Die Darstellung des Abbaus von MPH durch CES1A wurde verschoben in den Beitrag Medikamentenwirkdauer bei ADHS.
13. Unretardiertes Methylphenidat¶
Unretardiertes (“normales”) MPH hat eine typische Wirkungsdauer zwischen 2,5 und 4 Stunden. Sie kann individuell aber auch nur 1 Stunde betragen. Die individuelle Wirkdauer bleibt über die gesamte Lebensspanne gleich.
Der Vorteil der kurzen Wirkdauer ist eine bessere Steuerbarkeit, weil mal etwas früher oder mal etwas später, mal etwas weniger oder etwas mehr nachgenommen werden kann und die Tagesabdeckung leichter reguliert werden kann. Der Nachteil ist, dass eine größere Mitwirkung und Disziplin des Betroffenen erforderlich sind. Bei ADHS im Allgemeinen und bei ADHS-betroffenen Kindern im Besonderen ist diese Zuverlässigkeit nicht immer gegeben. Wenn man erst merkt, dass man nachlegen muss, weil man gerade wieder ohne adäquaten Grund “explodiert” ist, oder weil man etliche Zeit in die Luft gestarrt hat, ist ein Großteil der erreichbaren Lebensnormalisierung verpasst. Zudem vermittelt die häufige Medikamenteneinnahme über den gesamten Tag deutlicher das Gefühl, von einer Störung betroffen zu sein. Medikamente mit einer langen Retardierung (10-14 Stunden), die nur einmal morgens eingenommen werden müssen, bewirken im Vergleich deutlich stärker das Gefühl einer Normalisierung.
Bei der Eindosierung ist eine unretardierte Form vorzuziehen, sofern die Einnahme zuverlässig erfolgt, da unretardierte Tabletten durch Teilung in feinere Einheiten aufgeteilt werden können und die kürzere Wirkdauer eine bessere Anpassung der Dosishöhe ermöglicht.
14. Retardiertes MPH, Retardtechniken¶
Retardpräparate bewirken eine veränderte / verlangsamte Wirkstofffreisetzung im Vergleich zu Darreichungsformen mit unveränderter Wirkstofffreisetzung. Die verlängerte Freisetzung wird durch eine spezielle Zusammensetzung und/oder ein spezielles Herstellungsverfahren erreicht.
Im Unterschied zu Depotarzneiformen versteht man unter Retardarzneiformen im engeren Sinn peroral verabreichte Arzneiformen. Beide Begriffe werden aber oft synonym zueinander gebraucht. Arzneistoffe, die aufgrund ihrer pharmakokinetischen Eigenschaften (und nicht ihrer Freisetzungsmechanismen) verzögert aufgenommen oder im Fall von Prodrugs erst vom Organismus in ihre eigentliche Wirkform übergeführt werden, sind jedoch keine Retardarzneiformen.
Retardiertes MPH wirkt je nach Präparat zwischen 4 und 12 Stunden, indem das Medikament seine Wirkstoffe langsam an den Körper abgibt.
Der Vorteil ist, dass der Betroffene nicht daran denken muss, sein Medikament nachzunehmen; der Nachteil ist die fehlende Feinsteuerung hinsichtlich der Menge, da die Kapseln nur die vorgegebenen Dosierungen beinhalten und nicht wie Tabletten geteilt werden können und dass nach Ablauf der Wirkung, falls noch ein paar Stunden Tag zu leben sind, die Wirkungsdauer einer Kapsel möglicherweise zu lange anhält, was dann Schlafprobleme verursachen kann.
Unretardierte Präparate können dazu beitragen, Dysphorie und/oder Hyperaktivität während des Rebounds beim Ausklang der Wirkung retardierter Präparate zu verringern.
Was besser passt, muss jeder Betroffene für sich herausfinden.
Die Kombination von retardierten Präparaten (als Standard für den Tag) mit unretardierten Tabletten (zum schnelleren Anschub morgens, zur Ergänzung am späteren Nachmittag oder abends und zur Feinsteuerung bei erhöhten Belastungen) ist zulässig.
Grundsätzlich ist eine Tagesabdeckung anzustreben. Bei unretardiertem MPH sind 3 bis 4 Einzeldosen erforderlich, bei halbtagesretardierten Präparaten 1 bis 2 Dosen.
Zu den einzelnen retardierten / unretardierten MPH-Präparaten siehe unten.
14.1. Einnahme mit / ohne Nahrungsaufnahme¶
Manche Präparate (z.B. Medikinet Adult und Medikinet retard) benötigen eine Nahrungsgrundlage zur Einnahme. Andernfalls wirkt Medikinet unretardiert (doppelt so stark und halb so lang).
