Autismus ist eine Spektrum-Störung, zeigt sich also in verschiedenen Formen und unterschiedlicher dimensionaler Intensität.
Die Prävalenz von ASS in der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,85 % der Jungen und 0,40 % der Mädchen. Unter ADHS-Betroffenen liegt die ASS-Prävalenz zwischen 3,6 % und 21 %. ASS-Betroffene zeigen bereits ab dem Alter von 9 Monaten diagnostizierbare Unterschiede im Sozialverhalten und in repetitiven und sensorisch orientierten Verhaltensweisen.
ASS hat neben Dopamin noch weitere neurophysiologische Ursachen, wie Noradrenalin, GABA, Glutamat, Serotonin, N-Acetylaspartat, Oxytocin, Arginin-Vasopressin, Melatonin, Vitamin D, Orexin, endogene Opioide und Acetylcholin. Vor dem Hintergrund der Berührungspunkte zu ADHS haben wir in diesem Beitrag die dopaminergen Aspekte zusammengestellt.
1. Symptome von ASS¶
Hauptsymptome von Autismus sind
- Beeinträchtigungen in der sozialen Kommunikation und Interaktion
- anhaltende Beeinträchtigungen
- der sozialen Reziprozität
- der nonverbalen Kommunikation
- des Aufbaus, der Aufrechterhaltung und des Verständnisses von Beziehungen
- Beispiele:
- Vermeiden von Blickkontakt
- flache oder unangemessene Mimik
- Unfähigkeit, die Grenzen des persönlichen Raums zu verstehen
- Defizite in der wechselseitigen Hin- und Her-Kommunikation
- Schwierigkeiten, Gesten, den Tonfall oder die Körpersprache zu verwenden und zu verstehen
- Muster von eingeschränkten und sich wiederholenden Verhaltensweisen, Interessen oder Aktivitäten
- sich wiederholende motorische Bewegungen
- unflexibles Festhalten an Routinen
- stark eingeschränkte Interessen, die in ihrer Intensität abnormal sind
- Hyper- oder Hyporeaktivität auf sensorische Reize
- Lernprobleme
- Aufmerksamkeitsprobleme
- Defizite in der sensorischen Verarbeitung
- Emotionsregulationsprobleme
- Schlafprobleme
- Sprach- und Spracherwerbsprobleme
- Kommunikationsprobleme
- Promptabhängigkeit
Diese Symptome sind bei jungen, sich normal entwickelnden Kindern eine häufige adaptive Verhaltensweise und insoweit von ASS abzugrenzen.
Autismus umfasst eine Gruppe von Ausprägungen, die früher als eigenständige Formen erfasst wurden, darunter:
- frühkindlicher Autismus
- Autismus im Kindesalter
- Kanner-Autismus
- hochfunktionaler Autismus
- atypischer Autismus
- nicht anderweitig spezifizierte tiefgreifende Entwicklungsstörung
- desintegrative Störung der Kindheit
- Asperger-Syndrom
Die häufigsten Komorbiditäten von ASS bei Kindern sind:
-
ADHS: 28,2 % bis 81,2 %
- oppositionelle Trotzstörung (ODD): 28,1 % bis 45,5 %
- Angststörungen: 45,5 %
- soziale Angststörung: 29,2 %
- generalisierte Angststörung: 13,4 %
2. Dopamin und ASS¶
Störungen des Dopaminsignals werden nicht nur mit ADHS, sondern auch mit ASS (oder eines ASS-Subtyps) in Verbindung gebracht. Zum Verständnis von ADHS ist es spannend, zu erfassen, auf welche Weise die dopaminerge Signalisierung bei ASS gestört ist und wie sich diese Störung von derjenigen bei ADHS unterscheidet. Da ADHS und ASS komorbid auftreten können, ist unwahrscheinlich, dass es sich um rein entgegengesetzte dopaminerge Störungen handelt.
Die präzise Regulierung des synaptischen (phasischen) Dopaminsignals durch den Dopamin-Transporter (DAT) unterstützt die Fähigkeit von Dopamin, Fehler bei der Belohnungsvorhersage zu codieren und dadurch Motivation, Aufmerksamkeit und Verhaltenslernen zu steuern.
Bei den Kerndefiziten von ASS scheinen das mesokortikolimbische Dopaminsystem (in Bezug auf soziale Defiziten) und das nigrostriatale Dopaminsystem (in Bezug auf stereotype Verhaltensweisen) eine tragende Rolle zu spielen.
Das für die Belohnungsverarbeitung wichtige mesokortikolimbische Dopaminsystem ist bei ASS hypoaktiviert, was den Wert sozialer Belohnungen stark reduziert und damit einen Mangel an sozialer Motivation verursacht.
