Allopregnanolon (auch Tetrahydroprogesteron genannt) ist ein neuroaktives Neurosteroid, d. h. ein körpereigenes Steroid. Diese modulieren die neuronale Aktivität feinstufig.
Ein Review erläutert die neuromodulatorischen Wirkungen von Neurosteroiden wie Pregnenolon, Progesteron und Allopregnanolon auf das Dopaminsystem und die damit verbundenen abweichenden Verhaltensphänotypen.
Akuter Stress erhöht, chronischer Stress verringert die Neurosteroidsynthese.
Die Spiegel wie die Wirkungen von Allopregnanolon sind geschlechtsspezifisch.
Allopregnanolon weist eine geringe Bioverfügbarkeit und einen umfangreichen hepatischen Metabolismus auf, was seine Nutzbarkeit als Medikament einschränkt.
Antagonist: Isoallopregnanolon
Ähnliche Stoffe: Brexanolon, Ganaxolon, Zuranolon
1. Allopregnanolon-Synthese¶
Die folgende Darstellung basiert vornehmlich auf der Erläuterung von Scheggi et al.
AIlopregnanolon ist ein potenter positiver allosterischer Modulator des GABAA-Rezeptors, worüber es schnell und relevant die Erregbarkeit des Gehirns reguliert.
Allopregnanolon-Synthese:
- erfolgt in
- Gehirn (hauptsächlich)
- Eierstöcken
- Plazenta
- Nebennieren
- zeitlich insbesondere
- während des gesamten Menstruationszyklus im Gelbkörper (Maximum während der Lutealphase unter dem Einfluss des luteinisierenden Hormons)
- in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft in der Plazenta
- zur neurologischen Entwicklungsprozesse des Fötus
- zur Stabilisierung der Stimmung der Mutter
- zur Regulation der Stressreaktion der Mutter
- involviert in psychische Symptome bei
- abruptem Abfall nach der Geburt; dieser kann auslösen:
- postpartale Depression bei der Mutter
- langfristige negativen Auswirkungen auf das Neuroverhalten des Nachwuchses
- anhaltende Stressbelastungen können bei anfälligen Personen die Reaktionsfähigkeit der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA-Achse) stören
- bewirkt verminderte Allopregnanolon-Synthese in den Nebennieren
- fördert Risiko von Major Depression (MDD) oder posttraumatischer Belastungsstörung (PTSD)
Syntheseschritte von Allopregnanolon:
- /1. Schritt: Entstehung von Cholesterin
- wird endogen synthetisiert oder entsteht aus Abbau von Lipoproteinen.
- ist der ratenlimitierende Schritt bei der Synthese aller Steroidklassen
- /2. Schritt: Transfer von Cholesterin durch die Mitochondrienmembran
- Der Transport von der äußeren (OMM) zur inneren Mitochondrienmembran (IMM) wird von zwei wichtigen Importerproteinen vermittelt:
- das steroidogene akute regulatorische Protein (StAR)
- initiiert wohl den Cholesterintransfer in die Mitochondrien
- dem Translokatorprotein (18 kDa, TSPO)
- Bindungsstelle für StAR
- unterstützt die ersten Schritte des Cholesterintransfers in die Mitochondrien
- erforderlich, um Cholesterin effizient in der OMM zu verankern und seine Verlagerung zur IMM zu fördern
- /3. Schritt: Cholesterin wird durch CYP450scc und CYP11A1 zu Pregnenolon katalysiert, dem Prodrug aller Neurosteroide
- /4. Schritt: Pregnenolon wird im Zytosol durch das Enzym 3β-Hydroxysteroiddehydrogenase zu Progesteron umgewandelt.