Auch bei anderen Präparaten mit Langzeitwirkung kann eine Nahrungsaufnahme vor der Einnahme die Dauer der Wirkung beeinflussen. Bei nüchterner Einnahme ist das Risiko erhöht, dass das Medikament ohne säureabhängige Retardierung zu dem Zeitpunkt, an dem die Wirkung der retardierten Anteile einsetzen soll, bereits so tief in den Darm gewandert ist, dass dort eine vollständige Wirkstoffaufnahme nicht mehr gewährleistet ist. So soll auch bei Ritalin LA (dessen Retardierung nicht säureabhängig sei) die Bioverfügbarkeit bei Einnahme nach der Mahlzeit um etwa elf Prozent höher liegen als bei nüchterner Einnahme, sodass sich auch bei Ritalin LA und Ritalin Adult eine Einnahme zur oder nach der Mahlzeit empfiehlt.
14.2. Retardierungsformen bei MPH¶
14.2.1. Tabletten / Kapseln¶
14.2.1.1. Medikinet-Retardierungs-System¶
Medikinet®; Medikinet® CR; Medikinet® EM; Medikinet® MR; Medikinet® XL
Länder:
Europa: Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, die Schweiz, die Slowakei, Slowenien, Spanien, das Vereinigte Königreich und Zypern.
Israel
Korea
Südamerika: Argentinien, El Salvador, Guatemala, Honduras
In Deutschland: Medikinet retard und Medikinet adult
Wir haben bislang keine genaue technische Beschreibung des Retardierungssytems von Medikinet gefunden.
Medikinet retard
- 50 % IR- Pellets
- 50 % magensaftresistente ER-Pellets
Medikinet Adult und Medikinet retard benötigen eine Nahrungsgrundlage zur Einnahme, weil der retardierte Anteil von einer säureresistenten Membran umhüllt ist und auf eine (mittels fester Nahrung) verlangsamte Weiterleitung durch den Magen in den Darm angewiesen ist. Bei einem zu schnellem Transport in den alkalischen Bereich des Zwölffingerdarms kann der retardierte Anteil vorzeitig freigesetzt werden, was zu einer überhöhten und verkürzten Wirkung führt.
- Dose-Dumping-Probleme möglich bei Magen-pH-Wert über 5,5
- Wirkstoff wird zu schnell freigesetzt und entfaltet dadurch erhöhte Wirkungen und Nebenwirkungen
- z.B. durch
- Protonenpumpenhemmer (wie Pantoprazol, Omeprazol)
- H2-Antagonisten (wie Ranitidin, Famotidin) weniger wahrscheinlich)
- Antazida
14.2.1.2. OROS - Orales System mit osmotischer Freisetzung¶
Präparat: Concerta (mit Außenbeschichtung, Ganztages-Retard)
Concerta extended release; Concerta® LP
Länder:
Afrika: Botswana, Brasilien, Ägypten, Namibia, Nicaragua, Südafrika
Asien: Bahrain, China, Hongkong, Indonesien, Israel, Japan, Jordanien, Republik Korea, Kuwait, Libanon, Malaysia, Oman, Philippinen, Katar, Saudi-Arabien, Singapur, Taiwan, Vereinigte Arabische Emirate, Jemen
Australien
Neuseeland
Europa: Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Kroatien, Lettland, Lichtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Vereinigtes Königreich
Nordamerika: Bahamas, Barbados, Kanada, Cayman Inseln, Dominikanische Republik, El Salvador, Guatemala, Honduras, Jamaika, Mexiko, Trinidad und Tobago, USA.
Südamerika: Argentinien, Aruba, Bolivien, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Ecuador, Panama, Paraguay, Peru, Uruguay, Venezuela.
OROS (Osmotic Release Oral System) war das erste Retardsystem, das für MPH entwickelt wurde. Es wird auch “Pulse and leak”-Mechanismus genannt.
Beim OROS-System erfolgt die erste Wirkstofffreisetzung (22 %) unretardiert aus der Kapselbeschichtung (Pulse).
Die semipermeable Membran der Kapsel-Außenwand umgibt einen dreischichtigen Kern, der zwei Wirkstoffschichten und eine osmotisch aktive Druckschicht enthält. Dringt Wasser durch die Membran, dehnt sich die osmotische Druckschicht allmählich aus und drückt die im Kern befindlichen 78 % des MPH durch ein lasergebohrtes Loch aus der Kapsel heraus (Leak). Nach vollständiger MPH-Freisetzung bleibt die Kapsel intakt und wird im Stuhl ausgeschieden. OROS-MPH-Tablette müssen daher im Ganzen geschluckt werden und dürfen weder geöffnet, zerdrückt, geteilt noch gekaut werden.