Daneben kann eine Dysfunktion des sozialen Hirnnetzwerks (bestehend aus inferiorem frontalem Gyrus, Amygdala und Gyrus fusiformis) die soziale Motivation verringern.
Das für motorischen Aspekte von zielgerichtetem Verhalten wichtige nigrostriatale Dopaminsystem scheint durch erhöhtes Dopamin im dorsalen Striatum über den D1-Rezeptor repetitives und stereotypes Verhalten auslösen zu können. D1-Antagonisten stoppten dieses Verhalten. Mäuse ohne D2-Rezeptoren im dorsalen Striatum zeigten ebenso repetitives und stereotypes Verhalten.
2.1. Verringerte Dopaminwiederaufnahme, erhöhter Dopamin-Efflux¶
Eine de novo-Mutation im SLC6A3-Gen, das den DAT kodiert, führt zu einer Threonin-Methionin-Substitution an der Stelle 356 (DAT T356M) und bewirkt einen anhaltenden Dopamin-Efflux und wurde mit ASS in Verbindung gebracht. Bei Drosophila melanogaster bewirkt die DAT-Mutation Hyperlokomotion.
Mäuse, die homozygot für diese Mutation sind, zeigen eine beeinträchtigte striatale DA-Neurotransmission und veränderte DA-abhängige Verhaltensweisen, die mit einigen der bei ASS beobachteten Verhaltensphänotypen übereinstimmen.
In-vitro zeigte diese DAT-Mutation:
- eine verringerte Dopamin-Wiederaufnahme
-
DAT-Expression im Striatum unverändert
- Vmax der Wiederaufnahme verringert
- verringerte Wiederaufnahme bewirkt in der Folge
- D2R-Desensibilisierung
- verringerte Dopamin-Synthese aufgrund erhöhter synaptischer Dopamin-Spiegel
- verringerter Gesamtgehalt an Dopamin im Gewebe
- verringerte Tyrosin-Hydroxylase-Phosphorylierung an Ser31
- synaptische Hyperdopaminergenie
- erhöhter striataler Dopamin-Stoffwechsel
- dauerhaften DA-Efflux
- verringerte DAT-Affinität für Kokain und MPH (was eine wichtige Rolle von T356 bei der Bindung von Hemmstoffen andeutet)
-
DA-Spitzenfreisetzung auf Kokain wie bei Wildtyp
- Abklingzeit des amperometrischen Stroms bei DAT T356M+/+ Mäusen signifikant länger als bei Wildtyp, entsprechend verringerter Wiederaufnahme
- verringertes Körpergewicht
- nur T356M+/+, nicht T356M+/- Mäuse zeigen Verhaltensbesonderheiten im Vergleich zu Wildtyp
- spontane Hyperaktivität persistierend
- verringert durch DAT-Antagonisten
- ACT-01: binnen 20 Minuten
- GBR12909: binnen 10 Minuten
- repetitive Verhaltensweisen
- soziale Defizite
- Verlust der Vorliebe für soziale Neubegegnung
- Verlust der sozialen Dominanz
- Verlust von motiviertem Verhalten oder veränderte Handlungsauswahl (verringertes Vergraben von Murmeln)
- unverändert:
- Kraft
- Koordination
- motorisches Lernen
- Ängstlichkeit
- Stressverhalten
Auch die DAT-Genvariante Ala559Val, die bei zwei Personen mit ASS (12) gefunden wurde, zeigt einen erhöhten Diopamin-Efflux ohne erhöhte Dopamin-Wiederaufnahme:
- sehr seltene Genvariante
- verdreifachter Dopamin-Efflux, bei depolarisierten Zell-Potentialen
- auf dem Niveau, wie es bei normalen DAT durch AMP ausgelöst wird
- MPH und AMP blockierten beide Ala559Val-vermittelten Dopamin-Efflux
- bei Wildtyp-hDAT erhöhen MPH und AMP diesen
- erhöhte Empfindlichkeit gegenüber intrazellulärem Na+, nicht aber gegenüber intrazellulärem Dopamin
- möglicherweise eine erhöhte basale hDAT A559V-Phosphorylierung, die durch AMP abgeschwächt wird
- normale DAT-Protein- und Zelloberflächenexpression
- normale Dopamin-(Wieder-)Aufnahme bei niedrigen wie hohen Dopaminspiegeln
- normale Wirkung von AMP, MPH, Kokain auf die Dopamin-Wiederaufnahme-Hemmung
- eine ältere A559V-Trägerin zeigte
- hohe Hyperaktivität/Unruhe
- hohe Impulsivität/emotionale Anfälligkeit
- hohe hyperaktiv-impulsive Symptomwerte nach DSM-IV (über 90)
- erhöhter Efflux ist CaMK-abhängig und wird durch DRD2 vermittelt
- deutet auf Beteiligung endogener Signal- und Phosphorylierungsmechanismen hin
- Erhöhte PKCβ-Aktivität
Homozygote Ala559Val-Mäuse zeigen allerdings keine:
Asn336 zeigt mithin, dass ein erhöhter DAT-Dopamin-Efflux keine zwingende Voraussetzung für ASS ist. Durch die inexistente Dopaminwiederaufnahme dürfte jedoch ein massiv überhöhter extrazellulärer Dopaminspiegel bestehen.