- /5. Schritt: Progesteron wird durch das Enzym 5α-Reduktase (5αR) zu 5α-Dihydroprogesteron (5α-DHP)
- 5aR ist der ratenlimitierende Schritt bei der Synthese von 3α, 5α-Steroidderivaten
- 5αR hat 5 Isoenzyme, wovon nur 5αR1 und 5αR2 bei der Neurosteroid-Genese relevant sind
- beide Isoenzyme sind in den meisten Schlüsselregionen des erwachsenen Rattenhirns weitverbreitet exprimiert
-
Expressionsmuster und zelluläre Lokalisierung differieren bei Nagetieren
- 5αR1-Isoform in den meisten Regionen des Vorderhirns in Neuronen, Oligodendrozyten, Mikroglia, Astrozyten vom Typ 1 und Schwann-Zellen
- 5αR2-Isoform im gesamten Gehirn weitverbreitet (Vorderhirn bis Hirnstamm und Kleinhirn der erwachsenen Ratte). in Neuronen, aber nicht in Gliazellen
- 5aR1 wie 5aR2 wandeln (mit unterschiedlicher Affinität)
- Progesteron in 5α-Dihydro-Derivat 5α-Dihydroprogesteron (5α-DHP) um
- daneben auch Abbau von
- Testosteron in 5-alpha-Dihydrotestosteron (DHT, ein potentes Androgen)
- Aldosteron
- Dexamethason
-
Cortisol und Corticosteron in weniger potente Glucocorticoid-Rezeptor-Agonisten
- 5aR-Inhibitoren:
-
Inhibition wirkt sehr lang anhaltend (bis zu 10 Jahre nach Absetzen)
- Finasterid
- inhibiert 5aR2 deutlich stärker als 5aR1
- Dutasterid
- inhibiert 5aR1 und 5aR2 gleich stark
- scheint bei Prostatahyperplasie besser und anhaltender zu wirken als Finasterid
- /6. Schritt: 5α-DHP wird durch das Enzym 3α-Hydroxysteroid-Oxidoreduktase (3α-HSOR) zu Allopregnanolon (3α, 5α-Tetrahydroprogesteron, THP) und Isoallopregnanolon (das 3β‐Isomer von Allopregnanolon) umgewandelt
Allopregnanolon ist somit das Endprodukt des 5α,3α-Stoffwechselwegs von Pregnenolon über Progesteron.
2. 5α-Reduktase ein Ansatzpunkt zur Beeinflussung des Dopaminsystems?¶
5α-Reduktase ist also an der Allopregnanolon-Synthese beteiligt.
5αR-verwandte Neurosteroide verbessern Verhaltensauffälligkeiten, die mit einer Hyperaktivierung des mesostriatalen Dopaminsystems einhergehen.
Die 5α-Reduktase-Inhibitoren (5α-RIs) Finasterid (Propecia) und Dutasterid sind zugelassen für die Behandlung von
- Symptomen des unteren Harntrakts aufgrund einer benignen Prostatahyperplasie, bei deutlicher klinischer Wirksamkeit
Finasterid ist weiter zugelassen für die Behandlung von
- Haarausfall (androgenetische Alopezie)
Grundsätzlich gelten die unerwünschten Nebenwirkungen dieser Mittel als minimal. Eine Untergruppe von Männern berichtet über anhaltende unerwünschte Wirkungen auf die Sexualfunktion in einem die Lebensqualität beeinträchtigenden Ausmaß wie erektile Dysfunktion, Gefühllosigkeit in der Eichel, verminderte oder entfallende Libido, verringertes oder entfallendes Orgasmusgefühl. Daneben werden Gynäkomastie und Depression berichtet. Weiter sind als Nebenwirkungen Angstreaktionen notiert. Als Absetzreaktionen können Schlafprobleme und chronische Schmerzen auftreten.
Die 5αR-Inhibitoren beeinflussen einige der Verhaltenseffekte von D1-Rezeptoren in Tiermodellen.
Bei mehreren Störungen, die mit einem erhöhten Dopaminspiegel einhergehen, wurde eine spezifische Störung des 5αR-Enzymwegs und einem dadurch verursachten Ungleichgewicht von neuroaktiven Steroiden beobachtet:
- Schizophrenie
- Tourette-Syndrom
- posttraumatischer Belastungsstörung (PTSD)
- Cannabissucht
- Angst
Bemerkenswert ist, dass diese Krankheiten ätiologisch durch hyperdopaminerge Zustände gekennzeichnet sind. In den nächsten Abschnitten werden wir die wichtigsten präklinischen und klinischen Erkenntnisse vorstellen, die zeigen, wie die gezielte Beeinflussung der Neurosteroidogenese innerhalb des 5α-, 3α-Signalwegs und/oder die exogene Verabreichung der damit verbundenen neuroaktiven Steroide die Dopaminübertragung in den Hirnregionen und Schaltkreisen, die eng mit diesen psychiatrischen Erkrankungen verbunden sind, erheblich modulieren kann.