Zwischen den beiden inneren Wirkstoffkompartimenten besteht ein Konzentrationsgefälle, das auch die Freisetzungsrate des Wirkstoffs modifiziert. OROS-MPH weist eine erste Konzentrationsspitze nach etwa 1 Stunde und ein sanft ansteigendes Plasmakonzentrationsprofil auf, von dem angenommen wird, dass es die Entwicklung einer “akuten Toleranz” minimiert und die volle Wirksamkeit über den ganzen Tag aufrechterhält.
“Akute Toleranz” war ein Gedanke von Swanson, der annahm, dass eine optimale Wirkung durch einen stetigen Anstieg des MPH-Spiegels über den Tag erfolge, wobei die Toleranz über Nacht abgebaut werde und das Gehirn am folgenden Tag wieder mit Null beginne. Concerta folgte dieser Idee durch die stark Back-loaded-lastige Verteilung (22 / 78).
Die Ergebnisse von Swanson et al. konnten jedoch nicht reproduziert werden und decken sich auch nicht mit der Erfahrung der klinischen Praxis. Betroffene, die sich (in Abstimmung mit ihrem Arzt) passend selbst dosieren, nutzen entweder
- eine Eingangsdosis und über den Tag verteilt mehrere relativ geringere Folgedosen (nach unserer Erfahrung die häufigste Einnahmeform, die auf den Bedarf eines gleichbleibeneden Spiegels hindeutet)
- eine einzelne hohe Dosis (nach unserer Erfahrung eher selten)
- eine niedrige Startdosis und hohe Folgedosen über den Tag (Sehr seltene Konstellation. Uns wurde über einen Betroffenen mit dieser Einnahmeschema berichtet)
By design verbleibt bei Concerta ein Sechstel der Dosis in der Kapsel und wird nicht bioverfügbar. Daher gibt eine 18-mg-Kapsel tatsächlich nur 15 mg MPH ab, eine 36-mg-Kapsel liefert nur 30 mg etc.
Die Halbwertzeit (“t1/2”) von MPH liegt bei gesunden Erwachsenen ca. zwischen 3,3 bis 4 Stunden. Trotz der niedrigeren Cmax war die relative Bioverfügbarkeit von OROS-MPH vergleichbar mit IR-MPH, das dreimal täglich alle 4 Stunden verabreicht wurde.
Vorteile:
- Sehr lange Wirkdauer von bis zu 12 Stunden
- keine Abhängigkeit von Nahrungsaufnahme
Nachteile:
- schlechtere Dosierbarkeit als bei zwei Dosen halbtagesretardiertes MPH hintereinander, bei denen die Dosierung unterschiedlich gewählt werden kann (zweite Dosis idR 1/2 bis 2/3 der ersten Dosis)
14.2.1.3. MAS-XR (SODAS) - Mischung aus Pellets mit sofortiger und verzögerter Wirkung¶
Präparate: Ritalin LA, Ritalin LP, Ritalin Adult (EU, USA), Focalin XR (Schweiz, USA), Miacalcic
Chile
SODAS®-Technologie (Spheroidal Oral Drug Absorption System)
Kapsel beinhaltet zwei verschiedene Arten von Pellets.
- Pellets, die den Wirkstoff sofort freisetzen (Wirkstoff-Anteil 40 oder 50 %)
- Pellets mit magensaftresistenter Polymerbeschichtung, die ca. vier Stunden nach der Einnahme für Flüssigkeit durchlässig wird. Die Flüssigkeit löst dann den Wirkstoff und setzt ihn frei (Wirkstoff-Anteil 60 oder 50 %)
Bei 50 % IR / 50 % ER:
- zwei Spitzenwerte
- Cmax1 nach ca. 2 Stunden
- Cmax2 ca. 3,5 bis 4,5 Stunden später
-
Halbwertszeit
- bei Kindern mit ADHS ca. 2,4 Stunden
- bei gesunden erwachsenen Männern ca. 3,3 Stunden (wie IR-MPH)
- Cmax
- bei Kindern mit ADHS 2-fach höher als bei gesunde Erwachsene (20 mg MPH-LA)
- vermutlich aufgrund Körpergewicht und Verteilungsvolumen
Vorteile:
- keine Nahrungsaufnahme zur Einnahme erforderlich
-
Da Retardierung nicht mittels Kapselhüllenbeschichtung erfolgt, kann Kapsel geöffnet werden (z.B. Einnahme im Müsli)
- etwas langsamere Freisetzung als OROS (Medikinet)
- Freisetzung unabhängig von Magen-pH-Wert; kein Dose-Dumping-Risiko wie bei OROS (Medikinet, Concerta)
Verfügbare Dosierungsstärken:
Nahrungsaufnahme:
- Wie bei anderen Formulierungen mit Pellets-Technologie
- kann ganz geschluckt, geöffnet und auf Apfelmus gestreut werden
- Löffel Apfelmus veränderte Pharmakokinetik bei gesunden Erwachsenen nicht
- fettreiche Nahrung bei Einnahme
- unverändert: AUC, Cmax1, Tmax2
- verringert: Cmax2 um 23 %
- verzögert: Tmax1 um eine Stunde
FOCALIN XR® ist das einzige reine D-MPH-Präparat mit verlängerter Wirkstofffreisetzung (D-MPH-ER).