Dies deckt sich damit, dass hohe D-Amphetamin-Gabe (5 bis 10 mg/kg bei der Ratte), die zu einem erhöhten extrazellulären Dopaminspiegel im Nucleus caudatus und Putamen führt, mit fokussiert-repetitivem (stereotypem) Verhalten einhergeht.
Parkinson-Patienten, die eine starke Dopamin-Ersatztherapie erhielten, sowie chronische Amphetamin-Drogen-Konsumenten (beides Fälle von deutlichem Dopaminüberschuss) zeigen stereotype Verhaltensweisen wie z.B. eine intensive Faszination für die wiederholte Manipulation mechanischer Gegenstände, das Anfassen und Untersuchen gewöhnlicher Gegenstände, exzessive Körperpflege und das Führen langer Monologe.
Eine verringerte Dopaminwiederaufnahme und ein erhöhter Dopamin-Efflux bei ASS wären damit konsistent, dass Dopaminwiederaufnahmehemmer keine Verbesserung von ASS-Haupt-Symptomen bewirken, da diese genau diese beiden dopaminergen Effekte verstärken.
Die sehr häufige Komorbidität zwischen ASS und ADHS eröffnet allerdings die Frage, wie sich manche Widersprüche vereinbaren lassen sollen:
- eine verringerte Dopamin(wieder)aufnahme bei ASS und eine erhöhte Dopaminwiederaufnahme bei ADHS (das typischerweise mit Dopaminwiederaufnahmehemmern behandelt wird)
- ein erhöhter Dopamin-Efflux bei ASS und ein durch Stimulanzien (die ADHS-Medikamente erster Wahl) erhöhter Dopamin-Efflux bei ADHS
2.2. Andere dopaminerge ASS-Phänotypen¶
Mehrere Studien fanden übereinstimmend eine Vergrößerung des Nucleus caudatus bei ASS, was ebenfalls auf dopaminerge Zusammenhänge hinweist.
Eine Studie berichtet unter Bezugnahme auf das D1-/D2-Gleichgewicht, dass eine erhöhte D1-Signalisierung mit stereotypen Verhaltensweisen korreliert und durch D1-Antagonisten verringert wird und dass bei ASS-Modell-Mäusen eine erhöhte postsynaptische D2-Rezeptordichte beobachtet wurde (was eine Anpassungsreaktion auf eine verringerte postsynaptische D2-Signalisierung sein könnte).
Eine pränatale Valproat-Exposition ist ein bekannter Risikofaktor für ASS. Valproat scheint die Expression von über 1300 Genen zu verändern.
Pränatale Valproat-Exposition bewirkt bei Zebrafischen
-
ASS-Symptome (bei Jungtieren)
- Verlust der sozialen Präferenz
- Hyperaktivität
- angstähnliches Verhalten
-
Dopaminerge Veränderungen
- eine verringerte th1-mRNA-Genexpression (codiert Tyrosinhydroxylase, das ratenlimitierende Enzym bei der Dopaminsynthese)
- einer verringerten dbh-mRNA-Genxpression (codiert Dopamin-β-Hydroxylase, die Dopamin in Noradrenalin umwandelt)
- eine verringerte Zahl der TH1-immunreaktiven Zellen
- Sonstige Veränderungen
- gehemmte Histondeacetylase (die an der epigenetischen Regulierung der Genexpression beteiligt ist)
- veränderte Untereinheiten des GABA-Rezeptors
Pränatale Valproat-Exposition bewirkt bei Nagetieren:
-
ASS-Symptome (bei Jungtieren)
- repetitive Verhaltensweisen
- Defizite bei sozialen Interaktionen
- reduzierte isolationsinduzierte Vokalisierung
-
Dopaminerge Veränderungen
- erhöhtes basales Dopamin
- eine zunehmend erhöhte Dopamin-Konzentration als Reaktion auf Schwimmstress
- Übererregbarkeit der striatalen MSN
- Veränderungen in der Dopamin-Rezeptorexpression
- erhöhte D2R-Expression im Nucleus Accumbens
- erhöhte D1R-Expression im Nucleus Accumbens und Hippocampus
ASS scheint nicht zwingend mit erhöhtem extrazellulärem Dopamin-Spiegel und verringerter Dopaminwiederaufnahme verbunden zu sein.