5αR wurde in Ticstörungs-Mausmodellen mit hoher Aussagekraft, Konstruktvalidität und Vorhersagekraft getestet, wie z. B. bei den D1CT-7-Mäusen.
Bei den transgenen D1CT-7-Mäusen wurde die Promotorregion für den D1-Rezeptor mit dem enzymatischen Teil des Gens der Choleratoxin-Untereinheit α1 (A1) fusioniert, was zu einer anhaltenden Aktivierung von Gs-Proteinen führt. D1CT-7-Mäuse zeigen explosive, ruckartige Bewegungen von Kopf, Rumpf und Gliedmaßen, die stark an Tics erinnern. In Übereinstimmung mit den geschlechtsspezifischen Unterschieden bei Ticstörungs-Betroffenen zeigen männliche D1CT-7-Mäuse mehr Tic-Ausbrüche als weibliche. Darüber hinaus beginnt das Zucken am 16. postnatalen Tag, an dem Veränderungen im Steroidprofil beginnen, die der Adrenarche bei Primaten ähneln.
5αR-Inhibitoren verringern deutlich
Die Autoren vermuten, dass eine erhöhte 5αR-Aktivität in frühen Entwicklungsstadien zu einer unangemessenen Aktivierung des „Hintertürchens“ für die Androgensynthese von der Adrenarche bis zum Ende der Pubertät führen kann und die daraus resultierenden Ungleichgewichte in der Steroidhomöostase die Signalübertragung von Dopamin und anderen Neurotransmittern beeinträchtigen können, was letztlich zur Erleichterung von Tics und anderen Verhaltensanomalien bei Ticstörungen führt.
3. Allopregnanolon und Stress¶
Akuter Stress erhöht Allopregnanolon, welches wiederum die HPA-Achse hemmt (wie auch Cortisol). Allopregnanolon ist damit ebenso wie Cortisol ein Hormon, das am Ende der Stressreaktion die HPA-Achse wieder herunterführt. Chronischer Stress, wie er zur Entwicklung neuropsychiatrischer Störungen wie Depressionen und Angstzuständen beiträgt, führt dagegen zu einem Rückgang des Allopregnanolonspiegels, was die Fähigkeit zur Herabregulierung der HPA-Achse nach deren akuter Aktivierung beeinträchtigt.
Akuter Stress (erzwungenes Schwimmen, CO2-Inhalation, Fußschock, Fixierung, Fesselungsstress) erhöht
- den Allopregnanolon-Spiegel im Plasma und im Gehirn von Nagetieren
- den Pregnenolon-Spiegel im Gehirn, nicht aber im Plasma, bei chronisch gestressten Tieren
Chronischer (leichter bis schwerer) Stress (erzwungenes Schwimmen, soziale Isolation, wiederholter Fesselungsstress) verringert
- den Allopregnanolon-Spiegel
- den Pregnenolonspiegel im Gehirn, nicht aber im Plasma
- Ein Tiermodell für unvorhersehbaren chronischen Stress zeigte deutliche Veränderungen im Gehirn in Bezug auf Pregnenolon .
Das Verhältnis von Gehirnspiegel zu Plasmaspiegel von Pregnenolon war deutlich höher als das von Allopregnanolon.
Die Pregnenolon-Gehirn-Spiegel waren Weibchen signifikant höher als bei Männchen.