Pharmakokinetisches Profil bei gesunden Erwachsenen:
- erster Peak nach etwa 1,5 bis 2 Stunden
- zweiter Peak nach 5,5 bis 6,5 Stunden
- etwas niedriger als IR-d-MPH
- etwas längere Tmax2 als IR-d-MPH
- lässt auf geringere Spitzen- und Talschwankungen bei d-MPH-ER schließen
- Tiefpunkt der MPH-Plasmakonzentration zwischen den beiden Peaks
-
Halbwertszeit bei gesunden Erwachsenen ca. 3 Stunden
20 mg d-MPH-ER einmal täglich zeigte sich als bioäquivalent zu
- zwei Dosen IR-d-MPH zu je 10 mg im Abstand von 4 Stunden
- eine Dosis MPH-LA zu 40 mg
Verfügbare Dosierungsstärken:
- 5, 10, 15, 20, 25, 30, 35, 40 mg
- bei gesunden Erwachsenen dosisproportional von 5 bis 40 mg
- 2 bis 3 Dosen / Tag erforderlich
Nahrungsaufnahme:
- nicht untersucht
- vermutlich wie Ritalin-LA / Ritalin Adult
14.2.1.4. MPH-CD, Diffucaps¶
Präparate:
Equasym Depot®, Equasym Retard®, Equasym XR®, Quasym LP®, Metadate CD®, Metadate ER®
Länder:
Europa: Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Irland, die Niederlande, Norwegen, Schweden, die Schweiz und das Vereinigte Königreich.
Südkorea
USA
Bead-Technologie, Diffucaps®
MPH-CD-Gelatinekapseln
- 30 % IR-Pellets
- 70 % ER-Pellets
Nach Pheil et al. soll Metadate CD ein mit MAS-XR verwandtes System verwenden, bei dem eine Kapsel zwei verschiedene Arten von Pellets enthält, die aus mit Wirkstoff versetzten Zuckerkügelchen bestehen und ohne (IR) oder mit (ER) einer freisetzungsverzögernde Beschichtung versehen sind.
Pharmakokinetisches Profil:
- zwei Spitzenwerte
- scharfe, anfängliche Steigung
- erster Peak nach etwa 1,5 Stunden (ähnlich wie unretardiertes MPH)
- fortgesetzte Resorption
- zweiter Peak (Cmax) ca. 3 Stunden später
25 % bis 35 % der Kinder mit ADHS in einer pharmakokinetischen Studie mit Mehrfachdosierung zeigten ein Profil mit nur einem Spitzenwert.
Halbwertszeit bei gesunden Erwachsenen ca. 5,6 bis 6,4 Stunden.
Im Vergleich zu zweimal täglich verabreichtem IR-MPH im Abstand von 4 Stunden waren sowohl Cmax als auch AUC bei einmal täglichem MPH-CD bei einer ähnlichen Tagesgesamtdosis von 20 mg etwas niedriger
Dosierungsstärken:
- 10, 20, 30, 40, 50, 60 mg
Kinder:
- Lineare Dosisproportionalität zwischen 20 mg und 40 mg
Gesunde Erwachsene
- Lineare Dosisproportionalität zwischen 10 mg und 60 mg
MPH-CD-Kapseln können entweder ganz geschluckt oder geöffnet und ohne Beeinträchtigung der Bioverfügbarkeit auf Apfelmus gestreut werden, wenn die Betroffenen Schwierigkeiten beim Schlucken haben.
Nahrungsaufnahme bei der Einnahme durch Erwachsenen mit ADHS
- verzögerte Tmax um 1 Stunde
- erhöhte Cmax um 30 %
- erhöhte AUC um 17 %
14.2.1.5. MPH-SR, Wachsmatrix¶
Präparat: Ritalin SR®
USA, Kanada
MPH-SR war eine der ersten Retardierungstechniken.
MPH-SR verwendet Tabletten mit einer Matrix auf Wachsbasis.
Wirkdauer von bis zu 8 Stunden wohl nur theoretisch.
In der Praxis in den ersten 2 Stunden keine Wirkung, dann 4 Stunden Wirksamkeit, d<nach keine Wirkung mehr.