Ein dopaminerger ASS-Phänotyp scheint mit verringerter DAT-Expression im Striatum in Verbindung zu stehen.
Fmr1-KO-Mäuse (Fragile X Mental Retardation 1 Knockout) zeigen ASS-assoziierte Verhaltensweisen, einschließlich
-
ASS-Symptome
- Beeinträchtigungen des Sozialverhaltens
- intranasale Dopamin-Gabe verstärkte soziale Neuheitssuche
- angstähnliches Verhalten
- Hyperlokomotion
-
dopaminerge Veränderungen:
- weniger striatale DAT
- verringerte D1R-Expression
- Fehlen der durch D1R vermittelte Verstärkung der evozierten hemmenden postsynaptischen Ströme (IPSCs)
- D1R-Signalübertragung in Synapsen des PFC gestört
- durch D1-Rezeptor-Agonisten teilweise wiederherstellbar
- durch pharmakologische Hemmung von GRK2 behebbar
-
Dopaminerger Signalpfad: Kleinhirn -> Dopamin-Neuronen im VTA -> mPFC relativ geschwächt
- verringerte zerebellar-evozierte Dopamin-Freisetzung im mPFC
-
VTA-Inaktivierung verringerte die Dopamin-Freisetzung bei Fmr1-KO-Mäusen weniger stark als bei Wildtyp
- abnorme Morphologie der striatalen TH-positiven Axone mit höherer “Komplexität” und geringerer “Textur”
- verstärkte räumliche Kopplung zwischen vesikulärem Glutamattransporter 1 (VGLUT1) und TH-Signalen
- unveränderte GABAerge Neuronen
- verminderte Anzahl von SNc-Zellen
BTBR-Mäuse (Black and Tan BRachyury T+Itpr3tf/J) zeigen
-
ASS-Symptome
- Beeinträchtigung der Kontaktfreudigkeit
- veränderte Ultraschallvokalisation
- verstärktes Selbstpflegeverhalten
-
ADHS-Symptome
- intranasale Dopamin-Gabe behob die Defizite
- der nicht-selektiven Aufmerksamkeit
- der objektbezogenen Aufmerksamkeit
- der sozialen Annäherung
-
dopaminerge Veränderungen
- weniger striatale DAT
- reduzierte D2R-vermittelte Neurotransmission
- unveränderte D1-Rezeptor-vermittelte Neurotransmission
- verringerte Tyrosinhydroxylaseexpression in
-
Substantia nigra
-
VTA
-
dorsalem Striatum
- verstärkte räumliche Kopplung zwischen vesikulärem Glutamattransporter 1 (VGLUT1) und TH-Signalen
- unveränderte GABAerge Neuronen
3. Medikamente und ASS¶
Seitens der FDA sind Risperidon und Aripiprazol zur Behandlung von ASS zugelassen.
Metastudien fanden, dass der D2-Antagonist und Serotonin-5-HT2A-Antagonist Risperidon bei Kindern mit Autismus die Hauptsymptome verbesserte:
- Lethargie/sozialen Rückzug
- Reizbarkeit
- störende Verhaltensweisen
- eingeschränkte, repetitive und stereotype Verhaltensweisen, Interessen und Aktivitäten
- Selbstverletzung
- soziale und sprachliche Kommunikation (geringe Verbesserungen)
Eine Metastudie fand Verbesserungen bei einer kurzfristigen Behandlung mit Aripiprazol (bei allerdings erheblichen Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Sedierung, Sabbern und Zittern) bezüglich:
- Reizbarkeit
- Stereotypien (sich wiederholende, zwecklose Handlungen)
- Hyperaktivität
Methylphenidat verbesserte bei ASS, wenn auch mit etwas geringerer Responderrate als bei ADHS:
- Hyperaktivität
- Unaufmerksamkeit
In einem Tierversuch verbesserte der H3R-, D2R- und D3R-Antagonist ST-713 autistisches Verhalten in männlichen BTBR T+tf/J-Mäusen:
- soziale Defizite
- repetitive/zwanghafte Verhaltensweisen
- gestörte Angstzustände
- nicht aber die Hyperaktivität der getesteten Mäuse
- 5 mg i.P. dämpften die erhöhten Proteinwerte im Hippocampus und Cerebellum von
- Eine gleichzeitige Gabe eines HR-Agonisten oder eines Anticholinergikums hob die Verbesserung der sozialen Parameter auf