4. Wodurch Allopregnanolon beeinflusst wird¶
- Der kompetitiven 3β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase (3β-HSD)-Inhibitor Trilostan
- erhöht Pregnenolon im Hippocampus und PFC, was mit seiner antidepressiven Wirkung korreliert
- Antipsychotische Neuroleptika (Olanzapin, Haloperidol, Clozapin)
- erhöhen Allopregnanolon im Hippocampus und Kortex von Ratten
- erhöhen Pregnenolon im Hippocampus und Kortex von Ratten
-
akute Gabe niedriger Dosen von mikronisiertem Progesteron erhöht den Allopregnanolonspiegel zuverlässig
5. Wie Allopregnanolon wirkt¶
Allopregnanolon wirkt als
- hochwirksamer positiver allosterischer Modulator
- des GABAA-Rezeptors
- Allopregnanolon zeigt ein inverted-U-Wirkungsprofil an GABAA
- Moderate Erhöhungen (1,5-2 nmol/L Gesamt-Allopregnanolon, typisch für Lutealphase) hemmen GABAA
- niedrigere und höhere Konzentrationserhöhungen stimulieren GABAA
- des GABAA-ρ-Rezeptors
- negativer allosterischer Modulator von
- nACh-Rezeptoren (wie Progesteron)
- 5-HT3-Rezeptors
-
Agonist der membranständigen Progesteronrezeptoren mPRδ, mPRα und mPRβ
- Aktivität an diesen Rezeptoren um eine Größenordnung stärker ist als am GABAA-Rezeptor
- Aktivator des Pregnan-X-Rezeptors (Wie Progesteron)
Allopregnanolon bindet nicht oder kaum an
- NMDA-Rezeptor
-
AMPA-Rezeptor
- Kainat-Rezeptor
- Glycin-Rezeptoren
- nukleären Progesteron-Rezeptor
- indirekte Wirkung am Progesteron-Rezeptor nach intrazellulärer Oxidation von Allopregnanolon zum PR-Agonisten 5α-Dihydroprogesteron
Allopregnanolon
- verringert die evozierte Dopaminfreisetzung in Abhängigkeit von Geschlecht und Östrusphase.
- hemmt die basale und die stressinduzierte Dopaminausschüttung im PFC und im Nucleus accumbens.
- erhöht die Dopaminfreisetzung und die dopaminerge Reaktion auf Morphin im Nucleus accumbens
Allopregnanolon wirkt
- antipsychotisch
- antidepressiv
- stresslindernd
-
anxiolytisch
.- an den GABAA-Rezeptoren
- erhöht den GABAergen Tonus
- was zu einem Verhaltensprofil führt, das dem von Dopaminrezeptorantagonisten ähnelt, z.B. dem Neuroleptikum Haloperidol
Das 3β-methylierte Analogon von Allopregnanolon
- verringert PTSD-ähnliches Verhalten bei Mäusen, das durch soziale Isolation ausgelöst wurde
Pregnenolon wirkt
-
anxiolytisch
- antidepressiv
- verringert Schizophrenie-ähnliche kognitive Beeinträchtigungen an Dopamin-Transporter-Knockout-Mäusen
6.Allopregnanolon und ADHS¶
Bei Kindern mit ADHS fand sich ein verringerter Allopregnanolon-Serumspiegel
Methylphenidat bewirkte
- bei ADHS-I ohne depressive Symptome eine Verdoppelung des Allopregnanolonspiegels (27,26 ± 12,90 vs. 12,67 ± 6,22 ng/ml, Morgenwerte)
- bei zusätzlich bestehenden depressiven Symptomen senkte MPH den Allopregnanolonspiegel
Eine Gabe des Neurosteroids Ganaxolon an frühgeborene Schweine verhinderte die Entwicklung von ADHS-Symptomen.
Frühgeborene weisen eine veränderte zerebrale Myelinisierung auf. Allopregnanolon ist ein wichtiger Baustein für die Myelinisierung. Eine Gabe von Allopregnanolon bei Frühgeborenen könnte dazu beitragen, Myelinisierungsschäden zu vermeiden.
Pränataler Stress bewirkte Meerschweinchen in der späten Kindheit bei Männchen zu Hyperaktivität und bei Weibchen zu Angstsymptomen.
Eine postnatale Gabe von Ganaxolon und Emapunil nach pränatalem Stress bewirkte:
- (nur) bei den Weibchen zur Vermeidung der Stressfolgesymptome (hier. Angstsymptome)
- Emapunil stellte den Gehalt an reifem Myelin bei beiden Geschlechtern wieder her
- Emapunil machte die Störungen der Oligodendrozytenabfolge bei den weiblichen Nachkommen rückgängig