Die Wirksamkeit ist möglicherweise geringer als bei mehrfacher Dosierung von unretardiertem MPH.
Das flache Wirkstofffreisetzungsprofil von MPH-SR (nullter Ordnung) könnte für die nach manchen Studien schlechtere Wirkung von MPH-SR im Vergleich zu MPH-IR und für die Entwicklung einer akuten MPH-Toleranz innerhalb des Tages verantwortlich sein, die zu einer schlechteren Wirkung am Nachmittag führt.
14.2.1.6. MPH-MLR, MLRTM, Mehrschichtige Verbundkügelchen¶
14.2.1.6.1. 40 % IR / 60 % ER¶
Präparat: APTENSIO XR® (USA), Biphentin®
MPH-MLR (MLRTM) verwendet mehrschichtige Verbundkügelchen:
- äußere IR-Schicht, ca. 40 % MPH
- innere Schicht mit retardierter Freisetzung, ca. 60 % MPH
Dosierungsstärken:
- 10, 15, 20, 30, 40, 50, 60 mg
Nahrung:
- als ganze Kapseln
- als Streuung auf Apfelmus
Pharmakokinetik:
- schnelle anfängliche Freisetzung, mit IR-MPH vergleichbar
- Cmax 1 ca. 2 Stunden nach Einnahme
- gefolgt von geringer, aber spürbarer Abnahme der MPH-Freisetzung während der Mittagszeit
- mäßiger Rückgang der Plasmakonzentration in den Stunden 4 bis 6
- zweite kontrollierte Freisetzung von MPH während des restlichen Tages
- allmählicher Anstieg zu abgeschwächtem zweitem Höhepunkt (Cmax 2) in Stunden 7 bis 8 Stunden nach der Einnahme
- allmähliches Absinken des MPH-Spiegels während des Abendessens und der Schlafenszeit
- Wirkdauer ca. 10 bis 12 Stunden
Halbwertszeit
- ca. 5 Stunden (gesunde Erwachsene, nüchtern)
Nahrung:
fettreiches Frühstück
- erhöhte Cmax um ca. 28 %
- erhöhte AUC um ca. 19 %
- verringerte den zweiten Peak
- verzögerte die Tmax um 1 Stunde
14.2.1.6.2. 20 % IR / 80 % ER¶
Präparat: ADHANSIA XR®
Mehrschichtige Kügelchentechnologie wie MPH-MLR
- äußere IR-Schicht ca. 20 % MPH
- innere Schicht mit kontrollierter Freisetzung ca. 80 % MPH
Pharmakokinetik:
- erste Spitze nach ca. 1,5 Stunden
- zweite Spitze nach ca. 12 Stunden
- nach Anpassung an das Körpergewicht altersunabhängige Pharnakokinetik
Halbwertszeit:
- bei Erwachsenen ca. 7 Stunden
- bei Jugendlichen ca. 5 Stunden
- bei Kindern ca. 4 bis 7 Stunden
Fließgleichgewicht/Steady-State
- bei gesunden Erwachsenen, nüchtern, 100 mg: ab Tag 3
dann
- erste Cmax um 22 % erhöht
- zweite Cmax ähnlich wie bei 20 mg IR-MPH 3 x täglich alle 4 Stunden
- AUCcum 50 % höher als bei IR MPH
Dosierungsstärken:
- 25, 35, 45, 55, 70, 85 mg
- Einnahme als ganze Kapsel oder gestreut auf Apfelmus
Nahrung:
Fettreichen Mahlzeit bewirkte
- Cmax unverändert
-
AUC unverändert
- Tmax1 wie Tmax2 um eine Stunde verzögert (ggüber nüchtern)
14.2.1.6.3. 40 oder 50 % IR / 50 oder 60 % ER¶
Biphentin®
Kanada
Kapsel beinhaltet Pellets, die aus zwei Schichten und einem Kern bestehen.
- Kapselhülle ist mit einer die Auflösung verzögernden Beschichtung versehen
- In der äußeren Kapsel-Schicht befindet sich der sich sofort freisetzende Wirkstoff (Wirkstoff-Anteil 40 oder 50 %)
- Außenkapsel und Innenkapsel sind durch eine Membran getrennt
- In der inneren Kapsel-Schicht findet sich Wirkstoff, der die ihn umgebende Membran nur langsam überwinden kann (Wirkstoff-Anteil 60 oder 50 %)
- innerhalb der inneren Kapsel-Schicht befindet sich ein Kapselkern
14.2.1.7. MPH-ERCT¶
Präparat: QUILLICHEW ER® (USA)
MPH-ERCT sind Kautabletten mit Kirschgeschmack.
