage bei TauT-KO-Mäusen
- 795 Tage bei nicht TauT-KO-Wurfgeschwistern
Eine einwöchige Taurin-Gabe senkte die Werte von 17 Zytokinen spürbar und erhöhte den Wert von einem:
-
IL-1α, IL-1β, IL-4, IL-5, IL-6, IL-10, IL-12p70, IL-13, IL-17, Tumornekrosefaktor (TNF)-α, Interferon-gamma, Eotaxin, Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor, Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor, Leptin, monozytenchemotaktisches Protein-1 und vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor (VEGF) verringert
- Makrophagen-Entzündungsproteins 1 alpha erhöht
Taurin kehrte den Schweregrad einer traumatischen Hirnverletzung wirksam um, indem es
- Hirnödem verringerte
- die erhöhte Aktivität der Astrozyten verringerte
- die proinflammatorischen Zytokine verringerte
Taurin aktiviert tonisch GABA-A-Rezeptoren im Thalamus.
Taurin stimulierte die ERK I/II-Aktivität in Gegenwart von AMPA oder H2O2. Dies könnte in Bezug auf die Dopaminaufnahme durch DAT und damit für ADHS relevant sein.
Taurin scheint Neurotransmitter-Aktionen und die synaptische Empfänglichkeit ganzer Hirnregionen zu regulieren. Taurin könnte beeinflussen, in welchem Maße die jeweilige Gehirnregion zur neuronalen Informationsverarbeitung in der Lage ist und Verhalten regulieren kann. Der Taurinspiegel in einer Gehirnregion könnte als Index für die regionale Reaktivität auf synaptische Eingangssignale und damit für die Funktion der betreffenden Hirnregion insgesamt dienen. In der Folge könnte die beobachteten Veränderungen des Taurinspiegels bei erwachsenen Ratten, die in der Jugend MPH erhielten, die
festgestellte Überfunktion des dorsalen Striatum und die damit korrelierende Unterfunktion des Nucleus accumbens erklären können.
3. Taurin bei ADHS¶
Wir konnten keine Studien zur Wirkung von oral aufgenommenen Taurin auf extrazelluläres oder phasisches Dopamin finden.
In die Bauchhöhle gespritztes Taurin verringerte den extrazellulären Dopaminspiegel im Striatum. Intrastriatal infundiertes Taurin erhöhte die extrazelluläre Dopaminkonzentration im Striatum, während sie intranigral gesenkt wurde.
Bei ADHS ist extrazelluläres Dopamin verringert und phasisches Dopamin erhöht. Siehe hierzu unter ADHS - Störungen des Dopaminsystems im Abschnitt Dopamin im Kapitel Neurologische Aspekte. Hilfreich wäre somit eine Erhöhung des extrazellulären Dopamins, z.B. durch eine verringerte Dopaminwiederaufnahme oder durch erhöhten DAT-Efflux.
Taurin wurde bislang nur in wenigen Berichten als mögliches ADHS-Medikament genannt.
Eine Untersuchung an Ratten kam zu dem Ergebnis, dass Taurin bei ADHS positive Effekte aufweisen kann.
- Niedrige Tauringaben erhöhten
- die DAT im Striatum signifikant (nur) bei WKY-Ratten (ein Nicht-ADHS-Tiermodell)
- die Dopaminaufnahme im Striatum bei SHR- wie bei WKY-Ratten.
- Hochdosiertes Taurin verringert (nur) bei SHR-Ratten (die ein Tiermodell von ADHS-C mit Hyperaktivität darstellen)
- die DAT im Striatum signifikant
- die DAT im Striatum sind bei ADHS erhöht
- die Dopaminaufnahme im Striatum
- die Dopamin(wieder)aufnahme im Striatum ist bei ADHS erhöht
- Interleukin (IL)-1β und C-reactives Protein
- die horizontale Bewegung
- die funktionelle Konnektivität des Hippocampus (auch in WKY)
- die mittlere Amplitude der niederfrequenten (0,01-0,08 Hz) Schwankungen (mALFF, mean amplitude of low-frequency fluctuation (mean ALFF)) im Hippocampus beidseitig (auch in WKY)
- Niedrige wie hohe Tauringaben erhöhen
- den BDNF-Wert im Striatum bei SHR- wie bei WKY-Ratten signifikant
BDNF ist bei ADHS verringert
Hochdosiertes Taurin verringerte Hyperaktivität bei SHR-Ratten durch verringerte entzündliche Zytokine und modulierte funktionelle Gehirnsignale:
- WKY mit hoher Tauringabe
-
CRP (C-reaktives Protein) signifikant verringert im Serum
-
SHR mit niedriger oder hoher Tauringabe
- Interleukin (IL)-1β signifikant verringert
-
CRP signifikant verringert
- WKY und SHR mit niedriger Tauringabe
- horizontale Lokomotion signifikant erhöht
-
SHR mit hoher Tauringabe
- horizontale Lokomotion signifikant verringert zu SHR-Kontrollgruppe
- WKY wie SHR mit hoher Tauringabe
- funktionelle Konnektivität (FC) signifikant verringert
- mittlere Amplitude der niederfrequenten Fluktuation (mALFF) im bilateralen Hippocampus signifikant verringert
-
SHR mit niedriger oder hoher Tauringabe
- mALFF signifikant verringert zu SHR-Kontrollgruppe
Bei ADHS-Betroffenen fand eine kleine Studie
- eine verminderte ALFF
- im rechten inferioren frontalen Cortex
- im Cerebellum beidseitig
- im Vermis
- eine erhöhte ALFF
- im rechten vorderen cingulären Cortex
- im linken sensomotorischen Cortex
- im Hirnstamm beidseitig
Eine sehr umfassende Studie mit 985 Probanden fand dagegen erhebliche Unterschiede, jedoch ebenfalls nicht im Hippocampus. Eine weitere kleine Studie fand keine Korrelation zwischen ALFF und ADHS.
Ein hoher Konsum von Energydrinks mit Taurin könnte eine Selbstmedikation darstellen. Ein gravierender Nachteil dabei ist der immense Zucker- und Koffeinanteil dieser Getränke. Zugleich berichtet eine nennenswerte Anzahl von ADHS-Betroffenen aus der Zeit vor ihrer Medikamenteneinstellung von einem sehr hohen Zucker- und Koffeinkonsum.
4. Taurin bei Parkinson¶
Taurin schützte dopaminerge Zellen durch Inaktivierung der Mikroglia-vermittelten Neuroinflammation:
Taurin unterdrückte eine durch Paraquat oder Maneb induzierte Mikrogliaaktivierung. Wurden die Mikroglia verringert, hob dies die dopaminergen neuroprotektiven Wirkungen von Taurin auf.
Taurin unterdrückte die durch Paraquat oder Maneb induzierte mikrogliale M1-Polarisierung und die Genexpression proinflammatorischer Faktoren.
Taurin hemmte die Aktivierung der NADPH-Oxidase (NOX2), indem es die Translokation der zytosolischen Untereinheit p47phox und den Signalpfad des nuklearen Faktors Kappa B (NF-κB) störte, die beide Schlüsselfaktoren für die Auslösung und Aufrechterhaltung der mikroglialen M1-Entzündungsreaktion sind.