Retardverteilung:
- 30 % IR MPH, unbeschichtete Mikropartikel
- 70 % ER MPH, beschichtete Mikropartikel
Wirkstoffverteilung:
MPH stammt
- zu 15 % aus MPH-Hydrochloridsalz
- zu 85 % aus ionisch an Sulfonatgruppen von Natriumpolystyrolsulfonatpartikeln gebundenes MPH
Dosierungsstärken:
Pharmakokinetik:
- bei gesunden Erwachsenen, nüchtern, 40 mg:
- Spitze nach etwa 5 Stunden
-
Halbwertszeit 5,2 Stunden
- Wirkdauer ca. 12 Stunden
- bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS
Bioverfügbarkeit einer 40 mg-Einzeldosis MPH-ERCT
- gleicht zwei IR-MPH-Kautabletten zu je 20 mg im Abstand von 6 Stunden bis auf Cmax
- Cmax bei MPH-ERCT im Vergleich zum zweiten Peak von IR-MPH um 20 % niedrige
- Wirkdauer 12 Stunden
Nahrung:
Fettreiche Mahlzeit bewirkte bei 40 mg-Einzeldosis:
- Tmax unverändert
- Cmax um 20 % erhöht
-
AUC um 4 % erhöht
14.2.1.8. MPH XR-ODT¶
Präparat: COTEMPLA XR-ODT® (USA, 2017)
Einmal täglich einzunehmende, oral zerfallende Tablette
Retardierungstechnik:
Ionenaustauscherharz-Technologie, bei der MPH ionisch an das Sulfonat von Polysteren-Sulfonat-Mikropartikeln gebunden ist. Um MPH-beladene Mikropartikel zu erzeugen, werden MPH-Salze in Lösung dissoziiert, und das positiv geladene MPH ersetzt das Na+ des Harzes. Diese Mikropartikel sind entweder unbeschichtet (IR) oder beschichtet (ER) und werden dann zu Tabletten gepresst.
Dosierungsstärken:
- 8,6; 17,3; 25,9 mg
- entspricht 10, 20, 30 mg MPH-Hydrochlorid
- nicht kauen oder zerdrücken
- mit trockenen Händen aus Blister nehmen
Pharmakokinetik:
- gesunden Erwachsene, nüchtern. 51,8 mg MPH XR-ODT
- breiter Peak
- Maximum nach 5 Stunden
- gefolgt von scheinbarer Eliminationsphase erster Ordnung
- Wirkdauer ca. 12 Stunden
- bei Kindern
- Cmax 2-fach höher als bei Erwachsenen
- bei Jugendlichen
- nach Körpergewicht
- keine Unterschiede zwischen den Altersgruppen.
Halbwertszeit: 4 Stunden
Nahrung:
Fettreichen Mahlzeit bewirkte:
- Tmax um 30 Minuten verkürzt
- Cmax um 24 % verringert
-
AUC um 16 % erhöht
14.2.1.9. DR/ER-MPH¶
Präparat: JORNAY PM™ (USA)
DELEXIS®-Drug-Delivery-Plattform
Besonderheit: Einnahme erfolgt abends.
Einheitliche Mikrokügelchen, die aus einem Kern mit zwei funktionellen Schichten bestehen.
- äußere Schicht mit verzögerter Freisetzung (DR-Schicht)
- hydrophobe, hygroskopische, pH-abhängige Polymere
- sollen für eine therapeutische Wirkung beim Aufwachen sorgen
- innere ER-Schicht
- hydrophobe, lösliche Polymere
- sollen Wirksamkeit über den Rest des Tages aufrechterhalten
- Kern mit IR-MPH
Dosierungsstärken.
- 20, 40, 60, 80, 100 mg
- Dosisproportionalität zwischen der 20- und 100-mg-Dosis
Pharmakokinetik:
- Beginn der MPH-Freisetzung ca. 8 bis 10 Stunden nach der Einnahme
- während der Nacht kaum relevante Freisetzung unter 5 % des Gesamtwirkstoffs
- lang anhaltende Wirkung vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag oder Abend
- einzelner Peak
- bei gesunden Erwachsenen 14 bis 16 Stunden nach der Einnahme
- bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS 16 bis 18 Stunden nach der Einnahme
- danach verlängerte, kontrollierte Freisetzung über den Tag hinweg
- Freisetzung erfolgt in Dickdarm, weil beschichtete Kapsel vor Wirkbeginn bereits mehrere Stunden durch Verdauungstrakt wandert
- mehr als 50 % der MPH-Freisetzung erfolgt nach Erreichen der Spitzenkonzentrationen
- nach Anpassung an Dosis und Körpergewicht altersunabhängig nahezu konstant
- Fließgleichgewicht / Steady state wird mit der zweiten Dosis erreicht.
- verlängerte Eliminationsphase und um 25 % geringere Bioverfügbarkeit im Vergleich zu IR-MPH
- aufgrund Aufnahme durch Dickdarm, der weniger resorptionsfähig ist
- ein Teil des freigesetzten MPH wird nicht resorbiert, sondern über Stuhl ausgeschieden
- Durch die Eigenschaften der multiplen Polymere in den DR- und ER-Schichten der DR/ER-MPH-Mikropellets sind die anfängliche Auflösung und die anschließende Absorption von MPH nicht von einem einzelnen Faktor abhängig, wie z. B. dem pH-Wert, Schwankungen im Magen-Darm-Trakt oder dem Ort der Freisetzung. Daher ist DR/ER-MPH weniger anfällig durch Beeinflussung einzelner Auslöser, was verringerte Schwankungen der Aufnahme und damit geringere (subjektive) Wirkunterschiede zwischen Patienten und bei einzelnen Patienten über die Dauer der Einnahme bewirkt.
- Dauer der Wirkung nahm mit steigender Dosis zu
- Responderquote bis 97 %
- Remissionsquote bis 87 %
- Schlafprobleme waren das häufigste Nebenwirkung und gaben sich bei 97 % der Betroffenen bis zum Ende der 6-wöchigen Versuchsreihe
- In einer retrospektiven Patientenkohorte von 16 Jahren und älter betrug die mittlere Anfangsdosis von DR/ER-MPH 53,6 mg/Tag und die mittlere optimierte Dosis nach mehr als 3 Monaten Behandlung 81,9 mg/Tag. Mehr als die Hälfte dieser Patienten optimierte auf eine Dosis von 100 mg/Tag. Aufgrund der Absorption im unteren Magen-Darm-Trakt hat DR/ER-MPH eine verringerte Bioverfügbarkeit im Vergleich zu anderen MPH-Präparaten. Bei Erwachsenen beträgt die relative Bioverfügbarkeit von DR/ER-MPH 73,9 % im Vergleich zu MPH-IR. Die optimierten Dosen von DR/ER-MPH lagen zwischen dem 1,8- bis 4,3-fachen früherer langwirksamer Stimulanzien und dem 4,7- bis 6,0-fachen früherer kurzwirksamer Stimulanzien.
Halbwertszeit bei gesunden Erwachsenen, nüchtern: ca. 5,9 bis 6,5 Stunden
Nahrung:
- DR/ER-MPH-Kapseln können ganz geschluckt oder geöffnet und auf Apfelmus gestreut werden
- Fettreiche Mahlzeit am Abend mit Einnahme bewirkte
-
AUC unverändert
- Cmax um 11 % bis 14 % reduziert
- Tmax um ca. 2,5 Stunden verzögert
- Fettarmes oder fettreiches Frühstück
- kein Einfluss auf Pharmakokinetik
- vermutlich weil DR/ER-MPH-Mikrokügelchen da schon im Dickdarm
14.2.1.10. Novo-MPH ER-C¶
MPH Novo-MPH ER-C Tabletten wurden erstmals 2010 in Kanada zugelassen und gelten dort als bioäquivalent zu OROS-MPH.
Präparat: Teva-Methylphenidat ER-C (Kanada)
Zum Wirkmechanismus von Novo-MPH ER-C haben wir bislang keine Informationen gefunden.
14.2.1.11. Matrix-Technologie¶
Präparat:
- Kinecteen® (D/A/CH) / Rubicrono® (Spanien) / Xaggitin® (United Kingdom)
Langsam erodierende Matrixtablette. Quillt bei Kontakt mit Flüssigkeit auf und bildet ein durchscheinendes Gel. Beim Abbau der Gelschicht wird MPH kontrolliert freigesetzt.
Dosierungen:
- 18, 27, 36, 45, 54 mg (Kinecteen)
Weitere Informationen zum Wirkmechanismus von Kinecteen haben wir bislang nicht gefunden.
Präparat:
Das Matrixabgabesystem funktioniert durch die Bildung eines Wasserkanals durch die Tablette. Der Wirkstoff wird durch den Kanal freigesetzt und Dicke der Matrixschicht in der Tablette bestimmt die Freisetzungsrate.
Die Tabletten sind nicht teilbar, da ein Bruch die Oberfläche der Tablette vergrößert, was die Freisetzungsrate verändert. Die Tabletten müssen im Ganzen geschluckt werden.
Dosierungen:
Pharmakokinetik:
- Maximum nach 4 bis 5 Stunden
14.2.1.12. “Lumpy gravy”-Technologie¶
Präparate:
- Metadate ER®
- Methylin ER®
“Lumpy gravy” ist ein guter linearer Freisetzungsmechanismus und war eine der ersten funktionierenden Technologien zur verlängerten Wirkstofffreisetzung von Methylphenidat.
Das MPH wird mit behandelter Zellulose und Wachs vermischt, um die Tabletten zusammenzuhalten.
Treffen die Tabletten auf die Magensäure, fluffen sie auf, ähnlich wie Klumpen in einer Soße. Durch physikalische Wirkung des Magens werden die Klumpen aufgebrochen und das MPH freigesetzt.
Die Tabletten können trotz Retardierung zerteilt werden, um die Dosis fein abzustimmen.
Typische Wirkdauer ca. 6 Stunden.
Damit zwar besser als die 2,5 bis 4 Stunden des unretardierten MPHs, jedoch zu kurz für einen Schultag oder Arbeitstag, wo mindestens 8 Stunden benötigt werden.
14.2.2. Transdermale Abgabe via Pflaster¶
14.2.2.1. MTS¶
Präparat: DAYTRANA® (USA)
DOT Matrix®-Technologie
MTS gibt racemisches MPH transdermal über ein diffusionsbasiertes Pflaster ab.
Das Pflaster besteht aus einer Trägerfolie aus Apolyester/Ethylenacetat-Laminat, die eine MPH-haltiger Multipolymer-Klebeschicht trägt.
Auftragung auf intakte Haut.
Kontinuierliche MPH-Abgabe in Abhängigkeit von Pflaster-Größe und Tragedauer.
Transdermale Verabreichung verringert den First-Pass-Metabolismus.
Wirkdauer bis 9 Stunden
Dosierungsstärken:
- 10 mg (12,5 cm²)
- 15 mg (18,75 cm²)
- 20 mg (25 cm²)
- 30 mg (37,5 cm²)
Dosisproportionalität:
- Bei Kindern mit ADHS von 10 mg bis 30 mg
- Cmax von l-MPH dosisproportional
-
AUC etwas überproportional
- 12,5 cm²-Pflaster über 9 Stunden zeigte
- 2-stündige Verzögerung der d-MPH-Absorption
- Spitzenplasmakonzentration nach 10 Stunden
-
Halbwertszeit ca. 4 bis 5 Stunden
- Akkumulation durch dauerhafte Anwendung
- Fließgleichgewicht wohl nach etwa 14 Tagen erreicht
- im Vergleich zu Einzeldosis
-
AUC stieg um 64 % bzw. 76 %
- Cmax stieg um 69 % bzw. 100 %
- systemische Exposition bei Kindern 1,4- bis 1,6-mal höher bei systemischem OROS-MPH
- systemische Exposition bei Jugendlichen dagegen bei beiden Formulierungen ähnlich
14.2.3. Suspension¶
14.2.3.1. MEROS: ER-Suspension¶
Präparat: QUILLIVANT XR® (USA)
MEROS: LiquiXR®-Technologie
Pulver in Flaschen mit 300, 600 oder 750 mg. Wird nach der Zugabe von Wasser zu Suspension mit 5 mg/ml MPH. Die Suspension ist bei Raumtemperatur 4 Monate haltbar und muss vor der jeweiligen Verwendung für 10 Sekunden geschüttelt werden.
MEROS beinhaltet zwei Arten von Mikropartikeln:
- feste Partikel mit Ionenaustauscherharz, die durch Ionenbindung einen Komplex mit MPH bilden
- geben 20 % des MPH als sofort wirksam ab
- Partikel mit unterschiedlich dicker Schicht eines wässrigen, pH-unabhängigen Polymers beschichtet sind
- geben 80 % des MPH verzögert ab
Pharmakokinetisches Profil:
- rascher anfänglicher Anstieg der MPH-Konzentration
- dann allmähliche, verlängerte Freisetzung
Bei gesunden Erwachsenen bewirkte Einzeldosis von 60 mg, nüchtern verabreicht:
- maximale d-MPH-Konzentration nach 5 Stunden
-
Halbwertszeit 5,65 Stunden
- bioäquivalent zu zwei 30-mg-Dosen oraler Lösung von IR-MPH im Abstand von 6 Stunden
- Onset der Wirkung binnen 45 Minuten
Bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS bewirkte
- Einzeldosis von 20 oder 60 mg:
- maximale d-MPH-Konzentration nach 2 bis 4 Stunden
- Einzeldosis von 60 mg:
- Cmax bei Kindern ca. 2-mal höher als bei Erwachsenen
- Cmax bei Jugendlichen mit Erwachsenen vergleichbar
Dosisproportionalität:
- Cmax und AUC nach Anpassung an Körpergewicht ähnlich
Nahrungsaufnahme:
- fettreiches Frühstück bewirkte:
- verkürzte Tmax um 1 Stunde
- erhöhte Cmax um 28 %
- erhöhte AUC um 19 %